Eine neue Definition von Marktdominanz

Lange erwartet, endlich da: ein Artikel von mir, der gleichzeitig die Themen „Elektromobilität“ und „Qualitätsjournalismus“ aufgreift.

Anlass: eine Infografik im Pioneer Briefing (Business Class Edition) vom 2023-07-19, überschrieben mit „Tesla: Dominanz im deutschen Markt“. Es geht um die Zulassungszahlen im ersten Halbjahr 2023, und ich wurde ob der Überschrift hellhörig. Der Abgesang auf die deutsche Autoindustrie ist ja quasi ein Klassiker des Qualitätsjournalismus und anderer Unkenrufer von der linksgrünen bis zur liberalen Fraktion. Was hat die deutsche Autoindustrie nicht schon alles angeblich verschlafen: den Trend zum preiswerten Kleinwagen, zum Vollhybridfahrzeug, zum Diesel mit Partikelfilter, zum Direkteinspritzerbenziner, zum Elektroauto, zum Plug-In-Hybrid – kein Trend, den nicht irgendjemand irgendwann ausgerufen hat und den die deutsche Automobilindustrie verschlafen hat. Als Vorreiter wurden so ziemlich alle Konkurrenten über die Jahre identifiziert: Italiener, Franzosen, Japaner, Koreaner, Chinesen, und zuletzt vor allem Tesla. Und jetzt war es dann wohl so weit: selbst auf dem traditionell von deutschen Herstellern beherrschten heimischen Automarkt hat Tesla das Kommando übernommen! Also: Faktencheck.

Ich zitiere mal die Zahlen bezüglich des Marktanteils diverser Automarken, um die Absurdität der gewählten Überschrift von der Marktdominanz auch schwarz auf weiß festzuhalten: Tesla 16,5% (ja, richtig gelesen – nicht 80%, nicht 70%, sondern tatsächlich weniger als 20%), VW 15,6%, Mercedes 7,7%, Audi 6,5% (auch VW-Konzern, aber wenn man einen Pseudo-Punkt machen will, ist eine Aufsplittung nach Marken statt nach Firmen in diesem Falle vorteilhaft – der beschreibende Text der Infografik „nach Hersteller“ wird so zwar beinahe zur Lüge, aber was soll’s), BMW 5,8%, Hyundai 5,5%, Fiat 4%, Smart 3,8%, MG ROEWE 3,5%, Skoda 3,5% (hoppla, nochmal VW-Konzern), Opel 3,2%, Seat 2,7% (VW-Konzern strikes again), Renault 2,7%.

Wir halten fest: 16,5% Marktanteil gilt heutzutage schon als „Marktdominanz“, selbst wenn die Konkurrenz vom VW-Konzern auf 28,3% kommt, also fast den doppelten Marktanteil. Eine äquivalente Theorie in der IT besagt, dass Apple die Marktdominanz bei Mobiltelefonen inne hat und auch bei Desktop-Betriebssystemen.

Nebenbemerkung: Renault war lange Zeit in Europa Pionier der Elektromobilität, mit dem Zoe als erstem halbwegs bezahlbarem E-Auto und dem Twizy als innovativem, wenn auch gescheitertem Versuch eine neue Fahrzeugklasse zu begründen. Heute: 2,7% Marktanteil. Zeigt mal wieder, dass die Pioniere im Markt schon nach wenigen Jahren keineswegs einen Vorteil haben – es scheint also gar nicht so schlecht zu sein, den einen oder anderen Trend einfach mal zu „verschlafen“ und dann den Markt von hinten aufzurollen. The early bird catches the worm, but it is the second mouse that gets the cheese.

Nun liegt es mir fern, Gabor Steingart und seine Bemühungen rund um sein „Pioneer“-Projekt madig zu machen. Unter den ganzen Newslettern, die ich lese, ist man mit dem PioneerBriefing mit Abstand am besten informiert. Aber leider eben nicht frei von Bias und Spin. Schade.

Auch liegt es mir fern, die Elektroautobemühungen der deutschen Automobilindustrie schönzureden. Nach wie vor fehlen bezahlbare und vernünftige Elektroautos, aber die fehlen halt quer durch alle Hersteller. Wenn ein Tesla Model 3 nach gefühlt zehn verkündeten Preissenkungen im Basismodell heute in Deutschland immer noch über 40000€ kostet (ursprünglich ging man mal mit 32000€ Zielpreis ins Rennen, wobei das auch der qualitätsjournalistischen Fehlberichterstattung hierzulande zu verdanken war, weil man US$ nach EUR ohne Berücksichtigung von so Kleinigkeiten wie „Umsatzsteuer“ und „Transportkosten“ umgerechnet hatte). VW mit dem ID.3 oder Opel mit dem E-Astra liegen auch nicht günstiger, und wir reden hier von kaum alltagstauglichen Kisten mit viel zu wenig Platz und Reichweite gemessen an einem Standard-Benziner. Selbst ein Kleinstwagen wie der VW eUp liegt noch bei 30000€, was den Wahnsinn der E-Mobilität für Brot-und-Butter-Käufer nochmal ins Gedächtnis brennt.

