Über SARS-CoV-2-Mutationen

Aus europäischer Sicht kommt mit der Omikron-Variante (auch oft “Mutante” genannt – irgendwie sträubt sich mein Sprachgefühl aber gegen dieses Wort) die dritte seriöse und benannte Mutation des SARS-CoV-2-Wildtyps auf uns zu. Bzw. ist schon da. Nach Alpha und Delta nun also Omikron. Oder Omicron für meine anglophilen Freunde.

Mich wundert, wie viele Artikel zu Omikron schon durch den Blätterwald gerauscht sind, ohne dass wirklich substanzielle Erkenntnisse bereits vorliegen. Infektiöser oder nicht? Man weiß es nicht. Gefährlicher oder ungefährlicher oder ähnlich gefährlich? Man weiß es nicht. Schützt Impfung und/oder Genesung vor erneuter Ansteckung? Vermutlich nicht. Bleibt der Schutz durch Impfung oder Genesung gegen schwere Verläufe intakt? Vielleicht oder auch nicht. Wird Omikron Delta verdrängen? Man weiß es nicht.

Um mit Donald Rumsfeld zu sprechen: these are known unknowns. Wird es unknown unknowns geben? Wir werden es herausfinden.

Nur eines scheint klar: Omikron ist keine gute Begründung dafür, auf die jetzt vermutlich schon lange oder mindestens demnächst fällige Auffrischungsimpfung zu verzichten. Denn die wirkt immer noch recht gut gegen Delta, und Delta ist immer noch die weit vorherrschende Variante aka “das derzeit sehr viel größere Problem”. Wenn dann klar ist, ob Omikron einen angepassten Impfstoff benötigt und falls ja wann dieser dann zur Verfügung steht – ich schätze da werden noch mindestens 3-5 Monate ins Land gehen, so lange sollte man nicht mit nachlassendem Schutz gegen Delta durch die Weltgeschichte rennen.

Übrigens habe ich den Titel dieses Blog-Beitrags absichtlich varianten-neutral formuliert, denn die Fragen und zunächst ausbleibenden Antworten werden bei jeder neuen Mutation wieder genau so auftauchen. Also: auf Wiedervorlage.

Klimawandel und COVID-19

Fast alle meine Blogposts dieses Jahr drehen sich entweder um COVID-19 oder um den Klimawandel. Zeit, die beiden Themen zusammenzuführen.

Ich bin ja sowas wie eine Schnittmengen-Randgruppe. Ich bin mir sehr sicher, dass der Klimawandel zwar ein potenzielles, aber höchstwahrscheinlich eher kleineres Problem darstellt und die meisten diskutierten Lösungsansätze zwar sehr teuer, aber eher wirkungslos sind (vor allem Deutschland mit der Energiewende inklusive Ausstieg aus der Kernenergie). Und ich bin mir auch sehr sicher, dass COVID-19 ein seriöses Problem ist, die Pandemie real und die Impfung wirksam ist.

Komischerweise stelle ich gewisse Häufungspunkte fest, es scheint zwei einander gegenüberstehende Fraktionen zu geben: wer glaubt, dass COVID-19 nur eine harmlose Grippe ist, glaubt meistens auch, dass der Klimawandel kein Problem ist. Und andersrum scheinen diejenigen, die in COVID-19 ein seriöses Problem erkennen, auch den nahenden oder schon existierenden Klimawandel für ein seriöses Problem zu halten.

Ich will mich nicht mit tiefenpsychologischen Diagnosen aufhalten, wie diese beiden Häufungspunkte zu ihrer aus meiner Sicht irrigen Position kommen – das gehört zu den typischerweise unfruchtbaren Tätigkeiten des Lebens. Ich will stattdessen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Klimawandel und COVID-19 beleuchten. Natürlich nur aus meiner Sicht und damit aus der einzig richtigen.

Ein Unterschied: die Gefahren durch COVID-19 sind real, spiegeln sich in allen verfügbaren Zahlen wider, von der Übersterblichkeit in den Scheitelpunkten der Infektionswellen bis zu den Auslastungszahlen des Gesundheitswesens. Dagegen sind die Gefahren durch den Klimawandel überhaupt nicht klar, weil sie bisher nur durch Modellierung behauptet werden, aber real überhaupt nicht vorkommen. Ganz im Gegenteil sieht es derzeit eher so aus wie wenn es signifikante Vorteile durch die sich erwärmende Welt ergeben – von der Ergrünung der Wüsten bis zu sinkenden Schäden (relativ zum Wohlstand natürlich!) durch Naturkatastrophen wie Wirbelstürme und Überschwemmungen, alle Parameter sagen “es gibt aktuell kein Problem”. Auch die Flüchtlingskrise ist ganz sicher nicht durch den Klimawandel ausgelöst, sondern durch das Wohlstandsgefälle sowie das selten dämliche Verhalten diverser Möchtegern-Einwanderungsländer. Letztlich sind die Klimamodelle viel zu grob, um vernünftige Aussagen über zukünftigen Nutzen und Schaden daraus abzuleiten. Wo gibt es deutlich höhere Temperaturen, und in welcher Jahreszeit treten sie auf? Wie ändern sich die regionalen Niederschlagsmuster? Wo taut das Eis, wo wachsen die Gletscher? Keiner weiß es. Wie soll auf dieser Basis eine Vorhersage möglich sein? Durch die Unklarheiten bei der Wolkenmodellierung ist der Unsicherheitsfaktor derart groß, dass man genauso gut den Kaffeesatz oder die Glaskugel befragen kann. Ganz sicher ist nur eins: die beobachtete Klimaerwärmung seit Ende der kleinen Eiszeit Mitte des 19. Jahrhunderts hat keinerlei globale Probleme hervorgebracht, sondern ganz im Gegenteil den Boden bereitet für den rasantesten Zugewinn an Wohlstand in der Geschichte der Menschheit. Und zwar auch und ausdrücklich für die Armen dieser Welt.

Ein Unterschied ist auch die zeitliche Nähe des Problems. COVID-19 ist seit Anfang 2020 da, ständig präsent und für jeden in seinen Auswirkungen beobachtbar – jetzt mal ganz egal, ob man aus diesen Beobachtungen dann schließt, dass es eine tödliche Massenepidemie ist oder eine harmlose Grippe, die halt nur ein paar bedauerliche Opfer in der älteren vorerkrankten Bevölkerung fordert. Der Klimawandel ist zwar (was die Beobachtung durch den Menschen angeht) seit 150 Jahren da, aber kaum spürbar – und man braucht schon ganz gewiefte statistische Methoden und Einiges an Phantasie, um in ferner Zukunft sich ein potenzielles Problem abzeichnen zu sehen.

Eine Gemeinsamkeit ist die komplette Planlosigkeit der Politik bei der Bekämpfung der Probleme. Es werden vorwiegend teure und gerne auch wirkungslose Instrumente installiert, die bestenfalls nur sinnlose Symbolpolitik sind und schlimmstenfalls kontraproduktiv und teuer zugleich sind. Und gleichzeitig werden international erfolgreiche Muster der Problembekämpfung konsequent ignoriert. Was Taiwan, Südkorea, Finnland und Norwegen für die Pandemiebekämpfung ist – gute Vorbilder – ist Frankreich beim CO2-Ausstoß pro Kopf im Verhältnis zum Wohlstand.

Ebenfalls gemeinsam ist beiden Problemen, dass es recht einfache und preiswerte Auswege aus der Katastrophe gibt: Impfung auf der einen Seite, Kernenergie auf der anderen Seite. Kernenergiegegner verwenden gerne ähnlich gelagerte Schwurblerargumente wie Impfgegner, man denke an die übergroß dargestellten Gefahren der Kernenergie, insbesondere die Endlagerung – eine sehr auffällige Gemeinsamkeit. Die beschworenen Gefahren der Endlagerung sind äquivalent zu den unerforschten Langzeitnebenwirkungen der Impfung. Die Gefahren des Betriebs von Kernkraftwerken sind äquivalent zu den kurzfristig zu erwartenden Impfnebenwirkungen. Und die Beschwörungsformel “Kernenergie kann keinen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten” ist äquivalent zu “die Impfung wirkt gar nicht”. Und sowohl Kernenergiegegner als auch Impfgegner sind rationalen Argumenten gegenüber wenig aufgeschlossen, verstecken sich in ihren ideologischen Schützengräben um nicht mit der Realität konfrontiert zu werden.

Zurückkommend auf die beiden gegenüberstehenden Fraktionen bleibt nur die (erfahrungsgemäß sehr schwache, beinahe illusorisch anmutende) Hoffnung, dass sich die Grundsätze des Zeitalters der Aufklärung – oder populär ausgedrückt “Fakten, Fakten, Fakten” – auf lange Sicht durchsetzen werden. Und ich werde dann sagen: “Ich hab’s Euch ja gleich gesagt”. Wenn ich es noch erlebe. Schaut man auf die Irrtümer der Vergangenheit – vom Marxismus über die Grenzen des Wachstums bis zum Waldsterben – kann man erahnen, dass Lebenslügen manchmal nicht mal mit der Lügengeneration aussterben.

