Hochsprung und Qualitätsjournalismus

Vorgestern im Handelsblatt Morning Briefing: Dick Fosbury ist gestorben. Jeder Leichtathletik-Interessierte kennt Dick Fosbury als Olympiasieger im Hochsprung von Mexiko-City 1968, neben Bob Beamon im Weitsprung (8,90m) die zweite Legende dieser Olympischen Spiele. Nicht aufgrund eines legendären Weltrekords wie im Falle von Beamon, sondern aufgrund seiner revolutionären Technik, die als “Fosbury-Flop” in die Geschichte einging – auch wenn er wohl nicht der Erfinder der Technik war, das wird einem recht erfolglosen Österreicher zugeschrieben.

So weit, so bekannt (zumindest für die Sport-Nerds). Wo ist die Verbindung zum Qualitätsjournalismus? Ich zitiere aus dem Text des Handelsblatts: “Er war der erste Athlet, der die Hochsprungstange in Rückenlage mit dem Kopf voran überquerte. Bis dahin waren die Athleten meist in der Frontalhocke über die Stange gesprungen.” Äh, nein. Frontalhocke, das war ganz ganz früher und gilt als vielleicht älteste Technik. Im 20. Jahrhundert hat das vernünftigerweise keiner mehr verwendet, schon im 19. Jahrhundert wurde weithin der “Schersprung”, auch “Scherenschlag” genannt, genutzt. Und kurz darauf sprang die ganze Welt im “Straddle” bäuchlings über die Latte. Auch nach Fosbury war das noch lange Zeit gängig, erst Anfang der 80er setzte sich der Fosbury-Flop auf ganzer Linie durch. Die Älteren erinnern sich vielleicht noch an den Zehnkämpfer Christian Schenk, der regelmäßig die größte Höhe im Hochsprung im Rahmen des Zehnkampfes erzielte, mit 2,27m lange Zeit Rekordhalter und letzter Straddle-Springer im Spitzensport – immerhin bis in die 90er hinein.

Und ja, solche Dinge hat man früher im Rahmen des Sportunterrichts an allgemeinbildenden Gymnasien gelernt. Heute könnte man sie auch einfach auf Wikipedia nachlesen. Wenn verstehendes Lesen und Lust auf Recherche und Bewusstsein für eigenes Nichtwissen noch notwendige Merkmale für Journalisten heutzutage wäre. Besonders peinlich, wenn solche Qualitätsmängel bei eigentlich themenfremden Randbemerkungen zutage treten. Man hofft, dass bei den wichtigen Themen solider recherchiert wird. Und zweifelt gleichzeitig dran, weil einfach bei allen Themen, bei denen man gut Bescheid weiß, dieselbe Misere zutage tritt.

Putin erhöht den Einsatz

Wladimir Putin hat gestern – je nachdem, welcher Quelle man glaubt – die “Teilmobilmachung” oder die “Mobilmachung” verkündet. Damit wird höchstoffiziell die “militärische Spezialoperation” zum ausgewachsenen Krieg, die Realität ist also auch in die offiziellen Verlautbarungen der russischen Regierung eingezogen. Auch die eher unspezifische Atomdrohung gegen alle, die Russland vernichten wollen, wurde erneuert, inklusive einem merkwürdigen Nachsatz “ich bluffe nicht”. Und es werden Referenden zeitnah durchgeführt in diversen Gebieten, teils welche die schon seit 2014 umkämpft sind, teils in seit 2022 eroberten Gebieten. Warum die Russen sich die Mühe machen wollen, hier nach dem Krim-Annexions-Playbook vorzugehen, erschließt sich mir nicht – völkerrechtlich hat es keine Relevanz, und zuhause hat man ja bisher behauptet, dass die Ukraine als Staat eh nicht existiert und das im Grunde alles schon immer zu Russland gehört. Und als Argumentationshilfe für die Putin-Trolle taugt es auch nicht wirklich, dazu ist die Story nun wirklich zu dünn. Mitten im Krieg in einem besetzten Gebiet ganz offensichtlich unfreie Wahlen abzuhalten – wen soll das denn überzeugen?

