Gedanken zur Diesel-Krise

Anderswo wird jetzt sicher übers TV-Duell geredet und geschrieben. Ich habe es aufgezeichnet, zweifle aber noch dran, ob ich das durchhalten kann. Schon das Format passt mir nicht, ich hätte gerne Vertreter aller Parteien, die Potenzial für den Einzug in den Bundestag haben, dabei. Und ich hätte gerne kompetente Journalisten, die angesichts des typischen Politikergeblubbers nicht nur bedächtig den Kopf wiegen, sondern knallhart nachfragen und Wischi-Waschi-Aussagen nicht durchgehen lassen. Die scheint es aber nicht zu geben. Also arbeite ich mich an einem schon älteren, aber immer noch aktuellen Thema ab.

Seit der Betrug von VW in den USA bei ihren „Clean Diesel“-Fahrzeugen mit eingebauter Prüfstandserkennung bekannt wurde, prasselt so einiges auf den Diesel ein. Wobei, hauptsächlich auf Diesel-PKWs, das ist der Lieblingskriegsschauplatz der Medien und Parteien. Vielleicht haben die im Hinterkopf, dass es ja auch Diesel-Busse und Diesel-Loks gibt, und die gehören qua Definition ja zu den „Guten“.

Und das ist auch das Charakteristische an großen Teilen dieser laufenden Diskussion: der gesunde Menschenverstand ist abgeschaltet, Fakten spielen nur eine Rolle wenn sie ins Konzept passen, Größenordnungen werden ignoriert, Minimalprobleme werden zum Weltuntergang hochstilisiert während echte Probleme unter den Tisch gekehrt werden.

Schrieb ich gerade „diese Diskussion“? Eigentlich sind das ja Charakteristika fast jeder öffentlich geführten Diskussion in den letzten Jahrzehnten, stets geprägt durch viel Überzeugung und wenig Wissen, befeuert von den Qualitätsmedien, denen kollektiv die Fähigkeit zu Recherche und neutraler Berichterstattung abhandengekommen ist. Zeit, ein paar Pflöcke einzuschlagen.

Gerne wird der gesamten Automobilindustrie kollektiver Betrug vorgeworfen. Dazu sollte zur Kenntnis genommen werden, dass das lediglich für VW (und Audi/Porsche) in den USA gilt. Gemäß europäischem Recht hingegen kann man das noch nicht in dieser Art festhalten. Dazu ist die europäische Gesetzgebung einfach zu schlecht. Ob das Argument „Bauteilschutz“ für die diversen Kunstgriffe wie Thermofenster o.Ä. gut ist, lässt sich Stand heute eigentlich nicht sagen. Ein Thermofenster, das schon unter 17 Grad Celsius Außentemperatur Teile der Abgasreinigung abschaltet (das wurde bei einigen Opel-Dieselmotoren behauptet), scheint mir den Bogen des Zulässigen deutlich zu überspannen. Und was man über Fiat-Diesel lesen konnte – nach 25 Minuten werden Teile der Abgasreinigung abgeschaltet, ganz zufällig natürlich, weil die Prüfstandsmessung etwa 20 Minuten dauert – scheint mir auch zumindest in der Nähe des Betrugs zu verorten zu sein.

Regelmäßig wird auch das Verbot von Dieselmotoren oder gar aller Verbrennungsmotoren in naher oder etwas weiter entfernter Zukunft ins Gespräch gebracht – u.a. von Greenpeace, den Grünen und auch unserer Kanzlerin. Eine sachliche Begründung dafür habe ich noch nie gelesen. Klar trägt der PKW-Verkehr zur Umweltbelastung bei – Lärm, Schadstoffe, Verkehrsfläche. Aber erstens wird die Luft seit Jahrzehnten stetig besser (was sogar das UBA bestätigt – seit 1990 sind die Stickoxidbelastungen um rund 60% zurückgegangen, davon hat der Verkehr sogar den größten Anteil geleistet), und zweitens ist unklar, was denn die Alternative sein soll. Der Auspuff des Elektroautos steht halt woanders, nämlich beim Kraftwerk. Feinstaub in Form von Reifen- und Bremsabrieb erzeugt auch das Elektroauto. Und die Energiebilanz beim öffentlichen Verkehr sieht jetzt auch nicht wirklich prickelnd aus, von der notwendigen Verkehrsfläche ganz zu schweigen. Zumal ein komplettes Verbot von Verbrennungsmotoren im PKW-Bereich auch die schadstofftechnisch sehr günstigen Erdgasmotoren treffen würde – und bekanntlich ist Erdgas der Energieträger, der die Rettung für die Unstetigkeit der erneuerbaren Energien sein soll, Schlagworte sind hier „Windgas“ oder „Bioerdgas“. Aber ein durchdachtes Politik-Konzept zu erwarten legt die Maßstäbe ja geradezu unerreichbar hoch für unsere Politikdarstellerlaientruppe.

Beim „Diesel-Gipfel“ mit Bundesregierung und Vertretern der deutschen Automobilindustrie wurde eine recht umfassende, softwaretechnische Nachrüstung vieler Euro 5- und Euro 6-Dieselfahrzeuge beschlossen. Wie zu erwarten war ging direkt das Geheul los – auf keinen Fall ausreichend sei das, das würde ja nur wenig helfen bezüglich Einhaltung der EU-Grenzwerte der Luftqualität, und vieles mehr war zu lesen. Vor allem letzteres entbehrt nicht einer gewissen Ironie – denn der Grund, warum auch nachgerüstete (und damit auf jeden Fall gesetzeskonforme, die Euro-Grenzwerte einhaltende Fahrzeuge) Diesel-PKW nicht ausreichen, die Stickoxid-Werte unter den Grenzwert zu drücken, gibt es derer (mindestens) drei: der geringe Anteil des Verkehrs an der Gesamtstickoxidbelastung, der geringe Anteil der Euro5/Euro6-Diesel im Stadtverkehr, und die Weigerung ausländischer Hersteller (und das inkludiert z.B. auch Ford), an der Nachrüstung teilzunehmen (und das ist der eigentliche Diesel-Skandal, denn bei Messungen abseits des Prüfstandes schneiden BMW, Mercedes und VW/Audi sogar recht gut ab, während vor allem Renault- und Fiat-Modelle dramatisch höhere Emissionen im Realbetrieb zeigen). Selbst wenn man alle Diesel-PKWs kollektiv mit einem dauerhaften Fahrverbot belegt, ist an vielen Stellen der Republik der Grenzwert nicht einhaltbar.

Amüsant in diesem Zusammenhang der oft gehörte Vorwurf, dass man sich gar nicht vorstellen könne, dass allein ein Softwareupdate ausreichend Wirksamkeit entfaltet, denn die Software hätte man ja von Anfang an so gestalten können. Das verkennt in geradezu epischem Ausmaß die Realität der kommerziellen Softwareentwicklung. Man optimiert schlicht nicht bis zum bitteren Ende, denn das Optimum lässt sich erstens aufgrund der Zielkonflikte (hier z.B. Schadstoffausstoß vs. Fahrbarkeit vs. Verbrauch) schwer definieren, und beliebig viel Zeit und Geld steht bekanntlich auch nicht zur Verfügung.

Gerne wird die Diesel-Krise auch genutzt, um der deutschen Automobilindustrie vorzuwerfen, den Trend zum Elektroauto verschlafen zu haben und stattdessen am rückständigen Diesel festgehalten zu haben. Das ist in so vielerlei Hinsicht falsch, dass nicht mal das Gegenteil richtig ist. Zunächst sollte man nochmal festhalten: strenggenommen gibt der Markt gar keinen Trend zum Elektroauto her. Elektroautos sind nur dort so einigermaßen erfolgreich, wo der Staat massiv subventioniert – Norwegen ist das Paradebeispiel. Ansonsten ist das E-Auto nirgends aus seiner Mini-Nische herausgekommen. Und es ist ja nicht so, dass es keine E-Autos aus deutschen Landen gibt: vom BMW i3 bis zum e-Golf reicht das Angebot, dazu die zahlreichen Plugin-Hybrid-Angebote, die zumindest rein elektrisches Pendeln erlauben. Aber wie alle E-Autos kranken auch diese an den systembedingten Nachteilen: Akku teuer, Akku schwer, Akku sensibel, Ladezeiten ultralang, dünne Ladeinfrastruktur. Dass sich der Kunde da gerne für einen klassischen Verbrenner entscheidet, kann man ihm kaum vorwerfen. Es ist weiterhin die rationale Entscheidung.