COVID-19 – Here we go again

In vielen Bereichen des Lebens spricht man ja von einer “Lernkurve”. In der Softwareentwicklung hat man zum Beispiel das CMM (“Capability Maturity Model”) entwickelt, mit den Stufen 1 bis 5. In einfache Sprache übersetzt bedeutet Stufe 1 “erste Versuche, ad-hoc-Vorgehen”, Stufe 2 “schon mal gemacht – das, was sich bewährt hat, behalten wir bei, es entwickelt sich Routine”, und Stufe 3 “definiertes Vorgehen, wir wissen recht gut was funktioniert und was nicht und haben einen Plan, um genau das zu tun, was funktioniert”.

Bei der Pandemie-Bekämpfung sehe ich vor allem die Politik seit Januar 2020 auf Stufe 1 herumkrebsen. Egal ob Empfehlungen oder Kennzahlen oder Organisation oder Impfung – was zu Anfang der Pandemie noch einigermaßen verständlich (wenn auch unentschuldbar aufgrund existierender Planspiele und Vorüberlegungen und mindestens 20 Jahre Zeit zur Vorbereitung) war, ist inzwischen nur noch peinlich.

Im Moment wiederholt sich das Impfdesaster von Anfang 2021. Obwohl die Zahlen aus Israel seit etwa Ende Juli 2021 klar sagen, dass die Wirkung der Impfung vor allem bei den Risikogruppen nach teilweise weniger als 6 Monaten spürbar nachlässt. Obwohl die Zahlen aus aller Welt wenig Gutes über die AstraZeneca- und J&J-Impfung bezüglich der Delta-Variante sowie die Dauer der Wirksamkeit sagen. Obwohl von Anfang an klar war, dass man die Wirksamkeit der Impfung eng überwachen muss, um rechtzeitig reagieren zu können, hat die Politik das Problem erneut konsequent verschlafen, zur Unzeit die Impfzentren dichtgemacht, noch im Oktober von einem “Freedom Day” gelabert, und hauptsächlich auf die überschaubare Zahl der Impfgegner geschimpft, anstatt die Impfwilligen und Impfunentschlossenen bestmöglich zu versorgen.

Ebenfalls wiederholt sich das Krankenhausdesaster. In Baden-Württemberg werden seit heute Intensivpatienten in andere Bundesländer verlegt, um Platz zu schaffen für die COVID-19-Patienten, von denen man heute schon weiß, dass sie demnächst im Krankenhaus landen werden. Unnötig zu sagen, dass der Regelbetrieb in den Krankenhäusern schon lange wieder Geschichte ist und alle nicht dringend notwendigen medizinischen Eingriffe schon wieder verschoben werden. Es kann jeder von Glück sagen, der seine schwere Erkrankung schon im Sommer hinter sich gebracht hat.

Ein Dauerärgernis ist das Meldedesaster. Egal ob Impfung, Infektion, Hospitalisierung, Intensivstationsbelegung oder Intensivbettenkapazität – der berühmte Meldeverzug, gerne in Kombination mit Meldung per Fax oder Brieftaube, ist auch im Jahr 2 der Pandemie allüberall. Das Land Baden-Württemberg hat ja aufgrund der Überlastung der Gesundheitsämter – auch ein Dauerzustand seit Tag 1 der Pandemie – die Kontaktnachverfolgung eingestellt und überlässt das jetzt den Infizierten bzw. Erkrankten. Das klappt wirklich prima. Es fällt einem auch nach intensivem Nachdenken überhaupt kein Bereich des Staatswesens mehr ein, der als “funktionierend” bezeichnet werden könnte, mit der möglichen Ausnahme “Parkraumüberwachung” und “Steuer eintreiben” – letzteres ist vermutlich der einzige Bereich im Staatswesen, der ausreichend automatisiert ist, so dass die Inkompetenz des Personals weniger Schaden anrichten kann.

Aber das Meldedesaster nebst den Schwierigkeiten der zeitnahen Aufbereitung der gesammelten Zahlen entschuldigt nicht alles – die Belastung der Krankenhäuser und die Notwendigkeit der Auffrischimpfung war lange vorhersehbar, auch auf Basis der allseits zugänglichen Zahlen des RKI. Abr es benötigt halt ein Minimum an Restintelligenz, diese Zahlen auch zu interpretieren.

A propos Intelligenz: in Sonntagsreden der Politik kommt ja häufig unser Nachwuchs zur Sprache. Die Kinder und Jugendlichen sind wichtig, ihre gute Ausbildung der Schlüssel zur Zukunft und so weiter. Die Realität hingegen zeigt, dass planlos rumgehampelt wird. Auf der Hand liegende Maßnahmen von der Maskenpflicht im Unterricht bis zu Luftreinigern und Hygieneprotokollen sowie einem umfangreichen Testregime – viel liegt in der Hand der einzelnen Schule, und auch der Online-Unterricht als Königsweg der Pandemiebekämpfung ist von nach wie vor sehr durchwachsener Qualität. Etwas besser sieht es an den Universitäten aus, da scheitert es eher an wirklich schwierig zu lösenden Problemen der Kategorie “wie verhindere ich wirksam Betrug bei Online-Prüfungen”. Denn selbständiges Lernen ohne Präsenzveranstaltung sollte nun wirklich jedem Studenten möglich sein, es ist sowas wie die Definition der Hochschulreife.

Die COVID-19-Lernkurve der Politik ist eine entartete Kurve. Mehr so eine Gerade. Parallel zur X-Achse. CMM Stufe 1 – aus Ermangelung einer Stufe 0. Verkacken in Serie. Für den gemeinen Bürger bleibt nur, sich selbst bestmöglich zu helfen – durch die Impfung, durch rechtzeitige Auffrischungsimpfung, durch Besonnenheit bei den persönlichen Kontakten, durch eine vorsichtige Einschätzung von Risiken.

Wer sich nun fragt, warum der Bürger solche Politiker immer wieder wählt – es gibt mindestens zwei Gründe. Der erste Grund: es gibt schlicht keine schlüssigen Alternativen. Die Partei, die das Wort im Namen trägt, war Anfang 2020 auf der richtigen Spur, ist aber inzwischen eine derart dämliche Ansammlung von Schwurblern ohne Faktenbasis, dass sie sich das Prädikat “unwählbar” redlich verdient und damit endlich zu den anderen im Parlament vertretenen Parteien aufgeschlossen hat. Der zweite Grund: der alte Leitsatz “dumme Menschen wählen dumme Politiker” hat weiterhin seine Gültigkeit. Auf die Intelligenz eines nicht geringen Anteils der Bevölkerung oder gar breite Rücksichtnahme braucht niemand zu hoffen – das ständige Wiederholen zigtausendfach widerlegter Hypothesen hat die Schmerzgrenze hier schon lange überschritten, eine sachlich-fachliche Diskussion ist unmöglich geworden. Selbst die allereinfachsten und minimalinvasivsten Dinge wie das richtige Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder das Verwenden der Corona-Warn-App ist einem erschreckend großen Teil der Bevölkerung nicht möglich – die Idee, dass die Bevölkerung unseres Landes ausreichend gebildet und gleichzeitig solidarisch veranlagt ist wurde nun in dieser Pandemie nachhaltig widerlegt. Und zu dieser Erkenntnis gelangt man unabhängig davon, wie man zur Impfung steht. Bei der Impfung gibt es immerhin ernstzunehmende, wenn auch sehr schwache Argumente für eine Verweigerung, das ist immerhin auf einem ähnlichen geistigen Niveau wie die Ablehnung der Gurtpflicht im Kfz.

Oder wie Blog-Kollege Danisch zu sagen pflegt: Geliefert wie bestellt.

Warum 2G eine gute Idee ist – und eine schlechte Idee zugleich

Angesichts steigender Inzidenzen, aber auch steigender Krankenhausbelegungszahlen vor allem im intensivmedizinischen Bereich, ist wieder mal eine Diskussion entbrannt bezüglich der “richtigen” Strategie in Anbetracht der Verschärfung der Lage.

Deutschland liegt bei der Quote der vollständig geimpften Personen ja inzwischen im europäischen Mittelfeld – Länder mit teilweise erheblich höherer Impfquote und/oder größeren Fortschritten bei der Booster-Impfung wie Spanien, Schweden oder Dänemark sehen sich derzeit in einer eher entspannten Lage, während in Deutschland und Österreich der Baum brennt. Österreich hat den Schritt zu einer national einheitlichen 2G-Regelung – sprich weitgehend ungehinderter Zugang zu diversen Aktivitäten nur noch für Geimpfte und Genesene – bereits verkündet, in Deutschland wird lebhaft diskutiert. In Österreich gilt das Impfzertifikat auch nur noch neun Monate nach der Zweitimpfung, für einen Großteil der Risikogruppe erscheint das fast etwas optimistisch lange. Jedenfalls scheint beides einen Run auf die Impfzentren ausgelöst zu haben, sowohl für die Erstimpfung als auch die Drittimpfung. Da nach meiner Meinung die einzige realistische Chance, halbwegs normales Leben mit akzeptabler Belastung des Gesundheitssystem zu verknüpfen in einer möglichst hohen Impfquote besteht, bin ich tendenziell auch ein Befürworter der 2G-Regelung – jedenfalls wird sie wirksamer sein als die bisher bei uns gängige 3G-Regelung, die in punkto Impfmotivation nicht so furchtbar erfolgreich ist.

