Fischer zur Ukraine

Ich hatte mich schon öfter lobend geäußert zu den Kolumnen von Thomas Fischer im Relotius-Blatt. Nun (im Sinne von “vor mehreren Tagen, aber ich komme erst jetzt dazu das zu kommentieren”) hat er eine Gastkolumne zum Ukraine-Konflikt veröffentlicht.

Und leider bestätigt sich die alte Regel, dass sich die meisten Leute halt nur mit ganz wenigen Themen wirklich genau auskennen und logisch stringente, historisch akkurate, inhaltlich überzeugende Dinge absondern können. Wer z.B. Fefe’s Blog verfolgt, wird das bestätigen können – großartig und auf den Punkt bei vielen IT-Themen, aber abgrundtief schlecht bei politischen und wirtschaftlichen Dingen. Ich empfehle trotzdem, dort regelmäßig mitzulesen, weil auch die absurd falschen Standpunkte oft amüsant formuliert sind. Auch wenn die häufig genutzte Ausrede “es war nur eine Medienkompetenzübung” manchmal ermüdet – wie ein Lehrer, der Unsinn quatscht, und wenn sich ein Schüler beschwert sagt “ich wollte nur sehen, ob ihr aufpasst”.

Aber zurück zu Fischers aktuellem Machwerk, das schön illustriert, dass Fischer ein Jura-Inselbegabter ist – genauso wie Fefe ein IT-Inselbegabter ist. Schon der Titel “Scholz hat recht” lässt aufhorchen, denn Scholz hat bekanntlich extrem selten recht. In diesem Falle hingegen würde ich sogar auch zustimmen: nachdem man jahrzehntelang den deutschen Energieverbrauch auf Gas getrimmt hat – vor allem bei der Raumwärme, aber auch bei der Stromerzeugung als notwendige schnelle Regelreserve für den Zappelstrom aus Wind und Sonne – wäre es jetzt geradezu grotesk, als allererste Sanktion einen Importstopp von russischem Erdgas zu verhängen. Das schadet Deutschland mehr als Russland, und würde es zudem Russland ermöglichen, auch die Ukraine von der Gasversorgung abzuklemmen, da signifikante Gasliefermengen bekanntlich durch Pipelines zu uns gelangen, die auch durch die Ukraine laufen.

Auch bei den beschriebenen Maßnahmen gegen Dinge russischer Herkunft bin ich noch weitgehend Fischers Meinung. Ekelhafte Symbolpolitik, nix wert außer “virtue signalling”. Vielleicht sind sogar die Paralympics eine Ausnahme, denn das russische Staatsdoping erstreckt sich auch auf diesen Bereich, und das wäre sicher der ehrlichere Grund gewesen, russische Athleten von den Wettkämpfen auszuschließen.

Aber dann wird es eben absurd. Selbstverständlich ist der russische Angriff nebst gezieltem Beschuss auf ukrainische Kernkraftwerke zu verurteilen. Die Einnahme eines Kernkraftwerks hat überhaupt keinen strategischen Wert und ist eher riskant, auch wenn die Sorgen über einen bevorstehenden Super-GAU wie immer in deutscher Gründlichkeit maßlos überzogen waren. Und auch der Hinweis, dass Russland selbstverständlich taktische Atomwaffen im Repertoire hat (wie die NATO auch) und diese im Ernstfall sicher auch einsetzen würde (im Gegensatz zur NATO – hier haben sie ausschließlich gemäß Doktrin ihre abschreckende Wirkung im Falle einer notwendigen Verteidigung gegen einen übermächtigen konventionellen Gegner aka “Warschauer Pakt Mitte der 80er”), hat absolut seine Berechtigung. Ich halte den Einsatz nicht für wahrscheinlich, aber zur Sprache bringen kann man diese Bedrohungslage doch sicherlich.

Auch die Charakterisierung von Waffenlieferungen an die Ukraine – selbst im Spezialfall die polnischen MiG 29, eine Aktion deren strategischen Wert ich nicht verstanden habe – als “Spiel mit dem Feuer” ist doch eher putinversteherisch – bloß nicht den russischen Bären reizen, Deeskalation ist das Gebot der Stunde, Appeasement bis zur Selbstverleugnung. Fischers Rezeptur ist das, was seit den Nullerjahren gegen Russland bisher immer gescheitert ist, von Georgien über die Krim bis jetzt zur Ukraine. Wenn man sich anschaut, wie viele Waffen die Russen den Separatisten in der Ostukraine seit 2014 geliefert hat, wird die Doppelzüngigkeit der ganzen Situation nochmal deutlicher.

Und der Rest des Artikels ist dann einfach nur noch abstoßend. Wie Fischer hier der Ukraine die sofortige Kapitulation empfiehlt ist wirklich sehr unappetitlich. Bei der Verteidigung des eigenen Landes – und in diesem Falle der eigenen Freiheit, denn wie sich Putin die Zukunft der Ukraine vorstellt, kann man ja in Russland und Weißrussland schon besichtigen – geht es nicht um Heldenmut und heroische Großtaten, sondern schlicht ums Überleben. Und zwar nicht nur jetzt und kurzfristig, sondern die nächsten zwanzig oder dreißig oder fünfzig Jahre. Es geht darum, durch entschiedenen Widerstand gegen den Aggressor auch ein Zeichen für die Zukunft zu setzen, dass man es auch einem scheinbar überlegenen Gegner auf keinen Fall leicht machen wird und dass der Preis einer solchen Aggression eben hoch ist – und nur wenn der Preis hoch genug ist, werden künftige Diktatoren von Eroberungsfeldzügen dieser Art abgehalten. Deshalb gibt es auch überhaupt keinen Grund für “den Westen”, die Ukraine zur sofortigen Aufgabe zu bewegen. Ganz im Gegenteil – notwendig ist vielmehr eine Ausweitung der sinnvollen Waffenlieferungen von MANPADS bis zur klassischen Panzerfaust. Das wirkt besser als jede Sanktion, es ist gelebte Abrüstung. Und zwar auf der Seite des Aggressors.

Besonders witzig dann noch dieser Satz: “Russland wird weiter bestehen, die Ukraine wird weiter bestehen.” Nein, lieber Herr Fischer: wenn sich die Ukraine in den ersten Tagen des Krieges ergeben hätte, würde die Ukraine auf absehbare Zeit eben nicht mehr existieren. Und Zar Wladimir wäre seines Ziels der Restauration der Zeit von Peter dem Großen wieder ein Stück näher gekommen. Für die Ukraine gibt es nur eine Zukunftsperspektive, und das ist die strikte Westbindung mit dem vollen Programm EU-Beitritt und NATO-Beitritt – nur das wird die Ukraine in Zukunft vor weiterer russischer Aggression schützen. Und es ist eine Schande, dass man diese Zukunft nicht schon nach der Annexion der Krim 2014 durch Russland zügig in die Tat umgesetzt hat. Schon 1938 hat Appeasement gegenüber dem Aggressor gar nichts genützt, und 2014 war es nicht anders. Und hat unweigerlich zur jetzigen Misere geführt. Und vielleicht ist es jetzt für eine Westbindung der Ukraine auf absehbare Zukunft schon zu spät.

Wenn man leidenschaftslos auf den Kriegsverlauf schaut (und das ist im Angesicht eines Krieges nie leicht), muss man zunächst konstatieren, dass der Kampf der Ukraine ums Überleben durchaus geeignet sein könnte, dem neu-zaristischen Russland (wahlweise auch: Reinkarnation der UdSSR) und seinen imperialistischen Gelüsten erst mal einen Riegel vorzuschieben. Die russischen Streitkräfte scheinen nicht ganz so stark zu sein wie es die Kreml-Propaganda in den letzten Jahren versucht hat darzustellen. Der hohe Blutzoll russischer Einheiten von Tschetschenien bis Syrien scheint kein Einzelfall gewesen zu sein.

