Wasserstandsmeldung klingt verharmlosend – es ist ja mehr so der Leichenberg-Stand und die Materialfriedhof-Belegung.
Der ukrainische Vorstoß in die Region Kursk ist von dauerhafterer Natur als viele prognostiziert haben. Ob die Russen das heimische Terrain nicht zurückerobern wollen oder können, weiß keiner so recht. Vermutlich wollen die Russen ihre übliche Taktik „intensive Verwüstung der Landstriche mit Artillerie und Gleitbomben, danach langsames Vorrücken der Infanterie“ nicht auf eigenem Gebiet einsetzen. Das ist zwar inkonsistent mit dem Vorgehen in den „neuen Volksrepubliken“, aber Konsistenz war noch nie eine russische Stärke.
Im Bereich der restlichen Frontabschnitte sind die Nachrichten unterschiedlich. Teilweise wird von einem schnellen russischen Vorrücken an einzelnen Stellen berichtet, wobei „schnell“ hier „2km pro Tag“ bedeutet anstatt wie vorher „100m pro Tag“. Den russischen Truppen ist ein Übergang in den Bewegungskrieg noch nirgendwo gelungen, ob das an „nicht können“ oder „nicht wollen“ liegt weiß im Moment keiner. Auch wenn sich alle fragen, was denn der Nutzen der Russen wäre, wenn man langsamer als man könnte vorrückt.
Die Ukraine hat zunehmend Erfolge gemeldet bei der Zerstörung von Munitions- und Treibstoffdepots, auch etwas abseits der eroberten Gebiete in der Ukraine, im im weitestens Sinne „grenznahen“ Bereich. Man scheint Fortschritte bei der Entwicklung von Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen zu machen, offenbar war es den Ukrainern zu blöde, auf die Europäer und Amerikaner zu warten, ob oder ob nicht nun endlich der Einsatzverbot weitreichender Waffensysteme aufgehoben wird.
Die Unterstützung für Russland aus Nordkorea nicht nur in Form von Waffen- und Munitionslieferungen sondern nun wohl auch in Form von Soldaten – wo die eingesetzt sind oder werden und wieviele es sind, scheint derzeit noch unklar – ist ein interessanter Denkanstoß bezüglich der Stärke des russischen Militärs. Bis heute hat Russland es ja vermieden, eine „echte“ Mobilisierung zu fahren. Man setzt auf Freiwillige, die man natürlich entsprechend ködern muss – Straferlass bei Gefangenen ist ein probates Mittel, Geldprämien bei Verpflichtung, großzügige Versorgung der Angehörigen bei Tod auf dem Schlachtfeld. Wie man hört, sind die Geldprämien inzwischen aber in schwindelerregende Höhen geklettert, was bei den derzeit kolportierten 30000 neuen Soldaten pro Monat ziemlich ins Geld geht. Die Leitzinsen der russischen Zentralbank wurden letztens auf sage und schreibe 21% erhöht. Ende 2023 lag man bei auch schon ziemlich hohen 16% (Russland war noch nie Nullzinsland, aber 2021 lag der Leitzins mal bei 4% und Mitte 2022 bis Mitte 2023 bei 8%). Zusammen mit dem Umstellen auf Kriegswirtschaft, der erheblichen Inflation und den irrsinnig gestiegenen Gehältern in den Industriebetrieben ergibt das ein schönes Potpourri an Risikofaktoren für Russland. Krieg ist eben unglaublich teuer und meistens für beide Seiten ein sehr schlechtes Geschäft. Nicht unberücksichtigt sollte man auch lassen, dass eine Menge hochqualifizierter junger Menschen Russland bereits verlassen hat und somit weder als Kanonenfutter noch als Industriefachkraft zur Verfügung steht.