Allerdings muss man konstatieren, dass inzwischen klar ist, dass relativ große Teile der Bevölkerung nicht in ausreichendem Maße durch die Impfung dahingehend geschützt werden, dass sie eine mögliche Infektion nicht weitergeben können. Zwar sind die Wahrscheinlichkeiten für eine Infektion reduziert, und die Wahrscheinlichkeiten einer Weitergabe bei Infektion ebenfalls, aber eben nicht in der wünschenswerten Größenordnung, um im Angesicht der zu niedrigen Impfquote den R-Wert zuverlässig unter 1 zu halten. Für Genesene gilt dasselbe – noch ist unklar, für welche Gruppe von Genesenen der Schutz besser, schlechter oder ähnlich einer Impfung ist – und wie lange er anhält. Im Angesicht dieser Unsicherheit plädiere ich dafür, zu den einzigen bisher bewährten Mitteln zur Einhegung der Pandemie zurückzukehren: intensives Testen quer durch alle Bevölkerungsgruppen, kostenlose Testangebote allüberall, rigorose und vor allem schnelle Kontaktnachverfolgung, konsequenter Schutz der Risikogruppe. Dazu ein knallhartes Grenzregime – Einreise nur nach Test mit ggf. anschließender Quarantäne. Vermutlich war es die letztere Maßnahme, die den Erfolg der Corona-Musterländer Norwegen, Finnland, Südkorea, Australien und Neuseeland ermöglichten.

Alles andere ist halbgar. Besonders in den bekannten Problemzonen “Pflegeheim” und “Altersheim” kann es gar nichts anderes geben als tägliches Testen von Bewohnern, Personal und Besuchern. Diese “zweimal-die-Woche-wird-getestet”-Geschichten können doch nicht ernsthaft als ausreichend betrachtet werden. Eine Sonderbehandlung von Geimpften und/oder Genesenen ergibt hier gar keinen Sinn. Man würde damit auch elegant die Gefahr ausgehend von Fake-Impfungen und Impfzertifikatsfälschungen reduzieren. Logischerweise bietet ein negativer Antigentest auch keine 100%ige Sicherheit, aber eine verdammt viel höhere Sicherheit als “kein Test”.

Gleichzeitig verstehe ich nicht, wie im Angesicht der sehr überzeugenden Zahlen aus Israel die Stiko immer noch eine sehr abwartende Haltung bezüglich der dritten Auffrischimpfung einnimmt. Würde man der verfügbaren Evidenz folgen, wären zwingend ab sofort priorisiert alle Erwachsenen mit AstraZeneca- oder Johnson&Johnson-Impfung zur mRNA-Auffrischimpfung an der Reihe. Dazu alle Menschen ab 60. Wenn das durch ist, dürfen alle ab 18. Man sollte sich da keine Illusionen machen: SARS-CoV-2 bleibt vermutlich endemisch, und das für eine lange Zeit. Regelmäßige Auffrischimpfungen werden Routine werden wie die Grippeschutzimpfung. Im Herbst die Impfung abholen, das hält mindestens bis zum Frühjahr, und der Sommer geht auch so. Die Impfgegner werden nach und nach durch das Virus entweder wegen Durchseuchung oder Tod aus der Pandemiegleichung entfernt. Das ist mein Blick in die Glaskugel.

Aktueller Pandemie-Zwischenstand

Schon Mitte März hatte ich gemutmaßt – unter dem vorsichtigen Titel “Wirkt die Impfung?” –  dass die Pandemie im Angesicht des nun verfügbaren Impfstoffs und steigender Impfquote langsam ihrem Ende entgegengeht oder zumindest in einen gut managebaren Bereich kommt.

Inzwischen kann man glaube ich aufgrund der vorliegenden Zahlen und trotz neuer Mutationen mit einiger Sicherheit behaupten: “Die Impfung wirkt!” Die Delta-Mutante scheint nach den Zahlen vor allem bei AstraZeneca dafür zu sorgen, dass Neuinfektion nicht mehr so gut verhindert wird, aber schwere Verläufe scheinen immer noch sehr selten zu sein. Das sagen zumindest die UK-Zahlen. Die Israel-Zahlen verkünden, dass der Biontech-Stoff kaum an Wirksamkeit eingebüßt hat – aktuell (grob seit Ende April) schwankt das 7-Tage-Mittel der an oder mit COVID-19-Verstorbenen zwischen 0 und 2 pro Tag. Und auch die Zahl der Neuinfektionen scheint sich auf niedrigem Niveau zu stabilisieren.

Es beginnt nun also eine neue Phase der Pandemie. Bisher konnte man aus den Inzidenzen mehr oder weniger direkt auf die Größe des (in zwei bis vier Wochen kommenden) Problems schließen, der einzige relevante Einflussfaktor war das Alter der Infizierten. Inzwischen muss man zusätzlich den Impfstatus berücksichtigen und Erfahrungswerte sammeln, wie gut der Impfschutz bei welchem Teil der Bevölkerung wirksam ist. Die bisher so beliebte 7-Tage-Inzidenz taugt nun auf keinen Fall mehr als Handlungsindikator, und es bleibt abzuwarten, mit welcher griffigen Zahl die Politik in diesen Wahlkampfzeiten aufwarten wird – Bundestagswahl ist am 26. September, da war 2020 die Welt auch noch weitgehend in Ordnung und man sonnte sich im Glanz der eher zufällig zustande gekommenen Erfolgsbilanz der ersten Welle – man wird mögliche neue Maßnahmen also ganz sicher auf “nach der Wahl” vertagen.

Gott sei Dank gibt es ja schon Freiwillige, die sich lange vor diesem Termin als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen oder gestellt haben. Die Niederländer hatten aufgrund niedriger Inzidenzen und gewissem Impffortschritt am 26.6. die bisherigen Eindämmungsmaßnahmen beendet, mussten aber aufgrund steigender Zahlen in den Krankenhäusern schon am 10.7. wieder partiell zurückrudern – bei den Todeszahlen ist das Problem noch nicht allzu deutlich zu sehen, aber so lange wollte man wohl nicht warten, zu explosiv ging die Zahl der Neuinfizierten in die Höhe (von unter 500 pro Tag auf über 10000 pro Tag). Die Briten lassen den nächsten Europa-Versuchsballon starten (und haben sich ja schon bei der EM in vollen Stadien warmgelaufen), werden voraussichtlich am 19.7. wieder vollständig zur Normalität zurückkehren. Dort haben über 60% mindestens eine Impfdosis bekommen und gelten über 50% als vollständig geimpft. Die derzeitigen Zahlen – recht hohe Zahl an Neuinfektionen mit über 30000 am Tag, aber nur minimaler Anstieg bei den schweren Verläufen bis zum Tod – lassen vermuten, dass das zumindest im Sommer akzeptabel funktionieren könnte.

Wie wird der Herbst? Und was ist mit Deutschland? Werden die Schulen wieder schließen? Offenbar war die Niederlande mit “alles öffnen” zu früh und/oder zu offensiv, was in Großbritannien passiert ist noch offen. Die Niederlande lagen zum Zeitpunkt der Öffnung bei einer Erstimpfungsquote von etwa 50% und vollständiger Impfung bei 30%, das ist also eher nicht ausreichend. Es ist zu erwarten, dass Deutschland Ende August bei einer Zahl von mindestens 60% vollständig Geimpfter landen wird. Das sind nicht die allerschlechtesten Voraussetzungen für eine Rückkehr in die Normalität, wenn der allergrößte Teil der ungeimpften Kohorte unter 18 ist. Siehe Israel. Das könnte funktionieren.

Und ganz ehrlich: außer einer möglichst hohen Impfquote sehe ich keine Chance auf einigermaßen gefahrlose Rückkehr in die Normalität. Bei den jungen noch Ungeimpften ist die Zahl der schweren Verläufe extrem niedrig. Und bei den absichtlich ungeimpft bleibenden läuft ein schwerer Verlauf dann eben unter “persönliches Pech”. Dann haben wir endlich den Zustand erreicht, den einige uninformierte Kreise schon im März 2020 herbeiphantasiert haben: COVID-19 ist – bezogen auf die Gesamtbevölkerung – nichts als eine relativ harmlose Grippe. Auf Einzelschicksale wird dann keine Rücksicht mehr genommen.

Jedenfalls hat unsere Politik durch konsequentes Nichtstun sichergestellt, dass nach den Sommerferien auch hierzulande ein großer Modellversuch startet: offene Schulen bei weitgehend ungeimpfter Schülerschaft in Abwesenheit tauglicher technischer Lösungen.

Spannend bleibt es weiterhin – auch wenn das permanente Totalversagen der Politik eine verlässliche Konstante war, ist und bleibt. Denn bisher völlig offen ist die Frage, wie lange der Impfschutz hält, und auch wie lange die Genesenen geschützt bleiben. Vermutlich wird das auch davon abhängigen, wie kreativ der Virus vor sich hin mutiert, ob es Escape-Mutationen geben wird, die der Impfung und/oder dem durch Genesung gebildeten Schutz entfleuchen können. Und falls es solche Mutationen gibt, ob sie ähnlich infektiös sind und eine ähnlich lange Inkubationszeit haben und ähnlich schwere Krankheitsverläufe verursachen können. Eines scheint jedenfalls klar: “nicht impfen” kann keine Lösung sein, das Erreichen einer ausreichenden Immunität mittels “Durchseuchung” erhöht auch die Wahrscheinlichkeit für ungünstige Mutationen drastisch, von den “Kollateralschäden” ganz abgesehen. Wir werden mit dem Virus zukünftig leben wie mit der jährlich wiederkehrenden Grippewelle, und ich prognostiziere, dass es eine jährliche Auffrischimpfung gegen COVID-19 geben wird – mit dem Unterschied, dass man vermutlich eher 60 Mio. als die bei der Grippe gewohnten 15 Mio. Impfdosen benötigen wird. Dann werden die mRNA-basierten Impfstoffe zeigen, wie schnell sie wirklich in der Praxis anpassbar sind, und ob die Herstellung zu akzeptablen Kosten möglich sein wird.