Schwer verständlich fand ich das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts unter Richter Kern zum Diesel-Thema und der DUH-Klage. Im Prinzip hat man Fahrverbote ab 2018 gefordert – weil der Gesundheitsschutz höher wiegt als der Bestandsschutz der PKW-Fahrer bzw. deren Mobilitätsbedürfnis. Euro 6-KfZ sollen ausgenommen sein. Fahrverbote nur an Schadstoff-Hotspots hat man als unzureichend abgelehnt, genau wie die Nachrüstung vorhandener Fahrzeuge. Alles, was ich über den Inhalt des Urteils gelesen habe, klingt schwer nach Willkür. Warum die Euro 6-Diesel von einem möglichen Verbot ausnehmen? Manche Euro 6-Diesel stoßen mehr Schadstoffe aus als gute Euro 5-Diesel. Und mancher Benziner ebenfalls. Warum sollen nur allgemeine und keine streckenbezogene Fahrverbote ein gültiges Mittel sein? Hat das Gericht womöglich Simulationen zur Ausbreitung der Schadstoffe durchgeführt und es keinem erzählt? Warum die Verengung auf den PKW? Es gibt schließlich andere NOx-Quellen, und wenn Bestandschutz eh nix zählt, wie wäre es mit dem Stilllegen von Dieselloks der Bahn, von Baufahrzeugen, von LKWs, von Bussen? Von Holz- und Kohleheizungen? Von Kraftwerken? Wie gesagt, reine Willkür. Zumal die Prämisse, dass die derzeit gültigen Grenzwerte überhaupt gesundheitsrelevant sind, nicht mal hinterfragt wurde. Wenn man sich die steil nach unten gehenden NOx-Konzentrationen in Deutschlands Atemluft anschaut, muss man sich schon fragen, wie damals überhaupt jemand überleben konnte.

Hat die Krise etwas Gutes? Sehr positiv finde ich, dass endlich mit RDE-Messungen („Real Driving Emissions“) gearbeitet wird. Denn Prüfstand ist Prüfstand – „was zählt, is auffer Straße“, um ein geflügeltes Wort aus dem Fußball abzuwandeln. RDE-Messungen setzen die Automobilindustrie unter Druck, weil sie dem Käufer handfeste Entscheidungskriterien bereitstellen. Wer will schon der Schmutzigste sein? Es will ja auch keiner am meisten Sprit verbrauchen. Und tatsächlich zeigen ja aktuelle RDE-Messungen, dass der saubere Diesel sehr wohl möglich ist. Zumindest bei neuesten BMW- und Mercedesmodellen sowie einem Opel mit Softwareupdate – unsere ausländischen Freunde hinken hier noch ziemlich hinterher. Nur ein paar Zahlen: ab 2018 erfordert die Norm Euro 6c einen maximalen NOx-Ausstoß von 168mg/km. BMW 520d: 28mg/km. Mercedes 220d: 41mg/km: Opel Zafira 1.6: 71mg/km. Damit liegt der Ausstoß im Realbetrieb sogar noch unter den Prüfstandanforderungen. Hier ein zusammenfassender Artikel. Faktisch ist der saubere Diesel also möglich. Welches Verbotsargument bleibt dann noch? Richtig, kein rationales, nur ein ideologisches. Diesel böse. Verbieten.

Bald ist Bundestagswahl. Ich empfehle dringend, die Positionen der Parteien bezüglich ihres Rationalismus bei der Verkehrsfrage abzuklopfen. Es kommt jede Menge Unwählbares dabei raus.

Die Qual der Wahl

Bald ist Bundestagswahl. Und es quält mich gleich mehrfach. Zunächst, weil ich täglich an gefühlt 1000 Wahlplakaten vorbei fahre, die in ihrer übergroßen Mehrheit unglaublich dämlich sind. Gut, bei der MLPD und der SED (oftmals irreführend als „Die LINKE“ bezeichnet) ist Dämlichkeit sowieso Programm, aber was die ehemals wenigstens teilseriöse SPD auf die Plakate pinselt – man würde sich wünschen, Herr Maas würde sich da bezüglich „Fake News“ mal nützlich machen. Wobei: was von SPD-Aussagen auf Wahlplakaten und generell im Wahlkampf zu halten ist, wissen wir ja seit Franz Müntefering: der sagte sinngemäß, dass es ja unfair sei, Politiker nach der Wahl an ihre Wahlversprechen zu erinnern. Wenigstens einer, der ehrlich ist, allerdings ist dieses Maß an offen zur Schau gestellter Wählerverachtung schwer zu ertragen.

Quälend auch die CDU-Plakate, die weitestgehend aussagelos sind – offenbar hat sich die Merkel-Taktik, sich niemals festzulegen, endgültig auf die ganze Partei ausgebreitet. Man wünscht sich dringend einen Friedrich Merz zurück, der den Laden mal aufmischt.

Noch mehr quält mich, dass eine Wiederwahl von Angela Merkel als Bundeskanzlerin quasi nicht verhinderbar ist. Die Frau, die mit ziemlich großem Abstand die gravierendsten Fehlentscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik getroffen hat – Finanzkrise, Euro-Krise, Energiewende mit beschleunigtem Ausstieg aus der Kernenergie, Flüchtlingskrise – sitzt fester im Sattel denn je. Und das, obwohl sie auch „im Kleinen“ stets bemüht war, jegliche ehemals unverrückbare CDU/CSU-Position kaltlächelnd zu räumen. Mindestlohn, Ehe für alle, Rente mit 63 – die Liste ist endlos. Jetzt hat sie ja gar Sympathie für die komplett irre Grünen-Idee geäußert, das Verbot von Verbrennungsmotoren zumindest in PKWs auf die Agenda zu setzen. Ganz prinzipiell würde ich es ja nicht mal für verwerflich halten, genuin linke Themen mit Augenmaß und Sachverstand nach langem Ringen um einen geeigneten Kompromiss umzusetzen – aber bitte doch ausschließlich dann, wenn man als Kompensation auch genuin eigene Themen umsetzt! Daran mangelt es aber ganz gewaltig. Wer Merkel wählt, bekommt links-grüne Politik und nicht das, was früher mal als typische CDU-Politik galt. Und was bis heute in jedem CDU-Programm steht.

Und damit kommen wir zur größten Qual – unter den Parteien, die reelle Chancen haben, in den Bundestag einzuziehen, gibt es nur zwei, deren Wahl unzweideutig als Anti-Merkel-Stimme aufzufassen ist: die AfD und die SED. SPD, Grüne und FDP würden nicht zögern, mit der CDU unter Merkel beliebige Koalitionen einzugehen, von Jamaica bis zur GroKo (wobei – ob die SPD unter dem lahmenden Zugpferd Schulz noch unter „groß“ durchgehen wird…). Die Umfragewerte schwanken, aber sogar eine Neuauflage von Schwarz-Gelb scheint momentan möglich. Grund genug, die FDP nicht zu wählen – zu tief sitzt noch die Enttäuschung der Koalition ab 2009, als man mit gutem Wahlprogramm und klaren Aussagen ein Top-Ergebnis erzielte, um danach davon genau gar nichts durchzusetzen und nicht mal die schlimmsten Dinge (vom ESM bis zur Energiewende) verhinderte, sondern beflissen mittrug. Das wirkt nach, das trage ich nach. Da mögen noch so tolle Dinge im Wahlprogramm stehen und im Wahlkampf verkündet werden, es gibt keinen Grund der FDP zuzutrauen, insbesondere in einer Merkel-Regierung irgendwas davon durchzusetzen. Zumal ich Christian Lindner für einen Totalopportunisten schlimmster Sorte halte und ihm jederzeit sogar eine Ampelkoalition zutraue, wenn das Wahlergebnis entsprechend ist.

Jeder, der an Parteiprogramme glaubt, sollte das der SED durchlesen. Kann kein vernünftiger Mensch wählen. Dazu das unappetitliche Personal, das mir seit Jahren auf den Keks geht. Bleibt die AfD, wo die „Alternative“ sogar im Parteinamen vorkommt. Ich war zur Lucke-Zeit AfD-Sympathisant, weil es die einzige Partei mit vernünftigen Ansichten zum Schulden- und Euro-Thema war, und zudem ein liberal-konservatives Profil pflegte, von dem sich CDU und FDP spätestens seit 2009 komplett verabschiedet haben. Seit Lucke abserviert wurde und insbesondere seit dem Essener Parteitag entwickelt sich die AfD allerdings eher in eine aus meiner Sicht ungünstige Richtung, und es gibt einiges an Personal, das mir gar nicht passt. Aber das gibt es in allen Parteien – wer könnte sich schon mit Claudia Roth, Jürgen Trittin oder Katrin Göring-Eckhard anfreunden? Und die Grünen haben sogar alle drei in einer einzigen Partei. Aber beim Parteiprogramm gibt es schlicht bei mir wichtigen Punkten viele Übereinstimmungen. Energiewende und Kernenergie, Umweltschutz, Rechtsstaat, innere Sicherheit, Euro und EU, Einwanderung, Asylrecht, Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, Quotenregelungen aller Art. Und ich bitte darum, dass sich der Rest der Welt mit dem tatsächlichen Programm der AfD auseinandersetzt und nicht mit dem Zerrbild, das große Teile der Medien davon verbreiten. Sorgen kann allerhöchstens die diffuse außenpolitische Position machen, aber das tut die der aktuellen Regierung ja auch schon, und nicht mal Steinmeiers Umstieg hat daran etwas geändert.

Seit ein paar Tagen ist der Wahl-O-Mat online, allerdings gibt es hier erhebliche Zugriffsprobleme – klar, wer hätte von einer überreichlich öffentlich finanzierten Einrichtung auch schon erwartet, dass sie IT-technisch etwas stabiles und zuverlässiges auf die Beine stellt. Ich bin gespannt auf das Ergebnis, auch wenn die vorgestellten Thesen immer etwas undifferenziert sind, um wirklich präzise abzustimmen.

