Prozentrechnen für Anfänger

Seit einigen Tagen arbeite ich (selten, immer mal wieder) an einem Artikel, den ich mit “Auffrischungskurs Grundrechenarten” betitelt habe. Dort versuche ich nachzuweisen, dass offenbar in breiten Teilen der Bevölkerung mit einer ziemlichen Häufung bei Journalisten die einfachsten mathematischen Grundlagen in Vergessenheit geraten sind. Niemand scheint in der Lage, simpelste Behauptungen einfach mal mit gesundem Menschenverstand und den vier Grundrechenarten nachzuprüfen.

Jetzt habe ich aber gerade bei Focus Online dieses Machwerk gelesen, weshalb der Themenkomplex “Prozentrechnen” noch vor den Grundrechenarten in meinen Focus (haha) rückt. Ganz abgesehen von den schwachsinnigen Ideen einer inkompetenten Umweltministerin, von denen der Artikel berichtet – der laxe Umgang mit dem Thema Prozentrechnen erschüttert mich immer noch zutiefst (vermutlich aber nur, weil ich allen Journalisten eine Restintelligenz zubillige – eine Vermutung meinerseits, deren Erhärtung wohl zu meinen Lebzeiten nicht mehr gelingen wird), obwohl er bei fast jeder Diskussion über Wahlergebnisse beobachtet werden kann. Noch häufiger gibt es wohl nur die Verwechslung von Leistung und Energie bei den üblichen Energietechnikdiskussionen.

Liebe Journalisten, es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen Prozent und Prozentpunkten. Man schaue sich die Abbildung 1a im Artikel an. Zunächst das kleinere Problem: wenn eine Spalte mit “Rückgang” überschrieben ist, sollte man bei einem tatsächlichen Rückgang sich doch bitte das zusätzliche Minus vor der Zahl sparen. Oder stattdessen “Veränderung” drüberschreiben. Nein, die Zahlen sind auch noch offensichtlich komplett falsch, weil Prozent verwendet wird für einen Wert, der eigentlich Prozentpunkte ausdrückt. Wenn der Dieselanteil bei Toyota von 16% auf 6% gesunken ist, dann handelt es sich eben um einen Rückgang von 10 Prozentpunkten, oder anders ausgedrückt um einen Rückgang von 62,5%. Besonders witzig: für den Artikel hätten größere Zahlen ja sogar genau ins Konzept gepasst, aber der Journalist war dank Mathematikagnostik zu blöd diesen Elfmeter zu verwandeln.

Und nein, die Tatsache, dass die Grafik womöglich aus einer anderen Quelle stammt (sollte man Quellenangaben trauen, die von solch einem Qualitätsjournalisten stammen?), ist keine Entschuldigung. Ein Minimum an Eigenleistung sollte doch immer noch möglich sein, auch bei einem werbefinanzierten Online-Medium mit zu Recht schlechtem Ruf.

Tage der Entscheidung für Tesla

Vielleicht ist der Titel etwas zu dramatisch. Vielleicht ist die Einheit “Tage” auch etwas kurz gewählt, und es sind “Monate” oder sogar “Jahre”. Jedenfalls gibt es derzeit einige interessante Entwicklungen rund um Tesla, die ich hier aufgreifen und kommentieren will.

Zunächst: der Aktienkurs ist ziemlich abgestürzt. Wie immer ist man hinterher schlauer, aber genaue Gründe kennt man natürlich nie – schließlich ist die Börse eine Geheimwissenschaft und der Kurs Ausfluss von vielen Millionen Einzelentscheidungen. Und offenbar haben einige Anleger kalte Füße bekommen. Hat sich die Risikoeinschätzung fundamental geändert, oder ist es nur eine der üblichen Kurskorrekturen? Ist es derselbe Lemming-Effekt, der bisher den Kurs rasant nach oben getrieben hat, der ihn jetzt nach unten reißt? Viele behaupten ja, Börse sei zu 90% Psychologie. Und es könnte sein, dass dort überproportional viele Verrückte ihr Ding drehen.

Das Image, mit dem Model S eines der sichersten Fahrzeuge herzustellen, hat auch Kratzer bekommen, wie zu lesen war. Ein Crashtest inklusive dessen Wiederholung nach Maßnahmen von Tesla hat gezeigt, dass das Fahrzeug zwar nach wie vor zu den sichersten gehört, aber trotzdem deutliche Schwächen hat. Hier stellt sich der typische “Backfire”-Effekt ein, wenn man im Marketing immer von sich behauptet, der Allerbeste zu sein. Dasselbe war ja auch bei den Problemen rund um den “Autopilot” schon festzustellen. Wer den Mund zu voll nimmt, muss mit Häme rechnen.

Und dann beginnt jetzt die Massenproduktion des lang erwarteten Tesla Model 3. Bisher hat Tesla bekanntlich nur eher kleine Stückzahlen produziert, und auch da gab es reichlich Schwierigkeiten, vor allem beim Model X. Dort waren sie aufgrund der recht komplexen Technik der Flügeltüren und der vielen Bestelloptionen vielleicht sogar erwartbar. Aber auch einfach nur “Massenproduktion” ist nichts, was vom Himmel fällt, und es würde mich wundern, wenn das auf Anhieb glatt läuft. Im Moment produziert Tesla rund 80000 Autos im Jahr, bald soll da die Millionengrenze geknackt werden – und das schon 2020. Da erinnere ich mich an einen Spruch aus der Softwarequalitätsecke – “quantity is a quality of its own”.