Wirkt die Impfung?

Die Impfung – mit welchem Impfstoff auch immer – gegen einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung ist derzeit die einzige wirkliche Hoffnung auf eine absehbare Rückkehr in die Normalität. An der Medikamentenfront gibt es ja leider im Moment keine aussichtsreichen Kandidaten.

Nun gibt es ja recht eindrucksvolle Zahlen aus den Phase-III-Erprobungen der diversen Impfstoffe. Geradezu phantastische Zahlen wurden da veröffentlicht. Zeit für den Reality Check. Nicht mathematisch ausgefuchst, dafür nachvollziehbar für jeden. Also ein Blick auf einfach verfügbare Zahlen nebst grober Abschätzung.

Ich gehe von folgenden Prämissen aus: der Impfschutz schützt nicht unbedingt vor Infektion, aber schweren Krankheitsverläufen. Der Impfschutz ist außerdem nicht sofort voll wirksam, sondern erst zwei bis drei Wochen nach der zweiten Impfung.

Wenn man sich jetzt die Neuinfektionszahlen anschaut, sieht man im 7-Tage-Mittel für Deutschland einen Wendepunkt am 15.2. – seither steigen die Infektionszahlen wieder. Nach vorheriger Erfahrung mit dem Abstand Infektion -> Intensivstation -> Tod müssten wir also etwa Ende Februar oder Anfang März einen Wendepunkt bei den Zahlen auf den Intensivstationen sehen, und ungefähr vor einer Woche müssten wir langsam auch einen Turnaround bei den Todeszahlen sehen.

Die gute Nachricht: die Zahlen auf den Intensivstationen sind stabil seit ungefähr 25. Februar, und die Todeszahlen fallen immer noch beständig: Mitte Februar noch bei knapp 500 pro Tag, jetzt nur noch knapp über 200 pro Tag (7-Tage-Schnitt).

Nun ist Korrelation bekanntlich keine Kausalität. Aber was wäre die alternative Erklärung? Dass die vulnerable Gruppe nun besser geschützt ist? Oder schon tot?

Ich bin optimistisch, dass das wirklich vielversprechende Zahlen aufgrund des Impffortschritts sind. Der Crosscheck mit dem Impfweltmeister Israel zeigt, dass sowohl die Infektionszahlen als auch die Todeszahlen ziemlich konstant am Sinken sind. Auch bei den Briten, dem Impfeuropameister, sieht man vielversprechende Zahlen. Auch in den USA – dank Trump früh dran beim Impfen – sieht man Entsprechendes.

Umso ärgerlicher das Totalversagen der EU und unserer Regierung beim ganzen Impfkomplex – von der Beschaffung über die Verteilung bis zur Terminvergabe, ein einziges Desaster. Da würde nicht mal ein Dexit helfen.

Corona-Erkenntnisse: Gesellschaft

In gewisser Weise ist die derzeitige Pandemie ein Live-Experiment. Man kann daraus einige Schlüsse ziehen bezüglich der Gesellschaft, in der wir leben. Bezüglich der Vor- und Nachteile von Entscheidungen, deren gravierende Nachteile vor der Pandemie niemand auf dem Zettel hatte. Bezüglich des Standes der Zivilisation ganz allgemein.

Vor allem im März diesen Jahres konnte man beobachten, was den Menschen wirklich wichtig ist und was eher so Folklore-Brimborium drumrum ist.

Kampf gegen den Klimawandel? Optional. Kein Wunder, ist die Katastrophe doch in Deutschland immer noch nicht absehbar, und findet weltweit weiterhin nur in Computermodellen und nicht in der Realität statt.

Gleichstellung der Frau? Trotz aller Bemühungen der Quoten-Idioten und der Feministen und Feministinnen zeigte sich, dass im Ernstfall eher die Ehefrau die Kinderbetreuung übernimmt als der Ehemann. Handelt es sich da womöglich um eine genetische Disposition? Erzählt das bloß keinem Gender-Experten, die sind immer noch auf dem “Blank Slate”-Trip, egal wie zahlreich die Indizien für das Gegenteil sind.

Outsourcen? Im Ernstfall keine gute Idee. Egal ob die Kinderbetreuung an Dritte abgegeben wird, oder man keine ausreichend große Wohnung für dauernden Aufenthalt hat, oder man keinen eigenen Garten zur “Naherholung” hat, oder man auf ÖPNV statt Individualverkehr setzt, oder man außer Haus isst statt selbst zu kochen, oder ob man die Lagerhaltung dem Supermarkt überlässt statt dem eigenen Keller, oder ob man medizinisches Equipment nicht im eigenen Land herstellt sondern lieber importiert – wenn Krise ist, brechen scheinbar gut ausgedachte Konzepte schon mal zusammen. Belohnt wurden dieses eine Mal eher die Flexiblen, die Vorsichtigen, die Konservativen.

Selbständiges Nutzen von Informationsquellen? Ein sehr dunkles Kapitel. Die Bevölkerung scheint sich in zwei Teile zu teilen: diejenigen, die den “Mainstream-Medien” alles glauben. Und diejenigen, die den alternativen Medien alles glauben. Aber nie zuvor konnte man mit so wenig Rechercheaufwand jede Menge offensichtlicher Falschaussagen (und “Falschaussagen” hier nur in Anbetracht meines festen Glaubens an Hanlon’s Razor – bei vielen Akteuren bezweifle ich, dass die Dummheit so groß sein kann, und vermute eher “Lüge”) entlarven. Billigste Statistiktricks. Propaganda-Märchen. Berichterstattung in einer Einseitigkeit, die man vorher vielleicht vom “Neuen Deutschland” kannte. Kreative Missinterpretation der Faktenlage. Und natürlich das Erstarken des Informationskanals “YouTube-Video”. Ganz ehrlich: wer hat die Energie, 45 Minuten Video anzuschauen, wenn man den Informationsgehalt in 2 Minuten lesen kann, mit einfachem Zugriff auf verlinkte Quellen und Querlesemöglichkeit nebst einfacher Zitiermöglichkeit? Es gruselt mich.

Temporärer Verzicht auf liebgewonnene Dinge? Scheint für viele absolut unmöglich zu sein. Urlaub im Ausland, Partys feiern, Großhochzeiten mitten in der Pandemie – alles scheint unbedingt und genau zu diesem Zeitpunkt absolut lebensnotwendig zu sein. Ein Blick in die derzeitige Situation in den Skigebieten lässt mich ratlos zurück. Der Verzichtsschmerz selbst bei Kleinigkeiten scheint bei vielen zu groß zu sein.

Die Krise hat mir deutlich gezeigt, dass weite Teile der Bevölkerung beim Thema “Gefahrenabschätzung” in einer ganz anderen Welt leben als ich. Ebenso beim Thema “soziales Verhalten”. Mal ein ganz simples harmloses Beispiel. Meine Grundüberlegungen beim Hinterfragen meines eigenen Tuns für diese Pandemiesituation ist stets “was sind Maßnahmen, die gemessen an ihren Kosten einen verhältnismäßig großen Nutzen bringen”. So kommt man beim Themenkomplex “Einkaufen für den täglichen Bedarf” relativ schnell auf Dinge wie “einer kauft für den gesamten Haushalt ein”, “Einkaufswagen vor der Nutzung an den Kontaktflächen desinfizieren”, “bei Eingang und Ausgang Hände desinfizieren”, “Maske tragen”, “so selten wie möglich einkaufen”, “Verkaufsstände im Freien nutzen”, “Aufenthalt in geschlossenen Räumen möglichst kurz halten”. Was ich tatsächlich beobachtet habe, waren Großfamilien beim gemeinsamen Einkauf, Kleinstmengen im Einkaufswagen, vor Beginn der Maskenpflicht kaum jemand mit Maske unterwegs, nur die Wenigsten nutzen die bereitgestellten Desinfektionsmittel. Ganz ehrlich, kann ich nicht nachvollziehen.

Es bleibt zu hoffen, dass uns niemals ein Virus ereilt, das noch gefährlicher als SARS-CoV-2 ist. Die Disziplin der Menschen hierzulande reicht vielleicht für zwei Wochen, und erschreckend viele sind entweder dumm oder sorglos oder boshaft – oder alles drei. Der Lack der Zivilisation ist dünn. Erschreckend dünn. Der Vorrat an Solidarität ist eng begrenzt. Wir leben in einem Land voller Ego-Arschlöcher.