Prozentrechnen für Anfänger

Seit einigen Tagen arbeite ich (selten, immer mal wieder) an einem Artikel, den ich mit „Auffrischungskurs Grundrechenarten“ betitelt habe. Dort versuche ich nachzuweisen, dass offenbar in breiten Teilen der Bevölkerung mit einer ziemlichen Häufung bei Journalisten die einfachsten mathematischen Grundlagen in Vergessenheit geraten sind. Niemand scheint in der Lage, simpelste Behauptungen einfach mal mit gesundem Menschenverstand und den vier Grundrechenarten nachzuprüfen.

Jetzt habe ich aber gerade bei Focus Online dieses Machwerk gelesen, weshalb der Themenkomplex „Prozentrechnen“ noch vor den Grundrechenarten in meinen Focus (haha) rückt. Ganz abgesehen von den schwachsinnigen Ideen einer inkompetenten Umweltministerin, von denen der Artikel berichtet – der laxe Umgang mit dem Thema Prozentrechnen erschüttert mich immer noch zutiefst (vermutlich aber nur, weil ich allen Journalisten eine Restintelligenz zubillige – eine Vermutung meinerseits, deren Erhärtung wohl zu meinen Lebzeiten nicht mehr gelingen wird), obwohl er bei fast jeder Diskussion über Wahlergebnisse beobachtet werden kann. Noch häufiger gibt es wohl nur die Verwechslung von Leistung und Energie bei den üblichen Energietechnikdiskussionen.

Liebe Journalisten, es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen Prozent und Prozentpunkten. Man schaue sich die Abbildung 1a im Artikel an. Zunächst das kleinere Problem: wenn eine Spalte mit „Rückgang“ überschrieben ist, sollte man bei einem tatsächlichen Rückgang sich doch bitte das zusätzliche Minus vor der Zahl sparen. Oder stattdessen „Veränderung“ drüberschreiben. Nein, die Zahlen sind auch noch offensichtlich komplett falsch, weil Prozent verwendet wird für einen Wert, der eigentlich Prozentpunkte ausdrückt. Wenn der Dieselanteil bei Toyota von 16% auf 6% gesunken ist, dann handelt es sich eben um einen Rückgang von 10 Prozentpunkten, oder anders ausgedrückt um einen Rückgang von 62,5%. Besonders witzig: für den Artikel hätten größere Zahlen ja sogar genau ins Konzept gepasst, aber der Journalist war dank Mathematikagnostik zu blöd diesen Elfmeter zu verwandeln.

Und nein, die Tatsache, dass die Grafik womöglich aus einer anderen Quelle stammt (sollte man Quellenangaben trauen, die von solch einem Qualitätsjournalisten stammen?), ist keine Entschuldigung. Ein Minimum an Eigenleistung sollte doch immer noch möglich sein, auch bei einem werbefinanzierten Online-Medium mit zu Recht schlechtem Ruf.

Tage der Entscheidung für Tesla

Vielleicht ist der Titel etwas zu dramatisch. Vielleicht ist die Einheit „Tage“ auch etwas kurz gewählt, und es sind „Monate“ oder sogar „Jahre“. Jedenfalls gibt es derzeit einige interessante Entwicklungen rund um Tesla, die ich hier aufgreifen und kommentieren will.

Zunächst: der Aktienkurs ist ziemlich abgestürzt. Wie immer ist man hinterher schlauer, aber genaue Gründe kennt man natürlich nie – schließlich ist die Börse eine Geheimwissenschaft und der Kurs Ausfluss von vielen Millionen Einzelentscheidungen. Und offenbar haben einige Anleger kalte Füße bekommen. Hat sich die Risikoeinschätzung fundamental geändert, oder ist es nur eine der üblichen Kurskorrekturen? Ist es derselbe Lemming-Effekt, der bisher den Kurs rasant nach oben getrieben hat, der ihn jetzt nach unten reißt? Viele behaupten ja, Börse sei zu 90% Psychologie. Und es könnte sein, dass dort überproportional viele Verrückte ihr Ding drehen.

Das Image, mit dem Model S eines der sichersten Fahrzeuge herzustellen, hat auch Kratzer bekommen, wie zu lesen war. Ein Crashtest inklusive dessen Wiederholung nach Maßnahmen von Tesla hat gezeigt, dass das Fahrzeug zwar nach wie vor zu den sichersten gehört, aber trotzdem deutliche Schwächen hat. Hier stellt sich der typische „Backfire“-Effekt ein, wenn man im Marketing immer von sich behauptet, der Allerbeste zu sein. Dasselbe war ja auch bei den Problemen rund um den „Autopilot“ schon festzustellen. Wer den Mund zu voll nimmt, muss mit Häme rechnen.

Und dann beginnt jetzt die Massenproduktion des lang erwarteten Tesla Model 3. Bisher hat Tesla bekanntlich nur eher kleine Stückzahlen produziert, und auch da gab es reichlich Schwierigkeiten, vor allem beim Model X. Dort waren sie aufgrund der recht komplexen Technik der Flügeltüren und der vielen Bestelloptionen vielleicht sogar erwartbar. Aber auch einfach nur „Massenproduktion“ ist nichts, was vom Himmel fällt, und es würde mich wundern, wenn das auf Anhieb glatt läuft. Im Moment produziert Tesla rund 80000 Autos im Jahr, bald soll da die Millionengrenze geknackt werden – und das schon 2020. Da erinnere ich mich an einen Spruch aus der Softwarequalitätsecke – „quantity is a quality of its own“.

Ich habe auch gelesen (wo ist mir leider entfallen), dass Tesla zur Beschleunigung des Produktivganges sich die Nullserie mit entsprechenden Tests gespart hat, und stattdessen die ersten Fahrzeuge vom Band einfach an Mitarbeiter und andere ausgesuchte Kunden ausliefert. Mal sehen, ob sich dieses Verfahren in der Praxis bewährt. Sie scheint mir jedenfalls mit der Planung des Stückzahlen-Ramp-ups zu kollidieren: im Juli sollen 30 Exemplare ausgeliefert werden, im Dezember sollen schon 20000 produziert werden (und das liegt wohl unter den früheren Planungen) – da ist wenig Zeit, um etwaige Verbesserungen in die Produktion einfließen zu lassen. Komisch: im zweiten Quartal hat man nur 22000 Autos verkauft, im ersten Halbjahr 47000, laut Musk so niedrig wegen eines Engpasses bei den Akkus fürs Model S. Kein gutes Omen für ein problemloses Hochfahren der Model 3-Produktion. Vielleicht auch ein Grund für die negative Kursentwicklung der Aktie.

Tesla hat bislang ja jede Menge Geld verbrannt. Das ist für einen Hersteller, der nun doch auch schon seit 10 Jahren Autos produziert und das Modell „erstmal in der Oberklasse anfangen, und dann ins Massengeschäft einsteigen“ fährt, doch eher ungewöhnlich. Zumal bisher die Stückzahlen ja nur langsam gestiegen sind und die Modellvielfalt sehr überschaubar war – es scheint also unwahrscheinlich, dass allein die vielen notwendigen Investitionen das Problem waren. Es liegt näher, dass man zwecks Etablierung der Marke deutlich unter dem eigentlich notwendigen Preis verkauft hat – solange die Investoren mitmachen, ist das ja auch ein valides Geschäftsmodell (siehe auch Amazon), man kauft Marktanteile. Nur verwunderlich, weil ja eben in der Oberklasse die Käufer nicht so sehr preissensibel sind und die Modelle ja durchaus gewichtige Alleinstellungsmerkmale haben, die es m.E. erlaubt hätten, den Preis deutlich höher anzusetzen.

Die Sache mit den gewichtigen Alleinstellungsmerkmalen wird sich mit dem Model 3 nun fundamental ändern. Gegenüber der Konkurrenz ist man weder preislich attraktiv noch mit ungewöhnlich großer Reichweite oder außergewöhnlichen Extras am Start. Bis auf den (kostenpflichtigen) Zugang zu den Tesla-Superchargern sehe ich überhaupt kein Alleinstellungsmerkmal in einem Marktsegment, das bereits heute von der Konkurrenz bevölkert wird. Auch bei den Kleinwagen ist man inzwischen bei über 200km praxisrelevanter Reichweite angekommen (Nissan Leaf, Renault ZOE), da nehmen sich die 350km des Tesla nicht mehr als außergewöhnlich aus – der Opel Ampera-E (in USA als Chevrolet Bolt bekannt) kommt auf etwa 380km (amerikanischer Zyklus, nach NEFZ 520km). Besonders scheint nur der Innenraum zu werden, aber ob das von den Kunden als vorteilhaft gewertet wird (großes Zentraldisplay statt konventionelle Armaturen) wird sich noch herausstellen müssen. Mich haben die ersten Bilder vom Innenraum eher irritiert.