Ich habe auch gelesen (wo ist mir leider entfallen), dass Tesla zur Beschleunigung des Produktivganges sich die Nullserie mit entsprechenden Tests gespart hat, und stattdessen die ersten Fahrzeuge vom Band einfach an Mitarbeiter und andere ausgesuchte Kunden ausliefert. Mal sehen, ob sich dieses Verfahren in der Praxis bewährt. Sie scheint mir jedenfalls mit der Planung des Stückzahlen-Ramp-ups zu kollidieren: im Juli sollen 30 Exemplare ausgeliefert werden, im Dezember sollen schon 20000 produziert werden (und das liegt wohl unter den früheren Planungen) – da ist wenig Zeit, um etwaige Verbesserungen in die Produktion einfließen zu lassen. Komisch: im zweiten Quartal hat man nur 22000 Autos verkauft, im ersten Halbjahr 47000, laut Musk so niedrig wegen eines Engpasses bei den Akkus fürs Model S. Kein gutes Omen für ein problemloses Hochfahren der Model 3-Produktion. Vielleicht auch ein Grund für die negative Kursentwicklung der Aktie.

Tesla hat bislang ja jede Menge Geld verbrannt. Das ist für einen Hersteller, der nun doch auch schon seit 10 Jahren Autos produziert und das Modell “erstmal in der Oberklasse anfangen, und dann ins Massengeschäft einsteigen” fährt, doch eher ungewöhnlich. Zumal bisher die Stückzahlen ja nur langsam gestiegen sind und die Modellvielfalt sehr überschaubar war – es scheint also unwahrscheinlich, dass allein die vielen notwendigen Investitionen das Problem waren. Es liegt näher, dass man zwecks Etablierung der Marke deutlich unter dem eigentlich notwendigen Preis verkauft hat – solange die Investoren mitmachen, ist das ja auch ein valides Geschäftsmodell (siehe auch Amazon), man kauft Marktanteile. Nur verwunderlich, weil ja eben in der Oberklasse die Käufer nicht so sehr preissensibel sind und die Modelle ja durchaus gewichtige Alleinstellungsmerkmale haben, die es m.E. erlaubt hätten, den Preis deutlich höher anzusetzen.

Die Sache mit den gewichtigen Alleinstellungsmerkmalen wird sich mit dem Model 3 nun fundamental ändern. Gegenüber der Konkurrenz ist man weder preislich attraktiv noch mit ungewöhnlich großer Reichweite oder außergewöhnlichen Extras am Start. Bis auf den (kostenpflichtigen) Zugang zu den Tesla-Superchargern sehe ich überhaupt kein Alleinstellungsmerkmal in einem Marktsegment, das bereits heute von der Konkurrenz bevölkert wird. Auch bei den Kleinwagen ist man inzwischen bei über 200km praxisrelevanter Reichweite angekommen (Nissan Leaf, Renault ZOE), da nehmen sich die 350km des Tesla nicht mehr als außergewöhnlich aus – der Opel Ampera-E (in USA als Chevrolet Bolt bekannt) kommt auf etwa 380km (amerikanischer Zyklus, nach NEFZ 520km). Besonders scheint nur der Innenraum zu werden, aber ob das von den Kunden als vorteilhaft gewertet wird (großes Zentraldisplay statt konventionelle Armaturen) wird sich noch herausstellen müssen. Mich haben die ersten Bilder vom Innenraum eher irritiert.

Spannend wird sein, wie viele der Vorbestellungen (die ja eher kostenpflichtige Reservierungen mit voller Geld-zurück-Garantie sind, also eher eine Kaufintention ausdrücken als das feste Vorhaben) sich in tatsächliche Verkäufe ummünzen werden – insbesondere in Deutschland, wo noch immer voller Spannung der tatsächliche Verkaufspreis erwartet wird. Die oft genannte US-Preismarke des Basismodells bei 35000 US$ entspricht bei anderen Automobilen ja üblicherweise einem deutschen Endverkaufspreis von mindestens 40000€ (aber es ist ja noch etwas E-Auto-Prämie im Topf). Ist die Welt bereit für Massen-E-Mobilität, zu einer Zeit, da diese Art der Mobilität vorbehaltlich staatlicher Subventionen noch nicht gerade die individuelle ökonomische Reife erlangt hat? Der typische Early Adopter ist genau wie der Hipster und der Yuppie gerne bereit, mehr für weniger zu bezahlen, wenn es nur selten und hip genug ist. Fragen sie einfach mal jemanden, der einen der ersten Laserdisc-Player gekauft hat. Aber in der Butter-und-Brot-Klasse?

Aber vielleicht überrascht mich Tesla ja auch mit einem bisher unbekannten Must-Have-Feature oder einem doch niedrigeren Preis als gedacht oder einer doch höheren Reichweite oder einem doch kostenlos nutzbaren Supercharger-Netz. Es werden noch Wetten angenommen. Ein wenig Zeit ist ja noch: vermutlich werden die ersten Model 3 in Deutschland erst gegen Ende 2018 auf die Straße kommen.

Änderung am 2017-07-17 – zwei Tippfehler korrigiert.