Endet der Krieg (oder “die Spezialoperation”, wie die russische Propaganda nicht müde wird zu behaupten) mit dem ja zweifellos immer noch zu erwartenden russischen Sieg, und geht danach in den ebenfalls erwarteten asymmetrischen Konflikt über, werden die Russen zwar die Schlacht gewonnen haben, aber den Krieg werden sie verlieren. Ein derart großes Land dauerhaft besetzt zu halten halte ich für unmöglich, und insbesondere für prohibitiv teuer für einen Wirtschaftszwerg wie Russland. Eine Essenz des Vietnamkriegs war “reguläre Truppen verlieren wenn sie nicht gewinnen, irreguläre Truppen gewinnen wenn sie nicht verlieren”. Diese Erkenntnis sollte Russland in seinen Archiven der glorreichen UdSSR unter dem Stichwort “Afghanistan” finden.

Das Omikron-Experiment am Beispiel Dänemark

Im Angesicht der neu zu bewertenden Pandemie-Parameter beruhend auf gravierenden Änderungen in Hinblick auf “verringerte Krankheitsschwere”, “höhere Infektiosität” und “Durchimpfung” versuchen sich in Europa vor allem UK und Dänemark an einem Versuch, weitestgehend zurück zur Normalität zu gehen und die Eindämmungsbemühungen, die bekanntlich bei Omikron deutlich schärfere Restriktionen oder deutlich verringerte Wirksamkeit derselben nach sich ziehen, stark herunterzufahren. Für UK ist es nach dem September schon der zweite “Freedom Day”, der ausgerufen wird. Wäre der erste ein durchschlagender Erfolg gewesen, hätte es den zweiten nie gegeben.

Dänemark ist in dieser Hinsicht ein spannendes Experiment, denn die Impfquote ist vorbildlich hoch und die Dänen gelten in der Pandemie als eher entspanntes Volk, das gelassen hinnimmt, wenn das Virus und infolgedessen die Politik Beschränkungen auferlegt. Und die Dänen neigen wie der Rest Skandinaviens auch eher zu besonnenen Reaktionen und nicht zu “post-COVID-Exzessen” wie man sie streckenweise in anderen Ländern beobachten konnte. Und man kann deshalb davon ausgehen, dass falls dieses Experiment zu ungünstigen Auswirkungen für die Gesamtbevölkerung führt, dass die Regierung entsprechend handeln wird und die mühsam neu gewonnenen Freiheiten erneut auf den Prüfstand stellen wird.

Ich prognostiziere, dass die Dänen an diesem Experiment alsbald ein paar Korrekturen vornehmen werden. Ich stütze mich hier nicht auf längst nichtssagende Parameter wie Inzidenzen oder stark nachlaufende Parameter wie Todeszahlen, sondern auf die Kennzahl, die seit Tag 1 der Pandemie die größte Sorge bereitet: die drohende Überlastung des Gesundheitssystems mit allen daraus folgenden negativen Auswirkungen. Und da sieht es derzeit nicht so besonders gut aus für Dänemark: die Inzidenz hatte den Peak Ende Januar (und die Dänen sind recht gut aufgestellt bei den Laborkapazitäten und dem Meldewesen, d.h. das Dunkelfeld dürfte überschaubar sein) , die daraus resultierende Welle ist also in den Krankenhäusern noch nicht angekommen. Die Zahl der Intensivpatienten war stetig gesunken seit Anfang Januar, scheint aber nun wieder zu steigen. Der wahre böse Vorbote der kommenden Probleme zeigt sich in der Statistik der Krankenhauseinweisungen bzw. der Zahl der wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelten Patienten: die ist nämlich seit Oktober praktisch stetig gestiegen und hat Ende Januar die bisherige Rekordmarke vom Jahreswechsel 2020/2021 übertroffen. Und zwar deutlich. Die Kurve zeigt steil nach oben. Die Krankenhausbelegungskurve korrelierte in der Vergangenheit gut mit der Todesfallkurve (viel besser als die ICU-Kurve übrigens), ich würde erwarten, dass wir die volle Auswirkung gegen Ende Februar sehen werden.

Ich habe im Detail keine Ahnung, für welche Belastungen das dänische Gesundheitswesen inzwischen gerüstet ist. Aber für den Moment sieht es so aus, wie wenn knapp 20% Ungeimpfte und knapp 40% Ungeboosterte allemal ausreichen, um im Angesicht einer Virenvariante wie Omikron erhebliche Probleme zu verursachen. Das zeigt sich auch an den zunehmend sich verjüngenden Altersstrukturen in den Krankenhäusern. Es bleibt eine Tatsache, dass Jüngere auch ungeimpft viel seltener einen schweren Verlauf haben. Das kann in absoluten Zahlen aber trotzdem ein Problem darstellen. Und wenn die Impfung genau wie die Genesung zwar vor schweren Verläufen schützt, aber nicht vor ein oder zwei Wochen seriöser Krankheit, ist nicht nur das Gesundheitssystem gefährdet, sondern auch kritische Infrastruktur.

Jedenfalls ist es ein spannendes Experiment, dessen Ausgang sicher auch den weiteren Verlauf der Pandemiebekämpfung in Deutschland beeinflussen wird. Was als mutiger Schritt der Dänen gefeiert wurde, kann sich als ziemlicher Rohrkrepierer erweisen. Böse Zungen behaupten ja, dass die Schritte in Dänemark und UK eher eine Kapitulationserklärung waren. Ich stehe interessiert an der Seitenlinie und beobachte die Daten. Und bin froh, dass sich unsere Politik nicht als Vorreiter betätigt, das würde unweigerlich ein ähnliches Desaster wie bei der Energiewende nach sich ziehen.

Gedanken zur COVID-Strategie in Zeiten von Omikron

Die inzwischen mit einiger Sicherheit vorliegenden Informationen zu den Eigenschaften der Omikron-Variante bezüglich Infektiosität und Gefährlichkeit – ich hatte gestern ein paar Zahlen genannt – erfordern meines Erachtens eine Neuausrichtung der Bekämpfungsstrategie. Als alter Liberaler favorisiere ich natürlich die Konzepte “Eigenverantwortung” und “wer bestellt, zahlt”, wie man im Folgenden sehen wird. Wenn ich von “Geimpften” oder “Ungeimpften” rede, sehe ich da eine Altersgrenze von 18 Jahren. Noch-nicht-Volljährige spielen bei den aus meiner Sicht nun relevanten Parametern kaum mehr eine Rolle und können bei den Betrachtungen deshalb unbeachtet bleiben. Aus medizinischen Gründen Ungeimpfte dürfen sich zur Gruppe der Geimpften zählen. Ebenso Genesene. Diese Vereinfachung dient nur, die Lesbarkeit zu erhöhen, um nicht alle Einzelfälle in jedem zweiten Satz präzisieren zu müssen.

