Das Omikron-Experiment am Beispiel Dänemark

Im Angesicht der neu zu bewertenden Pandemie-Parameter beruhend auf gravierenden Änderungen in Hinblick auf “verringerte Krankheitsschwere”, “höhere Infektiosität” und “Durchimpfung” versuchen sich in Europa vor allem UK und Dänemark an einem Versuch, weitestgehend zurück zur Normalität zu gehen und die Eindämmungsbemühungen, die bekanntlich bei Omikron deutlich schärfere Restriktionen oder deutlich verringerte Wirksamkeit derselben nach sich ziehen, stark herunterzufahren. Für UK ist es nach dem September schon der zweite “Freedom Day”, der ausgerufen wird. Wäre der erste ein durchschlagender Erfolg gewesen, hätte es den zweiten nie gegeben.

Dänemark ist in dieser Hinsicht ein spannendes Experiment, denn die Impfquote ist vorbildlich hoch und die Dänen gelten in der Pandemie als eher entspanntes Volk, das gelassen hinnimmt, wenn das Virus und infolgedessen die Politik Beschränkungen auferlegt. Und die Dänen neigen wie der Rest Skandinaviens auch eher zu besonnenen Reaktionen und nicht zu “post-COVID-Exzessen” wie man sie streckenweise in anderen Ländern beobachten konnte. Und man kann deshalb davon ausgehen, dass falls dieses Experiment zu ungünstigen Auswirkungen für die Gesamtbevölkerung führt, dass die Regierung entsprechend handeln wird und die mühsam neu gewonnenen Freiheiten erneut auf den Prüfstand stellen wird.

Ich prognostiziere, dass die Dänen an diesem Experiment alsbald ein paar Korrekturen vornehmen werden. Ich stütze mich hier nicht auf längst nichtssagende Parameter wie Inzidenzen oder stark nachlaufende Parameter wie Todeszahlen, sondern auf die Kennzahl, die seit Tag 1 der Pandemie die größte Sorge bereitet: die drohende Überlastung des Gesundheitssystems mit allen daraus folgenden negativen Auswirkungen. Und da sieht es derzeit nicht so besonders gut aus für Dänemark: die Inzidenz hatte den Peak Ende Januar (und die Dänen sind recht gut aufgestellt bei den Laborkapazitäten und dem Meldewesen, d.h. das Dunkelfeld dürfte überschaubar sein) , die daraus resultierende Welle ist also in den Krankenhäusern noch nicht angekommen. Die Zahl der Intensivpatienten war stetig gesunken seit Anfang Januar, scheint aber nun wieder zu steigen. Der wahre böse Vorbote der kommenden Probleme zeigt sich in der Statistik der Krankenhauseinweisungen bzw. der Zahl der wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelten Patienten: die ist nämlich seit Oktober praktisch stetig gestiegen und hat Ende Januar die bisherige Rekordmarke vom Jahreswechsel 2020/2021 übertroffen. Und zwar deutlich. Die Kurve zeigt steil nach oben. Die Krankenhausbelegungskurve korrelierte in der Vergangenheit gut mit der Todesfallkurve (viel besser als die ICU-Kurve übrigens), ich würde erwarten, dass wir die volle Auswirkung gegen Ende Februar sehen werden.

Ich habe im Detail keine Ahnung, für welche Belastungen das dänische Gesundheitswesen inzwischen gerüstet ist. Aber für den Moment sieht es so aus, wie wenn knapp 20% Ungeimpfte und knapp 40% Ungeboosterte allemal ausreichen, um im Angesicht einer Virenvariante wie Omikron erhebliche Probleme zu verursachen. Das zeigt sich auch an den zunehmend sich verjüngenden Altersstrukturen in den Krankenhäusern. Es bleibt eine Tatsache, dass Jüngere auch ungeimpft viel seltener einen schweren Verlauf haben. Das kann in absoluten Zahlen aber trotzdem ein Problem darstellen. Und wenn die Impfung genau wie die Genesung zwar vor schweren Verläufen schützt, aber nicht vor ein oder zwei Wochen seriöser Krankheit, ist nicht nur das Gesundheitssystem gefährdet, sondern auch kritische Infrastruktur.

Jedenfalls ist es ein spannendes Experiment, dessen Ausgang sicher auch den weiteren Verlauf der Pandemiebekämpfung in Deutschland beeinflussen wird. Was als mutiger Schritt der Dänen gefeiert wurde, kann sich als ziemlicher Rohrkrepierer erweisen. Böse Zungen behaupten ja, dass die Schritte in Dänemark und UK eher eine Kapitulationserklärung waren. Ich stehe interessiert an der Seitenlinie und beobachte die Daten. Und bin froh, dass sich unsere Politik nicht als Vorreiter betätigt, das würde unweigerlich ein ähnliches Desaster wie bei der Energiewende nach sich ziehen.

Gedanken zur COVID-Strategie in Zeiten von Omikron

Die inzwischen mit einiger Sicherheit vorliegenden Informationen zu den Eigenschaften der Omikron-Variante bezüglich Infektiosität und Gefährlichkeit – ich hatte gestern ein paar Zahlen genannt – erfordern meines Erachtens eine Neuausrichtung der Bekämpfungsstrategie. Als alter Liberaler favorisiere ich natürlich die Konzepte “Eigenverantwortung” und “wer bestellt, zahlt”, wie man im Folgenden sehen wird. Wenn ich von “Geimpften” oder “Ungeimpften” rede, sehe ich da eine Altersgrenze von 18 Jahren. Noch-nicht-Volljährige spielen bei den aus meiner Sicht nun relevanten Parametern kaum mehr eine Rolle und können bei den Betrachtungen deshalb unbeachtet bleiben. Aus medizinischen Gründen Ungeimpfte dürfen sich zur Gruppe der Geimpften zählen. Ebenso Genesene. Diese Vereinfachung dient nur, die Lesbarkeit zu erhöhen, um nicht alle Einzelfälle in jedem zweiten Satz präzisieren zu müssen.

Zunächst die Ausgangssituation: Omikron hat sich als noch deutlich infektiöser als Delta herausgestellt, dass ja seinerseits gegenüber Alpha deutlich infektiöser war, welches wiederum gegenüber dem Wildtyp deutlich infektiöser war. Während Wildtyp-Alpha-Delta alle so ungefähr in derselben Preisklasse bei der Gefährlichkeit waren, sieht man bei Omikron jetzt in den Zahlen deutlich zwar eine weiterhin gegebene nicht zu unterschätzende Gefährlichkeit, die aber doch deutlich reduziert ist gegenüber seinen Vorgänger-Varianten. Zudem ist unsere heutige Situation vergleichsweise komfortabel, weil wir wirksame Impfstoffe haben, eine Bevölkerung die zu weiten Teilen geimpft ist, und zum Teil schon den unangenehmen Kontakt mit dem Virus überlebt hat (aka “Genesene”). Das, was Optimisten fälschlicherweise Anfang 2020 erhofft hatten – eine erhebliche Hintergrundimmunität der Bevölkerung – ist nun also tatsächlich hauptsächlich durch die Impfung mit 2-jähriger Verspätung Realität geworden.

Es verschieben sich jetzt also die Gewichte bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit – die bekannten und geübten Maßnahmen wie Lockdown, Testpflicht, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Besucherobergrenzen, you name it, haben in dieser Gemengelage ein deutlich schlechteres Preis-Leistungsverhältnis als in der Vor-Impf-Zeit. Und nach der Zeit der Impfstoffknappheit bis Mitte 2021 ist es mindestens seit Herbst 2021 jedem Impfwilligen sehr einfach möglich, eine Impfung zu bekommen. Kostenlos, wie bekannt sein dürfte. Natürlich bietet die COVID-19-Schutzimpfung wie jede andere Impfung auch keinen 100%igen Schutz. Insbesondere nicht vor Infektion, aber einen sehr guten Schutz gegen den gefürchteten “schweren Verlauf” mit Aufenthalt in Krankenhaus oder sogar Intensivstation. Alle Zahlen weltweit weisen darauf hin, dass Geimpfte nur eine mäßige Belastung des Gesundheitswesens verursachen.

