Koalitionspoker in Baden-Württemberg

Anfang März war meine Prognose, dass es in Baden-Württemberg zu einer Koalition CDU-SPD-FDP kommen wird. Stand heute scheint das unwahrscheinlich. Die SPD hat dieser Kombination eine Absage erteilt. Die FDP verweigert (im Moment) standhaft die klassische Ampel. So scheint alles auf Grün-Schwarz herauszulaufen.

Für mich eine Überraschung, und ich werde erst daran glauben, wenn die Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag trocken sind. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Überschneidungen der Politikziele von Grünen und CDU – insbesondere in Baden-Württemberg – so groß sein sollen, dass diese Koalition sinnvoll möglich ist. Zumal die CDU-Basis zu großen Teilen eine solche Koalition ablehnt.

Die CDU ist ja weithin bekannt oder auch verrufen als „Kanzlerwahlverein“ – die einzige Konstante über all die Jahre ist der unbedingte Wille zur Macht. Und natürlich ist die CDU zumindest auf Bundesebene inzwischen so weit nach links gerückt, dass man durchaus Überschneidungen mit den Grünen sehen könnte. Und es existiert ja auch durchaus die Ansicht, dass Winfried Kretschmann ein verkappter Konservativer sei. Ich sehe das alles nicht. Die Baden-Württemberg-CDU ist immer noch eher konservativ. Grün-Rot hat in weiten Teilen lupenreine klassisch links-grüne Politik gemacht.

Wie weit wird sich die CDU verbiegen, um wieder an die Fleischtöpfe der Macht zu kommen? Ist das strategisch eine gute Idee, als Juniorpartner mit dem natürlichen Feind zu koalieren? Wird die CDU an der Seite von Kretschmann ein ähnliches Debakel erleben wie die SPD? Wird diese Legislaturperiode bereits den Abschied von Kretschmann sehen, und wie wird sich das auf die Chancen der Grünen bei der nächsten Landtagswahl auswirken? Wird die SPD in der Opposition sich wieder regenerieren können?

Viele Fragen, noch keine Antworten. Es bleibt spannend im Ländle.

Zu Zeiten einer NRW-Landtagswahl in den 90ern gab es mal den Spruch, dass sich die Grünen zum Machterhalt so weit verbiegen würden, dass sie sogar einem Kernkraftwerk in der Düsseldorfer Innenstadt zustimmen würden. Mal sehen, was man über die CDU sagen wird.

Erkenntnisse der Landtagswahl Baden-Württemberg

Quellenhinweis: Saubere und vollständige Ergebnisse erfährt man gesammelt hier vom Statistischen Landesamt. In der Online-Presse habe ich spontan z.B. nirgends gefunden, was sich hinter „Sonstige“ aufgeschlüsselt verbirgt. Wenn man einen Rechtsrutsch konstatiert, sind doch Zahlen von NPD und Republikanern durchaus von Interesse. Auch das Abschneiden der AfD-Abspaltung ALFA hat mich interessiert. Und auch die ehemaligen Superstars der Piratenpartei interessieren mich immer noch.

Nachfolgend ein paar Gedankenschnipsel zum Wahlausgang.