Und noch eine Erkenntnis zum Abschluss: das alte Teile-und-Herrsche-Prinzip funktioniert weiterhin hervorragend. “Wir gegen die”. Die Aufklärung ist tot. Die Sachdebatte ist tot, wer am lautesten schreit hat recht. Das sorgsame Abwägen von Fakten und Argumenten ist tot. Nur noch Geschrei und Ideologie. Unser Weg zur vollständigen Polarisierung (und wer hier im Hinterkopf “Star Wars” und “der Weg zur dunklen Seite” hat, liegt genau richtig) ist vollendet. Keine guten Vorzeichen für 2021. Pessimismus? Ich fürchte, es ist Realismus.

Corona-Erkenntnisse: Impfen

Nachdem die EU – wie immer als Letzter in der Welt – einen Impfstoff offiziell zugelassen hat, den hierzulande von BioNTech (dümmste Camel-Case-Schreibweise seit nVidia, die inzwischen auf NVIDIA bestehen) entwickelten und in Zusammenarbeit mit dem Pharma-Riesen Pfizer getesteten, produzierten und verteilten mRNA-basierten “BNT162b2”, wird nun seit letztem Sonntag auch in Deutschland gegen SARS-CoV-2 geimpft.

Zeit, sich über das Impfthema ein paar Gedanken zu machen. Wer sich für die diversen Impfstoffe im Detail interessiert, dem will ich einen Artikel bei heise Online von c’t-Prozessorgeflüster-Legende Andreas Stiller ans Herz legen.

Wenn man im Detail hinschaut, fällt mir als erstes das Wort “Politikversagen” ein. Es ist ja eine Sache, eine Behörde sehr gründlich die Ergebnisse der bei Impfstoffzulassungen üblichen Testphasen I, II und III prüfen zu lassen, wie es die EMA getan hat. Auch wenn offen bleibt, warum es dort viel länger dauert als in USA, UK, Kanada oder Israel. Aber was genau sprach dagegen, sich seit spätestens Beginn der Testphase II auf Massenimpfungen logistisch vorzubereiten? Was sprach dagegen, von ALLEN im Rennen liegenden Impfstoffen eine ausreichende Menge bereits vorab zu bestellen? Was sprach dagegen, bereits vor dem endgültigen “Zugelassen”-Prüfsiegel die Logistik bereits abgeschlossen zu haben, um dann sofort mit den Impfungen zu beginnen? Und was kann so schwierig sein, innerhalb sagen wir einem Monat die Risikogruppe zu impfen? Wir führen jährlich Grippeimpfkampagnen durch, vor der Grippesaison 2019/2020 wurden 14 Millionen Impfdosen verabreicht. Und das ohne mobile Impfteams, ohne Impfzentren, einfach nur “Hausarzt impft”. Ist es ein Personalproblem? Wir haben doch angeblich jede Menge arbeitsfähige Menschen, die durch den Lockdown nur noch Däumchen drehen. Nein, es riecht alles nach demselben organisatorischen Versagen, wie wir es so oft erleben, wenn der Staat eine Sache in die Hand nimmt. Bei den Corona-Massentests hat sich das schon gezeigt, bei der Kontaktnachverfolgung, beim nicht besonders erfolgreichen Projekt “Schutz der Risikogruppe”, und natürlich beim Dauerbrenner “Berliner Flughafen”. So ist das, wenn komplette Unfähigkeit auf Behäbigkeit nebst Technikfeindlichkeit trifft.

Besonders die unzureichende Beschaffung treibt mich auf die Palme. Sowohl BioNTech/Pfizer als auch Moderna hätten deutlich mehr Impfdosen deutlich zügiger produzieren und liefern können, als es in der EU und Deutschland heute der Fall ist. Es ist in einer solchen Situation nicht angezeigt, aus falscher Sparsamkeit nur auf einige wenige Pferde zu setzen. Man setzt auf alle Pferde gleichzeitig, mit großzügig bemessenen Bestellungen. Kommen mehrere Pferde praktisch zeitgleich ins Ziel, verhökert man die übrigen Impfdosen in alle Welt. Oder verschenkt sie im Rahmen der Entwicklungshilfe – allemal ein sinnvollerer Gedanke als vieles, was hierzulande sonst so als Entwicklungshilfe betrieben wird.

Und nochmal zur EU: die Regularien hätten es erlaubt, im Rahmen der zweifellos bestehenden nationalen Krisenlage hier außerhalb des normalen EU-Rahmens zu agieren. Warum man es trotzdem bevorzugt hat, das typische europäische Kompromissspielchen mitzuspielen (“lass’ uns doch von diesem französischen Impfstoff auch noch ein paar hundert Millionen Dosen ordern, dafür von den am weitesten fortgeschrittenen Impfstoffen entsprechend weniger”) – auch das fällt unter “Politikversagen”. Und ist ein weiterer Sargnagel für die EU in ihrer jetzigen Form, die zum wiederholten Male ihre komplette Nutzlosigkeit bis Schädlichkeit unter Beweis stellt. Es ist eine Schönwetter-Union, doch leider ist seit Ende des kalten Krieges permanent schlechtes Wetter.

Aber zurück zum Impfstoff selbst. Jede Impfung ist zunächst mal eine Kosten-Nutzen-Abschätzung – wie groß ist das Risiko von Nebenwirkungen? Wie groß ist diese Wahrscheinlichkeit im Vergleich um Erkrankungsrisiko? Wie ist die Wirksamkeit des Impfstoffes einzuschätzen? Die Testphase III hat da für die mRNA-basierten Impfstoffe von BioNTech und Moderna vielversprechende Zahlen geliefert. Keine einzige seriöse Nebenwirkung wurde beobachtet, die Wirksamkeit entfaltet sich schon nach der ersten von zwei notwendigen Dosen, und liegt nach zwei Dosen jenseits der 95%. Auch wenn nicht in jedem Falle der Ausbruch der Krankheit verhindert werden kann, so scheint zumindest sicher zu sein, dass ein Ausbruch in solchen Fällen sehr viel weniger heftig wird.

Unklar ist im Moment noch, inwieweit die Impfung die Infektiosität eines Infizierten senkt. Die Frage ist: kommt es darauf wirklich an? Wenn ausreichend Menschen der Risikogruppe geimpft und damit größtenteils geschützt sind, ist das Hauptziel doch schon erreicht. Und aus rein logischen Überlegungen würde ich erwarten, dass wenn das Immunsystem den SARS-CoV-2-Erreger frühzeitiger und wirkungsvoller bekämpfen kann – und das ist ja schließlich das, was der Impfstoff bewirken soll – zumindest die Dauer, während der ein Infizierter selbst infektiös ist, deutlich sinkt. Jedenfalls wird man eine wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis sowieso nur “after the fact” erlangen können – zur Entscheidung, ob man den Impfstoff einsetzt oder nicht, taugt dieser festgestellte Mangel an Erkenntnis sowieso nicht.

Bei den zu erwartenden Nebenwirkungen liegt die Sache ganz ähnlich. Die Testphase III ist ja recht breit angelegt, im Falle des BioNTech-Impfstoffes waren es über 40000 Teilnehmer, die Hälfte davon die Placebo-Kontrollgruppe. Ungefähr die Hälfte der Probanden waren aus der Risikogruppe ab 60 Jahren, inklusive Vorerkrankungen. Trotzdem traten keine dramatischen Nebenwirkungen auf, nur das “Übliche” wie Kopfschmerzen, leichtes Fieber, Abgeschlagenheit oder Schmerzen an der Einstichstelle. Also nichts, was man nicht von einer gewöhnlichen Grippeimpfung schon kennt.

Logischerweise ersetzt – wie mindestens jeder Software-Entwickler weiß – kein noch so guter Test die Erfahrungen in der Breite, in der Praxis. Es wäre ein Wunder, wenn bei – sind wir mal optimistisch – 60 Millionen geimpften Menschen in Deutschland nicht mindestens ein paar signifikante Fälle von heftigen Nebenwirkungen auftreten würden. Aber nehmen wir als Benchmark mal eine Impfung der Vergangenheit, die als die unverträglichste Impfung der letzten 40 Jahre gilt: die Schweinegrippe-Impfung 2009, als sich im Nachhinein herausstellte, dass einer der drei in Europa zugelassenen Impfstoffe, “Pandemrix” von GlaxoSmithKline, in Deutschland mit knapp 100 Verdachtsfällen von Narkolepsie in Verbindung gebracht wird. Die zusätzlichen Fälle von Narkolepsie (von unterschiedlichster Schwere) belaufen sich auf geschätzt 2-6 pro 100000 Pandemrix-Impfungen bei Kindern und Jugendlichen, und um 0,6-1 Fall bei Erwachsenen, und sind damit immer noch sehr klein gegenüber der Prävalenz von 28-50 pro 100000 Einwohner. Wie bei anderen Impfschäden gibt es auch hier den Verdacht, dass die Impfung in diesen seltenen Fällen sowohl durch Vorerkrankungen begünstigt waren als auch ganz ähnliche Krankheitsbilder hervorruft wie der Virus selbst, gegen den geimpft wird. Was ja auch logisch ist, soll ja der Impfstoff eine ähnliche Reaktion im Körper hervorrufen, sonst würde das Immunsystem ja gar nicht aktiv werden und könnte so auch nicht durch die Impfung trainiert werden.