Seit Tag 1 der Pandemiebekämpfung ist ja “Flatten The Curve” das Hauptziel, weil ein intaktes Gesundheitssystem Grundvoraussetzung dafür ist, die Zahl der Opfer in einem vertretbaren Rahmen zu halten – sowohl COVID-Opfer als auch Menschen, die das Pech haben, in Pandemie-Zeiten schwer zu erkranken. In der Vor-Impf-Zeit war sicherlich auch die Vermeidung von zu vielen Opfern in der Risikogruppe ein zu beachtender Aspekt, seit der breiten Verfügbarkeit der Impfung ist aber der geimpfte Teil der Risikogruppe aus der Gefahrenzone raus. Außerdem ist interessant, dass es bei der Impfempfehlung praktisch keine Kontraindikation gibt – die Impfung ist praktisch für jedermann sehr gut verträglich. Von einem möglichen Ziel “Ausrotten des Virus” konnte man sich schon im Februar 2020 realistischerweise verabschieden, die Hoffnung auf eine sterile Immunität nach Genesung (oder später der Impfung) war nach ersten Berichten über Reinfektionen ja schon dahin.

Aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern scheint es mir sicher zu sein, dass ohne sehr drastische Maßnahmen (China versucht das aktuell ja im Rahmen der olympischen Winterspiele – ein interessantes Experiment) ein Eindämmen der Infektionen überhaupt kein sinnvolles Ziel mehr sein kann. Sowohl Geimpfte als auch Genesene sind anfällig für die Infektion mit Omikron, die Ungeimpften sowieso. Damit entfällt der Hauptgrund für Kontaktbeschränkungen und Zugangsbeschränkungen zumindest jenseits besonders vulnerabler Gruppen (Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime). Die Testpflicht hat sowieso hierzulande so viele Löcher, dass sie weitestgehend wirkungslos ist. Dasselbe gilt für die Kontaktnachverfolgung jenseits der Corona-Warn-App – die immer noch manuellen Tätigkeiten der Gesundheitsämter sind komplett sinnlos geworden, nicht zuletzt in Situationen der kompletten zahlenmäßigen Überforderung bei hohen Inzidenzen – demzufolge war es auch zwingend, die Luca-App wieder aus dem Rennen zu nehmen. Nur die vollautomatische anonymisierte Infektionskettennachverfolgung über die Corona-Warn-App ergibt noch einigermaßen Sinn, hier müsste man nur noch die Geschwindigkeit bei der Zuordnung positiver PCR-Testresultate deutlich erhöhen, um mehr Nützlichkeit zu gewährleisten.

Nun ist zwar die Omikron-Variante in Summe deutlich milder gestimmt als die Vorgänger inklusive Delta, aber aufgrund der hierzulande doch recht hohen Anzahl Ungeimpfter vor allem in der Risikogruppe (über 10% Ungeimpfte in der Alterskohorte 60+) ist das Gesundheitssystem natürlich nach wie vor gefährdet – vor allem, wenn man die Maßnahmen zur Infektionsvermeidung zurückschraubt, ist hier ein bekämpfenswertes Risiko erkennbar. Also braucht es Mechanismen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.

Und da fallen mir ein paar Dinge ein, um die oben genannten Grundkonzepte “Eigenverantwortung” und “wer bestellt, zahlt” in den Mittelpunkt der Pandemiebekämpfung zu rücken. Sinnvoll erscheint mir, sowohl das Weitergaberisiko durch Ungeimpfte (vor allem natürlich an andere Ungeimpfte) als auch das Hospitalisierungsrisiko der Ungeimpften zumindest zum Teil in die Verantwortung des Individuums zu geben. Zugang zu Restaurants, zum Einzelhandel, zu Veranstaltungen für Ungeimpfte nur mit aktiver Corona-Warn-App, um Infektionsketten innerhalb des gefährdeten Teils der Bevölkerung schnell zu erkennen und zu unterbrechen. Aus einem roten Risikostatus der App erwächst automatisch eine umgehende Testpflicht mit Quarantäne bis zum Testergebnis, bei positivem Ergebnis natürlich nachfolgend die Quarantäne wie bisher. Für Geimpfte entfällt die Quarantäne- und Testpflicht, es gibt nur noch eine Empfehlung.

Aufgrund grober Fahrlässigkeit der Ungeimpften würde ich Krankenhausbehandlungen bei vorliegender COVID-19-Infektion nur im Falle ausreichender freier Kapazitäten und unter Zahlung einer Selbstbeteiligung noch durchführen. Jeder sollte das Recht haben, auf die Stärke seines Immunsystems zu vertrauen. War dieses Vertrauen unbegründet, muss derjenige eben zum Teil für die Auswirkungen dieser Fehleinschätzung haften. Eventuelle Reha- und Nachbehandlungsmaßnahmen nach COVID-Erkrankung müssen natürlich aus eigener Tasche bestritten werden.

Relevant sollte der “Ungeimpft”-Status auch bei der Frage der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle sein. Grobe Fahrlässigkeit sollte hier zu reduzierten Leistungen führen – Zahlungen in Höhe des Hartz IV-Regelsatzes sollten ausreichen zur Sicherstellung des Existenzminimums. Es soll ja niemand verhungern.

Die jetzt bestehende Maskenpflicht würde ich weiter beibehalten. Es ist eine sehr preiswerte, eher non-invasive und trotzdem wirksame Geschichte. Preiswerter als durch die Maskenpflicht können ungünstige Pandemie-Auswirkungen kaum bekämpft werden. Zumal sie Sekundärnutzen durch die erfolgreiche Verhinderung der sonst üblichen Grippewellen entfalten.

Am Ende wird mancher sagen, dass meine Vorschläge im Endeffekt auf eine “Impfpflicht durch die Hintertür” rauslaufen. Nein, eigentlich nicht. Stimmen die Theorien der Ungeimpften bezüglich der Gefährlichkeit der Omikron-Variante, entstehen für sie ja gar keine zusätzlichen Kosten, solange sie nicht erkranken wird lediglich auf minimaler Ebene genau einmal (Quarantäne bei positivem Test) in ihre Freiheit eingegriffen, und das wohlbegründet. Schwer erkranken können sie laut ihrer eigenen Theorie ja auch nicht, die Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt ist deshalb für sie irrelevant. Danach sind sie als “Genesene” sowieso raus aus der Ungeimpften-Gruppe. Alle politischen Überlegungen zu einer Impfpflicht kann man bei Umsetzung meiner Vorschläge jedenfalls getrost ad acta legen. Stattdessen wird die Eigenverantwortung gestärkt, Freiheiten zurückgegeben und die individuelle Risikoeinschätzung und -vermeidung ermöglicht. Ohne, dass diese individuelle Einschätzung im Falle einer groben Fehleinschätzung zu Lasten der Gesellschaft geht.

Es wäre natürlich denkbar, dass sich in Zukunft eine SARS-CoV-2-Variante verbreitet, die diese meine Überlegungen wieder über den Haufen wirft. So ist das eben in einer dynamischen Situation. Was im März 2020 geboten war, muss im Januar 2022 nicht mehr richtig sein und umgekehrt. Aber es ist sinnlos, sich jetzt schon darüber tiefere Gedanken zu machen.

