Weltuntergang. Heute: Artensterben in Deutschland

Weltuntergang ist immer berichtenswert. Bad News is Good News, nach diesem Motto arbeiten praktisch alle Qualitätsjournalisten. Diesmal hat eine Veröffentlichung des Bundesamtes für Naturschutz – gemäß Behörden-Abküfi kurz BfN genannt – die Basis für diesen wohligen Schauer, der uns beim Lesen der Weltuntergangsnachrichten immer überkommt, gelegt. Das BfN hat den ersten umfassenden Artenschutz-Report vorgelegt. Und SPIEGEL Online, WELT und Focus Online  haben natürlich “berichtet” – in Anführungszeichen, weil sich die Artikel derart ähneln, dass vermutlich wieder mal geschätzte 98% des Inhalts von dpa abgeschrieben wurde, und die Tiefe der Eigenrecherche nicht mal in einer sehr flachen Pfütze für Grundberührung gesorgt hätte.

Denn Merkwürdigkeiten, denen man mal nachgehen hätte können, gibt es zuhauf. Laut Veröffentlichungen gibt es rund 72000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten in Deutschland. Im Report wurden allerdings nur 32000 Arten auf ihre Gefährdung hin untersucht – warum, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls bezieht man vorsichtshalber die Schreckenszahlen fürderhin auf die 32000 und nicht auf die 72000 Arten und kommt damit auf 4% an bereits ausgestorbenen Arten.

4% klingt irgendwie viel. Im Artenschutz-Report kann man nachlesen, dass bisher 11 ausgestorbene Säugetierarten zu beklagen sind. Nein, ausgestorben trifft es nicht ganz, “ausgestorben oder verschollen” heißt die Kategorie offiziell. Ob es wohl eine Liste gibt, wo man die ausgestorbenen Arten mal im Detail nachlesen kann? Zeit Online hebt sich positiv von SPON und Focus Online ab und verweist auf die Rote Liste des BfN. Von dort aus kann man das umfassende PDF aufrufen oder besser das ZIP runterladen und die CSV-Datei selbst inspizieren. Die Kurzzusammenfassung: bisher als ausgestorben oder verschollen gelten (chronologisch geordnet)

  • Auerochse (seit 1500)
  • Wildpferd (seit 1500)
  • Wisent (seit 1700)
  • Elch (seit 1800)
  • Braunbär (seit 1835)
  • Europäischer Nerz (seit 1930)
  • Ostigel (seit 1945)
  • Langflügelfledermaus (seit 1958)
  • Bayerische Kleinwühlmaus (seit 1962)
  • Großer Tümmler (seit 1970)
  • Europäisches Ziesel (seit 1985)

Damit ist auch klar, warum man die Liste wohl ungern an die große Glocke hängt, zeigt sie doch überhaupt keine Verschärfung der Situation in jüngster Vergangenheit, sondern legt nahe, dass nicht unbedingt menschliche Aktivität zum Aussterben von Arten führt.

Besonders kurios das Aussterben des Ostigels (nicht weniger kurios: die Rechtschreibprüfung in Word kennt das Wort nicht und will es u.a. durch “Rostigen” oder “Ostgeld” ersetzen). Das Jahr 1945 als Jahr der letzten Sichtung lässt natürlich sofort den Bullshit-Indikator ansprechen. Und tatsächlich: der Ostigel war schon immer nur in Osteuropa heimisch, heute etwa ab Polen ostwärts. Im heutigen Bundesgebiet hingegen noch nie. Als Deutschland 1945 seine Ostgebiete an Polen abtrat, starb damit auch der Ostigel in Deutschland aus. Kein Scherz. Der Zweite Weltkrieg führte also zum Aussterben des Ostigels in Deutschland. Aber anders, als man auf den ersten Blick glaubt.

Noch eine Anmerkung – es ist völlig unklar, warum die intensive Landwirtschaft als Hauptproblem angesehen wird. Denn “intensiv” bedeutet ja nichts anderes als “minimaler Flächenverbrauch”. Und letztlich ist doch das Maximieren naturbelassener Flächen der Schlüssel zum erfolgreichen Artenschutz. Wenn man sich überlegt, dass schon über 10% der Agrarfläche in Deutschland für die Energiewende genutzt wird (Biomasse-Anbau), sollte klar sein, wo die wahren Probleme liegen. Auch intensive Waldbewirtschaftung zur Befriedigung der Pellet- und Hackschnitzel-Nachfrage ist ganz sicher kontraproduktiv. Plakativ formuliert: die Energiewende tötet Tiere und Pflanzen.

Aber bis diese Denkverbote in den Qualitätsmedien aufgebrochen werden, das dauert noch ein Weilchen. Immerhin war diesmal nicht hauptsächlich der Klimawandel für die Misere verantwortlich – es gibt also Hoffnung. Obwohl er natürlich in der Berichterstattung als die dunkle Bedrohung der Zukunft immer erwähnt wird.

Die Frage, ob es denn wirklich auch nur ein kleines Problem ist, wenn eine Art in Deutschland ausstirbt, ist damit noch nicht mal angeschnitten – vielleicht ein Thema für einen zukünftigen Artikel.