Und das erklärt dann auch, warum weltweit, sobald staatliche Förderungen für E-Autos wegfallen und der Grundbedarf für Käufer mit geeignetem Nutzungsprofil (hauptsächlich Kurzstrecke, Nutzung als Zweitwagen und/oder Pendlerauto, Lademöglichkeit zuhause nach Möglichkeit mit PV-Überschussstrom) gedeckt ist, die Verkäufe drastisch einbrechen. So derzeit auch in Deutschland zu beobachten. Wobei hierzulande auch die extrem langen Lieferzeiten ein Bestellhindernis waren – die Entwicklung bei den Elektroautos geht ja doch noch mit etwas höherem Tempo voran als bei Benzinern oder Dieseln, wer will da 15 Monate auf ein Fahrzeug warten, dass dann bei Auslieferung schon halb veraltet ist. Jedenfalls sind die Prognosen nicht rosig: Für 2023 werden gerade mal knapp 500.000 verkaufte Elektroautos erwartet, ein Marktanteil von knapp über 20% – man könnte sagen: weit entfernt vom Marktdurchbruch. Für 2024 wird gar nur noch ein Marktanteil von 14% erwartet. Hauptgründe: steigende Strompreise und vermutlich wegfallende staatliche Förderung.

Man kann ja mal kurz überschlagen – die kWh Strom kostet heute zwischen 30ct („zuhause mit Netzstrom laden“) und 80ct (Schnellladung z.B. an der Autobahn), je nach Modell braucht man für 100km real 15-20 kWh, also mindestens 4,50€, aber bis zu 16€. Ein entsprechender Benziner, mit heute üblichen 6l/100km, kommt bei 1,70€/l auf rund 10€. Spart man mit dem Stromer also höchstens 5€ auf 100km, bei einem Mehrpreis bei Anschaffung von mindestens 10000€ (entspricht also naiv gerechnet 200000km bis zum break even). Und das war jetzt sehr freundlich gerechnet für das E-Auto. Günstiger wird es nur, wenn man konsequent zuhause mit PV-Überschuss lädt, weil die Einspeisung heutzutage ja bei neuen Anlagen weniger als 10ct/kWh bringt. Nur: von Herbst bis Frühjahr dürfte es nur selten über ausreichende Zeit diese Überschüsse geben, um die tägliche Pendelstrecke nachzuladen. Bleiben also die Wenigfahrer im Home-Office mit großer PV-Anlage auf dem Dach als Zielgruppe – klingt nicht nach einem Erfolgsrezept für die breite Masse. Und das berücksichtigt nicht mal die gravierenden Nachteile wie geringe Reichweite/lange Standzeiten bei leerem Akku/kein ausreichend dichtes Ladenetz, die seit langem bekannt sind.

Niemand Vernünftiges zahlt eben mehr Geld für weniger Nutzwert.

Kirchenflucht

Landauf, landab wurde über die Austrittswelle bei der katholischen Kirche in 2022 in Deutschland berichtet. Hier eine schöne Statista-Infografik dazu. So weit, so wenig ungewöhnlich – dass in Deutschland die Zahl der Kirchenaustritte nicht unerheblich ist, ist quasi eine Konstante der letzten 40 Jahre. Und auch wenig verwunderlich – so sehr ich ein Fan der christlichen Werte bin (ich halte sie für eine der besten Ideen der Menschheitsgeschichte), so wenig war und bin ich ein Fan von dem, was man unter „Amtskirche“ versteht. Nimmt man die Einzeltatbestände „Kirchensteuer“ und „Missbrauchsskandel“ zusammen, hat man ja schon eine allemal ausreichende Sammlung an gewichtigen Gründen, diesem Verein den Rücken zu kehren.

Nicht, dass es bei der evangelischen Kirche besser wäre: nicht umsonst wird diese von Spöttern als „die AG Singen und Beten der Grünen“ bezeichnet. Anstatt sich um die christlichen Werte zu kümmern, wird hier gerne grüne Politik gemacht – eventuell im guten aber absurd falschen Glauben, dass Ökologismus nach marxistisch-grüner Ideologie irgendwas mit „Bewahrung der Schöpfung“ und „Umwelt- und Naturschutz“ zu tun hat. Und jede Institution, bei der eine Person wie Margot Käßmann eine leitende Funktion erlangen kann, ist logischerweise zurecht dem Tode geweiht und auch intellektuell bankrott.

Offen bleibt, wann die Konsequenzen folgen. Nachdem nun deutlich weniger als 50% der Deutschen Kirchenmitglieder sind, wäre es an der Zeit, die Repräsentanz der Kirchen in den diversen Gremien mal zu hinterfragen. Gut, für die Merkel’sche Ethikkommission zum Atomausstieg kommt diese Idee leider zu spät, und da haben sich nicht nur die Kirchenvertreter an den kommenden Generationen versündigt.

Gewundert hat mich immer, dass sich das Wehklagen der Kirchen ob dieser Austritte doch in Grenzen hielt. Aufschluss gibt hier die Statistik der Kirchensteuereinnahmen: bis einschließlich 2019 ein sauberer stetiger Zuwachs. Solange die Kasse stimmt, kann man auf Mitglieder wohl leichteren Herzens verzichten.

Im Übrigen würde ich mir von unseren Qualitätsjournalisten und -statistikern wünschen, die Kommunikation etwas trennschärfer vorzunehmen. Die Gruppen „Christen“, „Gläubige“ und „Kirchenmitglieder“ haben zwar Schnittmengen, sind aber ganz sicher nicht deckungsgleich und keineswegs als Synonyme austausch- und verwendbar.