Mehrere Fragen treiben mich rund um diese Teilmobilmachung um. Eine ist: wird es wirklich etwas ändern, zusätzliche Truppen im Umfang von vielleicht 300000 Mann in die Schlacht zu werfen, oder leidet man nicht eher unter dem Mangel an hochwertigem Material? Zusätzliche Soldaten werden wohl kaum dabei helfen, die Luftüberlegenheit zu erringen. Oder das Aufklärungsdefizit in den Griff zu kriegen. Zumal es sich ja letztlich um Reservisten handelt, d.h. gemessen an den Berufssoldaten, die im Moment kämpfen, jetzt eher nicht die Elite darstellt. Wobei es natürlich die Möglichkeit gibt, die jetzt einberufenen Reservisten auf die Grenztruppen in den ruhigen Lagen – Kasachstan, Finnland, Norwegen, Baltikum, Georgien, Polen, China – zu verteilen und erfahrenere Kräfte von dort stattdessen abzuziehen und in die Ukraine zu verfrachten. Was aber natürlich das Gefahrenpotenzial dort erhöht – Russland läuft Gefahr, da in ein paar Grenzkonflikte und “alte Rechnungen” zu laufen, man denke an die Aserbaidschan/Armenien-Geschichte oder Georgien. Und logistisch gesehen ist ein solcher Truppentausch natürlich auch nicht ganz einfach und erfordert Zeit. Die Wirkung der neuen Personalreserve wird sich also vermutlich erst im nächsten Frühjahr bemerkbar machen können.

Die politische Frage, was denn die Verkündung der Teilmobilmachung bewirkt – man hatte ja Gründe, bisher von einer “militärischen Spezialoperation” zu reden, und diese Gründe können ja nur innenpolitischer Natur sein – ist auch kaum vorhersagbar. Wird das russische Volk jetzt misstrauischer werden? Kaum vorstellbar, die letzten 8 Jahre des Konflikts waren ja schon eine wilde Achterbahnfahrt der Kreml-Propaganda, da kann ich mir nicht vorstellen, dass das jetzt der ausschlaggebende Tropfen sein soll, der das berühmte Fass zum Überlaufen bringt.

Wobei eine Mobilmachung unter Rückgriff auf Zivilisten natürlich schon Wirkung entfaltet. Der Krieg landet viel direkter bei der Bevölkerung. Es heißt ja, dass der Abzug aus Afghanistan damals innenpolitisch aufgrund der Opferzahlen unter den eigenen Soldaten fast schon als zwangsläufig angesehen wurde, und die politische Legende rund um die Notwendigkeit des Afghanistan-Krieges war ja von ähnlich unterirdischer Qualität was die Propaganda betrifft. Aber ich sehe einen gewichtigeren Faktor, der allerdings auch eher mittelfristig zur Wirkung kommt: diese 300000 Mann sind ja normalerweise im besten Alter, um einer produktiven Berufstätigkeit nachzugehen. Der Verlust einer solchen Anzahl von Arbeitskräften wird an der russischen Wirtschaft nicht spurlos vorübergehen. Insbesondere, wenn man ja gleichzeitig ganz dringend ein paar hochwertige Rüstungsgüter in größerer Menge unter einem unangenehmen Sanktionsregime produzieren sollte.