Zunächst die Ausgangssituation: Omikron hat sich als noch deutlich infektiöser als Delta herausgestellt, dass ja seinerseits gegenüber Alpha deutlich infektiöser war, welches wiederum gegenüber dem Wildtyp deutlich infektiöser war. Während Wildtyp-Alpha-Delta alle so ungefähr in derselben Preisklasse bei der Gefährlichkeit waren, sieht man bei Omikron jetzt in den Zahlen deutlich zwar eine weiterhin gegebene nicht zu unterschätzende Gefährlichkeit, die aber doch deutlich reduziert ist gegenüber seinen Vorgänger-Varianten. Zudem ist unsere heutige Situation vergleichsweise komfortabel, weil wir wirksame Impfstoffe haben, eine Bevölkerung die zu weiten Teilen geimpft ist, und zum Teil schon den unangenehmen Kontakt mit dem Virus überlebt hat (aka “Genesene”). Das, was Optimisten fälschlicherweise Anfang 2020 erhofft hatten – eine erhebliche Hintergrundimmunität der Bevölkerung – ist nun also tatsächlich hauptsächlich durch die Impfung mit 2-jähriger Verspätung Realität geworden.

Es verschieben sich jetzt also die Gewichte bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit – die bekannten und geübten Maßnahmen wie Lockdown, Testpflicht, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Besucherobergrenzen, you name it, haben in dieser Gemengelage ein deutlich schlechteres Preis-Leistungsverhältnis als in der Vor-Impf-Zeit. Und nach der Zeit der Impfstoffknappheit bis Mitte 2021 ist es mindestens seit Herbst 2021 jedem Impfwilligen sehr einfach möglich, eine Impfung zu bekommen. Kostenlos, wie bekannt sein dürfte. Natürlich bietet die COVID-19-Schutzimpfung wie jede andere Impfung auch keinen 100%igen Schutz. Insbesondere nicht vor Infektion, aber einen sehr guten Schutz gegen den gefürchteten “schweren Verlauf” mit Aufenthalt in Krankenhaus oder sogar Intensivstation. Alle Zahlen weltweit weisen darauf hin, dass Geimpfte nur eine mäßige Belastung des Gesundheitswesens verursachen.

Seit Tag 1 der Pandemiebekämpfung ist ja “Flatten The Curve” das Hauptziel, weil ein intaktes Gesundheitssystem Grundvoraussetzung dafür ist, die Zahl der Opfer in einem vertretbaren Rahmen zu halten – sowohl COVID-Opfer als auch Menschen, die das Pech haben, in Pandemie-Zeiten schwer zu erkranken. In der Vor-Impf-Zeit war sicherlich auch die Vermeidung von zu vielen Opfern in der Risikogruppe ein zu beachtender Aspekt, seit der breiten Verfügbarkeit der Impfung ist aber der geimpfte Teil der Risikogruppe aus der Gefahrenzone raus. Außerdem ist interessant, dass es bei der Impfempfehlung praktisch keine Kontraindikation gibt – die Impfung ist praktisch für jedermann sehr gut verträglich. Von einem möglichen Ziel “Ausrotten des Virus” konnte man sich schon im Februar 2020 realistischerweise verabschieden, die Hoffnung auf eine sterile Immunität nach Genesung (oder später der Impfung) war nach ersten Berichten über Reinfektionen ja schon dahin.

Aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern scheint es mir sicher zu sein, dass ohne sehr drastische Maßnahmen (China versucht das aktuell ja im Rahmen der olympischen Winterspiele – ein interessantes Experiment) ein Eindämmen der Infektionen überhaupt kein sinnvolles Ziel mehr sein kann. Sowohl Geimpfte als auch Genesene sind anfällig für die Infektion mit Omikron, die Ungeimpften sowieso. Damit entfällt der Hauptgrund für Kontaktbeschränkungen und Zugangsbeschränkungen zumindest jenseits besonders vulnerabler Gruppen (Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime). Die Testpflicht hat sowieso hierzulande so viele Löcher, dass sie weitestgehend wirkungslos ist. Dasselbe gilt für die Kontaktnachverfolgung jenseits der Corona-Warn-App – die immer noch manuellen Tätigkeiten der Gesundheitsämter sind komplett sinnlos geworden, nicht zuletzt in Situationen der kompletten zahlenmäßigen Überforderung bei hohen Inzidenzen – demzufolge war es auch zwingend, die Luca-App wieder aus dem Rennen zu nehmen. Nur die vollautomatische anonymisierte Infektionskettennachverfolgung über die Corona-Warn-App ergibt noch einigermaßen Sinn, hier müsste man nur noch die Geschwindigkeit bei der Zuordnung positiver PCR-Testresultate deutlich erhöhen, um mehr Nützlichkeit zu gewährleisten.

Nun ist zwar die Omikron-Variante in Summe deutlich milder gestimmt als die Vorgänger inklusive Delta, aber aufgrund der hierzulande doch recht hohen Anzahl Ungeimpfter vor allem in der Risikogruppe (über 10% Ungeimpfte in der Alterskohorte 60+) ist das Gesundheitssystem natürlich nach wie vor gefährdet – vor allem, wenn man die Maßnahmen zur Infektionsvermeidung zurückschraubt, ist hier ein bekämpfenswertes Risiko erkennbar. Also braucht es Mechanismen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.

Und da fallen mir ein paar Dinge ein, um die oben genannten Grundkonzepte “Eigenverantwortung” und “wer bestellt, zahlt” in den Mittelpunkt der Pandemiebekämpfung zu rücken. Sinnvoll erscheint mir, sowohl das Weitergaberisiko durch Ungeimpfte (vor allem natürlich an andere Ungeimpfte) als auch das Hospitalisierungsrisiko der Ungeimpften zumindest zum Teil in die Verantwortung des Individuums zu geben. Zugang zu Restaurants, zum Einzelhandel, zu Veranstaltungen für Ungeimpfte nur mit aktiver Corona-Warn-App, um Infektionsketten innerhalb des gefährdeten Teils der Bevölkerung schnell zu erkennen und zu unterbrechen. Aus einem roten Risikostatus der App erwächst automatisch eine umgehende Testpflicht mit Quarantäne bis zum Testergebnis, bei positivem Ergebnis natürlich nachfolgend die Quarantäne wie bisher. Für Geimpfte entfällt die Quarantäne- und Testpflicht, es gibt nur noch eine Empfehlung.

Aufgrund grober Fahrlässigkeit der Ungeimpften würde ich Krankenhausbehandlungen bei vorliegender COVID-19-Infektion nur im Falle ausreichender freier Kapazitäten und unter Zahlung einer Selbstbeteiligung noch durchführen. Jeder sollte das Recht haben, auf die Stärke seines Immunsystems zu vertrauen. War dieses Vertrauen unbegründet, muss derjenige eben zum Teil für die Auswirkungen dieser Fehleinschätzung haften. Eventuelle Reha- und Nachbehandlungsmaßnahmen nach COVID-Erkrankung müssen natürlich aus eigener Tasche bestritten werden.

Relevant sollte der “Ungeimpft”-Status auch bei der Frage der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle sein. Grobe Fahrlässigkeit sollte hier zu reduzierten Leistungen führen – Zahlungen in Höhe des Hartz IV-Regelsatzes sollten ausreichen zur Sicherstellung des Existenzminimums. Es soll ja niemand verhungern.

Die jetzt bestehende Maskenpflicht würde ich weiter beibehalten. Es ist eine sehr preiswerte, eher non-invasive und trotzdem wirksame Geschichte. Preiswerter als durch die Maskenpflicht können ungünstige Pandemie-Auswirkungen kaum bekämpft werden. Zumal sie Sekundärnutzen durch die erfolgreiche Verhinderung der sonst üblichen Grippewellen entfalten.