Im Falle zu befürchtender Nebenwirkungen kann man jetzt das oben angeprangerte Politikversagen als Vorteil sehen: durch die Verzögerungen spielen die Menschen in den USA, in Kanada, in UK und in Israel die Vorhut beim Praxistest. Obwohl schon reichlich geimpft wurde, gibt es noch keine besorgniserregenden Meldungen von schwerwiegenden Nebenwirkungen. Auch an dieser Front ist es also eher entspannt.

Klar ist: das Thema Nebenwirkungen wird nun jahrelang eine Goldgrube für alle Horrornachrichtenmelder dieser Welt sein. Man sollte aber immer im Blick behalten, was die Alternative zur Impfung ist – Einschränkungen im Alltag, eine signifikante Anzahl von Todesfällen, ein belastetes Gesundheitssystem insbesondere im intensivmedizinischen Bereich, erhöhte Ausgaben bzw. geringere Steuereinnahmen wegen Erkrankungen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Impfung in der Kosten-Nutzen-Abwägung gegenüber “keine Impfung, weiter wie 2020” schlechter abschneidet. Das wird die Impfskeptiker aber nicht davon abhalten, jedwede Erkrankung, die irgendein Geimpfter auch Jahre später entwickelt, auf die Impfung zurückzuführen. Weil Ungeimpfte ja niemals erkranken. Auf diese Paranoiker-Festspiele darf man sich schon freuen.

Ein paar der üblichen Verdächtigen – Wodarg und Co., die schon immer passionierte Impfgegner waren, egal um welche Impfung es ging – haben ja auch wieder Pamphlete verfasst, die allerlei Hypothesen aufstellen, was denn dieses Mal bei genau dieser Impfung alles schiefgehen wird. Sagen wir es mal so: nachdem sie in der Vergangenheit noch nie recht hatten, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die mit der Streuung einer Schrotflinte versehenen Befürchtungen auch nur im Ansatz wahr werden. “Unsubstanziiert” und “weit hergeholt” ist wohl noch das Freundlichste, was man über die diversen Behauptungen von “es droht Unfruchtbarkeit” bis zu “unnütze, teure und hochriskante Gen-Manipulation” sagen kann.

Besonders die Befürchtungen aufgrund der Tatsache, dass die Impstoffe von BioNTech und Moderna auf mRNA-Basis funktionieren – “Gentechnik ist immer riskant!” dräut es da dem geübten Paniker – erweisen sich bei näherer Betrachtung als gegenstandslos. Ja, es handelt sich um den ersten zugelassenen Impfstoff auf mRNA-Basis für Menschen. Aber er wirkt wie jeder andere Impfstoff auch, die Technologie wird bereits bei Impfungen für Tiere verwendet, und die Theorie sagt eindeutig, dass ein solcher Impfstoff zielgenauer wirkt, weniger Nebenwirkungen hat und auch noch preiswerter und schneller zu produzieren ist. Letzteres wird gerne verschwiegen, weil damit das geliebte Narrativ der gierigen Pharmakonzerne nicht bedient werden kann.

Eine oft gehörte Befürchtung ist ja auch, dass diese neuen Corona-Impfstoffe unter dem Motto “Schnelligkeit statt Gründlichkeit” entwickelt worden seien. Nun ist es zweifellos richtig, dass die Impfstoffe in Rekordzeit zur Verfügung stehen – etwas, was die größten Optimisten nicht zu hoffen gewagt hatten (unter anderem deshalb war zu Beginn der Pandemie ja auch die Strategie “Herdenimmunität mittels Durchseuchung” in der Diskussion, bevor die dramatisch zu hohe IFR diesem Konzept Einhalt gebot). Aber: die durchgeführte Erprobung mit den drei Phasen lief genauso wie bei allen anderen Impfstoffen der Neuzeit. Diesmal hatte man aber mehrere Vorteile auf seiner Seite: etwas weniger Bürokratie bei der Forschungsförderung (und da können wir US-Präsident Trump dafür sehr sehr dankbar sein – ohne sein “Project Warp Speed” wären wir vermutlich noch lange nicht so weit), eine massivparallele Entwicklung von zig Impfstoffkandidaten bei allen forschenden Pharma-Firmen und diversen innovativen Startups sowie zig Universitäten, dazu eine hohe Prävalenz des Virus in der Bevölkerung – so konnte man die Wirksamkeit des Impfstoffes sehr viel schneller feststellen, als bei sehr viel selteneren Krankheiten, wo man schon mal ein Jahrzehnt warten muss, bis eine ausreichende Anzahl von Probanden erkrankt.

Man muss sich vor Augen führen, woran viele gescheiterten Impfstoffentwicklungen der Vergangenheit krankten: die Krankheit war zu selten, die Viren waren zu mutationsfreudig, meist nur ein Pharmaunternehmen arbeitete mit eher verhaltener Kraft daran. Letzteres liegt daran, dass Impfungen als nicht besonders lukratives Feld gelten. Diesmal ist alles anders: alle arbeiten dran, alle mit voller Kraft, die Gewinnaussichten sind verlockend, und es geht zusätzlich um eine Menge Prestige. Es ist ein wenig wie Formel 1 – hochkompetitiv, die besten Köpfe arbeiten dran, der Wettbewerb sorgt für dramatischen Fortschritt.

Und wie steht es mit einer Impfpflicht? Wie schon bei der Diskussion um eine Masern-Impfpflicht finde ich das Thema schwierig. Die Abwägung zwischen persönlichem Entscheidungsrecht und gesamtgesellschaftlichem Nutzen ist ja Dauergast der gepflegten politischen Debatte. Im Moment überlegt die SPD gar, ins Vertragsrecht einzugreifen und zu verbieten, dass private Anbieter zwischen Geimpften und Nichtgeimpften unterscheiden dürfen. Das weckt den Widerstandgeist des Liberalen in mir, dem die Vertragsfreiheit heilig ist. Warum sollte z.B. eine Fluggesellschaft nicht damit werben dürfen, dass nur nach Impfnachweis eine Beförderung möglich ist? Das ist doch für den einen oder anderen eine wichtige Entscheidunsgrundlage für das Beförderungsrisiko. Genauso kann das Theater um die Ecke mit einem pandemieverhindernden leistungsfähigen Luftaustauschsystem hausieren gehen. Oder ein Restaurant mit dem besten Hygienekonzept. Transparenz schafft Wettbewerb, und kann zudem zu neuen Erkenntnissen führen. Wenn als Fallbeispiel viele Neuerkrankte vorher mit einer Fluggesellschaft geflogen sind, die keinen Impfnachweis voraussetzt, kann man das Risiko doch viel besser einschätzen.

Kommen wir zum Abschluss zur Impfstrategie. Da sind ja nun mehrere verschiedene Ausprägungen denkbar. In Deutschland macht man grob die Reihenfolge “extreme Risikogruppe, medizinisches Personal, systemrelevantes Personal, Risikogruppe, alle anderen”. Man könnte sich aber auch auf den Standpunkt stellen, zunächst das gesamtgesellschaftliche Risiko zu minimieren – also das medizinische Personal und das Pflegepersonal nebst den systemrelevanten Gruppen wie Feuerwehr, Polizei und andere Hilfskräfte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, und danach diejenigen, die hauptsächlich das Virus verbreiten, also eher die jüngeren mit geringerem persönlichem Risiko. Solange aber nicht klar ist, dass eine Impfung nicht nur erheblichen persönlichen Nutzen hat, sondern auch die Weiterverbreitung des Virus stark reduziert, scheint das nicht die beste Strategie zu sein. Und wenn man es organisatorisch hinkriegen würde, die Risikogruppe nebst dem medizinischen Personal in einem Monat durchzuimpfen, müsste man sich auch um irgendwelche Optimierungsstrategien gar keinen Kopf machen.

Und was kostet das alles? Sagen wir es mal so: es liegt sehr viel näher an der trittinschen “Kugel Eis” als unsere Energiewende. Und die Impfung wird einen dramatischen volkswirtschaftlichen Nutzen entfalten, während die Energiewende einfach nur als teures deutsches Hobby in die Weltgeschichte eingehen wird.

Um am Ende noch mit einer optimistischen Note zu schließen: es ist nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass die Forschung rund um die Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 den Grundstein gelegt haben für zukünftige, sehr erfolgreiche Impfungen gegen allerhand nervige bis tödliche Viren, mit denen die Natur uns ständig auszurotten versucht. Neben dem neuen Bewusstsein für soziale Grundlagen wie “Hygiene” die vermutlich positivste Auswirkung der Corona-Misere.

Corona-Erkenntnisse: Maßnahmen

Seit SARS-CoV-2 sein Unwesen treibt und weltweit mal mehr, mal weniger Maßnahmen härterer oder weicherer Natur von der Politik beschlossen und durchgesetzt werden, diskutiert man angeregt bis panisch über tatsächliche und vermutete Folgen dieser Maßnahmen und Einschränkungen. Und natürlich über deren Wirksamkeit bezüglich der Eindämmung der Pandemie. Und manchmal gar diskutiert man, ob es überhaupt sinnvoll ist die Pandemie eindämmen zu wollen.