Omikron-Zahlen-Update-Update

Am 9. Januar war mein letzter Post zur Omikron-Situation, was in diesen bewegten Zeiten schon eine Ewigkeit ist. Zeit für ein Update des damaligen Updates.

Einige Zeitgenossen – auch solche, die ich früher einmal für intelligente Kommentatoren gehalten habe – bemühen immer noch das Narrativ “nur milde Verläufe, es gibt kein Problem” und versteigen sich gar zu abstrusen, durch die Datenlage eindeutig widerlegbaren Aussagen wie “die Omikronwelle – die in Großbritannien […] wie erwartet mild und ohne steigende Hospitalisierungen und Todesrate verlaufen ist”.

Hier also jetzt das faktenbasierte Omikron-Update zu den neuesten Zahlen, immer basierend auf dem 7-Tage-Mittelwert, der m.E. mindestens in der Rückschau der einzige sinnvoll zu verwendende Wert ist, der sowohl Tages- als auch Wochenschwankungen sinnvoll mittelt. Alle Daten können bei OurWorldInData abgerufen und verifiziert werden. Wie immer bei Wellen muss man mit den Infektionszahlen vorsichtig sein, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass bei Test-Positiv-Quoten jenseits der 20% jede Menge asymptomatischer Fälle durch das Testnetz schlüpfen – es geht also immer nur um Kurvenverläufe und grobe Abschätzungen unter unterschiedlichsten Rahmenbedingungen.

UK hatte den Scheitelpunkt der Infektionszahlen (täglich mehr als 150000) der aktuellen Omikron-Welle Anfang des Jahres (4./5./6. Januar) hinter sich gebracht, der starke Anstieg der Fallzahlen begann Anfang Dezember und führte zum typischen rasanten Anstieg wie aus den bisherigen Wellen bekannt. Ein Anstieg, in dem Deutschland im Moment steckt, mit bisher unbekanntem Enddatum. Wenn man sich dazu die Todeszahlen “mit oder an COVID-19” dazu im zeitlichen Verlauf anschaut, sieht man über den ganzen Dezember vor Weihnachten ein Plateau von etwa 110 bis 120 Todesfällen, dann ein Absinken auf 70-80 (warum? Keine Ahnung, eventuell nur Zufall oder ein statistisches Artefakt), dann ein steiler Anstieg über etwa zwei Wochen auf 260-270 Tote – auf diesem Plateau verharren die Zahlen bis heute. Wir sehen also auch bei Omikron den typischen Zeitverzug zwischen 2-4 Wochen, bis sich die Infektionswelle in den Todeszahlen niederschlägt. Als Indikator “wieviele schwere Verläufe” eignet sich die Zahl der Hospitalisierten, diese lag in UK lange Zeit stabil bei etwa 7500 pro Tag bis sie in Folge der Omikron-Welle auf konstant über 15000 von Anfang Januar bis heute stieg, mit knapp 20000 in der Spitze am 10. Januar. Auch hier passt der Zeitversatz “erkannte Infektion bis tatsächlicher Krankenhausaufenthalt” perfekt ins bisherige Bild. Da die Zahlen bei den Hospitalisierten wieder sinken, ist nicht zu erwarten, dass es bei den Todeszahlen noch eine böse Überraschung in näherer Zukunft gibt.

Halten wir fest: die Omikron-Welle hat in UK für einen starken – aber nicht dramatischen – Anstieg bei Hospitalisierungen und Toten geführt. Nun kann man die Tatsache, dass CFR und IFR deutlich niedriger sind gegenüber der Vor-Impf-Zeit entweder auf die Wirksamkeit der Impfung und/oder die hohe Zahl der Genesenen zurückführen, oder auf die deutlich mildere Natur von Omikron. Ich beführworte “alles drei” als einzig sinnvolle Antwort auf die Frage.

Machen wir einen kurzen Abstecher nach Südafrika, an vorderster Front bezüglich Omikron und damit schon am weitesten im auch anderswo zu erwartenden Verlauf. Wo die Impfquote eher niedrig ist – bei 60 Millionen Einwohnern gelten 16 Millionen als vollständig geimpft, Boosterimpfungen spielen praktisch keine Rolle. Das Medianalter der Bevölkerung liegt bei 28 Jahren, verglichen mit knapp 41 Jahren in UK und knapp 48 Jahren in Deutschland natürlich eine vergleichsweise junge Bevölkerung, die sehr viel weniger anfällig für schwere Verläufe oder gar Todesfälle sein sollte.

Unter diesen Randbedingungen begann Ende November die Omikron-Welle in Südafrika und arbeitete sich von etwa 1000 Infizierten pro Tag auf konstant über 15000 pro Tag zwischen Mitte und Ende Dezember hoch, in der Spitze eine Woche vor Weihnachten lag man bei über 20000. Im Gegensatz zur UK-Welle zeigt sich kein steiler Abfall, sondern ein sanftes Auslaufen der Welle – noch bis Mitte Januar lag man bei teils weit über 5000 Fälle pro Tag. Der Verlauf bei den Todeszahlen lässt erahnen, was die Quelle für das Narrativ “nur milde Verläufe” gewesen sein könnte: zu Anfang zeigte sich praktisch kein Ausschlag, von Anfang November bis Anfang Dezember dümpelten die Zahlen rund um 20-30 COVID-Toten pro Tag. Dann folgte ein stetiger Anstieg bis auf 150-200, mit einem sanften Abfall bis zur gestrigen Zahl “133”, allerdings mit einigen unerklärlichen Spitzen dazwischen inklusive heftiger Korrektur der Tageszahlen nach unten an einzelnen Tagen – das Meldewesen in Südafrika scheint wohl ähnlich gut entwickelt zu sein wie hierzulande. Bei den Hospitalisierungen sah man zu Beginn der Infektionswelle ebenfalls noch wenig Bewegung (eine weitere Quelle des “Omikron ist völlig harmlos”-Narrativs), aber Anfang Dezember ging es dann steil bergauf, von wöchentlich deutlich unter 1000 Hospitalisierungen bis auf fast 10000 in den zwei Wochen kurz vor und kurz nach Weihnachten.

Man kann also aus den Zahlen unschwer ablesen, dass Omikron keineswegs so harmlos ist, wie es manche glauben lassen wollen. Klar ist aber auch, wenn man eine hohe Impfquote, eine junge Bevölkerung, eine hohe Zahl an bereits Genesenen hat – oder am besten alles drei – ist die Welle der Infektionen zwar höher als alles bisher Gekannte, die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem bzw. auf die Sterblichkeit ist aber nicht mit der Vor-Impf-Zeit vergleichbar, sondern sind deutlich besser managebar. Um es nochmal mit Zahlen zu unterlegen: die letzte Infektionswelle in Europa (also: relativ wenig Genesene, relativ alte Bevölkerung) vor der Impfung Ende 2020 war etwa ein Drittel so hoch wie die Omikron-Welle. Die daraus resultierende Todeswelle ist aber vor der Impfung fast viermal so hoch wie bei der Omikron-Welle. Nimmt man beide Zahlen zusammen, ergibt sich für Europa ganz grob gemittelt eine Entspannung um Faktor 10 beim Verhältnis Infektion-Tod. In Südafrika hingegen war die Omikron-Welle ähnlich hoch wie der vergangenen drei Wellen (und das hat ganz sicher auch mit der fehlenden Breite der Testungen zu tun), die Todeszahlen liegen eher so bei der Hälfte bis bei einem Drittel – bei einer jungen, weitgehend ungeimpften Bevölkerung scheint Omikron also im Verhältnis immer noch recht gefährlich zu sein.