  • Die Regierungskoalition hat 4,3%-Punkte verloren. Das widerspricht der These, dass die Bürger mit der Regierungsarbeit zufrieden waren.
  • Die Grünen sind in Baden-Württemberg als Volkspartei etabliert. M.E. ausschließlich ein Verdienst von Kretschmann, wie man am Wahlergebnis der Grünen in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sehen kann.
  • Die CDU vermeldet einen historischen Tiefststand.
  • Die SPD hat ihr schon schlechtes Ergebnis von 2011 nochmal beinahe halbiert. Status „Volkspartei“ inzwischen fragwürdig.
  • Die AfD liegt deutlich vor der SPD, interessanterweise war das in den ersten Hochrechnungen noch nicht zu sehen.
  • Die FDP ist stark erholt und beinahe schon auf Augenhöhe mit der SPD.
  • Die LINKE spielt in Westdeutschland faktisch keine Rolle mehr. Möglicherweise, weil sich das Protestpotenzial auf die AfD konzentriert.
  • Die Koalitionsbildung wird sehr interessant. Die einzigen realistischen Optionen sind Grün-Schwarz, Schwarz-Rot-Gelb und Grün-Rot-Gelb. Alles drei sehr schwer vorstellbar, am ehesten würde ich noch Schwarz-Rot-Gelb für möglich halten.
  • Die rechten Parteien Republikaner und NPD spielen mit 0,3% bzw. 0,4% der Stimmen überhaupt keine Rolle.
  • Die ALFA hat, trotz reichlich Wahlwerbung am Straßenrand, nur 1,0% der Stimmen errungen. Vermutlich, weil die Partei in den Medien überhaupt keine Rolle gespielt hat – da gab es ja nur „AfD gegen den Rest der Welt“.
  • Die in vielen Medien transportierte Idee, dass Wolf wegen seines „Schlingerkurses“ bezüglich der Flüchtlingsfrage so schlecht abgeschnitten hat, halte ich für abwegig. Der CDU-Kandidat in Sachsen-Anhalt hat lange Zeit konsequent gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung opponiert und hat das Ergebnis der vorigen Wahl beinahe gehalten. Die beiden eher linientreuen Kandidaten Klöckner und Wolf hingegen haben dramatisch verloren.
  • Wenn diese Idee schon abwegig ist, wie ist dann die Idee von Jakob Augstein zu bewerten („Sieg für Angela Merkel“), die dieser in seiner Kolumne bei Spiegel Online äußert? Völlig abwegig? Komplett abwegig? Absurd abwegig? Da gehen einem doch die Superlative aus.

Ich habe das Gefühl, dass viele Bürger sich im konservativen Niemandsland verloren fühlen, weil die CDU unter Angela Merkel schon zu Zeiten von Schwarz-Gelb deutlich nach links gerückt ist und viele konservative Positionen geräumt hat. Sowas dauert immer ein wenig, bis es sich in der Breite auch in Teilen der Stammwählerschaft niederschlägt, aber jetzt scheint es – natürlich beschleunigt durch die Flüchtlingskrise (oder ist es eine Migrationskrise?) – sich zu manifestieren. Der konservative Wähler hat verschiedene Schlüsse aus seinem Dilemma gezogen: Kretschmann wählen, weil er den seriösen Landesvater perfekt verkörpert. AfD wählen, weil sie als einzige noch konservative Inhalte glaubwürdig vertritt. Das verspricht eine spannende Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl.

Was ist eigentlich aus den „Grauen“ und der Autofahrerpartei geworden?

Grüne Grundsätze

Parteispenden sind immer ein politisches Thema. Die Medien berichten auch gerne darüber, wie es den Anschein erweckt. Wer erinnert sich nicht an die üble Schmutzkampagne der Qualitätspresse anno 2010 gegen die FDP, weil diese vom Unternehmer und Investor August von Finck eine Großspende erhielten – prompt wurde von Bestechung, Skandal und der „gekauften Republik“ berichtet. Naja, „berichtet“ ist wohl das falsche Wort hier. Der Hintergrund: weil August von Finck Großaktionär beispielsweise beim Mövenpick-Konzern ist und Mövenpick schließlich auch ein paar Hotels betreibt, war damit der Zusammenhang glasklar: die Anpassung des Mehrwertsteuersatzes bei Hotelübernachtungen – obwohl bei vielen Parteien im Programm und durchaus ein Beitrag zur europäischen Harmonisierung – war selbstverständlich nur aufgrund dieser Spende gemacht worden.

Besonders die Grünen taten sich hervor mit Forderungen, die natürlich zufällig perfekt zu ihrem Spendenprofil (eher kleine, dafür viele Spender – wenige industriellen Großspender) passten. Maximal 100.000€ sollte es bei Spendern pro Jahr sein. Drüber geht gar nicht, weil das natürlich – mindestens latent, wie es so schön heißt – ein „Gschmäckle“ hat, wie der Schwabe sagt. Beeinflussung. Bestechung. Eben das volle Programm.

Nun trug es sich kürzlich zu, dass eine Privatperson – der Vermögensberater Jochen Wermuth, der nach eigenen Angaben u.a. in erneuerbare Energien investiert und damit direkt vom von den Grünen mitgetragenen Subventionsirrsinn profitiert – den Grünen in Baden-Württemberg eine Spende über 300.000€ zukommen ließ. Nun hätte man auf die Idee kommen können, dass die Grünen – immer stark beim Einfordern von Grundsätzen bei anderen – sich an ihre eigenen Grundsätze halten und die Spende ablehnen. Z.B. um das „Gschmäckle“ zu vermeiden.