Einigermaßen einig ist man sich beim Thema “Schutz der Risikogruppe” – also zumindest bezüglich des prinzipiellen Ziels. Aber schon bei der Abgrenzung dieser Gruppe gehen die Meinungen auseinander. Als wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis kann man bisher sagen, dass das Risiko stark korreliert ist mit dem Alter. Ab 80 aufwärts ist man extrem gefährdet, ab 70 aufwärts auch schon ziemlich, ab 50 aufwärts kann man in den Zahlen schon ein deutlich steigendes Risiko erkennen. Und dann ist da noch das Thema “Vorerkrankungen”. Leider gehören auch die sogenannten “Zivilisationskrankheiten” wie Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht zum Kreis der das Risiko signifikant erhöhenden Vorerkrankungen. Und letztlich werden diese im Alter auch deutlich häufiger. Je nach Rechnung landet man für Deutschland bei einer Risikogruppe, die 10 bis 40 Millionen Menschen umfasst. Und schon wird klar, warum man sich bezüglich zu ergreifender Maßnahmen zum Schutz dieser Gruppe so schwertut. Ganz abgesehen von der offenen Diskussion, welches Risiko einer schweren Erkrankung man in Abwägung gegen Güter wie wirtschaftliche Gesundheit und Freiheitsrechte einzutauschen gedenkt.

Eine Vielzahl von Maßnahmen wird derzeit diskutiert bzw. ist bereits umgesetzt oder wurde in der ersten Welle im März und April diesen Jahres umgesetzt und ist derzeit nicht mehr aktuell. Letztlich kann man jede Maßnahme nach ihren unterschiedlichen Dimensionen bewerten: Wie wirksam ist sie? Wie schädlich ist sie (z.B. für die Wirtschaft, für die menschliche Psyche)? Wie sehr schränkt sie die Freiheit ein, und für wie wertvoll hält man eine solche Freiheit? Wie groß ist die Gruppe der Betroffenen? Wie gut ist die Einhaltung kontrollierbar? Vor allem letzteres kommt in der Diskussion nach meiner Einschätzung oft zu kurz. Wenn uns diese Krise aber eines gelehrt hat, dann doch ganz sicher, dass der Erlass einer Regelung keinesfalls automatisch zu einer breiten Einhaltung derselben führt. Es muss kontrolliert werden und es müssen empfindliche Strafen drohen, sonst sind breite Teile der Bevölkerung nicht willens, sich an Regelungen zu halten. Dass das nicht überraschend kommt, kann man täglich im Straßenverkehr beobachten. Es hilft natürlich, wenn Regelungen erlassen werden, deren Nutzen klar auf der Hand liegt und möglichst gleichmäßig wirkt, also möglichst viele nur möglichst gering betroffen sind. Letzteres auch deshalb, weil erschreckend große Teile der Bevölkerung nicht über die Geisteshaltung von Kleinkindern nach dem Muster “der darf X, warum darf ich dann nicht Y?” hinausgekommen sind.

Als gesetzt gelten die “AHA-Regeln” – Abstand, Hygiene, Alltagsmaske (und man fragt sich direkt, warum es nicht die AHM-Regeln sind). Inzwischen ergänzt durch “Lüften”, nachdem man endlich zur Kenntnis genommen hat, dass auch Aerosole entscheidend zur Übertragung des SARS-CoV-2-Virus beitragen. Jedenfalls ist “AHAL” ein Regelsatz, der extrem preiswert in der Umsetzung ist, und keinen überfordern sollte. Auch wenn verschiedentlich die Maskenpflicht hart angegangen wird, mit allerhand fragwürdigen Argumenten. Zur Information, falls es in Vergessenheit geraten ist: es gibt auch die Gurtpflicht und die Helmpflicht. Das sind dann wohl auch unzumutbare Einschränkungen der persönlichen Freiheit.

Wenig Kritik gibt es an der Maßnahme “Verbot von Großveranstaltungen”. Aber m.E. gibt es ein dramatisch unterschiedliches Infektionsrisiko bei Veranstaltung im Freien gegenüber Veranstaltungen in engen, schlecht belüfteten Räumen. Und so ist es mit Logik nicht zu erklären, warum Fußballspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, während Gottesdienste stattfinden dürfen. Auch die Verbote diverser Demonstrationen unter freiem Himmel haben ein “Gschmäckle”, zumal ja gerne, wie zuletzt in Berlin, nur der einen Seite die Demonstration verboten wird, die Gegendemonstrationen hingegen zugelassen werden. Das kann schon den Eindruck erwecken, dass die Regierenden gerne die Opposition an der öffentlichkeitswirksamen Meinungsäußerung hindern würde. Das NetzDG geht ja letztlich in dieselbe Richtung, aber das soll hier nicht Thema sein.

Nun hat sich, wie man unschwer an den Infektionszahlen, den Belegungszahlen der Intensivstationen und den Todeszahlen ablesen kann, herausgestellt, dass diese Regeln bei weitem nicht ausreichen, um bei kühlerem Wetter die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Während im Sommer die 7-Tage-Inzidenz in den Landkreisen im Großen und Ganzen so bei 10-50 positiven Tests pro 100000 Einwohnern lag, sind inzwischen einige Landkreise schon bei über 500 gelandet. Und entsprechend ist auch die Belastung des Gesundheitssystems inzwischen am Limit oder schon darüber hinaus. Und der “Lockdown Light”, der vor einigen Wochen beschlossen wurde, hat bisher die Infektionszahlen auf hohem Niveau stagnieren lassen, aber ein Sinken ist noch(?) nicht erkennbar.

Und obwohl das so ist, gibt es eine Art Dauerfeuer gegen die diversen Einschränkungen, die im Moment gelten. Gegen die Einschränkungen der privaten Kontakte, der privaten Feierlichkeiten, diverser Veranstaltungen, und natürlich die Schließung von Restaurants und Bars. Jede einzelne dieser Maßnahmen ist selbstverständlich diskutierbar – aber man sollte dann zumindest sagen, welche Maßnahmen denn stattdessen sowohl wirkungsvoller sind als auch weniger Freiheitseinschränkungen mit sich bringen.

Mein Vorschlag wäre, die Sache mit dem Schulunterricht nochmal kritisch zu beleuchten. Während nach jetzigem Wissensstand kleine Kinder bis etwa 10 Jahren kaum für das Infektionsgeschehen verantwortlich sind, sieht das bei älteren Kindern schon anders aus. Und es kann mir keiner erzählen, dass die Durchführung von Online-Unterricht das allergrößte Problem sein soll – zumindest nicht für die Schüler. Bei den Lehrern kann man sich das eher vorstellen, gibt es dort doch einige, die den neuen Medien nicht besonders aufgeschlossen gegenüberstehen. Jedenfalls ist Schulunterricht in vollen Klassenräumen ein mehrfaches Risiko: viele Menschen auf engem Raum, und sowohl davor als auch danach häufige Nutzen des öffentlichen Nahverkehrs, um auch ganz bestimmt für eine gleichmäßige Verbreitung der Virenlast zu sorgen. Und der öffentliche Nahverkehr ist sowieso überlastet, es würde die Infektionsgefahr dort stark reduzieren, wenn Schulkinder ihn nicht auch noch nutzen würden.

Nun sind die Argumente gegen Onlineunterricht schon häufig vorgebracht worden – meines Erachtens sind sie aber keineswegs stichhaltig. Ja, es gibt natürlich Kinder, die die technische Ausstattung nicht haben, um adäquat an Online-Unterricht teilzunehmen. Aber wie viele sind das pro Schulklasse? Die naheliegende Lösung ist doch, für genau diese Kinder eine Lösung zu finden. Z.B. dass der Lehrer weiterhin Präsenzunterricht im Klassenzimmer macht vor den zwei bis drei Schülern die betroffen sind, und der große Rest schaltet sich online dazu. Oder man sorgt einfach dafür, dass den Kindern eine entsprechende Ausstattung zur Verfügung steht – das ist allemal preiswerter, als hinterher mit einer höheren Zahl an Erkrankten umzugehen. Wie viele ungenutzte, ausrangierte Laptops gibt es wohl in der Wirtschaft? Wie schwer kann es sein, die einzusammeln und den bedürftigen Kindern zur Verfügung zu stellen? Warum nicht Privatpersonen fragen, inwieweit sie temporär mit tauglicher Hardware aushelfen können? Dass dieses Projekt nicht schon im März angegangen wurde, sondern man die wertvolle Zeit einfach verstreichen ließ und nun auf demselben einer ehemals führenden Industrienation unwürdigen Stand herumkrebst ist das eigentliche Versagen der Politik in dieser Krise. Ja, wer konnte auch schon ahnen, dass die Sommerferien zu Ende gehen.

Ein weiteres trauriges Kapitel ist das Thema “Kontaktnachverfolgung”, und ein Teil des Problems ist der Geburtsfehler “Datenschutz über alles” der Corona-Warn-App. Ob es nun 15 oder 20 Millionen Nutzer der App sind, ist eigentlich auch egal. Es sollten ja mindestens 60 Millionen sein. Aber selbst, wenn die App so weit verbreitet wäre: sie würde kaum etwas nutzen. Denn es fehlt der App an entscheidenden Dingen: dem direkt sichtbaren Nutzen für den Nutzer, und der Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit der Einspeisung des Testergebnisses. Denn dieses liegt bekanntlich ausschließlich in der Hand des Nutzers der App und nicht etwa des Labors, das ja das Testergebnis zuerst kennt. Und auch den geringsten Aufwand hätte, das Testergebnis automatisiert ins System zu bringen.