Unterm Strich: Impfen hilft. Viel Impfen hilft viel. Mit einer guten Impf- und Boosterquote kommt man mit nur wenigen NPIs (die bei einer derart infektiösen Variante wie Omikron sowieso nur noch geringen Wert haben) gut durch den Omikron-Winter. Zumindest in UK, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland. Ob das auch in Deutschland gilt, mit seiner doch recht hohen Nichtimpferquote in der Risikogruppe, dem höchsten Altersdurchschnitt in Europa und verhältnismäßig wenig Genesenen, wird sich noch zeigen. Denn hierzulande ist Ende Dezember der Ausläufer der letzten Delta-Welle ja nahtlos in den Start der Omikron-Welle übergegangen, d.h. auf den Intensivstationen des Landes liegen noch viele Schwerkranke aus dieser Zeit, und erst seit Mitte Januar steigt als Resultat der Omikron-Welle die Zahl der Erstaufnahmen wieder an, insgesamt fallen die Belegungszahlen aber noch. Das wird nicht so bleiben. Legt man die Zahlen aus UK zugrunde, würde ich ab etwa Mitte Februar mit mindestens 400 Toten täglich rechnen, über einen Zeitraum von 2-4 Wochen. So grob über den Daumen gepeilt, ohne jetzt ein ausgefuchstes mathematisches Modell zugrunde liegen zu haben.

Unterm Doppelstrich: das Narrativ von der harmlosen Omikron-Variante wurde von der Wirklichkeit eindeutig und nachhaltig widerlegt. Ich kann kaum erwarten, mit welchen neuen spannenden Hypothesen die Verharmloser als nächstes um die Ecke kommen. Denn das ist etwas, was man erfahrungsgemäß als Normaldenkender nicht prognostizieren kann.

Fischer zur Impfpflicht

Ich hatte mich schon früher lobend über die pointierten Kommentare von Thomas Fischer geäußert – nach wie vor der einzige Grund, bei der Online-Dependence des Relotius-Blattes vorbeizuschauen. Jetzt gibt es einen neuen Gastbeitrag aus seiner Feder – ein seltenes Ereignis, leider ist er ja nicht mehr regelmäßiger Kolumnist bei SPIEGEL Online. Und dieser Beitrag ist pointiert, ironisch, sarkastisch, unterhaltsam, bedenkenswert und interessant zugleich. Eine seltene Mischung.

Nach wie vor sind die Juristen ja uneins, was die Verfassungsmäßigkeit einer Impfpflicht angeht – nicht verwunderlich, wann sind Juristen sich schon mal einig. Und nach wie vor will ich aus liberaler Sicht keine Impfpflicht haben, gebe aber gerne zu, dass ich leider nicht weiß, wie man das liberale Konzept “Eigenverantwortung” für Ungeimpfte ohne Rückgriff auf wirklich unakzeptable Methoden etablieren könnte.

Und auch Thomas Fischer gibt zum Thema Impfpflicht seine Meinung ab, die natürlich trotz seines unzweifelhaft vorhandenen juristischen Sachverstandes nicht als allein Seligmachende akzeptiert werden sollte. Aber beispielsweise seine Beschreibung zur Positionierung der Regierung – die hat schon was. Seine süffisanten Anspielungen von Djokovic über den traurigen intellektuellen Zustand des FAZ-Feuilletons bis zum Ukraine-Konflikt, das ist schon große Kunst. Fast jeder Satz ein Genuss, fast jeder Schuss ein Treffer. Lesebefehl!

Omikron-Zahlen-Update

Noch immer ist weitgehend unklar, inwiefern eine Omikron-Infektion verglichen mit Delta schwere Verläufe verursacht. Ganz zu Anfang hieß es aus Südafrika: alles harmlos, keine schweren Verläufe. Und auch die Zahlen aus Großbritannien verhießen zwar alarmierende Fallzahlen, aber wenig spektakuläre Krankenhaus-/ICU-Zahlen – und auf letzteres kommt es bekanntlich an.

Beide Länder sind durchaus interessant aus deutscher Sicht – Südafrika, weil die Omikron-Welle dort schon wieder abflaut (Peak kurz vor Weihnachten) und man daher ungefähr jetzt die daraus resultierenden schweren Fälle und Todeszahlen anschauen kann – natürlich immer unter Berücksichtigung des deutlich niedrigeren Durchschnittsalters der Südafrikaner, dem leicht unterentwickelten Meldewesens (wobei – ob das wirklich schlechter sein kann wie hierzulande) und der gänzlich anderen Zahlen bezüglich Geimpfter, Genesener und Geboosterter. GB ist interessant, weil die Welle gerade auf den Höhepunkt überschritten hat, während sie bei uns erst im Anstieg begriffen ist, und GB uns relativ ähnlich ist was Bevölkerungsdichte, Impfquote und Altersdurchschnitt angeht – größter Unterschied ist der deutlich weitere Fortschritt der Boosterkampagne (GB hat über 10%punkte der Bevölkerung mehr aufgefrischt als wir hier) und die deutlich höhere Zahl Genesener sowie eine bessere Impfquote in der Risikogruppe.

So richtig positiv stimmt diese Zahlenakrobatik im Moment leider nicht. Südafrika zeigt einen deutlichen Anstieg bei den COVID-19-Toten in den letzten zwei Wochen. Deutlich unter dem Niveau der letzten großen Welle von Juli/August, aber schon signifikant. Ob der Hochpunkt schon erreicht ist, kann man noch nicht erkennen. In GB steigen die Todeszahlen gerade recht zügig, diese Höhe lag zuletzt Anfang November vor, aber ist natürlich weit entfernt von der Zeit vor der Impfung. Aber vergleichbar mit der Delta-Zeit nach der großen Impfkampagne, was dafür spricht, dass die Omikron-Kombination “infiziert Genesene und Geimpfte besser, führt zu weniger schweren Verläufen” am Ende ungefähr auf dasselbe rausläuft wie Delta – aber das ist nur eine Momentaufnahme, mehr wird man für GB erst in drei bis vier Wochen sagen können, wenn der Scheitelpunkt der Omikron-Welle sich in den Todeszahlen niederschlägt. Viel bedenklicher ist die Betrachtung für GB in punkto Hospitalisierung: hier ist seit Anfang Dezember ein stark steigender Trend zu sehen. Von 5000 wöchentlichen Neueinweisungen Anfang Dezember hat sich GB inzwischen auf 15000 hochgearbeitet, und der Trend scheint ungebrochen. Für Südafrika sieht das harmloser aus: hier ist der Peak der Welle schon länger Vergangenheit, die absoluten Zahlen liegen aber noch deutlich über den aktuellen Zahlen für Deutschland, was zeigt, dass das Narrativ “Omikron ist ein harmloser Schnupfen” auch nicht unbedingt trägt.

Es bleibt spannend. Die Chancen für Ungeimpfte, nach der Welle entweder zu “genesen” oder zu “gestorben” zu gehören, ist groß.

Über die Merkwürdigkeit der Corona-Debatte am praktischen Beispiel

Mindestens seit Beginn der Impfkampagne, eher schon seit den ersten Studienphasen beim Testlauf der mRNA-Impfstoffe, gibt es auf einer Seite der Diskussion eine Behauptung: dass die mRNA-Impfstoffe in Wahrheit gar keine Impfstoffe seien, sondern vielmehr eine Gentherapie (oft auch zur Verstärkung “experimentelle Gen-Therapie” genannt). Ich will an diesem Beispiel zeigen, was mir in der ganzen Debatte so auf den Senkel geht, was es so unendlich mühselig macht. Und es soll gar nicht darum gehen, dass es vollkommen unlogisch ist, sich vehement gegen die Impfung zu wehren, obwohl alternativ sowohl vektorbasierte Impfstoffe als auch Totimpfstoffe zur Verfügung stehen – OK, die wirken halt lange nicht so gut, aber wenn man sowieso der Meinung ist, dass COVID-19 nur eine leichte Erkältung ist, sollte das ja kein Problem sein.

