Über Inflation
Das derzeitige Hauptthema neben dem Ukraine-Krieg scheint die allgemeine Teuerung zu sein – kein Tag vergeht, an dem nicht die eine oder andere Gruppe fürchterlich jammert über die höchste Inflationsrate seit Jahrzehnten (im Moment: ähnliche Größenordnung wie zur ersten Ölkrise und kurz nach der deutschen Einheit). Benzin. Erdgas. Heizöl. Butter.
Nun ist die Inflationsrate ja eine Art Dauerthema, vor allem, weil eine Verteuerung stets lauthals beklagt wird, eine Verbilligung hingegen still und leise hingenommen wird – oder kann jemand einen Zeitungsartikel beisteuern von 2015 oder 2020, der die niedrigen Heizölpreise feiert? Allein die Art der Berechnung über einen ständig angepassten Warenkorb als Referenz lädt ja zu ausufernden Diskussionen bezüglich der Repräsentation des eigenen Einkaufsverhaltens in diesem „amtlichen“ Warenkorb ein.
Tendenziell ist für mich das übliche „Inflationsgejammer“ Ausfluss typischer menschlicher Subjektivität. Man setzt Sonderangebote als Referenzpreis, erinnert sich gerne an Schnäppchen aus vergangenen Jahrzehnten – oft noch in D-Mark – und trauert gerne der Zeit hinterher, als die Laugenbrezel noch 10 Pfennige gekostet hat. Auch wenn das schon 60 Jahre her ist und man ja schon zugeben muss, dass die persönlichen Einkünfte seit dieser Zeit doch auch einen üppigen Sprung nach oben gemacht haben. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Preise sind letztlich egal, es geht um Kaufkraft und Preis-Leistung.
Schwierig fürs „Gefühl“ sind deshalb vor allem Dinge, die dem ständigen technischen Fortschritt unterworfen sind und – gemessen an der Leistung – heutzutage geradezu unverschämt preiswert sind. Man denke an einen Raspberry Pi, der für 35€ zuzüglich Kleinkram ein vollwertiger Computer ist, der die 5000DM-80386-Mühle mit Windows 3.1 aus 1992 aber sowas von im Regen stehen lässt. Oder Laptops – was Mitte der 90er noch ein kleines Vermögen gekostet hat und nicht unter 4 kg auf die Waage gebracht hat, ist heute preiswerteste Massenware, dabei unvergleichlich viel leistungsfähiger. Was folgt daraus für die Teuerungsberechnung auf Warenkorbbasis?
Man denke an Fernseher. Neulich einen 48″-LCD für 500 Euro organisiert. Es ist noch nicht so lange her, da hat man für einen 28″-Röhrenfernseher ohne mit der Wimper zu zucken 2000 Mark hingelegt, nur weil man zwei Scart-Anschlüsse und einen S-Video-Eingang gebraucht hat. Und hat sich an der Trinitron-Röhre einen Bruch gehoben. Größere Formate waren nur als Rückprojektionsgeräte mit grauenvoller Bildqualität erhältlich. Wie setzt man sowas im Warenkorb an?
Selbst bei Autos – ich erinnere mich noch an mein erstes Auto, ein Opel Kadett D, 1981 erworben, Listenpreis (satte 60 Vergaser-PS, Drehzahlmesser und rechter Außenspiegel mussten extra bezahlt werden) 16990 DM. Einer seiner Nachfolger, ein Opel Astra F von 1992, Listenpreis 19990 DM, wartete dann schon mit 75 Einspritzer-PS, geregeltem Kat, Servolenkung, Zentralverriegelung, ABS, Seitenaufprallschutz und Gurtstraffer auf – schon da sieht man: erheblich mehr Auto fürs (fast) gleiche Geld. Und sparsamer und langlebiger noch dazu. Mein letzter Kandidat, Astra K von 2019, ist mit rund 25000 EUR natürlich schon eine andere Preiskategorie, aber eben auch viel viel mehr Auto. Die meisten Ausstattungsmerkmale waren weder 1981 noch 1992 erhältlich: Airbags rundrum, ESP mit Traktionskontrolle, Navigationssystem mit großem Touchscreen, Bluetooth-Freisprechen, Musik vom USB-Stick, Sitzheizung, Lenkradheizung, Zwei-Zonen-Klimaautomatik, elektrische Sitz- und Außenspiegeleinstellung, Totwinkelüberwachung und Spurwechselassistent, automatische Spurhaltung, Kollisions- und Abstandswarner mit Notbremsassistent, automatisches Fahrlicht und Regensensor, Rückfahrkamera, ganz zu schweigen von einer Bremsanlage auf dem Niveau der allerbesten Sportwagen der späten 90er…und 150 PS. Verbraucht aber trotzdem nur die Hälfte wie der gute alte Kadett von 1981 (bei gleichzeitig quasi Null-Schadstoffausstoß), bei dem man auf der Autobahn den Berg hoch sich lieber mal auf die rechte Spur eingeordnet und in den dritten Gang runtergeschaltet hat.