Spannend wird sein, wie viele der Vorbestellungen (die ja eher kostenpflichtige Reservierungen mit voller Geld-zurück-Garantie sind, also eher eine Kaufintention ausdrücken als das feste Vorhaben) sich in tatsächliche Verkäufe ummünzen werden – insbesondere in Deutschland, wo noch immer voller Spannung der tatsächliche Verkaufspreis erwartet wird. Die oft genannte US-Preismarke des Basismodells bei 35000 US$ entspricht bei anderen Automobilen ja üblicherweise einem deutschen Endverkaufspreis von mindestens 40000€ (aber es ist ja noch etwas E-Auto-Prämie im Topf). Ist die Welt bereit für Massen-E-Mobilität, zu einer Zeit, da diese Art der Mobilität vorbehaltlich staatlicher Subventionen noch nicht gerade die individuelle ökonomische Reife erlangt hat? Der typische Early Adopter ist genau wie der Hipster und der Yuppie gerne bereit, mehr für weniger zu bezahlen, wenn es nur selten und hip genug ist. Fragen sie einfach mal jemanden, der einen der ersten Laserdisc-Player gekauft hat. Aber in der Butter-und-Brot-Klasse?

Aber vielleicht überrascht mich Tesla ja auch mit einem bisher unbekannten Must-Have-Feature oder einem doch niedrigeren Preis als gedacht oder einer doch höheren Reichweite oder einem doch kostenlos nutzbaren Supercharger-Netz. Es werden noch Wetten angenommen. Ein wenig Zeit ist ja noch: vermutlich werden die ersten Model 3 in Deutschland erst gegen Ende 2018 auf die Straße kommen.

Änderung am 2017-07-17 – zwei Tippfehler korrigiert.

Gedanken zum 17. Juni

Der 17. Juni, ehemals „Tag der Deutschen Einheit“ in der alten Bundesrepublik, bietet abseits der runden Jubiläen scheinbar wenig Stoff zur Berichterstattung in den Massenmedien. Gut, dass mein Blog so ungefähr das extremste Gegenteil eines Massenmediums ist. Ich will weniger den 17. Juni selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern ihn mehr einordnen in die Geschichte der DDR.

Die DDR hat in ihrer Geschichte lediglich fünf große Zeitpunkte in der Geschichtsschreibung verewigt, vermutlich könnten die wenigsten Einwohner Deutschlands auch nur zwei davon taggenau (zu befürchten ist, nicht mal jahresgenau) nennen. Also: Zeit für eine kleine Auffrischung der Geschichtskenntnisse.

Am 17. Oktober 1949 wurde die DDR gegründet, quasi als Reaktion der UdSSR auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Trizone durch die Westalliierten. Mit der Umwandlung der sowjetischen Besatzungszone in die DDR schien die deutsche Teilung auf unabsehbare Zeit fest zementiert. Ein logischer Endpunkt der Differenzen der Alliierten bezüglich der deutschen Frage nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Stalin konnte sich Gott sei Dank mit seiner Idee eines deindustrialisierten Agrarstaates nicht durchsetzen.

Der 17. Juni 1953 markiert den Tag, an dem die Welt erfuhr, was Sozialismus schon nach kurzer Zeit anrichten kann. Was als Arbeiteraufstand in Ostberlin begann als Protest gegen Normerhöhung und Lohnkürzung, breitete sich über die ganze DDR aus, wurde aber letztlich mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht niedergeschlagen – ein Muster, das sich 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei wiederholte.

Am 13. August 1961 dann der Bau der Berliner Mauer, quasi das Eingeständnis, dass der Osten den Kampf der Systeme zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht so katastrophal verloren hatte, dass man das eigene Volk einmauern musste, um ein weiteres Ausbluten zu verhindern. Eine weitere logische Konsequenz des Sozialismus.

Der Mauerfall am 9. November 1989 läutete dann – zumindest für Deutschland, die Grenzöffnung in Ungarn hatte dafür natürlich schon den Weg geebnet genau wie Gorbatschows aus der Not geborene Entspannungspolitik – das Ende der DDR und den Prozess der Wiedervereinigung ein. Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, ohne blutige Revolution – das schien nicht nur zu Hochzeiten des Kalten Krieges lange Zeit undenkbar.

Die Existenz der DDR endete am 3. Oktober 1990, nach über 40 Jahren Diktatur (und das quasi direkt im Anschluss an 12 Jahre Diktatur), Unrechtsstaat und sozialistischer Misswirtschaft. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist ein Glücksfall der Geschichte, insbesondere für die DDR-Bürger. Und da werden nicht mal die Mitglieder der SED (zwischendurch umfirmiert in SED-PDS, PDS, Linkspartei.PDS und schließlich DIE LINKE – trotzdem immer noch dieselbe Partei) widersprechen, auch wenn sie regelmäßig ein verstörendes Maß an Ostalgie zur Schau stellen.

Helmut Kohl – Ein Nachruf

Heute wurde der Tod von Helmut Kohl bekannt. 87 Jahre alt ist er geworden, sein politisches Vermächtnis von 16 Jahren Kanzlerschaft ist zuallererst die Einheit Deutschlands, aber auch der Euro und eine vertiefte Integration der EU.

Neben der Einheit Deutschlands verblasst natürlich vieles. Ich verbinde mit Kohl aber hauptsächlich die Jahre 1982 bis 1989, als er den unerträglichen Stillstand der Regierung Schmidt beendete und endlich wieder wirtschaftlicher und finanzpolitischer Sachverstand von einer breiten Mehrheit des Bundestages getragen war und nicht nur durch einzelne Regierungsmitglieder. Die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses war meines Erachtens eng verknüpft mit dem damals schon sich abzeichnenden Niedergang der Sowjetunion und deren osteuropäischen Bündnispartner. Die Stationierung von atomar bestückten Pershing-II-Raketen und der Cruise-Missile-Marschflugkörper war die notwendige Antwort auf die atomare Aufrüstung der Sowjetunion in Form der Stationierung der SS-20-Raketen in Osteuropa. Gott sei Dank hat sich damals die sogenannte Friedensbewegung, die nach meinem Dafürhalten sehr wenig mit Frieden im Sinn hatten (ganz ähnlich wie die heutigen angeblichen Umweltschützer (gerne auch mal dieselben Personen aus der Friedensbewegung), die sich nicht für den Erhalt einer lebenswerten Umwelt und Natur interessieren und einsetzen), mit ihren Forderungen nach faktischer Kapitulation nicht durchgesetzt.

Warum die Sowjetunion damals diese offensive Aufrüstung des nuklearen Mittelstreckenpotenzials in Form der SS-20 so forcierte, bleibt Spekulation. Es war eine klar aggressive Geste in Richtung Westeuropa, und gleichzeitig ja auch ein Hinweis an die USA: Euch betrifft es ja nicht, Eure Zweitschlagfähigkeit ist durch Interkontinentalraketen und der strategischen U-Boote ja nicht gefährdet. Der Verdacht liegt also nahe, dass man einfach etwas Zwietracht zwischen den Verbündeten säen wollte. Gott sei Dank war damals Ronald Reagan am Ruder (obwohl die ersten Schritte von Carter gemacht wurden, bleibt für mich unklar, ob er das durchgezogen hätte), der dieses Manöver durchschaute und in Form der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa die einzig richtige Antwort gab – eine harte, klare und unmissverständliche Ansage an die Kriegstreiber aus dem Osten, ein Signal der Geschlossenheit an die NATO-Partner.

Positiv in Erinnerung blieb mir die Wirtschafts- und Finanzpolitik der achtziger Jahre. Die große Steuerreform unter Stoltenberg war vermutlich die letzte vernünftige Reform des deutschen Steuerwesens. Dazu der stetige Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Neuverschuldung, beides erst gebremst durch das, was als „Deutsche Einheit“ in den Geschichtsbüchern steht, aus wirtschaftlicher Sicht aber schlicht der Aufkauf einer DDR, die faktisch pleite war, durch die BRD bedeutete. Inklusive Übernahme aller Altlasten. Und man mag kritisieren, dass die Angleichung der Lebensumstände in Ost und West vielleicht noch nicht abgeschlossen ist – dass aber auch der Durchschnittsbürger in Neufünfland heute weit besser lebt selbst als die damalige DDR-Elite, das dürfte unbestritten sein.

Warum Kohl 1998 nochmals als Kanzlerkandidat antrat, werde ich vermutlich nie verstehen. Wahrscheinlich hat er einfach in der CDU keinem seiner Vertrauten den Job zugetraut, und seinen Erzfeinden wie Biedenkopf oder Späth hätte er niemals freiwillig Platz gemacht. Da war er durchaus konsequent, andere sagen dickköpfig. Dickköpfig war er auch beim Aussitzen der Renten- und Steuerproblematik, erst 1997 gab es da Bewegung, die hauptsächlich an der SPD-Totalblockade im Bundesrat scheiterte, die wenigen durchgesetzten Dinge wurden von der Regierung Schröder im Chaos-Anfangsjahr von Rot-Grün direkt wieder zurückgedreht (um Jahre später in leicht veränderter Form wieder beschlossen zu werden) – vor allem bei der Rente einer der teuersten Fehler der Politik, die jemals begangen wurden. Zumindest bis Angela Merkel kam.