Am Ende wird mancher sagen, dass meine Vorschläge im Endeffekt auf eine “Impfpflicht durch die Hintertür” rauslaufen. Nein, eigentlich nicht. Stimmen die Theorien der Ungeimpften bezüglich der Gefährlichkeit der Omikron-Variante, entstehen für sie ja gar keine zusätzlichen Kosten, solange sie nicht erkranken wird lediglich auf minimaler Ebene genau einmal (Quarantäne bei positivem Test) in ihre Freiheit eingegriffen, und das wohlbegründet. Schwer erkranken können sie laut ihrer eigenen Theorie ja auch nicht, die Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt ist deshalb für sie irrelevant. Danach sind sie als “Genesene” sowieso raus aus der Ungeimpften-Gruppe. Alle politischen Überlegungen zu einer Impfpflicht kann man bei Umsetzung meiner Vorschläge jedenfalls getrost ad acta legen. Stattdessen wird die Eigenverantwortung gestärkt, Freiheiten zurückgegeben und die individuelle Risikoeinschätzung und -vermeidung ermöglicht. Ohne, dass diese individuelle Einschätzung im Falle einer groben Fehleinschätzung zu Lasten der Gesellschaft geht.

Es wäre natürlich denkbar, dass sich in Zukunft eine SARS-CoV-2-Variante verbreitet, die diese meine Überlegungen wieder über den Haufen wirft. So ist das eben in einer dynamischen Situation. Was im März 2020 geboten war, muss im Januar 2022 nicht mehr richtig sein und umgekehrt. Aber es ist sinnlos, sich jetzt schon darüber tiefere Gedanken zu machen.

Omikron-Zahlen-Update-Update

Am 9. Januar war mein letzter Post zur Omikron-Situation, was in diesen bewegten Zeiten schon eine Ewigkeit ist. Zeit für ein Update des damaligen Updates.

Einige Zeitgenossen – auch solche, die ich früher einmal für intelligente Kommentatoren gehalten habe – bemühen immer noch das Narrativ “nur milde Verläufe, es gibt kein Problem” und versteigen sich gar zu abstrusen, durch die Datenlage eindeutig widerlegbaren Aussagen wie “die Omikronwelle – die in Großbritannien […] wie erwartet mild und ohne steigende Hospitalisierungen und Todesrate verlaufen ist”.

Hier also jetzt das faktenbasierte Omikron-Update zu den neuesten Zahlen, immer basierend auf dem 7-Tage-Mittelwert, der m.E. mindestens in der Rückschau der einzige sinnvoll zu verwendende Wert ist, der sowohl Tages- als auch Wochenschwankungen sinnvoll mittelt. Alle Daten können bei OurWorldInData abgerufen und verifiziert werden. Wie immer bei Wellen muss man mit den Infektionszahlen vorsichtig sein, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass bei Test-Positiv-Quoten jenseits der 20% jede Menge asymptomatischer Fälle durch das Testnetz schlüpfen – es geht also immer nur um Kurvenverläufe und grobe Abschätzungen unter unterschiedlichsten Rahmenbedingungen.

UK hatte den Scheitelpunkt der Infektionszahlen (täglich mehr als 150000) der aktuellen Omikron-Welle Anfang des Jahres (4./5./6. Januar) hinter sich gebracht, der starke Anstieg der Fallzahlen begann Anfang Dezember und führte zum typischen rasanten Anstieg wie aus den bisherigen Wellen bekannt. Ein Anstieg, in dem Deutschland im Moment steckt, mit bisher unbekanntem Enddatum. Wenn man sich dazu die Todeszahlen “mit oder an COVID-19” dazu im zeitlichen Verlauf anschaut, sieht man über den ganzen Dezember vor Weihnachten ein Plateau von etwa 110 bis 120 Todesfällen, dann ein Absinken auf 70-80 (warum? Keine Ahnung, eventuell nur Zufall oder ein statistisches Artefakt), dann ein steiler Anstieg über etwa zwei Wochen auf 260-270 Tote – auf diesem Plateau verharren die Zahlen bis heute. Wir sehen also auch bei Omikron den typischen Zeitverzug zwischen 2-4 Wochen, bis sich die Infektionswelle in den Todeszahlen niederschlägt. Als Indikator “wieviele schwere Verläufe” eignet sich die Zahl der Hospitalisierten, diese lag in UK lange Zeit stabil bei etwa 7500 pro Tag bis sie in Folge der Omikron-Welle auf konstant über 15000 von Anfang Januar bis heute stieg, mit knapp 20000 in der Spitze am 10. Januar. Auch hier passt der Zeitversatz “erkannte Infektion bis tatsächlicher Krankenhausaufenthalt” perfekt ins bisherige Bild. Da die Zahlen bei den Hospitalisierten wieder sinken, ist nicht zu erwarten, dass es bei den Todeszahlen noch eine böse Überraschung in näherer Zukunft gibt.

Halten wir fest: die Omikron-Welle hat in UK für einen starken – aber nicht dramatischen – Anstieg bei Hospitalisierungen und Toten geführt. Nun kann man die Tatsache, dass CFR und IFR deutlich niedriger sind gegenüber der Vor-Impf-Zeit entweder auf die Wirksamkeit der Impfung und/oder die hohe Zahl der Genesenen zurückführen, oder auf die deutlich mildere Natur von Omikron. Ich beführworte “alles drei” als einzig sinnvolle Antwort auf die Frage.

Machen wir einen kurzen Abstecher nach Südafrika, an vorderster Front bezüglich Omikron und damit schon am weitesten im auch anderswo zu erwartenden Verlauf. Wo die Impfquote eher niedrig ist – bei 60 Millionen Einwohnern gelten 16 Millionen als vollständig geimpft, Boosterimpfungen spielen praktisch keine Rolle. Das Medianalter der Bevölkerung liegt bei 28 Jahren, verglichen mit knapp 41 Jahren in UK und knapp 48 Jahren in Deutschland natürlich eine vergleichsweise junge Bevölkerung, die sehr viel weniger anfällig für schwere Verläufe oder gar Todesfälle sein sollte.

Unter diesen Randbedingungen begann Ende November die Omikron-Welle in Südafrika und arbeitete sich von etwa 1000 Infizierten pro Tag auf konstant über 15000 pro Tag zwischen Mitte und Ende Dezember hoch, in der Spitze eine Woche vor Weihnachten lag man bei über 20000. Im Gegensatz zur UK-Welle zeigt sich kein steiler Abfall, sondern ein sanftes Auslaufen der Welle – noch bis Mitte Januar lag man bei teils weit über 5000 Fälle pro Tag. Der Verlauf bei den Todeszahlen lässt erahnen, was die Quelle für das Narrativ “nur milde Verläufe” gewesen sein könnte: zu Anfang zeigte sich praktisch kein Ausschlag, von Anfang November bis Anfang Dezember dümpelten die Zahlen rund um 20-30 COVID-Toten pro Tag. Dann folgte ein stetiger Anstieg bis auf 150-200, mit einem sanften Abfall bis zur gestrigen Zahl “133”, allerdings mit einigen unerklärlichen Spitzen dazwischen inklusive heftiger Korrektur der Tageszahlen nach unten an einzelnen Tagen – das Meldewesen in Südafrika scheint wohl ähnlich gut entwickelt zu sein wie hierzulande. Bei den Hospitalisierungen sah man zu Beginn der Infektionswelle ebenfalls noch wenig Bewegung (eine weitere Quelle des “Omikron ist völlig harmlos”-Narrativs), aber Anfang Dezember ging es dann steil bergauf, von wöchentlich deutlich unter 1000 Hospitalisierungen bis auf fast 10000 in den zwei Wochen kurz vor und kurz nach Weihnachten.