Welche Reaktion des Westens wird diese Eskalation durch Putin nach sich ziehen? Man könnte meinen, dass nun in die Kampf- und Schützenpanzerdiskussion etwas Bewegung kommen könnte. Die Idee, über Ringtausch altes Sowjetmaterial dem “heißen Recycling” zuzuführen, ist bekanntlich ausgereizt, und irgendwann müssen (oder “müssten”, quasi der Scholz’sche Konjunktiv) den Worten ja Taten folgen. Eine Verschärfung der Wirtschaftssanktionen wäre auch möglich, nachdem Russland inzwischen ja die Gaslieferungen weitgehend eingestellt hat, kann da nichts schlimmeres mehr passieren, und die derzeitigen Schlupflöcher zum Unterlaufen der Sanktionen sind ja riesig. Verschiedene Seiten haben vor allem dem US-Präsidenten ja geraten, ein paar rote Linien zu ziehen und seinerseits ganz vage auf das atomare Potenzial der NATO hinzuweisen. Ich halte das für eine schlechte Idee. Nicht nur, weil ich mich an das rote-Linien-Desaster des Duos Obama/Clinton noch gut erinnere. Denn man muss gar nicht konkret werden, sollen sich die Kreml-Strategen doch den Kopf darüber zerbrechen, welche mögliche Reaktion auf welche weitere Eskalation erfolgt. Dass die NATO im Angesicht der ultimativen Eskalation entsprechend reagieren wird, ist dem Kreml ganz sicher klar, insbesondere weil sie noch an ihrer Fehleinschätzung vom Februar bezüglich der Reaktion des Westens zu knabbern haben. Das mahnt zur Vorsicht.

Letztlich muss man aber feststellen, dass die Gesamtsituation noch etwas unangenehmer geworden ist. Denn jetzt sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass Putin und seine Freunde im Kreml vor kaum etwas zurückschrecken werden. Und “Irre mit Atomwaffen” ist halt ein unangenehmes Setting. Insofern ist die beste Hoffnung vermutlich sowas wie das Gorbatschow-Szenario – Putin segnet das Zeitliche, sein Nachfolger ist nominell aus demselben Kader, besinnt sich dann aber – vor allem aufgrund der normativen Macht des Faktischen – eines Besseren. Denn ein Untergangsszenario mit Putin am Ruder mag ich mir nicht vorstellen. Und das Ende des Russisch-Japanischen Kriegs 1905 will mir nicht so recht als Blaupause taugen.

Beinahe hätte ich übrigens als Überschrift für diesen Artikel “Putin ruft zum Volkssturm auf” gewählt, aber ich glaube diese Parallele ist nicht ganz so parallel wie manche nicht müde werden zu behaupten.

Zeitenwende und Zustand der Bundeswehr

Es ist nun schon ein Weilchen her, als Olaf Scholz im Bundestag die “Zeitenwende” inklusive “Sondervermögen” (Neusprech für: Schattenhaushalt) für die Bundeswehr angekündigt hat. Es war am 27. Februar diesen Jahres, die Älteren werden sich erinnern.

Nun hat man in Deutschland vor allem seit Ende des Kalten Krieges, aber eigentlich schon seit Ende der 70er/Anfang der 80er die Bundeswehr sowohl personell als auch materiell eher heruntergefahren. Eventuelle Etaterhöhungen sind nie in der kämpfenden Truppe gelandet, sondern stets in der Bürokratie, in komplizierten Ausschreibungsverfahren, und viel zu teure Rüstungsvorhaben und Prestigeprojekte ohne militärischen Wert. Und komischerweise ging nach Verkündung des 100-Milliarden-Euro-Honigtopfes auch die Diskussion direkt los mit diversen Rüstungsvorhaben, die zehn bis vielleicht sogar vierzig Jahre – man denke an das FCAS-Projekt in Partnerschaft mit Frankreich, geplante erste Indienststellung 2040, real also frühestens 2050 – bis zur Vollendung brauchen.

Nun ist Haushaltspolitik ja immer eine komplizierte und ggf. langwierige Sache. Aber es gibt auch für Beschaffung bei der Bundeswehr einen “Fast-Track” für kleinere Vorhaben, in Fachkreisen “25Mio-Vorlage” genannt. Damit kann das BAAINBw – eine Monsterbehörde, ansässig in Koblenz, die hauptverantwortlich für die Materialbeschaffungsmaßnahmen von der Planung bis zur Durchführung entlang der typischen Ergebnisse “zu spät, zu teuer, und weitgehend nutzlos” ist – kleinere Rüstungsvorhaben ohne langwierigen politischen Genehmigungsprozess durchführen.