Ein ganz anderes Beispiel: Telekommunikation. Wer erinnert sich nicht noch an das gute alte schnurgebundene Wählscheibentelefon. Grundgebühr im Monat 27 D-Mark, dafür ein paar Freieinheiten. Ferngespräche absurd teuer, internationale Gespräche noch viel teurer und teilweise handvermittelt. Heute bekommt man einen Mobilfunk-Vertrag inklusive reichlich Datenvolumen ab 8 Euro im Monat, mailt und chattet und telefoniert weltweit kostenlos, gerne auch mal per Videotelefonie. Derartigen technischen Fortschritt in einem Warenkorb abzubilden ist halt schlechterdings unmöglich – wieviel kostet Technologie, die zum Zeitpunkt X noch gar nicht verfügbar war? Oder behauptet man riesige Inflation, weil der Walkman Ende der 80er viel billiger war als zwanzig Jahre später der 160GB-iPod, und beides schließlich demselben Zweck „mobiles Musikhören“ dient?
Wer also unter zu viel gefühlter Inflation leidet: einfach mal über Autos nachdenken. Und Computer. Oder generell „Technik“. Und den wichtigsten Ratschlag beherzigen: es kommt nicht auf den Warenkorb der Statistiker an, sondern auf den ganz persönlichen Warenkorb, und der ist weitgehend beeinflussbar, auch bei den Dingen des täglichen Bedarfs. Die aktuelle Beobachtung aus den Supermärkten der Republik ist, dass zwar die „Normalpreise“ teilweise deutlich angezogen haben (vor allem bei den Discountern und damit allen Discountprodukten, die ja weitestgehend in allen Supermärkten dieselben Preise haben), aber die Sonderangebote oftmals noch auf demselben Niveau von früher liegen – ein Markenartikel im Sonderangebot ist nun oftmals preiswerter als Discount-Artikel. Ausgefuchste Lagerhaltung kann hier einiges an Teuerung ersparen, wie man gerade an Mehl und Öl sehen kann.
Und wer mit diesen Ratschlägen nicht glücklich wird, dem empfehle ich, einfach mal die Preisspitzen als „normal“ zu setzen und sich über den drastischen Preissturz seit diesen Spitzen zu freuen. Heizöl! Heute nur 1,30€ der Liter, der lag noch Mitte März bei über zwei Euro! Und Benzin war in den letzten Wochen auch schon bei 2,30€ pro l, da sind die 1,95€ von vorgestern doch ein Superschnäppchen gewesen.
Es ist eben alles eine Frage der Sichtweise. Und der Zeitperspektive. Als bitteren Beigeschmack notiere ich, dass jetzt die Journaille angesichts absolut gesehen überschaubarer Teuerung am Rad dreht („Enteignung!“), während man der vorherigen Enteignung der Sparer und konservativen Anleger über die Null- bis Negativzinspolitik der EZB eher neutral bis wohlwollend gegenüberstand.
Zum Schluss noch eine wichtige Anmerkung, ohne die kein Artikel zum Themenkreis „Inflation“ vollständig wäre: wie schon in den letzten Jahrzehnten, so ist auch diesmal Politik und Staat Preistreiber Nummer 1. Absurde Zinspolitik der EZB (die ja nur den Statuten nach von der Politik unabhängig ist, faktisch aber mittendrin steckt im Politiksumpf) nebst wahllosen Aufkäufen von Staatsanleihen. Steuer- und Abgabenerhöhungen auf breiter Front, dazu sehr teure Regulierungen allerorten. Die Hausbesitzer warten schon sehnsüchtig auf die neuen Zahlen zur Grundsteuer, da ist ja auch das schlimmste zu befürchten angesichts der Ankündigung „weitgehend aufkommensneutral“. Dazu das neue „Sommerpaket“ aus dem Hause Habeck, da wird für die Besitzer von Öl- und Gasheizungen sicher auch eine böse Überraschung drinstecken. Einige Bundesländer haben die „Solarpflicht“ ja schon länger, kombiniert mit unsinnigen Subventionsanreizen ist das immer ein Rezept für noch höhere Inflation. Nicht zu vergessen das Universalteuerungsmittel „Energiewende“. Denn irgendjemand muss die Zeche zahlen, und am Ende ist es eben immer „der Endverbraucher“, der ja genau deshalb so heißt, weil er am Ende der Einzige ist, der die Kohle für den ganzen Schwachsinn ausgeben muss. Ist der Endverbraucher gleichzeitig auch Steuerzahler (jenseits der Umsatzsteuer natürlich), ist er gleich doppelt gearscht.