Man kann also aus den Zahlen unschwer ablesen, dass Omikron keineswegs so harmlos ist, wie es manche glauben lassen wollen. Klar ist aber auch, wenn man eine hohe Impfquote, eine junge Bevölkerung, eine hohe Zahl an bereits Genesenen hat – oder am besten alles drei – ist die Welle der Infektionen zwar höher als alles bisher Gekannte, die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem bzw. auf die Sterblichkeit ist aber nicht mit der Vor-Impf-Zeit vergleichbar, sondern sind deutlich besser managebar. Um es nochmal mit Zahlen zu unterlegen: die letzte Infektionswelle in Europa (also: relativ wenig Genesene, relativ alte Bevölkerung) vor der Impfung Ende 2020 war etwa ein Drittel so hoch wie die Omikron-Welle. Die daraus resultierende Todeswelle ist aber vor der Impfung fast viermal so hoch wie bei der Omikron-Welle. Nimmt man beide Zahlen zusammen, ergibt sich für Europa ganz grob gemittelt eine Entspannung um Faktor 10 beim Verhältnis Infektion-Tod. In Südafrika hingegen war die Omikron-Welle ähnlich hoch wie der vergangenen drei Wellen (und das hat ganz sicher auch mit der fehlenden Breite der Testungen zu tun), die Todeszahlen liegen eher so bei der Hälfte bis bei einem Drittel – bei einer jungen, weitgehend ungeimpften Bevölkerung scheint Omikron also im Verhältnis immer noch recht gefährlich zu sein.

Unterm Strich: Impfen hilft. Viel Impfen hilft viel. Mit einer guten Impf- und Boosterquote kommt man mit nur wenigen NPIs (die bei einer derart infektiösen Variante wie Omikron sowieso nur noch geringen Wert haben) gut durch den Omikron-Winter. Zumindest in UK, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland. Ob das auch in Deutschland gilt, mit seiner doch recht hohen Nichtimpferquote in der Risikogruppe, dem höchsten Altersdurchschnitt in Europa und verhältnismäßig wenig Genesenen, wird sich noch zeigen. Denn hierzulande ist Ende Dezember der Ausläufer der letzten Delta-Welle ja nahtlos in den Start der Omikron-Welle übergegangen, d.h. auf den Intensivstationen des Landes liegen noch viele Schwerkranke aus dieser Zeit, und erst seit Mitte Januar steigt als Resultat der Omikron-Welle die Zahl der Erstaufnahmen wieder an, insgesamt fallen die Belegungszahlen aber noch. Das wird nicht so bleiben. Legt man die Zahlen aus UK zugrunde, würde ich ab etwa Mitte Februar mit mindestens 400 Toten täglich rechnen, über einen Zeitraum von 2-4 Wochen. So grob über den Daumen gepeilt, ohne jetzt ein ausgefuchstes mathematisches Modell zugrunde liegen zu haben.

Unterm Doppelstrich: das Narrativ von der harmlosen Omikron-Variante wurde von der Wirklichkeit eindeutig und nachhaltig widerlegt. Ich kann kaum erwarten, mit welchen neuen spannenden Hypothesen die Verharmloser als nächstes um die Ecke kommen. Denn das ist etwas, was man erfahrungsgemäß als Normaldenkender nicht prognostizieren kann.

Fischer zur Impfpflicht

Ich hatte mich schon früher lobend über die pointierten Kommentare von Thomas Fischer geäußert – nach wie vor der einzige Grund, bei der Online-Dependence des Relotius-Blattes vorbeizuschauen. Jetzt gibt es einen neuen Gastbeitrag aus seiner Feder – ein seltenes Ereignis, leider ist er ja nicht mehr regelmäßiger Kolumnist bei SPIEGEL Online. Und dieser Beitrag ist pointiert, ironisch, sarkastisch, unterhaltsam, bedenkenswert und interessant zugleich. Eine seltene Mischung.

Nach wie vor sind die Juristen ja uneins, was die Verfassungsmäßigkeit einer Impfpflicht angeht – nicht verwunderlich, wann sind Juristen sich schon mal einig. Und nach wie vor will ich aus liberaler Sicht keine Impfpflicht haben, gebe aber gerne zu, dass ich leider nicht weiß, wie man das liberale Konzept “Eigenverantwortung” für Ungeimpfte ohne Rückgriff auf wirklich unakzeptable Methoden etablieren könnte.

Und auch Thomas Fischer gibt zum Thema Impfpflicht seine Meinung ab, die natürlich trotz seines unzweifelhaft vorhandenen juristischen Sachverstandes nicht als allein Seligmachende akzeptiert werden sollte. Aber beispielsweise seine Beschreibung zur Positionierung der Regierung – die hat schon was. Seine süffisanten Anspielungen von Djokovic über den traurigen intellektuellen Zustand des FAZ-Feuilletons bis zum Ukraine-Konflikt, das ist schon große Kunst. Fast jeder Satz ein Genuss, fast jeder Schuss ein Treffer. Lesebefehl!

Rätselhafte Russen

Während die beste Außenministerin, die Deutschland je hatte, derzeit in der Ukraine und in Russland ihren Antrittsbesuch macht, will ich kurz ein paar Worte zum derzeit eher merkwürdigen außenpolitischen Kurs Russlands verlieren.

Beispielsweise verstehe ich überhaupt nicht, wie sich Russland mit einem ernsten Gesicht hinstellen kann und vehement verlangt, dass diverse osteuropäische Nationen, die Russland als angeblich natürlicher Nachfolger der glorreichen UdSSR als ebenso angeblich gottgegebene Einflusssphäre betrachtet, sich gefälligst von einer NATO- und am besten auch einer EU-Mitgliedschaft fernhalten sollen. Weil das gegen russische Interessen verstößt. Da sagt der Völkerrechtler in mir: kann ja sein, dass z.B. eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine gegen russische Interessen verstößt, aber es stellen sich da gleich zwei Fragen: erstens “warum”, zweitens “wen interessiert das”. Es ist ja nicht so, dass die NATO angriffslustig darauf wartet, endlich die Russland-Invasion starten zu können – hätte man ja schon bisher machen können, wenn das ein seriöses NATO-Ziel wäre, beispielsweise über die gemeinsame Grenze Russlands mit Norwegen oder Lettland oder Estland. Und die Türkei ist auch nicht weit weg. Und was alles an NATO-Ländern an die russische Enklave Kaliningrad grenzt – nein, eine Befürchtung über einen Angriff der NATO ist nun wirklich komplett abwegig. Und zwar nicht nur wegen der zahlreich vorhandenen russischen Atomraketen als Abschreckung. Und natürlich hat sich Russland, das ja wenn es in den Kram passt gerne mal das Selbstbestimmungsrecht der Völker (siehe Ost-Ukraine oder Krim) hochhält, aus den Angelegenheiten souveräner Staaten herauszuhalten.

Im Moment ist der Zankapfel die Ukraine, aber man fragt sich schon, was z.B. der Unterschied ist zwischen der Ukraine und beispielsweise Finnland. Die Finnen liebäugeln inzwischen ja auch mit einem NATO-Beitritt, und die gewisse Grundaggression der russischen Haltung mag da ein Motivator sein. Droht Russland für den Fall eines NATO-Beitritts der Finnen auch mit Konsequenzen? Wenn ja, welche und für wen? Nein, der russische Standpunkt ergibt nicht den geringsten Sinn. Länder in Europa tun gut daran, so schnell wie möglich der NATO beizutreten, um wenigstens einen gewissen Schutz vor Russland zu genießen – denn ob im Ernstfall tatsächlich die USA den notwendigen militärischen Druck auf Russland ausüben würde, lassen wir mal dahingestellt.