Noch ein kurzes Wort zur deutschen Einheit: aus meiner Sicht hat Kohl da viele Fehler gemacht, vor allem bezüglich der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik und des Überstülpens der schon damals überregulierten West-Verwaltung über die Ost-Strukturen. Und das zu einem Zeitpunkt, da leichtgewichtige und flexible Lösungen angebracht gewesen wären. Aber die Grundidee war gegenüber den Ideen eines Oskar Lafontaine natürlich weitaus besser. Leider verstand Kohl recht wenig von liberaler Wirtschaftspolitik und setzte seine Hoffnungen wohl zu stark auf die Selbstdarstellung der DDR als damals (zumindest laut der Statistiken) zehntgrößter Industriestaat und die Weiterführung der Exporte in die osteuropäischen Absatzmärkte. Bei der Abwicklung der DDR-Substanz durch die Treuhandanstalt wurde ja letztlich klar, wie unglaublich marode und ineffizient die Industrie der DDR war, die letztlich fast nur auf dem Weltmarkt unverkäufliche Produkte im Sortiment hatte. Und die Bürger der DDR wollten das Zeugs ja nicht mal selbst haben. Ich glaube nicht, dass das 1989 in dieser Form schon jemand auf der Rechnung hatte. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 zerfiel dann auch dieser letzte Absatzmarkt für DDR-Produkte.

Im Übrigen denke ich, dass in dieser Form die Einheit ohne Kohl undenkbar gewesen wäre. Oftmals wird es ja so dargestellt, dass die Einheit auf jeden Fall gekommen wäre, egal wer da auf dem Kanzlerstuhl gesessen hätte. Das halte ich für Unsinn – Kohl war die treibende Kraft, von den Verhandlungen mit Gorbatschow bis zum Übergehen diverser Bedenkenträger bei den westeuropäischen Partnerländern. Bekanntlich waren weder Mitterand noch Thatcher große Fans der Einheitsidee. Ob Kohl das hätte durchsetzen können ohne die Unterstützung von George Bush, bleibt natürlich fraglich. Aber hätte man ruhig den Zerfall des Ostblocks abgewartet, wer weiß wie die Geschichte dann verlaufen wäre.

Und nichts zur Parteispendenaffäre? Nein, die halte ich im Gesamtzusammenhang für ein extrem unwichtiges Faktum am Rande. Schlimmer für uns alle war wohl Kohls fatales Vertrauen in Angela Merkel, die es ohne Kohls Zutun vermutlich nie an die Spitze der CDU geschafft hätte.

Jedenfalls hat Kohl nach seinem Abgang als Kanzler vornehme Zurückhaltung geübt. Sehr angenehm, vor allem im Vergleich zu seinem Vorgänger und seinem Nachfolger. Helmut Schmidts Drang, den Weltökonom zu geben und die Welt – vor allem eben die Wirtschaftswelt – über ihre Irrtümer aufzuklären, war mir schon immer zuwider. Ein Kanzler, dessen Hinterlassenschaft eine einzige wirtschaftliche Katastrophe war – von der Arbeitslosigkeit über die Verschuldung bis zur Inflation – hätte sich besser in etwas Zurückhaltung geübt. Wobei die mediale Hofierung Schmidts im neuen Jahrtausend natürlich auch ein Zeichen für den Verfall der Bildungsstandards vor allem im journalistischen Bereich, aber auch in weiten Teilen der Bevölkerung war.

Kleinere Anpassungen am 2017-07-01 – Wording, Ergänzungen, Korrekturen.

Trump und das Klima

Die Gazetten drehen hohl, auf allen Fernsehsendern herrscht tiefe Betroffenheit, Politiker sagen noch mehr und häufiger komplett schwachsinnige Dinge als sonst, und alles scheint sich in kollektiver Besoffenheit (Copyright 2011 by Zettel) zu suhlen. 2011 Fukushima, 2016 Brexit und 2017 schließlich die Kündigung des Pariser Klimaabkommens durch die USA, respektive Präsident Trump. Normalerweise sind ja die Leserkommentare bei den Online-Medien wie SPIEGEL Online oder Focus Online nochmal abstruser als die Berichterstattung, die durch sie kommentiert wird. In diesem Falle scheint aber die Berichterstattung in ihrer Schrillheit nicht mal theoretisch überbietbar zu sein.

Was ist passiert? Wie im Wahlkampf angekündigt macht US-Präsident Trump in Sachen Klimapolitik Nägel mit Köpfen. Abkommen, die aus seiner Sicht keinen Sinn ergeben, werden aufgekündigt, und so hat es zwangsläufig das Pariser Klimaabkommen getroffen. So weit, so normal – man behalte im Hinterkopf, dass der frühere US-Präsident Obama zwar das Pariser Abkommen unterzeichnet hat, es aber vorsichtshalber nicht dem Senat zur Ratifizierung vorgelegt hat, vermutlich weil er wusste, dass er dort keine Mehrheit hatte. Eigentlich ist also sogar fragwürdig, ob Trump das Abkommen denn überhaupt kündigen muss, schließlich ist es aufgrund fehlender Ratifizierung für die USA nie in Kraft getreten. Man könnte also argumentieren, dass Trump lediglich den Status Quo für alle endgültig geklärt hat (die deutsche Wikipedia listet die USA z.B. als ratifizierende Nation des Abkommens, was nicht der Wahrheit entspricht – mindestens ist es aber strittig).

Was ist der Inhalt des Pariser Klimaschutzabkommens? Hauptsächlich Absichtserklärungen. Jedes unterzeichnende Land sichert zu, gewisse Anstrengungen zu unternehmen, um seinen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Das alles völlig unverbindlich, ohne Sanktionsmöglichkeiten, letztlich auch ohne internationale Kontrolle. Wozu auch kontrollieren, wenn die Ergebnisse niemanden interessieren? Dafür waren die formulierten Ziele umso ambitionierter: das „2-Grad-Ziel“ (teilweise war sogar vom „1,5-Grad-Ziel die Rede) wurde weithin publiziert, also die Beschränkung der Klimaerwärmung auf +2 (bzw. 1,5) Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveaus.

An dieser Stelle fragt sich der Experte, was für Schwachsinnige denn hier am Werk waren. Angesichts von Klimamodellen, die kaum besser sind als Zufallszahlengeneratoren die als Nebeneffekt einen Haufen Rechenzeit verschwenden, ist völlig unklar, was denn notwendig wäre, um das „2-Grad-Ziel“ zu erreichen. CO2-Reduktion um wieviel? Reduktion anderer „Klimagase“? Aktive Maßnahmen wie Algendüngung oder Einbringung von Stoffen in die Atmosphäre? Nix genaues weiß man nicht. Die CO2-dominierten Klimamodelle schwanken ja auch ziemlich bezüglich der Klimasensitivität. Da kann eine Verdoppelung der CO2-Konzentration der Atmosphäre mal 1 Grad Erwärmung verursachen, oder auch mal 8 Grad. Auf welcher Basis sollen denn hier Maßnahmen beschlossen werden, die ähnlich präzise wirken sollen wie wenn man im Haus am Thermostat dreht? Was ist der Thermostat der Erde? Erscheint mir als Hybris, die ganze Geschichte. Vor allem wenn man noch bedenkt, dass letztlich die globale Mitteltemperatur doch völlig uninteressant ist – entscheidend ist, wie sich der Klimawandel in den kritischen Regionen der Erde auswirkt. Oder um es plakativ auszudrücken: aus der Tatsache, dass es in Hamburg in 100 Jahren so warm sein wird wie heute in Freiburg, fällt es schwer, die Klimakatastrophe als Schreckgespenst an die Wand zu malen.

Auch lustig sind die diversen Details, zu was sich die einzelnen Länder im Rahmen des Abkommens verpflichtet haben. Das war einer der Aufhänger für Trump, das Abkommen als „unfair für die USA“ zu bezeichnen. Angesichts der Tatsache, dass sowohl China als auch Indien bis 2030 quasi einen Freibrief bezüglich CO2-Emissionen bekommen haben, kann man das durchaus nachvollziehen. Auch wenn natürlich fraglich ist, ob die USA es denn wirklich anstreben sollten, mit China und Indien bei der Produktion energieintensiver und lohnkostensensibler Waren zu konkurrieren. Aber mal als Vergleich: bereits heute hat China beim CO2-Ausstoß-pro-Kopf Frankreich deutlich hinter sich gelassen, dümpelt aber beim Wohlstand (kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf) auf etwa einem Drittel des Frankreich-Niveaus. Es gibt also eigentlich keinen Grund für eine „Lex China“ im Abkommen – auch wenn China weiterhin den Status Entwicklungsland statt Industrienation unbedingt behalten will.

Nun, das Abkommen enthält also hoch gesteckte Ziele, die wenn man genau hinschaut pro Nation dann plötzlich nicht besonders ambitioniert sind, und es gibt keinerlei echte Verpflichtungen, sondern alles basiert auf Freiwilligkeit. Man nehme ein Klimamodell und stecke die Reduktionsvorschläge bezüglich CO2 der einzelnen Nationen rein. Was ist die Temperaturprognose für 2100? Bjorn Lomborg hat es ausgerechnet und kommt auf gewaltige 0,05 Grad Reduktion gegenüber dem „business as usual“-Szenario. Man könnte also sagen, dass es sich um ein echtes Bullshit-Polittheater-Abkommen handelt.