Man weiß seit geraumer Zeit, dass die Bundeswehr insbesondere an zu viel nicht einsatzbereitem Material (man informiere sich mal über “dynamisches Verfügbarkeitsmanagement” und staune über den Einfallsreichtum, der bei solchen Neusprech-Wortkreationen möglich ist) und sehr dünnem Munitionsbestand (man spricht von “ausreichend für 2 Tage Krieg”, was wiederum den Kritikern seit Tag 1 recht gibt, dass die Bundeswehr nur dazu taugt, den Feind so lange aufzuhalten, bis das richtige Militär eingreift) leidet. In der Ausbildung der Soldaten ist Übungsmunition und Übungsschießen mit scharfer Munition eher selten, und das führt natürlich zu fatalen Mängeln. Untrainierte Soldaten sind im Ernstfall Kanonenfutter. Insbesondere in einer Demokratie ist dieser Zustand unerträglich.

Nun hat der Krieg in der Ukraine ja verschiedene Erkenntnisse gebracht. Z.B., dass insbesondere nicht ganz so moderne Kampfpanzer für moderne Panzerabwehrwaffen eher so Ziele wie beim Tontaubenschießen sind. Oder, dass reichweitenstarke und zielgenaue Artillerie ein Schlüssel zum Erfolg ist. Oder, dass preiswerte kleine Drohnen sehr gut zu Aufklärungszwecken verwendet werden können. Oder, dass gesicherte Kommunikationsstrecken wichtig sind. Oder, dass es bei so manchem Material wie Munition von Vorteil ist, wenn man größere Mengen vorrätig hat, weil im Ernstfall Nachbeschaffung eher schwierig und/oder zeitaufwändig ist.

Unnötig zu sagen, dass die Bundeswehr in allen Bereichen katastrophal schlecht auf den Verteidigungsfall vorbereitet ist – besonderes Highlight ist die Geschichte mit der noch analogen Funktechnik, die nicht mal eine Kommunikation mit den NATO-Partnern im Gefecht ermöglicht. Und dieser katastrophale Zustand ist seit mindestens drei Jahrzehnten jedem Verantwortlichen klar und bewusst, und die politische Strategie scheint zu sein, dass man darauf hofft, dass es im Ernstfall schon die NATO-Partner richten werden. Es war Trumps Verdienst, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis mit Bringschuld aller Partner ist, und nicht ein US-Schutzschirm für den Notfall. Lehren aus Trumps Erinnerungen hat man jedoch keine gezogen. Aber dazu war ja nicht mal ein heißer Konflikt vor der Haustür wie der Ukraine-Krieg – tödlich und mitten in Europa – in der Lage. Man wurschtelt rum, von einem Fettnapf in die nächste Verlegenheit stolpernd. Und plant die nächste Goldrandlösung – besonders teuer durch besonders sinnlose Detailanforderungen und niedriger Stückzahlen.

Wir werden von Totalversagern regiert. Und das bezieht sich keinesfalls nur auf die jetzige Regierung und die jetzige Verteidigungsministerin. In diesem Falle kann man nicht mal sagen, dass der Niedergang mit Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin begonnen hat – nein, die Misere dauert schon sehr viel länger, und der Fisch stinkt vom Kopf her. Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel, und ihre jeweilige Ministerriege (oder muss man jetzt “Ministrierende” sagen?). Es ist immer schlimmer geworden über die Jahrzehnte. Unsere Flinten-Uschi hat den Niedergang höchstens noch etwas beschleunigt.