Ich will auch gar nicht darauf eingehen, dass eine “Therapie” normalerweise erst nach der Erkrankung folgt und die COVID-19-Schutzimpfung nun mal definitiv vor der Erkrankung verabreicht wird und werden muss. Und ich will auch hier gar nicht abschweifen und darauf hinweisen, dass es durchaus Impfungen gibt, die noch nach der Infektion verabreicht werden können und trotzdem wirksam sind. Und ich will auch nicht darauf eingehen, dass es eigentlich ja wurschdegal ist, ob es nun eine “echte” Impfung oder eine Gentherapie ist – Hauptsache es hilft. Es geht mir mehr um die Denkstrukturen und Denkabläufe hinter solchen Debattenbeiträgen.

Auslöser: heute habe ich auf Twitter einen Beitrag gesehen (verlinkt aus einem Blogpost), dass es nun als eindeutig belegt gelten kann, dass die mRNA-Impfung gar keine “echte” Impfung sei, sondern eben eine Gentherapie. Als Zeuge wird aufgerufen: eine Veröffentlichung von BionTech selbst – der 2019-NASDAQ-Jahresbericht. Es werden verschiedene Teile (übersetzt) zitiert, die in der Tat darauf hinweisen könnten, z.B. “No mRNA immunotherapy has been approved, and none may ever be approved. mRNA drug development has substantial clinical development and regulatory risks due to the novel and unprecedented nature of this new category of therapeutics.”

Was bei solchen Sachen oft hilft: vollständiges Lesen, und verstehendes Lesen. Stellt sich raus: Impfungen gelten allgemein als zugehörig zum englischen Begriff “immunotherapy” und auch dem passenden deutschen “Immuntherapie”, wie sogar die Wikipedia weiß. Aber genauso wird er verwendet für Medikamente, die das Immunsystem z.B. zwecks erfolgreicherer Krebsbekämpfung anregen sollen. Eben etwas, das in das Immunsystem eingreift, um es (hoffentlich) besser zu machen. Wer ein wenig die Geschichte von BionTech verfolgt hat und an was da so geforscht wurde: ja, das passt. Zwar hatte man in diversen Forschungsfirmen Anfang der Nullerjahre an einem SARS-CoV-1-Impfstoff gearbeitet, aber dieses Virus verschwand bekanntlich lange bevor ein Impfstoff fertig war. BionTech fokussierte sich deshalb hauptsächlich auf den Einsatz der mRNA-Technologie zur Krebsbekämpfung.

Hingegen wird später im Bericht auf mögliche Impfungen basierend auf mRNA-Technologie hingewiesen: “We are collaborating with Pfizer to develop an influenza vaccine and Pfizer and Fosun Pharma to develop a COVID-19 vaccine, each through our mRNA-based immunotherapy technology”. Wer einigermaßen Englisch versteht, dem wird spätestens hier klar: aha, mRNA ist die Technologie, und BionTech arbeitet an vielerlei Anwendungen dieser Technologie, darunter offenbar Therapien (z.B. monoklonale Antikörper, die im Kampf gegen schwere COVID-19-Verläufe eingesetzt werden – US-Präsident Trump wurde damit z.B. behandelt, ist aber sauteuer) und Medikamente und Impfungen. Rätsel gelöst, der Bericht redet in der Hauptsache gar nicht von mRNA-Technologie im COVID-19-Impfstoff-Kontext, sondern vom vollen BionTech-Portfolio, und damit muss man schon den Kontext beachten, wenn man aus dem Bericht zitiert. Und die Warnungen zwischendrin, inklusive Hinweise, dass es sich hier noch nicht um markfähige Produkte handelt, müssen in so einem Börsenbericht zwingend sein – Optimismus ist da nicht erlaubt, da würde die Börsenaufsicht dazwischengrätschen.

Und jetzt der Abschlussgag: der Bericht enthält eine schöne Abgrenzung zu “handelsüblichen” Gentherapien (die dauerhafte Änderungen an Zell-DNA vornehmen und damit bezüglich möglicher Nebenwirkungen natürlich in einer ganz anderen Liga spielen) und beklagt, dass mRNA-Technologie in USA und Europa fälschlicherweise ebenfalls diesem Komplex zugeschlagen wird (“irrespective of the mechanistic differences between gene therapies and mRNA”) – was gleichzeitig deutlichst unterstreicht, dass gerade BionTech den Impfstoff NICHT als Gentherapie sieht. Es handelt sich also um eine regulatorische Einordnung, nicht um eine wissenschaftliche. Komischerweise wird hier in diesem speziellen Punkt dann FDA und EMA allerhöchste Glaubwürdigkeit zugebilligt, was in punkto Zulassung der Impfstoffe in gewissen Kreisen ja eher zurückhaltend gesehen wird. Und hier setzt jetzt die Fortsetzung der Verschwörungserzählung ein: weil das inzwischen geändert wurde, haben damit die Behörden selbstverständlich böswillig die mRNA-Technologie quasi nachträglich reingewaschen! Fragt sich nur, warum das von Interesse sein sollte: entscheidend bei Impfung und Medikament sollte doch dessen Wirksamkeit und Verträglichkeit sein, wen hätte es überhaupt interessiert, unter welcher Fahne Corminaty seinen Siegeszug angetreten hätte? Es ist ja auch nichts davon bekannt, dass Gentechnikgegner so Segnungen der Zivilisation wie gentechnisch hergestelltes Insulin verweigern.

Leichtgläubigkeit gepaart mit Unwissenheit ist halt eine zuweilen ungünstige Kombination. Und führt zu idiotischen Talking Points wie “Bill Gates” oder “nur ein leichter Schnupfen” oder “die Schweinegrippe war der Probelauf” oder “in Land XY gibt es gar kein Problem” oder “PCR-Tests sind häufig falsch-positiv” oder “die Pandemie wurde nur herbeigetestet” oder “an ABC sieht man, dass Corona kein Problem ist” oder “die ganzen Geimpften Infizierten zeigen, dass die Impfung unwirksam ist” oder “tausende Intensivbetten wurden abgebaut” oder “die Krankenhäuser waren nie überlastet” oder “Klaus Schwab ist der Hauptstrippenzieher” oder “die Bilderberger kontrollieren das alles”. Wer nichts weiß, muss alles glauben.

Gedanken zur Impfpflicht

Das soll jetzt keine juristische Abhandlung sein. Denn besonders bei dieser Frage herrscht wie so oft die Willkür der “Verhältnismäßigkeit”, die weit auslegbar ist, und zwar in jede Richtung, gerne je nach Tagesform. In der Vergangenheit gab es in der Bundesrepublik schon die allgemeine Impfpflicht gegen Pocken, das wurde sogar explizit vom Verfassungsgericht als verfassungskonform eingestuft. Es gibt nun ungefähr vierhundertdrölfzig Gründe, warum eine COVID-19-Schutzimpfung genau dasselbe oder etwas völlig anderes ist – kurz: es ist eine müßige Diskussion, die kein Ende finden wird. Gäbe es hypothetisch gesprochen eine COVID-19-Impfpflicht, und das Verfassungsgericht würde dessen Verfassungskonformität bestätigen, würde die Diskussion trotzdem weitergeführt werden.

Es schwirren sehr merkwürdige bis zweifelhafte Argumente bei dieser Diskussion durch den Raum. Beispielsweise “die Politik hat versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird”. Die Politik hat schon viel versprochen – “mit uns keine Mehrwertsteuererhöhung”, oder “die Rente ist sicher”, oder “die EZB wird derselbe Schutzanker gegen Inflation sein wie die Bundesbank”. Wer’s geglaubt hat, dem ist wirklich nicht zu helfen.