Aber: Integrität wird sowieso überschätzt. Und so erklärt uns Winfried Kretschmann, dass man selbstverständlich über die Spende froh sei und sie gerne annehme – alles andere wäre ja „naiv“.

Wir merken uns also: Grundsätze zu formulieren ist super. Sich dran zu halten wäre aber naiv. Das fällt schon unter fortgeschrittenes Pharisäertum.

Propaganda in der Qualitätspresse

Letzten Freitag ging es durch alle Kanäle. Aufgrund von Recherchen des WDR und der SZ wurde vermeldet, dass es im Kernkraftwerk Fessenheim – neben Cattenom schon immer Lieblingsfeind der Anti-AKW-Bewegung hierzulande – zu einem Unfall gekommen sei (auch von „Unglück“ ist die Rede), bei dem man quasi dem sicheren Atomtod beiderseits des Rheins nur haarscharf von der Schippe gesprungen sei. Und: die französische Atomaufsicht habe den ganzen Vorfall auch noch vertuscht.

Hier kann man dieses propagandistische Machwerk nachlesen.

Wie so oft, wenn alarmistisch über Kernkraftwerke berichtet wird, bleibt nach einer seriösen Recherche von den diversen Behauptungen sehr wenig übrig.

Andere haben detailliert Stellung genommen, hier die Kurzfassung:

  • die Steuerung eines Druckwasserreaktors über Borierung des Kühlwassers ist absolut üblich, und eine Abschaltung des Reaktors über boriertes Wasser ist eine Standardmaßnahme nach Betriebshandbuch
  • diesen Vorfall als Unfall oder Unglück zu beschreiben, entbehrt jeder Grundlage – der Reaktor war jederzeit unter Kontrolle, nach INES ist sowas maximal als Störfall zu betrachten, auf keinen Fall als Unfall – und etwas, das keinerlei Opfer forderte, als „Unglück“ zu bezeichnen, benötigt ein gerüttet Maß an Unverfrorenheit
  • eine Reaktorschnellabschaltung durch Fallenlassen der Notsteuerstäbe war zu jeder Zeit möglich, man entschied sich aber für die elegantere Methode der Kühlwasserborierung
  • warum genau der französischen Aufsichtsbehörde „Vertuschung“ vorgeworfen wird, bleibt unklar – hier kann man den Originalbericht nachlesen, der direkt nach dem Vorfall veröffentlicht wurde. Sogar die grün-rote Landesregierung bestätigte gegenüber dem SWR, dass man informiert war

Es ist allerdings festzuhalten, dass der Grund für die Probleme im April 2014 in einem optimal geführten Kernkraftwerk niemals vorkommen darf – Wasser in Schaltschränken ist nicht akzeptabel. Allerdings haben Kernkraftwerke – sogar ältere wie Fessenheim – so viel Redundanz und Sicherheitsreserve, dass solche Probleme nur mäßige Bedeutung für die Sicherheit des Kraftwerks haben. Und gar keine Bedeutung für die Bevölkerung rund ums Kraftwerk.

War es nun Lügenpresse oder Inkompetenzpresse? Man weiß es nicht. Ich bin eigentlich großer Anhänger von Hanlon’s Razor. Aber die publizistische Vergangenheit des WDR-Juwels Jürgen Döschner könnte einen auf den Gedanken bringen, dass möglicherweise mit unserer „Demokratieabgabe“ (Copyright Jörg Schönenborn – andernorts als GEZ-Abzocke, seltener auch als Rundfunkbeitrag bezeichnet) Journalismus finanziert wird, der seiner eigenen Agenda folgt. Und letztlich wirklich unabhängiger Journalismus ist: nämlich unabhängig von den Fakten.

Die unerklärliche Beliebtheit des Herrn Kretschmann

Bald wird gewählt im Ländle. Die letzten Umfragen sehen die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann recht deutlich mit vier Prozentpunkten (nebenbei: wie oft in unserer Qualitätspresse fälschlicherweise von Prozenten statt Prozentpunkten die Rede ist, lässt nur das Allerschlimmste bezüglich der mathematischen Grundbildung von Journalisten befürchten – aber es ist auch eine gute Erklärung für so manchen Artikel) vor der CDU.