Man fragt sich also, warum alle Welt plötzlich aufjault, wenn Trump die Notbremse zieht. Denn einen wirklichen Unterschied gegenüber einem Szenario mit Beteiligung der USA gibt es ja nun wirklich nicht. Zumindest nicht in der Realität, vielleicht im Wolkenkuckucksheim der Politik.

Man lese sich nur mal diesen Beitrag auf SPIEGEL Online durch, amüsanterweise im Bereich „Wissenschaft“ erschienen. Der sieht es als „besondere Magie“ des Vertrages an, dass niemand für dessen Einhaltung verantwortlich ist. Und hätte es für besser gehalten, wenn Trump das Abkommen nicht aufgekündigt hätte, sondern einfach die Zusagen der USA hintenrum still und leise kassiert hätte. Weil war ja nix verbindlich. Dann wird im Artikel auch noch behauptet, dass der Meeresspiegel steigt, die Extremwetterereignisse sich häufen und die Gletscher tauen. Man sollte festhalten, dass die Faktenlage hier extrem dünn ist – zwar steigt der Meeresspiegel tatsächlich, aber eine Beschleunigung aufgrund der Temperaturerhöhungen ist nicht in Sicht. Ebenso gibt es bis heute keinen Nachweis, dass sich Extremwetterereignisse häufen – sicher ist nur, dass sich die Schäden wegen Extremwetterereignissen vergrößert haben, was aber ganz einfach durch den weltweit steigenden Wohlstand zu erklären ist. Richtig ist allerdings, dass die Mittel für den im Pariser Abkommen vorgesehenen Klima-Fond durch den Ausstieg der USA stark gefährdet sind – angesichts der Tatsache, dass dieser Klima-Fond eine Art alternative Entwicklungshilfe darstellt und man inzwischen ja weiß, wie schädlich sich klassische Entwicklungshilfe auswirkt, könnte das für die Entwicklungsländer ein Segen sein. Ansonsten spinnt sich der Artikel merkwürdige Ideen bezüglich des Verlustes von Einfluss der USA aufgrund der Nichtteilnahme am großen Klima-Theater zusammen. Inwiefern „Einfluss“ in harten Dollars bewertet werden kann, das lässt der Verfasser offen. Immerhin stehen ein paar erschreckend hohe Zahlen bezüglich bisheriger und zu erwartender Investitionen im Bereich der „Erneuerbaren Energien“ drin – angesichts der erwiesenen Wirkungslosigkeit dieser Investitionen zieht der Artikel aber nicht den zwingenden Schluss, dass man irgendwie auf dem Holzweg ist.

Noch einen drauf setzt Martina Fietz in ihrer Focus Online-Kolumne. Trump auf Irrfahrt, Trump rettet Europa, es wird von Vorteil sein viel Geld für wirkungslose Maßnahmen und Subventionen auszugeben, China wird gelobt weil sie ihre Verpflichtungen (die, wie oben beschrieben, gar keine CO2-Reduktion umfassen!) einhalten wollen, Klimawandel bedeutet drohender Kollaps des Planeten, der Rest der Welt will verantwortliche und zukunftsweisende Politik machen, der Grundkonsens des Westens sei aufgekündigt, die EU erscheine zunehmend als einzige Möglichkeit, die Grundwerte von Demokratie, Solidarität und Menschenrechten zu wahren. Nun, man kann durchaus der Meinung sein, dass der gemeinsame Feind Trump die europäischen Reihen geschlossen hat. Aber inwiefern das nun plötzlich die EU-Probleme lösen soll, und inwiefern ein wirkungsloses Klimaabkommen für Demokratie, Solidarität und Menschenrechte steht – all das bleibt im Dunkeln. Der Artikel führt eindrucksvoll vor Augen, wie der journalistische Konsens derzeit aussieht: alles was angeblich gut fürs Klima ist ist super, jeder der dagegen ist ist mindestens ein Amokläufer und ein Menschenfeind, Kampf gegen den Klimawandel rechtfertigt beliebige Kosten, „business as usual“ treibt uns in die Klimakatastrophe und wir werden alle sterben. Alle diese Positionen müssen offenbar gar nicht mehr begründet werden oder mit Fakten untermauert werden, sie sind quasi die eigentlichen Axiome unserer Welt. Jeder mit gesundem Restmenschenverstand muss sich da im falschen Film wähnen.

Aber Focus Online kann natürlich auch Außenpolitik. In diesem Artikel wird die künftige chinesische Rolle einer Supermacht und Führungsmacht bei allen zukünftigen Fragen prognostiziert. Wegen der Kündigung eines Abkommens, das nachweislich wirkungslos ist. Und die Chinesen führen beim Kampf gegen den Klimawandel, indem sie für sich eine besondere Ausnahme bei den teuren Maßnahmen reklamieren und den Rest der Welt bezahlen lassen. Ja, das klingt nach einer Führungsrolle, der sich die EU jubilierend unterordnen wird. Andere führen, wir zahlen – super. Naja, die Chinesen sind derzeit ja dabei, massiv die Kernenergie auszubauen. Dann könnten wir am Ende ja doch das Klima retten, wenn wir Europa mit chinesischen Kernreaktoren zupflastern anstatt mit Windmühlen und Photovoltaik. Preiswerter und sinnvoller als unsere jetzige Strategie wäre es auf jeden Fall.

Den einzig vernünftigen Artikel zu diesem Themenkomplex im Bereich Qualitätsjournalismus habe ich bei Welt Online gefunden – ist aber ein Gastbeitrag von eben jenem Bjorn Lomborg, kann also nicht wirklich gezählt werden. Es ist amüsant, dass gerade der Artikel mit sauber recherchierten gesicherten Fakten unter „Debatte“ und „Meinung“ veröffentlicht wurde.

Zum Abschluss noch ein paar Statements aus dem Bereich „gesunder Menschenverstand“ – jeder, der sich an den nackten Fakten orientiert, wird zu denselben Schlüssen kommen wie ich.

Die „Erneuerbaren Energien“ mögen ein Teil der Lösung sein, aber es ist eine sehr teure, schlecht skalierende Lösung. Es sei denn man ist Norwegen, Schweden oder Österreich und kann mit Wasserkraft große Teile des Strombedarfs decken. Windmühlen und Photovoltaik jedenfalls sind bis auf weiteres Teil des Problems, nicht der Lösung. Und bei Biomasse hat man einen klassischen Zielkonflikt Umwelt- vs. Klimaschutz, wo ich jederzeit für den Umweltschutz eintreten würde, denn der hat nachweisbar positive Auswirkungen auf unser aller Leben.

Kernenergie wäre eine optimale Lösung des CO2-Problems (und vieler anderer Probleme) – in Form von Hochtemperaturreaktoren wäre sogar eine CO2-neutrale Verkehrsinfrastruktur in Form von Wasserstoff für Brennstoffzellen oder synthetische Kraftstoffe als direkter Ersatz für Benzin und Diesel möglich. Leider hat sich ja ein erklecklicher Teil der Welt von dieser Lösungsmöglichkeit abgewendet, indem die Kernenergie totreguliert wurde und damit kosten- und bauzeitmäßig oftmals so im Hintertreffen ist, dass sie nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber Gas- oder Kohlekraftwerken sind. Allein in Deutschland wurde von der Politik ja nachhaltig klar gemacht, dass langfristige Investitionen jederzeit in Enteignung oder beliebiger Kostensteigerung durch sinnlose Vorschriften münden kann. Und Investitionsunsicherheit ist eben der Tod für alle Investitionstätigkeiten. Die Stromwirtschaft in Deutschland ist schon lange in einer lupenreinen Planwirtschaft angekommen.

Klimapolitik ist seit jeher eine echte Lachplatte. Bisher jedes Abkommen hatte wachsweiche Verpflichtungen, die auch jedes Mal folgerichtig nicht eingehalten wurden. Insbesondere nicht vom angeblichen Musterschüler Deutschland – warum hierzulande immer noch so viele Menschen davon überzeugt sind, dass Deutschland der Vorkämpfer im Klimaschutz ist, kann ich nicht begreifen. Signifikante CO2-Reduktion gab es in Deutschland nur nach 1990, als die DDR deindustrialisiert wurde. Und demnächst werden die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet, die dann durch Kohlekraftwerke ersetzt werden müssen, denn was anderes haben wir nicht in petto – das wird die CO2-Bilanz der „Energiewende“ nochmal katastrophaler ausfallen lassen. Die USA hingegen haben durch ihre massiven Fracking-Aktivitäten allein aufgrund von marktwirtschaftlichen Mechanismen viel Kohlestrom durch Gasstrom ersetzt und so ihre CO2-Emissionen über die letzten Jahre reduziert – seit dem Jahr 2000 sank der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß um fast ein Viertel.

Ich würde mir wünschen, dass auch die Klimawissenschaft endlich mal liefert. Wir sollten endlich rausfinden, wie wichtig das CO2-Problem tatsächlich ist. Dazu brauchen wir Klimamodelle, die wenigstens ein bisschen mit der Realität zu tun haben. Wir brauchen Klimamodelle, die regionale Vorhersagen erlauben. Nur so können wir herausfinden, ob die kostenintensive CO2-Reduktion wirklich der bessere Ansatz ist als eine Anpassungsstrategie. Im Moment werden alternative Lösungsmöglichkeiten zur CO2-Reduktion ja nicht mal andiskutiert. Zu diesem Themenkomplex hat sich auch Peter Heller bei ScienceSkeptical kluge Gedanken gemacht.