Auch ein Klassiker: weil es keine sterile Impfung ist, darf es keine Impfpflicht geben. Ein schwachsinniges Argument, denn Grund für die Impfung ist ja die Kontrolle der Auswirkungen von SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 auf die Gesellschaft, und da ist die Impfung nach allen vorliegenden Daten hervorragend geeignet – schwere Verläufe, die im Krankenhaus oder gar auf der Intensivstation landen, werden zu einem seltenen Ereignis, und damit droht die Gefahr der Überlastung des Gesundheitswesens nicht mehr länger.

Ein anderer Klassiker: aufgrund des verfassungsmäßig garantierten Rechts auf körperliche Unversehrtheit ist eine Impfung Privatsache. Das wäre nur richtig, wenn eine schwere COVID-19-Erkrankung nicht den Rest der Gesellschaft signifikant betreffen und letztlich gefährden würde. Solange man Ungeimpften nicht die Behandlung in den Krankenhäusern der Republik verweigert, landen wir wieder bei der Abwägungsfrage der Verhältnismäßigkeit, die letztlich auf eine Risikobewertung der Impfung hinausläuft. Nach dem weltgrößten Impffeldversuch in 2021 kann man mit einiger Sicherheit sagen, dass das Risiko einer Impfung extrem gering ist, das Risiko einer Erkrankung hingegen nicht. Nimmt der Staat seine aus dem Grundgesetz abgeleiteten Schutzpflichten ernst, muss er handeln – ob eine Impfpflicht hier das richtige Mittel ist, darf trotzdem diskutiert werden.

Selten dumm sind Einlassungen von Politikern, die eine Impfpflicht wollen, aber keine Gefängnisstrafe bei Verstößen. Irgendeine Sanktion muss es ja geben für solche Pflichtverstöße, wenn die Impfpflicht nicht nur auf dem Papier existieren soll – und typischerweise bedient man sich hier der Geldstrafe als Mittel. Wenn einer nicht zahlt, kommt automatisch das Mittel der Beugehaft zur Anwendung. Soll man nun daraus schließen, dass diese Politikerforderung stillschweigend ebenfalls fordert, keine Sanktion für Verstöße gegen die Impfpflicht vorzusehen? Oder vielleicht nur “Ermahnung und gutes Zureden”? Hört sich in der Tat sehr dumm an.

Eine für mich offene Frage ist, ob es mildere Mittel gibt als die Impfpflicht. Wenn das Ziel ist, das Gesundheitssystem vor der Überlastung zu schützen, kann es ja nur darum gehen, die Zahl der Infektionen in der Gruppe der Ungeimpften – möglicherweise altersabhängig, weil mit dem Alter bekanntlich das Risiko eines schweren Verlaufs stark ansteigt – unter Kontrolle zu halten. Da die Impfung keine sterile Impfung ist, muss man diese Menschen also durch andere Maßnahmen vor Infektion schützen, also z.B. von nicht lebensnotwendigem Kontakt mit der Bevölkerung ausschließen – klingt nicht nur unschön, ist es auch. Die Option “isoliert sterben lassen” halte ich für ethisch nicht vertretbar, und ich weiß nicht mal, ob man durch eine Willenserklärung wie eine Patientenverfügung sowas überhaupt juristisch eindeutig formulieren könnte – jedenfalls glaube ich nicht, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung grundgesetzkonform ausgestaltet werden könnte. Ist aber nur so ein Gefühl. Jedenfalls scheint mir bei den Alternativen die Impfpflicht ein vergleichsweise sehr mildes Mittel zu sein.

Möglicherweise wird die Diskussion durch die Omikron-Variante auch stark abgekürzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mitte des Jahres noch eine relevante Anzahl von Menschen weder geimpft noch genesen noch verstorben ist, schätze ich als relativ gering ein. Muss man die Zahl der Infektionen und die Infektiösität nicht mehr per Impfung oben halten (und dass das geht, wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum, kann man anhand der israelischen Daten sehr gut nachvollziehen), sondern nur noch den schweren Verlauf verhindern, wird es vermutlich ausreichen, jährlich so gegen Oktober die Risikogruppe zu impfen – damit hätte COVID-19 den langen Weg von der Pandemie zur influenzaähnlichen endemischen Situation zurückgelegt. Es wird spannend sein, ob Länder, die die Impfpflicht schon für die nächste Zukunft angekündigt haben, davon wieder abrücken werden.

Bin ich nun für oder gegen eine Impfpflicht? Als Erzliberaler natürlich dagegen. Allerdings bin ich auch ein Verfechter der “wer bestellt, zahlt”-Theorie und würde stattdessen eine Haftpflichtversicherung für Ungeimpfte bevorzugen, um die entstehenden Mehrkosten bei notwendiger Behandlung und eventuellen Spätschäden eigenverantwortlich abzudecken. Natürlich mit hoher Selbstbeteiligung, denn man kann das Risiko ja selbst stark beeinflussen. Wie alle liberalen Konzepte wird aber auch dieses nicht umgesetzt werden.

Abschließend: eine Gesellschaft, die so risikoavers ist wie unsere und sich für Gurtpflicht, Helmpflicht, Rauchverbot, Kernenergieausstieg und Diesel-Fahrverbote entscheidet, muss sich nach meinem Dafürhalten logisch zwingend auch für eine Impfpflicht entscheiden.

Noch ein Omikron-Detail

Nach allgemeinen Gedanken zu Virus-Mutationen am praktischen Beispiel von SARS-CoV-2 sowie einer ersten Einschätzung zum Wissensstand bezüglich Omikron will ich – auch in Anbetracht der gestrigen Gedanken zur Welt der Pandemie-Kennzahlen – noch auf ein spezielles Detail aufmerksam machen.

Es wurde relativ breit in der Presse berichtet, dass die ersten Ergebnisse bezüglich der Erkrankungsschwere bei Omikron-Infektion darauf hinweisen, dass diese deutlich reduziert ist. Über den Daumen gepeilt verringert sich die Hospitalisierungsrate auf etwa ein Drittel, so diese Ergebnisse. Aber wie immer kommt es auf die Details an. Dass diese recht drastische Reduktion der Zahl der seriös Erkrankten im Angesicht der deutlich höheren Infektiösität von Omikron uns nicht viel Zeit erkauft, habe ich ja schon dargelegt. Es gilt aber auch zu berücksichtigen, dass man noch nicht genau weiß, wie die Erkrankungsschwere mit dem Genesenen- oder Geimpft-Status zusammenhängt. Hauptgrund ist natürlich der katastrophale Zustand der Datenerfassung, der hier leider wieder weiten Raum für Spekulationen offen lässt.

Und so ist es durchaus möglich, dass die beobachtete höhere Infektiösität hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass sich im Gegensatz zu Delta nun auch massiv Geimpfte und Genesene reinfizieren können. Und die Drittelung der schweren Verläufe kann hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass Geimpfte und Genesene vor schweren Verläufen weiterhin gut geschützt sind. Die Daten aus Südafrika, wo ein Großteil der Menschen schon als bereits infiziert gilt, deuten ja durchaus auch in diese Richtung: die Omikron-Welle ist dort ja recht schnell wieder abgeflacht, was im Angesicht der Teststrategie dort (hauptsächlich bei symptomatischem Verlauf wird getestet) plausibel ist bezüglich des Szenarios “nur symptomlose oder leichte Verläufe bei Geimpften und Genesenen” – die mit starken Symptomen und schweren Verläufe war der kleine Prozentsatz der Bevölkerung, der entweder noch nicht infiziert war oder mit geschwächtem Immunsystem unterwegs ist, und weil dieser Anteil eben sehr klein ist, hat sich die beobachtete Welle sehr schnell wieder abgeschwächt.