Viele Wähler sind voll des Lobes über Kretschmann. Landesvater, Konservativer (oder zumindest wertkonservative) Grüner, seriöser Politiker, heimatverbunden, und was man ihm nicht alles nachsagt. Komischerweise kann auf Nachfrage kaum einer eine Entscheidung von Kretschmann nennen, die dieses Lob rechtfertigen würde. Man findet ihn halt irgendwie sympathisch. Und er kann ja auch mehrere Sätze hintereinander unfallfrei formulieren, das war man von Vorgängern wie Oettinger nicht gewohnt. Die Latte liegt tief im Ländle.

Wer sich objektiv die Horrorbilanz von 5 Jahren Grün-Rot in Baden-Württemberg anschaut, kann da nur den Kopf schütteln. Totalversagen in der Verkehrspolitik, grauenvolle Fehlentscheidungen in der Bildungspolitik, dazu trotz Steuerrekordeinnahmen ein sauberes Haushaltsdefizit hingekriegt mit schwindelerregender Steigerung der Ausgaben, blindes Hochfahren des Personals (möglichst verbeamtet, damit nachfolgende Generationen auch noch was davon haben). Dazu der bei den Grünen zu erwartende Energieunsinn inklusive Forcierung von Windkraftanlagen an untauglichen Standorten gegen jede Idee des Naturschutzes. Ich kann mich an wirklich keine einigermaßen sinnvolle Maßnahme dieser Regierung erinnern. Kann es schlimmer kommen?

Wenn man die Umfrageergebnisse anschaut, kann der Wähler ja nicht generell mit der Regierung zufrieden sein. Die SPD säuft gnadenlos ab. Zurecht, weil die Herren Schmid, Stoch und Gall eine vernichtende Bilanz vorzuweisen haben, und die Damenriege Altpeter und Öney hat die Gleichberechtigung dahingehend absolut perfektioniert, indem sie auf gleichem niedrigsten Niveau wie die Herren arbeitet. Aber ich vermute, dass eher der bundespolitische Tiefflug der SPD hier hauptverantwortlich ist.

Symptomatisch ist für mich die Wahlwerbeplakat-Kampagne der Grünen. In früheren Jahrzehnten hat man noch Sachaussagen auf Plakate gedruckt, Köpfe waren eher selten zu finden. Jetzt: überall Kretschmann. Zusammen mit nichtssagenden Sprüchen wie „Dem Land verpflichtet“ oder „Verantwortung und Augenmaß“. Man hat scheinbar aus dem Fiasko Veggie-Day gelernt: lieber erstmal nix genaues sagen, und die Ziele eher durch die Hintertür durchsetzen. Zwar clever, aber irgendwie durchschaubar – dem Wähler ist es scheinbar egal.

Wobei letztlich Kretschmann und die Grünen auch von der Schwäche der Konkurrenz profitieren. Die CDU ist bundespolitisch gerade derart unter Druck, da kann ein farbloser Kandidat wie Guido Wolf sicher nicht das Steuer herumreißen.

Jetzt hat Oberunsympath Volker Beck ja erst mal den Grünen noch ein Ei ins Nest gelegt – wer hätte gedacht, dass er insgeheim nicht nur für die Freigabe weicher Drogen gekämpft hat, sondern auch für die allerhärtesten. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich das auswirkt. Claudia Roth hat ja schon um Verständnis gebeten. Gesundbeten hat bei den Grünen schon öfter geholfen, man erinnere sich an Cem „ich wusste nicht, dass ich Steuern zahlen muss“ Özdemir.

Ja, ein Blick auf unser politisches Top-Personal kann einem schon den Mut rauben. Genau wie ein Blick auf die Homepage der Grünen: dort versucht man sich an gendergerechter Sprache mit Stilblüten wie „Landwirt*innen“. Jeder blamiert sich halt so gut wie er kann.

Zurück zur Landtagswahl: meine Prognose ist eine „Deutschlandkoalition“: CDU, SPD, FDP. Diese Prognose ist jetzt mehr nach dem Ausschlussverfahren entstanden. Ich sehe die Grünen vor der CDU, Grün-Schwarz schließe ich aber aus. Die klassische Ampel wird die FDP auf keinen Fall machen. Und die SPD wird nach den katastrophalen Verlusten strategisch eine erneute Regierungsbeteiligung anstreben, denn in der Opposition wären sie auf verlorenem Posten – neben einer schwachen CDU hingegen könnte man eher was reißen.