Im Moment sehen die weltweiten CO2-Reduktionsbemühungen jedenfalls eher aus wie die gigantischste Fehlallokation von Investitionen seit Menschengedenken.

Die unerklärliche Beliebtheit der Eurobond-Idee

Herr Fricke hat zum Thema Eurobonds eine Kolumne bei SPIEGEL Online geschrieben. Meines Erachtens mit einer Argumentation, wie sie typisch ist für Eurobond-Freunde oder auch Keynes-Liebhaber oder generell von Menschen, die von den wirtschaftlichen Zusammenhängen entweder nicht den blassesten Dunst haben oder irgendeine merkwürdige Agenda verfolgen.

Ein Ökonomieverständnis der Sechzigerjahre wirft Fricke den Gegnern der Eurobonds vor. Nun, in den Sechzigern wusste man vermutlich noch, dass man jede Mark nur einmal ausgeben kann, dass man für seinen Staatshaushalt selbst verantwortlich ist und dass man erstmal vor der eigenen Tür kehren sollte, bevor man andere um Hilfe bittet. OK, scheint inzwischen unmodern zu sein. Zu konservativ. Zu viele Fakten, die dem wohligen Gefühl entgegenstehen, endlich mal das Geld anderer Leute auszugeben.

Herr Fricke hat auch anscheinend ein Problem mit dem ökonomischen Grundsatz „wer bestellt, zahlt“. Denn er hält den von der Bundesregierung geäußerten Wunsch, doch bitte nicht für die Schulden von Frankreich zur Kasse gebeten zu werden, für irgendwie egoistisch. Für nicht empathisch. Deutschland entziehe sich der Mitverantwortung. Verantwortung für was? Für die Unfähigkeit diverser Regierungen, ihrer Bevölkerung auch mal eine bittere Pille zu verabreichen? Für diese Bevölkerung, die Politiker wählt, die Geld ausgeben, dass sie nicht haben? Hat denn Deutschland irgendetwas getan, um andere Länder von Reformen abzuhalten?

Im Artikel entwickelt Herr Fricke dann die absurde Idee, Eurobonds würden irgendwas gegen Spekulanten oder Investoren (dieses Pack!) ausrichten können. Genauso schlimm: Deutschland fordert hochverschuldete Länder, die gerne mal den Euro gefährden, doch tatsächlich zu Sparsamkeit auf! Das geht natürlich gar nicht. Aber gut, allein die Tatsache, dass Herr Fricke Griechenland für „kaputtgespart“ hält deutet auf galoppierenden Realitätsverlust hin.

Dann noch der linke Kassenschlager vom schlimmen deutschen Außenhandelsüberschuss. Irgendwie wurde dieses „Problem“ so oft publiziert, dass inzwischen jeder dran zu glauben scheint. Aber damit hält sich Herr Fricke nicht lange auf, flugs schlägt er den Bogen zur Finanzkrise und versucht irgendwie dem Markt und der Selbstverantwortung die Schuld für das Fiasko zuzuschieben. Nochmal für alle: Grund für die Finanzkrise waren staatliche Eingriffe in das Zinssystem, zu billiges Zentralbankgeld, dazu der CRA, und die lockere Kreditvergabe staatlicher Banken in den USA bei der Baufinanzierung. Gerade dadurch wurde die Verantwortlichkeit für die Kreditvergabe und damit das wichtige Signal des Zinses bezüglich des Kreditrisikos gnadenlos verwässert.

Dann lobt Herr Fricke noch Mario Draghi, die vermutlich größte Gefahr für den Euro und das Finanzsystem seit Menschengedenken. Der Enteigner von Millionen von Sparern, der allein die deutschen Sparer um viele hundert Milliarden gebracht hat. Welches eigentlich diese „finanziell gut aufgestellten Länder“ sein sollen, die durch eine fiktive Finanzkrise in große Schwierigkeiten kommen könnten (und was Eurobonds dabei helfen würden), diese Information bleibt Herr Fricke schuldig. Er raunt halt gerne, deutet an, stellt Hypothesen auf, aber wenn man genauer hinschaut – ein großes Nichts. Er scheint nicht mal zu wissen, dass Griechenland heute immer noch niedrigere Zinsen zahlt als vor dem (erschwindelten) Beitritt zur Eurozone – so schlimm kann es mit den Spekulanten, die irgendwie andere in die Kapitalflucht treiben, also kaum bestellt sein.

Mit einem hat Herr Fricke allerdings möglicherweise recht: gibt es eine „Panikspirale“ an den Finanzmärkten, so können auch die weniger verschuldeten Länder in Europa betroffen sein wie beispielsweise die Niederlande oder Österreich. Hauptsächlich allerdings deshalb, weil diese auch hoch verschuldet sind (die Niederlande lag 2014 laut OECD-Zahlen bei einer Staatsschuldenquote von 80% des BIP, Österreich bei 100%) und nur die Einäugigen unter den Blinden darstellen. Und weil man es nicht oft genug sagen kann: auch das oft als Musterknabe hingestellte Deutschland ist verschuldet bis unters Dach. Insbesondere wenn man bedenkt, dass unser Pensionssystem für die lieben Staatsdiener quasi ohne Rückstellungen auf dem Prinzip Hoffnung basiert.

Zum Schluss erinnert Herr Fricke noch daran, dass ja auch Deutschland mal jahrelang Stagnation erfahren hat. Leider erinnert er sich nicht daran, wie Deutschland wieder aus dieser Stagnation herausgefunden hat: durch Sparen und durch Reformen. Rentenreform, Arbeitsmarktreform inklusive Hartz IV, Steuererhöhungen aller Art. Wenn wir anderen Ländern nun beim noch-mehr-Schulden-machen helfen, indem durch Eurobonds ihr Zins künstlich verringert wird, wie wird es dann wohl um deren Motivation für sinnvolle Reformen bestellt sein? Wir hatten die Situation ja schon mal: nach Einführung des Euros sank die Zinslast für Euroländer gravierend, aber nur wenige Länder zogen daraus den Schluss, dass sie dadurch Zeit für Reformen gewonnen haben – stattdessen haben sie die gewonnenen Verschuldungsspielräume für konsumtive Ausgaben aller Art genutzt. Mit anderen Worten: sie haben die Kohle verprasst. Warum sollte das anders werden? In der Geschichte der Menschheit haben Politiker nur dann gespart, wenn es zwingend notwendig war.

Letztlich führen Eurobonds zu einer weiteren Verzögerung der notwendigen Reformen in den diversen Schuldenländern. Und nach aller Erfahrung werden sie auch eine solche Chance nicht nutzen. Was kommt dann danach? Dürfen wir dann die Kohle direkt überweisen?

Im Prinzip kann Herr Fricke seine eigenen Ideen doch sofort in die Tat umsetzen: er sucht sich einen überschuldeten Mitbürger und nimmt auf seine Kappe einen zinsgünstigen Kredit auf, um den Mitbürger zu entschulden. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Fricke diese Idee für ähnlich absurd hält, wie es die Idee der Eurobonds, die Idee einer Vergemeinschaftung von Schulden generell, tatsächlich ist.

Steuereinnahmen und wer sie verschwenden will

Wahrscheinlich sind die anderen politischen Blogs heute voll von Kommentaren zum NRW-Wahlergebnis. Da ich traditionell der Musik ein paar Tage bis Monate hinterher laufe, widme ich mich einem ganz anderen Thema.

Die Steuerschätzer haben wieder getagt und stellen erhebliche zu erwartende Mehreinnahmen in Aussicht. Verschiedene Zahlen kursieren, beispielsweise knapp 8 Mrd. Euro mehr in 2017 als noch im November 2016 prognostiziert. Oder auch in absoluten Zahlen: in 2017 werden Gesamtsteuereinnahmen von 732,4 Mrd. Euro erwartet, 852,2 Mrd. Euro im Jahr 2021. Ein nominelles Plus von fast 120 Mrd. Euro. Die Steuerschätzer hatten im November 2016 noch „lediglich“ 835 Mrd. Euro für 2021 prognostiziert.

Und immer wenn mehr Geld auch nur in Aussicht steht, mangelt es nicht an guten Ratschlägen wie man das Geld verwendet sollte. Einen besonders niederschmetternden Kommentar habe ich auf Spiegel ONLINE gelesen, der hauptsächlich argumentierte, dass der Staat viel besser weiß wie man das Geld vernünftig ausgibt als der gemeine Steuerzahler, und dass Steuersenkungen vor allem bei der Einkommensteuer überhaupt keine Option sind, weil dann ja „die Reichen“ aufgrund der Progression mehr profitieren würden. Und der Artikel redet von einem „Steuersenkungswettlauf“ – gerade so, als ob in den letzten 25 Jahren ständig (oder jemals!) Steuern in signifikantem Ausmaß gesenkt wurden. Einzig sinnvoller Vorschlag: Steuermehreinnahmen für Schuldenabbau nutzen. Im Angesicht von langfristig eher steigenden Zinsen keine abwegige Idee. Aber auf die Idee, dass zur Abwechslung auch mal gespart werden könnte (und zwar echtes Sparen, also tatsächlich mal signifikant weniger auszugeben als im letzten Jahr, nicht so typisches Fake-Politiker-Sparen, wo man nur weniger ausgibt als man ursprünglich mal vorhatte), kommt der Autor auch nicht.