Angesichts recht guter Impfquoten sowie ebenfalls einem für europäische Verhältnisse hohen Anteil an Genesenen würde das für Frankreich und UK trotz der ungünstigen Altersstruktur nahelegen, dass zwar die Infektionszahlen durch die Decke gehen, die Zahl der Hospitalisierten und der Intensivpatienten sowie der Toten sich aber in engen Grenzen halten wird. Die Notwendigkeit, bei den Quarantänevorschriften deutlich laxer vorzugehen um mindestens die kritische Infrastruktur aufrechtzuerhalten, wird also nach meiner jetzigen Einschätzung nur für geringere Probleme sorgen als ich zunächst befürchtet hatte. Dank der weiterhin sehr guten Wirksamkeit der Impfung gegen schwere Verläufe. Und wenn sich die bisher spärlichen, aber vielversprechenden Daten zur Langzeitimmunität (manche sprechen von “Superimmunität”) bewahrheiten für Vollständig Geimpfte plus Auffrischung plus Infektion bzw. Genesenen plus Auffrisch-Impfung, sind wir auf einem guten Weg zur Endemisierung des Virus – eine Omikron-spezifische Auffrischung wird dann vermutlich nur für die Risikogruppe 70+ und Immunsupprimierte und gravierend Vorerkrankte notwendig sein.

Kleine Corona-Zahlenkunde

Seit Beginn der Pandemie zeichnen sich Teile der öffentlichen Diskussion rund um COVID-19 und SARS-CoV-2 dadurch aus, dass wild irgendwelche Zahlen durch die Gegend geworfen werden um damit die eigene Lieblingshypothese zu untermauern. Oft wird dabei der Zeitfaktor außer Acht gelassen, und gerne wird genau ein für die eigene Argumentation günstiger Zeitpunkt genutzt, um allgemeingültige Erkenntnisse daraus abzuleiten. Hier ein kleiner Lehrgang, auf was es alles zu achten gilt und wo Vorsicht geboten ist. Und wie man merkt, dass irgendeiner einen verarschen will.

Eine der meistgenannten Zahlen sind die “Fälle” und “Inzidenzen”. Man muss aber stets berücksichtigen, in welchem Kontext diese Zahlen erhoben werden. Beispielsweise wie viele Tests durchgeführt wurden und wie hoch die Positivquote dieser Tests ist. Wenn die Positivquote bei hinreichend hoher Testanzahl irgendwo zwischen 0,1% und 1% liegt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man eine ganz gute Testabdeckung erreicht hat. Auf den Höhepunkten der großen Infektionswellen in Deutschland lag die Positivquote allerdings bei bis zu 20% – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Zahl der Tests nicht mal ansatzweise reicht, um das Ausmaß der Infizierten abzubilden. Zusätzlich ist hier die Aussagekraft der Fallzahlen und Inzidenzen zu berücksichtigen: welches Problem daraus tatsächlich erwächst, kann man nur abschätzen, wenn man die Altersstruktur der Infizierten und deren Impf- bzw. Genesenen-Status kennt – in der zweiten Welle, als der allergrößte Bevölkerungsanteil in Deutschland noch ungeimpft war, konnte man recht sicher sein, dass aus 1000 Infizierten 50-100 Hospitalisierte und 10-20 Intensivpatienten und 5-10 Tote folgten. Mit Fortschreiten der Impfkampagne hat sich das zum weit Besseren gewendet, mit Nachlassen des Schutzes durch Impfung oder Genesung wieder leicht zum schlechteren, mit der Auffrischimpfung wieder zum Besseren. Besonders wenn man internationale Quervergleiche macht, muss man sowohl den Verlauf der Impfquote sowie mindestens das Durchschnittsalter der Bevölkerung berücksichtigen, für eine bessere Abschätzung am besten nach Alterskohortenzahlen aufgesplittet und idealerweise noch Informationen über die zahlenmäßige Verwendung der verschiedenen Impfstoffe, denn deren Wirksamkeit hat sich ja auch als höchst unterschiedlich herausgestellt. Zusatz-Warnung beim Vergleich internationaler Zahlen: in manchen Ländern gilt nicht nur ein laborbestätigter positiver PCR-Test als “Fall”, sondern schon ein positiver Schnelltest.

Bei den Fallzahlen ist auch zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsdichte und die Mobilität eine entscheidende Rolle spielen. Aber letztlich interessieren die Fallzahlen nur als Frühindikator, denn das wirkliche Problem der Pandemie sind ja die schweren Verläufe und Todesfälle. Es bedarf einer Abschätzung auf Basis aller genannter Einflussfaktoren, um aus den Fallzahlen die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Dummerweise stehen den hiesigen Politikern nur eher schlechte Daten zur Verfügung, und ob sie besser entscheiden würden, wenn die Daten besser wären, kann auch bezweifelt werden.

Weitere wichtige Einflussfaktoren bei den Fallzahlen sind auch die Zahl der durchgeführten (Schnell-)Tests und daraus folgende Aktionen – wie schnell werden Kontaktpersonen identifiziert und getestet, wie sind die Quarantänevorschriften, und werden diese tatsächlich eingehalten und kontrolliert? Länder wie Südkorea und Taiwan sind unter anderem durch sehr schnelle Kontaktnachverfolgung und umfangreiche Testregime – neben konsequenten Einreiseregeln – relativ unbeschadet durch die Pandemie gekommen. Im technologischen Drittweltland Deutschland, wo die Gesundheitsämter inzwischen die Kontaktnachverfolgung an die Bevölkerung delegiert hat und sich große Teile dieser weigern, eine einfache App zu nutzen, sieht das naturgemäß anders aus.

Nicht zu unterschätzen ist übrigens auch der Faktor “Glück”. Man kann das z.B. anhand von Tschechien gut nachvollziehen: quasi keine erste Welle im Frühjahr 2020, die zweite Welle begann dafür schon Anfang September 2020 statt wie bei uns Mitte Oktober. Daran sieht man auch, dass man keine direkten Schlüsse aus “Maßnahmen” auf “Fallzahlen” ziehen sollte – der Zufallsfaktor hat im Einzelfall einen viel zu großen Einfluss, selbst wenn man alle anderen Faktoren mit einbezieht. Tschechien illustriert auch noch etwas anderes sehr schön: noch im Oktober 2021 wähnten manche Tschechien als “durchseucht” und damit weitestgehend immunisiert. Was sich schon im November 2021 als ziemlicher Irrtum herausstellte, mit vielen tausend zusätzlichen Toten, nicht zuletzt aufgrund der geringen Impfquote, und trotz des deutlich niedrigeren Durchschnittsalters als hierzulande. Was letztlich auch erneut beweist, dass die Theorie “es sterben nur die Alten und Schwachen” grundlegend falsch ist, denn die wären in Tschechien schon zum Jahreswechsel 2020/2021 gestorben. Der vielzitierte Harvesting-Effekt zeigt sich auch in den diversen Kurven zur Übersterblichkeit wenig bis überhaupt nicht.

