Corona-Erkenntnisse: Gesellschaft

In gewisser Weise ist die derzeitige Pandemie ein Live-Experiment. Man kann daraus einige Schlüsse ziehen bezüglich der Gesellschaft, in der wir leben. Bezüglich der Vor- und Nachteile von Entscheidungen, deren gravierende Nachteile vor der Pandemie niemand auf dem Zettel hatte. Bezüglich des Standes der Zivilisation ganz allgemein.

Vor allem im März diesen Jahres konnte man beobachten, was den Menschen wirklich wichtig ist und was eher so Folklore-Brimborium drumrum ist.

Kampf gegen den Klimawandel? Optional. Kein Wunder, ist die Katastrophe doch in Deutschland immer noch nicht absehbar, und findet weltweit weiterhin nur in Computermodellen und nicht in der Realität statt.

Gleichstellung der Frau? Trotz aller Bemühungen der Quoten-Idioten und der Feministen und Feministinnen zeigte sich, dass im Ernstfall eher die Ehefrau die Kinderbetreuung übernimmt als der Ehemann. Handelt es sich da womöglich um eine genetische Disposition? Erzählt das bloß keinem Gender-Experten, die sind immer noch auf dem “Blank Slate”-Trip, egal wie zahlreich die Indizien für das Gegenteil sind.

Outsourcen? Im Ernstfall keine gute Idee. Egal ob die Kinderbetreuung an Dritte abgegeben wird, oder man keine ausreichend große Wohnung für dauernden Aufenthalt hat, oder man keinen eigenen Garten zur “Naherholung” hat, oder man auf ÖPNV statt Individualverkehr setzt, oder man außer Haus isst statt selbst zu kochen, oder ob man die Lagerhaltung dem Supermarkt überlässt statt dem eigenen Keller, oder ob man medizinisches Equipment nicht im eigenen Land herstellt sondern lieber importiert – wenn Krise ist, brechen scheinbar gut ausgedachte Konzepte schon mal zusammen. Belohnt wurden dieses eine Mal eher die Flexiblen, die Vorsichtigen, die Konservativen.

Selbständiges Nutzen von Informationsquellen? Ein sehr dunkles Kapitel. Die Bevölkerung scheint sich in zwei Teile zu teilen: diejenigen, die den “Mainstream-Medien” alles glauben. Und diejenigen, die den alternativen Medien alles glauben. Aber nie zuvor konnte man mit so wenig Rechercheaufwand jede Menge offensichtlicher Falschaussagen (und “Falschaussagen” hier nur in Anbetracht meines festen Glaubens an Hanlon’s Razor – bei vielen Akteuren bezweifle ich, dass die Dummheit so groß sein kann, und vermute eher “Lüge”) entlarven. Billigste Statistiktricks. Propaganda-Märchen. Berichterstattung in einer Einseitigkeit, die man vorher vielleicht vom “Neuen Deutschland” kannte. Kreative Missinterpretation der Faktenlage. Und natürlich das Erstarken des Informationskanals “YouTube-Video”. Ganz ehrlich: wer hat die Energie, 45 Minuten Video anzuschauen, wenn man den Informationsgehalt in 2 Minuten lesen kann, mit einfachem Zugriff auf verlinkte Quellen und Querlesemöglichkeit nebst einfacher Zitiermöglichkeit? Es gruselt mich.

Temporärer Verzicht auf liebgewonnene Dinge? Scheint für viele absolut unmöglich zu sein. Urlaub im Ausland, Partys feiern, Großhochzeiten mitten in der Pandemie – alles scheint unbedingt und genau zu diesem Zeitpunkt absolut lebensnotwendig zu sein. Ein Blick in die derzeitige Situation in den Skigebieten lässt mich ratlos zurück. Der Verzichtsschmerz selbst bei Kleinigkeiten scheint bei vielen zu groß zu sein.

Die Krise hat mir deutlich gezeigt, dass weite Teile der Bevölkerung beim Thema “Gefahrenabschätzung” in einer ganz anderen Welt leben als ich. Ebenso beim Thema “soziales Verhalten”. Mal ein ganz simples harmloses Beispiel. Meine Grundüberlegungen beim Hinterfragen meines eigenen Tuns für diese Pandemiesituation ist stets “was sind Maßnahmen, die gemessen an ihren Kosten einen verhältnismäßig großen Nutzen bringen”. So kommt man beim Themenkomplex “Einkaufen für den täglichen Bedarf” relativ schnell auf Dinge wie “einer kauft für den gesamten Haushalt ein”, “Einkaufswagen vor der Nutzung an den Kontaktflächen desinfizieren”, “bei Eingang und Ausgang Hände desinfizieren”, “Maske tragen”, “so selten wie möglich einkaufen”, “Verkaufsstände im Freien nutzen”, “Aufenthalt in geschlossenen Räumen möglichst kurz halten”. Was ich tatsächlich beobachtet habe, waren Großfamilien beim gemeinsamen Einkauf, Kleinstmengen im Einkaufswagen, vor Beginn der Maskenpflicht kaum jemand mit Maske unterwegs, nur die Wenigsten nutzen die bereitgestellten Desinfektionsmittel. Ganz ehrlich, kann ich nicht nachvollziehen.

Es bleibt zu hoffen, dass uns niemals ein Virus ereilt, das noch gefährlicher als SARS-CoV-2 ist. Die Disziplin der Menschen hierzulande reicht vielleicht für zwei Wochen, und erschreckend viele sind entweder dumm oder sorglos oder boshaft – oder alles drei. Der Lack der Zivilisation ist dünn. Erschreckend dünn. Der Vorrat an Solidarität ist eng begrenzt. Wir leben in einem Land voller Ego-Arschlöcher.

Und noch eine Erkenntnis zum Abschluss: das alte Teile-und-Herrsche-Prinzip funktioniert weiterhin hervorragend. “Wir gegen die”. Die Aufklärung ist tot. Die Sachdebatte ist tot, wer am lautesten schreit hat recht. Das sorgsame Abwägen von Fakten und Argumenten ist tot. Nur noch Geschrei und Ideologie. Unser Weg zur vollständigen Polarisierung (und wer hier im Hinterkopf “Star Wars” und “der Weg zur dunklen Seite” hat, liegt genau richtig) ist vollendet. Keine guten Vorzeichen für 2021. Pessimismus? Ich fürchte, es ist Realismus.