Gerne gepflegt wird ja auch der Mythos, dass die Russen sich stets an geschlossene Verträge halten würden. Wer das immer noch glaubt, dem empfehle ich bezüglich der Krim einen Blick in das Budapester Memorandum, in dem sich Russland z.B. verpflichtete, die territoriale Integrität der Ukraine (und dazu gehörte zweifelsfrei die Krim) als Gegenleistung zur atomaren Entwaffnung der Ukraine zu gewährleisten. Naja, Papier ist geduldig. Natürlich kennen Russland-Versteher alle möglichen Gründe, warum die Krim in Wahrheit gar nicht zur Ukraine gehört, inklusive der Geschichte vom Vaterlandsverräter Nikita Chruschtschow, der irgendwie völkerrechtswidrig die Krim der Ukraine geschenkt habe. Das mag ja sein, und trotzdem haben die Russen das Budapester Memorandum unterzeichnet, in dem der Status der Krim eindeutig völkerrechtlich zementiert wurde. Unterm Strich: kein Staat kann sich auf Vertragsinhalte mit Russland verlassen. Umso mehr Grund, der NATO beizutreten.

Ebenso gerne gepflegt wird übrigens die Geschichte, dass nach Ende der UdSSR bzw. des Warschauer Paktes irgendjemand angeblich den Russen versprochen habe, dass es keine NATO-Osterweiterung gäbe. Nicht nur Gorbatschow hat sehr deutlich gemacht, dass es solch ein Versprechen niemals gab, nur entsprechende Angebote “des Westens” in der Frühzeit der Verhandlungen zur deutschen Einheit, aber niemals entsprechende Verträge – sogar die Wikipedia weiß das. Auch wird die NATO-Osterweiterung gerne als Strategie der “Einkreisung Russlands” gedeutet – komischer Kreis, ich empfehle einen Blick auf die Landkarte.

Bleibt die Frage, was die Russen hoffen, welchen Profit sie aus ihrer aggressiven Haltung herausschlagen können. Klar, Putin hat jede Menge innenpolitische Probleme, die Wirtschaft ist in katastrophalem Zustand, nur durch massiven Rohstoffexport hält man sich einigermaßen über Wasser – und wenn es innenpolitisch Probleme gibt, ist ein “äußerer Feind” immer ein beliebtes Ablenkungsmanöver. Aber es hat seinen Preis. Die Ausgaben für Prestigeprojekte beispielsweise im Rüstungsbereich sind erheblich und hatten bekanntlich schon zum (vorläufigen?) Ende der UdSSR mit beigetragen. Auch Wirtschaftssanktionen – für viel mehr wird “der Westen” wohl nicht den Mut aufbringen – schmerzen Russland doch ziemlich, zumal auch China nicht zu den allerbesten Freunden gehört. China ist zudem das lebende und damit besonders schmerzliche Beispiel dafür, dass der Weg heraus aus kommunistischem Wahnsinn hin zu leidlich funktionierender Marktwirtschaft auch unter Beibehaltung der Alleinherrschaft der kommunistischen Partei (auch bekannt als “Diktatur”) funktionieren kann, und in Russland hat das mal sowas von gar nicht funktioniert. Nun war aber der chinesische Weg – mit Ausnahme vielleicht von Hongkong, aber das ist ein sehr kleiner Fisch – nicht etwa, per militärischer Gewalt in den umliegenden Gebieten seinen Einfluss zu sichern. Warum Russland das für eine empfehlenswerte Strategie hält, von Afghanistan (zu UdSSR-Zeiten) über Tschetschenien und Weißrussland bis zur Krim und der Ost-Ukraine, erschließt sich mir nicht. Was ist der Sinn, eine “Einflusssphäre” zu haben? Was nützt es Russland, wenn es beispielsweise auf dem Balkan oder in Syrien mit am Tisch sitzt? Oder ist es letztlich doch nur der verletzte Stolz einer Ex-Supermacht, eines Riesenreichs ohne signifikante wirtschaftliche Bedeutung, das außer seinen Atomwaffen nichts mehr in die Waagschale werfen kann?

Eines sollte klar sein: Russland ist wirtschaftlich sehr verwundbar, eine große Einnahmequelle sind die Gaslieferungen nach Europa (und hier vor allem nach Deutschland). Die ist in steter Gefahr, denn Gas kann heutzutage nicht nur über Pipelines, sondern auch per Tanker in Form von LNG angeliefert werden – und da stehen reichlich Lieferanten bereit, um einzuspringen, von den Golfstaaten bis zur USA. Durch die Verfügbarkeit preiswerter Fracking-Technologie könnten viele Länder der Erde zu Gasexporteuren werden, das ist aus meiner Sicht für Russland die größte Bedrohung in den kommenden zehn Jahren. Die derzeitig durch die Decke gehenden Gaspreise könnten ein mächtiger Katalysator für eine derartige Entwicklung sein.

Unter einer Voraussetzung allerdings ergibt Russlands derzeitige Haltung doch Sinn: nämlich wenn man langfristig plant, diverse osteuropäische Länder zwangsweise der eigenen Einflusssphäre wieder zuzuführen – vulgo einen Angriffskrieg zu führen. Denn ein Angriffskrieg gegen Nicht-NATO-Mitglieder ist ganz sicher sehr viel weniger riskant und teuer als gegen NATO-Mitglieder. Irgendwie kann ich aber nicht glauben, dass das die Strategie Russlands sein soll, egal mit welchem Zeithorizont. Es bleibt eben rätselhaft – zumindest für mich.

Über Hass und Hetze

In den letzten Jahren hat die Politik vermehrt Anstrengungen unternommen, gegen “Hass” und “Hetze”, vor allem natürlich im Urbösen, dem Internet, vorzugehen. Heiko Maas’ NetzDG war vermutlich der bisher massivste Eingriff in die Meinungsfreiheit der Menschen hierzulande, und das auch noch elegant “über Bande”, so dass die Zensur zwar staatlich indirekt veranlasst wird, aber von privaten Akteuren wie Facebook und Twitter tatsächlich durchgeführt wird – so kann man den Anschein von Rechtsstaatlichkeit bewahren.

Dazu eine generelle Anmerkung: auch das Äußern von “Hass” und “Hetze” gehört immer noch zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Vor allem deshalb, weil keiner jemals ein sauber formuliertes Gesetz verabschiedet hat (und jemals verabschieden kann), wie denn genau “Hass” oder “Hetze” definiert werden und warum es ein gesellschaftliches Interesse geben könnte, diese – wo auch immer – zu verbieten. Derzeit töbert ja vor allem unsere Neu-Innenministerin Nancy Faeser mit Vorschlägen wie “Telegram abschalten” durch die Medien, was erneut beweist, dass heutzutage nicht nur Politiker, sondern auch Minister keinerlei nachgewiesene Qualifikation für den Job benötigen, ja sogar dass maximale Unwissenheit wichtigste Voraussetzung ist, in der Politik einen Posten zu ergattern. Und sei es nur ein Versorgungsposten. Wobei Frau Faeser formal schon eine Qualifikation vorzuweisen hat, man muss heutzutage ja direkt dankbar sein, wenn ein Politiker mehr als ein abgebrochenes Studium der Theaterwissenschaften bildungstechnisch vorzuweisen hat. Aber wie kaum eine andere weiß Frau Faeser eventuell noch vorhandene Restbildung fast schon meisterhaft vor der Öffentlichkeit zu verstecken.