Wie man hört, zahlt Russland an Nordkorea für das Zur-Verfügung-Stellen der Soldaten einen dreistelligen Millionenbetrag (in welcher Währung wohl? Rubel, damit Nordkorea auf jeden Fall in Russland einkaufen muss?), dazu Nahrungsmittel und Technologie. Letzteres ist natürlich fatal, denn zwei der letzten schwer verfügbaren Technologien, die Russland als eines der wenigen Länder beherrscht, sind Atom-U-Boote und Interkontinentalraketen. Langfristig gesehen könnte davon allerdings auch Russland bedroht sein, umso mehr atmet diese ganze Geschichte eine Menge Verzweiflung auf Seiten der Russen. Aber Putin ist wohl im „nach mir die Sintflut“-Modus, wer bei klarem Verstand würde sonst mit dem Iran und Nordkorea paktieren. Und dann auch noch der fallende Ölpreis – nach Februar 2022 lag für viele Monate der Preis bei über 100 US$/Barrel, jetzt hat er sich eher unter 75 US$/bl. eingependelt. Schon zur Zeit der Sowjetunion hat ein niedriger Ölpreis für jede Menge Schwierigkeiten gesorgt, das ist heute nicht anders, weil Russland beim Export im Prinzip nur Rohstoffe anzubieten hat – dass die Waffen aus russischer Produktion nix taugen, wurde nun ja eindrucksvoll im Feld bewiesen.
Die Russen haben also zweifellos große Probleme. Allerdings haben die Ukrainer tendenziell eher noch größere Probleme. Materialmangel aller Orten aufgrund der dramatisch unzureichenden Lieferungen der Unterstützerstaaten. Dazu die schon lange andauernde Mobilisierungsproblematik – je weniger Material man hat, desto mehr Personal benötigt man. Bisher scheint es noch auszureichen, um die Lücken an den diversen gefährdeten Frontabschnitten zu stabilisieren. Aber an ausreichende Rotation der Truppen oder Reservenbildung ist wohl momentan kaum zu denken. Das könnte sich rächen, ob früher oder später oder gar nicht – das wird die Zeit zeigen. Im ersten Weltkrieg war die Front im Westen auch sehr lange stabil und im Stellungskrieg. Jahrelang. Und ist dann urplötzlich zusammengebrochen.
Während alle wie gebannt auf die US-Wahlen schauen, hat es Europa wissentlich und willentlich unterlassen, sich auf das oft an die Wand gemalte Schreckensszenario „die Amerikaner fahren die Unterstützung für die Ukraine runter“ vorzubereiten. Was auch immer das Endergebnis beim russischen Vernichtungsfeldzug sein wird, die Hauptverantwortlichen heißen Putin, Merkel, Scholz, Macron, Johnson, Starmer und Co. – und natürlich das Duo von der traurigen Gestalt Biden/Sullivan. Sollte Trump die Wahl gewinnen, wird natürlich Trump an allem Schuld sein – aber man sollte für die Nachwelt festhalten, dass hauptsächlich die USA die Möglichkeit und die Verpflichtung (nachzulesen im Budapester Memorandum) gehabt hätten, seit Februar 2022 die Ukraine mit allem Notwendigen auszustatten, um die Grenzen von 1991 wiederherzustellen.
Am Beispiel Deutschland kann man schön das flächendeckende Versagen der vorgeblichen Ukraine-Unterstützer illustrieren. Der erste Weckruf war die Annektion der Krim 2014. Der allerletzte Weckruf war der Angriff Russlands im Februar 2022. Man hatte also fast drei Jahre Zeit, die allergrößten Lücken bei der Bundeswehr zu füllen – klar, personaltechnisch geht ohne Wiedereinführung der Wehrpflicht (oder genauer: die Aussetzung der Aussetzung der Wehrpflicht) gar nichts, aber für das jetzt aktuell vorhandene potenziell kampfbereite Personal fehlt ja nach wie vor dramatisch Material. Artillerie, Transportpanzer, Schützenpanzer, Kampfpanzer, Helikopter, U-Boote, Flugabwehr, Jagdbomber, Abfangjäger, Aufklärungsdrohnen, und natürlich Munition, Munition, Munition. Allerspätestens im Februar 2022 hätten bei der heimischen Industrie, egal ob Rheinmetall oder Krauss-Maffei Wegmann oder Diehl oder Airbus oder Heckler&Koch oder Mauser oder MBDA oder am besten bei allen gleichzeitig, die Großaufträge eintrudeln müssen. Dabei rede ich gar nicht von dringend notwendiger Neubeschaffung modernen noch zu entwickelnden Gerätes, sondern einfach nur ein anständiger Munitionsvorrat, anständige Aufstockung der Stückzahlen und der Ersatzteile, sowie der einsatzfähigen Gerätschaften. Das alles ist nicht passiert. Wenn also mal wieder jemand fragt, wer neben Putin der Hauptschuldige am Sterben in der Ukraine ist: die Antworten „Merkel“ und „Scholz“ und „CDUCSUFDPSPDGrüne“ sind auf jeden Fall korrekt.