Aber auch anderswo gibt es geradezu erschreckende Ideen. Vor allem mehr Geld für rein konsumtive Ausgaben ist immer eine beliebte Forderung. Ab und an als Feigenblatt noch mehr Geld für Investitionen, beliebte Beispiele sind hier die Infrastruktur – als wenn die Einnahmen aus Mineralölsteuer, KfZ-Steuer und Maut nicht dicke reichen würden, um hier jedes Jahr eine Komplettsanierung vorzunehmen, aber man zieht ja vor, das Geld anderweitig für die besonderen Zielgruppen der eigenen Partei zu verprassen – und natürlich die Bildung. Und kostenlose Kitas. Und kostenloses Studium. Für alle natürlich.

Da will ich ein paar Gegenvorschläge aus der Reihe „gesunder Menschenverstand“ dagegenstellen. Sozialpolitisch intelligent wäre z.B. eine Senkung des verminderten Mehrwertsteuersatzes auf – radikale Idee – 0%. Natürlich bei gleichzeitiger Entschlackung der Liste der Dinge, die mit dem verminderten Satz belegt sind. Es gibt keine gute Begründung dafür, warum z.B. ausgerechnet Schnittblumen, Pferde, Zeitungen, Zeitschriften, Düngemittel, Kaffee und Tee unter den Ausnahmen zu finden sind.

Absolut unverzichtbar ist ein Ende des Effekts der sogenannten „kalten Progression“. Dadurch, dass die Inflation das Geld immer weiter entwertet, nominell aber die Steuersatzkurve unverändert bleibt, rutschen die Einkommensteuerzahler immer weiter nach oben bei der Progressionskurve. Höchst unfair. Mein Vorschlag: Ende der unterschiedlichen Steuersätze, den Effekt der progressiven Steuer erreicht man ja allein schon durch einen Grundfreibetrag. Den würde ich im Gegensatz kräftig erhöhen. Und jedes Jahr entsprechend der Inflationsrate automatisch erhöhen. Der Steuersatz sollte bei maximal 35% liegen. Da müssen die Ideologen natürlich erst mal kräftig schlucken, sollten aber bedenken, dass nach ihrer Ansicht die Reichen ja eh keine Steuern zahlen – entlastet würde also der brave Steuerzahler und nicht „die Reichen“. Ich lasse mal unhinterfragt, woher dieses Feindbild der „Reichen“ überhaupt kommt.

Dann würde ich gerne bei den Kapitalerträgen eine Freistellung der Inflation sehen. Es kann nicht sein, dass der Bürger Steuern auf Erträge bezahlt, die er faktisch gar nicht zur Verfügung hat. Nicht zuletzt deshalb, weil der Staat selbst Inflationstreiber Nummer Eins ist.

Bei der Erbschaftsteuer könnte man übrigens auch bequem reformieren. Wer sich mit den Details der Ausgestaltung dieser Steuer befasst, verliert schnell den Glauben an Steuergerechtigkeit. Ausgewürfelte Freibeträge, willkürliche Einteilung in Steuerklassen, beliebige Steuersätze. Dazu ultrakomplexe Regelungen für die Bewertung von Betriebsvermögen. Und das alles für ein Steueraufkommen von gerade mal 7 Mrd. Euro in 2016 – das ist übrigens die Summe aus Erbschaft- und Schenkungsteuer! Wenn Bürger und Politiker ihren Neidkomplex in den Griff bekommen würden, gäbe es eine sehr einfache Reform: einfach die Steuer komplett abschaffen. Am Ende würde das vermutlich sogar volkswirtschaftlich gesehen effizienter sein, weil sich kein potenzieller Steuerzahler mehr Gedanken über Steuervermeidungsstrategien machen muss. Und die Politik muss nicht ständig neue merkwürdige Reformen zimmern, um noch mehr Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Und dem Bundesverfassungsgericht bliebe so manche Verhandlung erspart.

Ein Ende der Planwirtschaft im Energiebereich wäre auch eine sehr einfache Methode, dem berühmten „einfachen Bürger“ wieder Luft zum Atmen zu geben – weg mit der Zwangseinspeisung des Zappelstroms, weg mit den Einspeisevergütungen. Das geht jetzt natürlich über das Steuerthema hinaus. Aber Steuern und Abgaben haben eben eines gemeinsam: sie steigen unaufhörlich. Wenn Politiker bei den Sparvorschlägen ähnlich kreativ wären wie bei den Ausgaben, wir hätten deutlich weniger Probleme.

Und ich hätte da noch einen guten Sparvorschlag zum Abschluss: Ende der staatlichen Finanzierung der diversen NGOs. Dass NGOs wie Greenpeace den Status eines eingetragenen Vereins haben dürfen, ist lächerlich.

Absolute Mindestforderung: Verwendung der kompletten Mehreinnahmen zur Schuldenreduzierung. Obwohl der Staat die letzten Jahre von Rekord zu Rekord bei den Steuereinnahmen eilte, passierte an der Schuldenfront wenig. Deutschland ist immer noch extrem hoch verschuldet, und die langfristigen Wachstumsaussichten sind aufgrund von Demographie, Flüchtlingsproblematik, Migrationskosten und des drohenden Platzens diverser Blasen eher wenig vielversprechend.

Am Ende noch etwas, was mir auf dem Herzen liegt: manche Kommentare legen ein geradezu abwegiges Verständnis des Bürgers zum Staat nahe. Nach dem Motto: dem Staat gehört erst mal alles, was erwirtschaftet wird, und überlässt aus reiner Nächstenliebe dem Steuerzahler noch etwas für den Eigenbedarf. M.E. gäbe es nur ein Mittel, den Staat dazu zu zwingen, endlich mal Ausgaben mit Verstand zu tätigen: radikale Steuersenkung gepaart mit absolutem Verschuldungsverbot. „Starving the Beast“ hieß das mal bei Ronald Reagan, dem vermutlich weltweit letzten Staatenlenker, der wirklich liberale Steuerpolitik gemacht hat.

Update am 2017-07-01 – kleine Ergänzungen und Anpassung weniger Formulierungen. Ein Satzende fehlte komplett.

Lehren aus der Solarworld-Insolvenz

Spiegel ONLINE meldet die anstehende Insolvenz von Solarworld. Irritierenderweise mit viel Fokus auf Frank Asbeck, womöglich wegen der empfundenen Schadenfreunde – das ist partiell verständlich, hat Asbeck doch in der Vergangenheit reichlich Sprüche geklopft, die man ihm heute genüsslich wieder unter die Nase reiben kann.

Nun hat Asbeck sicher seine Schäfchen im Trockenen, was vermutlich für die Angestellten von Solarworld nicht unbedingt gilt, aber das ist ja auch keine neue und interessante Erkenntnis.

Stattdessen will ich ein paar Lehren aus dieser Pleite festhalten, die zwar auch nicht unbedingt neu und spannend sind, aber mir ist gerade danach, diese trotzdem festzuhalten. Ätsch.

Lehre 1: Subventionen helfen nix und kosten nur. Man erinnere sich an die „Gründerzeit“ des EEG – Photovoltaik wurde mit absurd hohen Einspeisevergütungen belohnt, viel höher als andere Arten der „erneuerbaren“ Stromerzeugung. Das hat zurecht nie jemand verstanden, aber was sind schon ein paar Millarden unter Freunden. Zu Anfang haben die beteiligten politischen Parteien ja auch noch das große Jobwunder als Rechtfertigung für die Subventionitis in Aussicht gestellt – nichts gelernt aus dem Fiasko der Förderung des Steinkohlebergbaus, wobei hier ja immerhin noch das Argument von Autarkie und Versorgungssicherheit halbwegs valide war.

Lehre 2: Produktion von Low-Tech ist in Deutschland kein valides Geschäftsmodell. Mit seiner immensen Regulierungsdichte neben hohen Umweltauflagen und absurd teurer Energie nebst Importnotwendigkeit der meisten Rohstoffe kombiniert mit hohem Lohnniveau und ebensolchen Lohnnebenkosten ist Deutschland international nicht konkurrenzfähig. Dasselbe Problem wird sich übrigens auch bei der Akkuzellenproduktion für Elektroautos manifestieren. Naja, das Beispiel von Li-Tec steht ja schon mahnend im Raum.

Lehre 3: Hochmut kommt vor dem Fall. Fragen Sie Frank Asbeck, wenn daran Zweifel bestehen.

Lehre 4: Wenn man die richtigen Experten fragt, kann man sich solche Irrwege sparen. Schon in der Anfangszeit des EEG haben Experten vorhergesagt, dass die lokale Produktion von Solarzellen kein Dauergast in diesem Land sein würde. Ich auch, aber mich fragt ja eh keiner.

Lehre 5: Man kann nicht dauerhaft gegen den Markt agieren, auch wenn Politiker das noch so häufig versuchen. Das ist sozusagen die Generalisierung von Lehre 1.