Ich will gar nicht darüber reden, was es technisch bedeuten würde, z.B. einen Dienst wie Telegram in Deutschland wirkungsvoll zu verbieten bzw. zu verhindern. Technisch gibt es nur eine Möglichkeit: Zensur auf allen Ebenen inklusive Verschlüsselungsverbot aller Verbindungen (quasi die China-Methode). Oder es wird nicht funktionieren. Bedenklich ist nur, dass ich unseren Politikern inzwischen die China-Methode tatsächlich zutraue, und die Journaille würde es super finden.

TL;DR: Hass und Hetze sind Menschenrecht und unveräußerlicher Teil der Meinungsfreiheit. Erst wenn daraus etwas seriös Justiziables erwächst – von der Beleidung bis zur Gewalttat – hat das irgendjemand zu interessieren.

Wissing gibt den Pseudo-Grünen

Volker Wissing – für alle, die das Ampel-Kabinett noch nicht auswendig gelernt haben: derzeit Verkehrsminister und parteitechnisch beheimatet in der FDP – hat heute für ein gewisses Presseecho gesorgt. Hauptsächlich, weil er die bisherige FDP-Parteilinie bezüglich der uralten Diskussion Akku-Auto vs. E-/Bio-Fuels verlassen und hat mehr in Richtung “E-Auto ist der einzig wahre Weg” unterwegs ist. Man könnte auch sagen, durch dieses schon frühzeitig gebrochene Versprechen sowohl was die Aussagen vor der Wahl angeht als auch was den Koalitionsvertrag angeht hat es Wissing geschafft, der langen Liste an FDP-Enttäuschungen für die Wählerschaft einen neuen Eintrag hinzuzufügen. Wie der Rest der FDP dazu steht, habe ich noch nicht vernommen.

Um was geht es? Aus irgendeinem dunklen Grunde hat unsere Regierung – oder besser gesagt “die Politik”, weil es trotz den diversen Regierungswechseln seit Ende der 90er ja nie anders gehandhabt wurde – irgendwann beschlossen, dass man bei den Senkungen der CO2-Emissionen sektorweise vorgeht. Jeder Sektor muss eine Reduktion vorweisen hin zum gemeinsamen Klimaziel. Industrie, Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft. Weil es ja auch ein supersinnvolles Vorgehen ist, für viel Geld sagen wir CO2 im Verkehrssektor zu reduzieren, wenn dieselbe Reduktion im Gebäudesektor für viel weniger Geld möglich wäre – klar, weil jede Tonne CO2 aus dem Auspuff eines SUVs viel viel schwerer wiegt als die aus dem Kamin eines Reiheneckhauses. Völliger Schwachsinn, aber in der Politik business as usual.

Nun kann man sich im Verkehrssektor ja viel vorstellen, um CO2-Reduktion zu erreichen. Viel mehr Elektroautos beispielsweise. Oder einfach eine Erhöhung des regenerativen oder atomaren Anteils der Stromerzeugung, um Bahn und Elektrobusse und Straßenbahn und schon vorhandene Elektroautos mit einem Strommix mit niedrigerem CO2-Anteil zu betreiben. Oder man könnte Treibstoffe höher besteuern, um die Verkehrsleistung zu reduzieren (das passiert beispielsweise mittels der neuen CO2-Steuer auf Diesel und Benzin, ich erwähnte das bereits). Oder E-Fuels bzw. Bio-Fuels – wir alle kennen letzteres aus den Beimischungen zu Benzin und Diesel, bei “Super E10” beispielsweise ein Anteil von (bis zu) 10% an Bioethanol. E-Fuels stammen hauptsächlich aus der Notwendigkeit, für die unzuverlässigen erneuerbaren Energien eine Speichermöglichkeit zu kreieren, mit der man aufgrund der CO2-Neutralität der Quelle bei temporärem Überangebot des erzeugten Stroms mit dem so erzeugten Treibstoff klassische Verbrennertechnik beibehalten könnte um so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Denn der Weiterbetrieb eines Verbrenner-Autos ist allemal klimafreundlicher als ein neues Elektroauto, das mit einem erheblichen CO2-Rucksack auf die Welt kommt, der dann insbesondere beim eher ungünstigen Strommix hierzulande auch eine erhebliche Fahrleistung erfordert, um mühsam eventuell irgendwann in den CO2-einsparenden Bereich zu kommen. Trotz immenser Kaufanreize haben die Elektroautos ja noch nicht mal bei den Neuwägen die Verbrenner zahlenmäßig überholt, man wird also mindestens die nächsten 10 Jahre eine große Zahl von Verbrennern auf der Straße haben.

Besonders amüsant ist Wissings Einlassung dahingehend, dass ein Teilargument ist, dass man das wenige zur Verfügung stehende E-Fuel eher für den Flugverkehr bräuchte als es in Verbrenner-Autos zu verschwenden. Da liegen doch zwei einfache Lösungen nahe: mehr E-Fuels produzieren, oder mindestens einsehen, dass es völlig wumpe ist ob das E-Fuel nun im PKW, im LKW, im Bus, in der Diesellok oder im Flugzeug verbrannt wird – die CO2-Einsparung ist stets dieselbe. Eine Spielart des Wissing-Arguments wäre: so lange die Erneuerbaren Energien nicht den kompletten Stromverbrauch von Industrie und Haushalten und Kleinverbrauchern und Schienenverkehr deckt, brauchen wir im Straßenverkehr erst gar nicht anzufangen mit der Elektromobilität. Und was soll ich sagen: würde stimmen, aber so weit hat der gute Mann nicht gedacht. Denke ich an seine Vorgänger, scheint das Verkehrsministerium ein besonderer Anziehungspunkt für geistige Minderleister zu sein. Wie das Verteidigungsministerium. Oder das Wirtschaftsministerium. Oder das Außenministerium. OK, ich gebe es zu: wie jedes Ministerium.

Unterm Strich ist Wissings Äußerung eben nur ein weiterer Nachweis dahingehend, dass man politikseitig ständig versucht, bestimmte Lieblingslösungen durch Subventionen zu favorisieren, anstatt einfach die Rahmenbedingungen vernünftig zu setzen (beispielsweise durch einen durchgängigen CO2-Preis) und abzuwarten, wie man für das wenigste Geld den größten Effekt bekommt – denn der Markt ist echt gut dabei, solche Dinge zu regeln, wenn nur das Preissignal gut und nicht (üblicherweise durch die Politik) verzerrt ist. Dass gerade die angeblichen Freunde der Marktwirtschaft von der FDP diesen ursozialistischen Planwirtschaftsfehler wiederholen, ist leider genauso enttäuschend wir erwartbar. Um mal Danisch zu zitieren: wer wählt so was?

Aber vielleicht tue ich Wissing auch unrecht, und er wollte in Wahrheit in einer Art subversiver Underground-Taktik den deutschen EU-Austritt nahelegen, denn er sagte wohl auch folgendes: “Wenn man sich die EU-Regulierung anschaut, sieht man, dass die Entscheidung für die E-Mobilität längst gefallen ist”. Daraus könnte man folgern, dass die EU-Regulierung kacke ist, man aber auf EU-Ebene nicht mehr rauskommt, und es ergo die einzig sinnvolle Option ist, diesen Verein zu verlassen, der solche dummen Regulierungen für angemessen hält. OK, da ist wohl eher mein Wunsch der Vater dieser absurden Interpretationsvariante.