Überhaupt die Übersterblichkeit – es empfiehlt sich, hier genau hinzuschauen. Die einzelnen Jahre der Vergangenheit schwanken ziemlich stark, des Winters ob einer starken oder schwachen Grippewelle, des Sommers wegen gelegentlichen Hitzewellen, und generell ist auch hier der Faktor “Zufall” nicht zu unterschätzen, denn ein Jahr mit ungewöhnlicher Untersterblichkeit wird logischerweise in den Folgejahren zu leichter oder stärkerer Übersterblichkeit führen. Man muss auch aufpassen, nicht zuviel wegzumitteln – in Deutschland beispielsweise waren die Infektionswellen in den einzelnen Regionen ja keinesfalls synchron, und zudem lokal von ganz unterschiedlicher Höhe. Und so kann es nicht überraschen, dass beispielsweise die zweite Welle nur für Sachsen betrachtet eine erhebliche Übersterblichkeit in der Statistik hinterlassen hat, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen nicht so sehr.

Ein derzeit beliebter Statistikkunstgriff in gewissen Kreisen ist übrigens der Vergleich zwischen dem “Pandemiejahr 2020” und dem “Impfjahr 2021”, wo die relativ überschaubare Übersterblichkeit in 2020 für das Narrativ “das Virus ist harmlos” herhalten muss, während die deutliche Übersterblichkeit in 2021 auf die Impfung zurückgeführt wird. Was natürlich kompletter Bullshit ist, wenn man sich die Zahlen mal etwas genauer anschaut: der Löwenanteil der Verstorbenen in 2021 verstarb lange bevor die Impfkampagne halbwegs Fahrt aufgenommen hatte, und in 2020 begann die Pandemie bekanntlich erst im März (nach zwei Monaten deutlicher Untersterblichkeit wegen harmlosem Verlauf der saisonalen Grippewelle), man bekämpfte die Ausbreitung erfolgreich durch recht harte Schutzmaßnahmen und die anlaufende zweite Welle führte erst zum Jahresende 2020 zu einer signifikanten Anzahl von COVID-19-Toten. Und wenn man sich anschaut, wie bei ungeimpfter Bevölkerung das Verhältnis Infizierte-zu-Toten war und wie viel freundlicher das jetzt – trotz immer noch unzufriedenstellender Impfquote – aussieht, wird klar, dass der einzige Gamechanger in dieser Pandemie bisher die Verfügbarkeit der Impfstoffe war. Nicht, um die Fallzahlen unter Kontrolle zu haben, sondern um den Anteil der schweren Verläufe drastisch zu senken.

Ebenfalls beliebt scheint derzeit die Behauptung “die Impfung bringt nix – schau’ die hohen Infektionszahlen in Land XY”. Inzwischen sollte sich ja herumgesprochen haben, dass die neueren Varianten von SARS-CoV-2 deutlich infektiöser mit der Zeit geworden sind, und die Maßnahmen wurden in diversen Ländern eher laxer bzw. wurden nicht mehr in dem Maße befolgt wie Anfang 2020 – ein Vergleich der Fallzahlen der ersten Welle beispielsweise mit der dritten Welle verbietet sich also nicht nur deshalb, weil das Testregime völlig anders aussieht. Zudem zu berücksichtigen ist, dass die Impfung bekanntlich sehr gut gegen schwere Verläufe schützt, aber weniger gut (und deutlich schneller nachlassend) gegen Infektion – was übrigens für Genesene genauso gilt, was im Nachhinein nochmal vor Augen führt, was für eine dumme Idee “maximal schnelle natürliche Durchseuchung” war: es hätte lediglich dazu geführt, in jeder Welle das Maximum an Kranken und Toten zu generieren, aber die Pandemie wäre trotzdem immer noch nicht vorbei.

Also: Augen auf beim Zahlenvergleich. Ich empfehle für den schnellen Überblick Worldometer https://www.worldometers.info/coronavirus/, für Detailvergleiche auf Länderebene OurWorldInData https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer. Tagesaktuelle Zahlen machen selten Sinn, das 7-Tage-Mittel hat sich ganz gut bewährt, weil es eventuell unzureichende Meldestrukturen wie in Deutschland gut glätten kann.

Kurzes Omikron-Update

Ein paar Wochen ist es her, da wurde eine neue SARS-CoV-2-Mutation als “Variant of Concern” gelabeled und mit dem schönen griechischen Buchstaben “Omikron” versehen. Zuerst in Südafrika detektiert, schien es zunächst leise Hoffnung zu geben, dass das endlich die lang erwartete “COVID-19 so harmlos wie eine Grippe”-Variante sein würde: zwar etwas infektiöser, aber weit weniger gefährlich. Die erste Wasserstandsmeldung aus Südafrika war “keine schweren Verläufe” und “nicht mehr Hospitalisierungen als bei Delta”. Nun ist Südafrika bekanntlich nicht Europa, vor allem was das Durchschnittsalter der Bevölkerung angeht. Auch nicht was die Impfquote angeht, und erst recht nicht was die Anzahl der bisher schon durchgemachten Infektionen angeht.

Jetzt liegen ein paar belastbarere Daten auf dem Tisch aus Schottland und England, und es sieht jetzt eher durchwachsen aus. Omikron ist nicht nur etwas, sondern sehr viel infektiöser. Bei gleichem Maßnahmenumfang, der bei Delta zu einem R-Wert von “um die 1” gereicht hat, liegt Omikron eher so bei “um die 3”. Was die Hospitalisierungen angeht, müssen gegenüber Delta nur etwa ein Drittel der Infizierten im Krankenhaus behandelt werden. Das ist aber nur eine vermeintlich gute Nachricht – ohne verschärfte Maßnahmen reden wir bei Omikron von einer Verdoppelungszeit von 2-4 Tagen, d.h. also die absolute Zahl der schweren Verläufe ist nach 4-8 Tagen mehr genauso hoch wie bei Delta, und danach wird es nur schlimmer. Eine lineare Reduktion kann eben gegen exponentielles Wachstum nicht anstinken.

Was die Impfung angeht, sind die Nachrichten auch durchwachsen. Der Schutz gegen Infektion ist eher durchwachsen – bei kürzlich Aufgefrischten noch ganz OK, aber nach zwei Monaten schon stark vermindert. Der Schutz vor schweren Verläufen ist noch weitgehend intakt, aber auch schlechter als zuvor. Ich schätze, eine speziell auf Omikron angepasste Impfung wird empfehlenswert sein, jetzt kann die mRNA-Technologie zeigen, ob sie ihrem Ruf der schnellen Anpassbarkeit gerecht werden kann.

Was für die Impfung gilt, gilt logischerweise auch für die Genesenen: auch dort ist der Schutz gegen Reinfektion stark vermindert, während der Schutz vor schweren Verläufen auch noch weitgehend intakt scheint. Zumindest was die Erkrankten angeht, bei den asymptomatisch Infizierten ist die Datenlage zu dünn für genauere Aussagen.

Unterm Strich hat die Omikron-Variante ihren Status als “Variant of Concern” redlich verdient, und nur ein Zwischenschritt auf dem Weg hin zu “zwar saumäßig infektiös, aber nur ein harmloser Schnupfen”. Inwieweit die Zahl “Hospitalisierungen drei Mal seltener” belastbar ist oder nach oben oder unten korrigiert werden muss, können wir die nächsten Monate im nahen und fernen Ausland beobachten. Für gestern meldeten UK und Frankreich um die 200000 Neuinfektionen, während in Deutschland das Infektionsgeschehen eher so vor sich hin plätschert – auch bei den Krankenhauseinweisungen ist ein ähnliches Bild, in Deutschland eher fallende Tendenz, in Frankreich und UK eher steigend. In 2-3 Wochen werden wir dann Genaueres wissen. Ich gehe aber davon aus, dass sowohl in UK als auch in Frankreich die Quarantänevorschriften für bestimmte Berufsgruppen inklusive des medizinischen Personals stark aufgeweicht werden müssen, sonst wird diese Welle wohl nicht handhabbar sein. Was gleichzeitig die weitere Verbreitung der Omikron-Variante stark begünstigen wird. Eine Operation am offenen Herzen.