Und so funktioniert “Kontaktnachverfolgung”, die eigentlich bequem und sicher und schnell durch die Corona-Warn-App funktionieren könnte bis heute fast ausschließlich über manuelle Bemühungen der Gesundheitsämter, einige wenige der bekannten Kontakte telefonisch zu erreichen, um ggf. den Gesundheitszustand abzufragen und weitere Tests zu veranlassen. Dass dieses Vorgehen nicht skaliert, sollte klar sein. Und es hat schon nicht funktioniert, als die oben erwähnte Inzidenz im niedrigen zweistelligen Bereich ist, und logischerweise funktioniert es jetzt inmitten der zweiten Welle immer noch nicht. Oder besser gesagt erst recht nicht.

Wie sollte die App stattdessen funktionieren? Im Sommer wäre es z.B. ein geeignetes Mittel gewesen, das Thema “Kontaktliste” in Restaurants elektronisch und anonym zu lösen. Das wäre ein echter Vorteil für App-Nutzer gewesen. Ein von der App identifiziertes erhöhtes Risiko könnte automatisch das Recht auf einen Test bedeuten – App vorzeigen, Test machen, am selben Tag das Testergebnis bekommen, das automatisch in der App auftaucht, sobald das Laborergebnis vorliegt. Damit könnte man sogar den Test selbst anonymisieren – noch ein Vorteil für App-Nutzer, sofern sie Datenschutzjunkies sind. Und warum reicht ein Risiko, das die App verkündet, nicht automatisch beim Arbeitgeber, bei der Schule, bei der Universität als Krankheitsnachweis? Das würde doch geradezu einen Schub für die Entbürokratisierung bedeuten – kein sinnloses Warten beim Arzt auf die Krankschreibung, und damit automatisch auch noch eine Reduktion des Infektionsrisikos für alle Beteiligten.

Ein interessantes Schauspiel konnte ja auch im Sommer in der Urlaubszeit beobachtet werden. Wer glaubte, dass die zahlreichen Lippenbekenntnisse bezüglich der großen Solidarität der Menschen hierzulande tatsächlich substanzieller Natur seien, also sich in individuellem verantwortlichen Handeln niederschlagen würden, sah sich getäuscht. Denn nur die anderen sollten besser zu Hause bleiben, man selbst hatte aber jede Menge gute Gründe, ins Ausland zu reisen. Ob Familienbesuch oder Erholungsurlaub, die zahlreichen Infektionen durch die Reiserückkehrer verteilten den Virus gleichmäßig über die Republik und sorgten für das vielzitierte “diffuse Infektionsgeschehen”, das für Kontaktnachverfolgung natürlich Gift ist – die Infizierten waren vorwiegend jüngere, eher gesunde Menschen, und so konnte sich der Virus lustig erst mal ausbreiten, bis durch Erkrankungssymptome viel zu spät erkannt wurde, was Sache ist.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, die der große schwäbische Philosoph Uli Keuler völlig zurecht als Grundhaltung vieler Menschen auf den Punkt brachte: “Und ich denke da auch gar nicht an mich sondern nur an Euch wenn ich sage, dass Opfer gebracht werden müssen.”

Der “Lockdown Light” der letzten Wochen hat uns gezeigt, dass ein paar wenige Maßnahmen es nicht bringen, wenn die Infektionszahlen einmal außer Kontrolle geraden sind. Das kommt nicht überraschend, sondern war schon der Erkenntnisstand der ersten Welle – wer zu spät wirksame Maßnahmen ergreift, braucht tendenziell schärfere Maßnahmen über einen längeren Zeitraum, um das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle zu bringen. Zynisch gesagt: gut, dass wir das jetzt noch ein weiteres Mal experimentell bestätigt haben. Lernen durch Schmerz.

Ich halte die m.E. sicheren Erkenntnisse nochmal fest: AHAL alleine reicht derzeit nicht, dazu ist der Virus zumindest in der kälteren Jahreszeit zu infektiös. Sobald die Prävalenz zu hoch ist, kann man die Risikogruppe nicht mehr adäquat schützen, denn sie ist viel zu groß und überall. Kontaktnachverfolgung funktioniert nur, wenn sie automatisiert und schnell erfolgt. Die Erfolgsgeschichte bei der Corona-Eindämmung in Japan, Südkorea, Norwegen, Finnland und Taiwan zeigt das – aber auch, dass “Insellage” vorteilhaft ist. Entsprechende noninvasive Maßnahmen bei der Einreise (beispielsweise Fieberscanner) oder Antikörper-basierende Schnelltests, die zwar kein verlässliches Positiv-Ergebnis bringen aber relativ verlässlich eine aktive Infektion ausschließen können, wären aus meiner Sicht absolute Mindeststandards.

Besonders ermüdend finde ich die Diskussion über die diversen “Grenzen”. Ja, es ist natürlich völlig willkürlich, ob 50 die Grenze der Inzidenz ist oder 43 oder 58. Oder 86. In einer Lage, wo man nahezu ausschließlich qualitative Dinge feststellen kann und ungefähre Prognosen stellen kann, ist es doch lächerlich, gerade bei solchen Grenzwerten absolute Präzision und Nachvollziehbarkeit zu fordern. Und es ist letztlich auch willkürlich, ob man die Maßnahmen erst verschärft, wenn die Intensivstationen schon aus allen Nähten platzen, oder schon dann, wenn sich eine Überlastung am Horizont abzeichnet. Für einige Diskutanten scheint es besonders erstrebenswert zu sein, das Gesundheitssystem dauerhaft nahe des absoluten Limits zu betreiben. Hohe Auslastung war schließlich immer ein sinnvolles ökonomisches Ziel. Denn dass man einfach nur daran interessiert ist, den älteren Teil der Bevölkerung möglichst zügig zu eliminieren, daran will ich nicht glauben. Soviel Optimismus in Bezug auf die Geisteshaltung meiner Mitmenschen kann ich immerhin noch aufbringen. Auch wenn es mir manchmal schwerfällt, etwas anderes als “Menschenverachtung” aus den Worten diverser Diskussionsbeiträge zu lesen. Nie war der Egoismus so vieler Leute so greifbar wie in dieser Krise.

Aktuelle Situation – Zahlen-Update

Fast ein Monat ist ins Land gegangen, seit ich mich über Deutschlands Sonderstellung bezüglich schwer Erkrankten und Toten durch COVID-19 gewundert habe. Zeit für ein Update, denn die Situation hat sich inzwischen geändert.

Gemessen an anderen europäischen Ländern ist die Zahl der positiven Tests in Deutschland noch auf verhältnismäßig überschaubarem, wenn auch fast stetig steigendem Niveau. Das 7-Tage-Mittel verkündet zuletzt knapp über 4000 Neuinfektionen am Tag. Und die Kurve des Anstiegs ist steiler geworden: noch am 3. Oktober waren es nur knapp über 2000.

Inzwischen schlägt das Infektionsgeschehen auch auf die Zahl der COVID-19-Erkrankten auf den Intensivstationen durch. Noch am 17.September waren dort 238 Patienten gemeldet, nicht viel höher als die rund 220 bis 230 die es praktisch über den ganzen August waren. Dann begann allerdings die Zahl stetig zu wachsen – heute 12.30h sind wir bei 655 Patienten, 329 davon werden invasiv beatmet.

Auch die Zahl der Toten ist inzwischen ansteigend: im Juli bis September lag die Zahl im konstant einstelligen Bereich, so zwischen 3 und 9 COVID-19-Toten täglich. Das 7-Tage-Mittel für gestern liegt bei 19, der Anstieg ist konstant zu sehen. Gestern wurden 31 COVID-19-Tote gemeldet.

Wie man der Presse entnehmen kann, sah man sich in Frankreich, Spanien, UK und den Niederlanden bereits gezwungen, mit scharfen Maßnahmen wie lokalen Lockdowns zu antworten, weil man die Lage als außer Kontrolle betrachtet. Sprich: dem Gesundheitssystem droht Überlastung, die Zahl der Toten steigt sprunghaft. Spanien meldete gestern 209 Tote, UK 137, Frankreich 104. Dagegen sieht es in Deutschland immer noch trotz des deutlichen Anstiegs zuletzt entspannt aus, aber die Erfahrung zeigt, dass wir uns vom Trend in anderen Ländern nicht abkoppeln können.

Schaut man sich die Deutschlandkarte der positiven Tests der letzten 7 Tage gerechnet auf 100000 Einwohner an, sieht man ein klares Muster: die Ballungsräume haben hohe Inzidenzen, ebenso Grenzregionen zu Belgien, den Niederlanden, Tschechien und Österreich. Weiße Flecken, wie sie im Juli und August noch häufig waren, als diverse Landkreise über Wochen gar keine Neuinfektionen gemeldet hatten, sucht man inzwischen vergebens. Aus epidemiologischer Sicht sind das keine guten Nachrichten: es bedeutet, dass die Eindämmungsstrategie, Hotspots bereits in der Entstehung zu erkennen und schnell auszumerzen, gescheitert ist.

Was folgt daraus? In meinem nächsten Beitrag will ich ein wenig über “Maßnahmen” philosophieren. Das, was die Politik heute verkündet hat – das wird nach meiner Einschätzung nicht reichen. Und es wirkt auf mich hilflos.