Über gendergerechte Sprache

Eine der irren und wie üblich – zumindest in der behaupteten Allgemeinheit – unbelegten Thesen der Sozialwissenschaft ist ja, dass Sprache unser Denken massiv beeinflusst. Deshalb sei es unglaublich wichtig, nicht etwa “Fernfahrer” zu sagen und/oder zu schreiben, sondern “Fernfahrer:innen” oder “Fernfahrer*innen” oder “FernfahrerInnen” oder “Fernfahr*X” oder “Fernfahrende”, weil natürlich jeder beim Aussprechen oder Hören oder Schreiben oder Lesen des Wortes “Fernfahrer” einen Mann vor Augen hat und nicht etwa sowohl einen Mann als auch eine Frau als auch mindestens eine Person aller möglicher alternativer Geschlechter. Niemalsnicht kann es natürlich an Erfahrungswerten liegen, dass man bei “Fernfahrer” eher an einen Mann denkt und bei “Pflegekraft” eher an eine Frau. Allein die Existenz von Sendungen wie “Trucker-Babes” hat vermutlich mehr für die Gleichstellung der Frau getan als alles Gendergeschwurbel dieser Welt, aber das nur nebenbei.

In einem muss ich aber zustimmen: wenn ich irgendwo genderneutrale Sprache vorfinde, beeinflusst das tatsächlich mein Denken, meine Wahrnehmung: ich weiß sofort, dass das Geschreibsel mit hoher Wahrscheinlichkeit ideologiegetränkt ist und der Autor den Kotau vor unserem politisch-korrekten Mainstream macht, also kaum ausreichend Rückgrat besitzt, um etwas wirklich Lesenswertes zu schreiben.

Insofern: danke an die Erfinder der genderneutralen Sprache, es ist ein wirklich hervorragender Frühindikator für wertloses Bullshitgelaber. Noch vor ungeschliffenen Formulierungen und vielen Rechtschreibfehlern.

Zeichen des Niedergangs

Meines Erachtens mehren sich in jüngerer Vergangenheit die Zeichen, dass unser guter alter liberaler Rechtsstaat mit darin sich prächtig entwickelnder sozialer Marktwirtschaft in näherer Zukunft deutlich gerupft bis völlig zerstört werden könnte. Drei exemplarische Beobachtungen – lauter Kleinvieh, aber es läppert sich; bei längerem Nachdenken würde man sicher auf mindestens 1000 solcher scheinbarer Kleinigkeiten, die aber allesamt in die gleiche und falsche Richtung zeigen, finden können. Je nach Grad des verbliebenen Optimismus kann man darin das Ende des Rechtsstaates sehen oder der Beginn der Phase der spätrömischen Dekadenz.

Erstes Beispiel: man regt in Berlin die Schaffung eines Postens an, eines “Parlamentpoets”. Katrin Göring-Eckart kam wohl auf die Idee, oder war zumindest die erste die sich traute sie hierzulande zu äußern. Man kann nun nicht sagen, dass es die schlechteste Idee ist, die Frau Göring-Eckart jemals geäußert hat, denn da liegt die Latte sehr hoch. Aber sie ist trotzdem sehr dumm und belegt einmal mehr, wie wenig unsere sogenannten Volksvertreter auf scheinbar naheliegende Dinge wie Effizienz, Sparsamkeit und Priorisierung achten wollen oder können. In einem Land, wo vom Straßenbau über die Digitalisierung bis zum Bildungswesen so viele Dinge in so einem dramatisch schlechten Zustand sind – eigentlich müsste der Politik bis auf weiteres verboten werden, überhaupt über Sekundärprobleme wie Gendern oder Kulturförderung überhaupt nachzudenken geschweige denn auch nur einen Euro auszugeben.

Mein zweites Beispiel kommt aus der IT. Dort beschäftigen sich inzwischen eine Menge Leute mit Dingen wie “Code of Conduct” und Umbenennungen von Begriffen, die irgendjemand zu stören scheinen. Exemplarisch nenne ich mal die “Master-Slave-Technik” oder den Hauptbranch im Versionsverwaltungssystem Git, der früher “Master” hieß und der nun per Default beispielsweise auf GitHub stets “Main” heißt. Und das in einer Branche, die vor allem sicherheitslückentechnisch von einer Katastrophe in die nächste stolpert – es kann also ausgeschlossen werden, dass man auch nur eine freie Minute über solchen Mumpitz nachdenken sollte.

Mein drittes Beispiel kommt aus der wunderbaren Welt der Zensur made by Google/Twitter/Facebook und Konsorten. Dr. Roy Spencer, ein Wissenschaftler, der vor allem für die Temperaturmessung per Satellit zurecht bekannt ist und zahllose Ehrungen im Laufe seiner Karriere erhalten hat, wurde von Google “demonetized”. Oder besser gesagt seine Webseite. Wegen “unreliable and harmful claims”. Deshalb gibt es ab sofort kein Geld mehr über den Google-Adsense-Mechanismus. Natürlich kann Google nicht sagen, was denn diese “unreliable and harmful claims” sein sollen, inwiefern sie denn unzuverlässig sein sollen, wer das behauptet hat und wem sie schaden außer natürlich den diversen Klimakatastrophikern und denen, die an der prognostizierten Katastrophe ganz prächtig verdienen. Denn Dr. Roy Spencer ist ein “Lukewarmer”, die ein besonderer Stachel im Fleisch der Klimakatastrophiker sind. Während man die Hardcore-Skeptiker mit recht einfachen Argumenten und wissenschaftlichen Tatsachen schnell als Scharlatane brandmarken kann, ist es bei den “Lukewarmern” deutlich schwerer – ich weiß das, weil das auch meine eigene Position ist, und bisher ist es noch niemandem in einer Diskussion gelungen, diesen Standpunkt auch nur annähernd zu widerlegen. Denn er geht kurz gefasst so: ja, unser anthropogener CO2-Ausstoß erwärmt die Erde. Ja, aus physikalischen Gründen ergibt sich für eine CO2-Verdoppelung eine Erwärmung um knapp 1 Grad. Ja, es liegt nahe, dass durch den Rückkopplungseffekt durch den Wasserdampf in der Atmosphäre vermutlich so um die 0,5 Grad noch obendrauf kommen. Ja, das kann man auch in den Messungen sehen (z.B. in den UHA- und RSS-Satellitenmessungen – derzeit wird ein Trend von 0,14 Grad pro Dekade gemessen, und das schon seit Jahren stabil). Ja, das bedeutet zwingend, dass die von manchen Kreisen prognostizierte Klimakatastrophe ausfällt, denn mehr als zwei Verdoppelungen des CO2-Gehalts der Atmosphäre gegenüber dem vorindustriellen Niveau wird uns nicht annähernd gelingen. Und damit werden viele Klimaschutzmaßnahmen sowohl zu teuer als auch zu wirkungslos, um noch annähernd sinnhaft zu sein.

Klar, so ein wissenschaftsnaher Standpunkt kann von Google, die in den letzten Jahren von “don’t be evil” nahtlos zu “Marxismus first” übergegangen sind, natürlich nicht geduldet werden – erster Schritt: “demonetizing”, zweiter Schritt vermutlich “deplatforming”. Man fragt sich, warum Firmen wie Google oder Twitter oder Facebook in den USA immer noch unter “Infrastruktur” laufen und nicht schon lange unter “Publisher”, was sie gleichzeitig in verschärfte Haftung nehmen würde. In Verbindung mit dem NetzDG hierzulande halte ich diese beobachteten Dinge für die weitaus größte Gefahr für die Meinungsfreiheit in unseren westlichen Restdemokratien. In echten Rechtsstaaten könnte man dagegen jetzt ganz einfach klagen und ordentlich Schadenersatz fordern. Diese Hoffnung braucht man sich in den USA und anderswo aber ganz sicher nicht zu machen.