Ich glaube an die Zeitenwende, sobald eindeutig sichtbar wird, dass man aktiv die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr behebt. Durch tatsächliche, nicht durch geplante Beschaffungen. Prognostizierter Glaubensbeginn: kurz nach dem Sankt-Nimmerleinstag.

Zum Tode der Queen

Es dürfte wohl kaum jemandem möglich gewesen sein, die Nachricht NICHT mitbekommen zu haben: Queen Elizabeth II. ist verstorben, heute ist die Beerdigung in London mit wirklich großer Zeremonie.

Nun wurde in den letzten Wochen sehr viel berichtet. Interna aus dem Königshaus, die einen normalen Menschen wohl eher weniger interessieren. Die Lebensgeschichte der Queen, die mich eigentlich sehr interessiert – denn es wurde ja sehr überwiegend positiv über ihre Verdienste und ihr Lebenswerk berichtet. Allerdings musste ich feststellen, dass man kaum etwas herausdestillieren kann, das man als “Lebensleistung” titulieren könnte – abgesehen von ein paar lustigen Anekdoten. Hat sie gewichtige Worte gefunden, um Missstände anzuprangern? Hat sie diplomatische Erfolge gefeiert, wo andere versagt haben? Hat sie Einfluss genommen auf die Politik, wie es sich viele Kommentatoren immer gewünscht haben – vom Falkland-Krieg bis zum Brexit? Nein. Die Queen schwieg beharrlich, blieb neutral, hielt sich strikt ans Zeremoniell und die althergebrachten Regularien. An die Grundidee der konstitutionellen Monarchie.

Und das ist auch vermutlich die größte Leistung von Queen Elizabeth II. gewesen: sie hat die Rolle der Königin ohne Macht, der modernen Monarchin in einer Demokratie, einfach perfekt verkörpert, hat sich immer im Hintergrund gehalten, hat den Dingen ihren Lauf gelassen, hat den Versuchungen, sich in tagesaktuelle Themen einzumischen, immer widerstanden. Und letztlich hat sie dadurch auch Stabilität vermittelt. Stabilität durch Nichtäußern und Nichteingreifen. Sie wäre so ein großes Vorbild für unsere aktionistische bis aktivistische Politik. Mindestens aber für Herrn Steinmeier.

Ukraine-Update

Fast vier Monate sind vergangen seit meinem letzten Post zur (vermuteten) Lage – und ich muss meine Vorhersagequalität zum Thema “was passiert am 9. Mai” im Nachhinein loben, wenn es schon kein anderer tut. Punktgenau getroffen. Die aktuelle Situation im Ukraine-Krieg liegt wie immer im Nebel des Krieges, die Einschätzungen diverser Experten und denen die sich dafür halten oder dafür gehalten werden gehen weiterhin weit auseinander, aber so ein paar Schlussfolgerungen kann man aus dem bisherigen Verlauf schon ziehen, und einen vorsichtigen Ausblick wagen.

Im Moment scheint es so, dass die Russen ein Nachschubproblem haben. Aufgrund des Festhaltens am Narrativ “militärische Spezialoperation” bleibt der Weg in die Mobilmachung verwehrt, und die Materialsituation scheint auch nicht gerade so üppig zu sein. Klar, mit der wenig zielgenauen Standard-Artilleriemunition können die Russen vermutlich ein paar Jahre durchschießen, und ausreichend altertümliche Panzer werden auch noch in den Depots stehen, und Freifallbomben zum Abwurf aus großer Höhe für das klassische Flächenbombardement dürften auch noch reichlich verfügbar sein. Aber beim High-Tech – sofern es das je in ausreichendem Maße gab – wie bei zielgenauen Marschflugkörpern oder bewaffneten Drohnen oder modernen Kampfjets oder gar den eher hypothetisch erscheinenden Hyperschallwaffen sieht es doch eher düster aus. Und das ist auch die Hauptwirkung der westlichen Sanktionen: hier tun sich die Russen sehr schwer, die notwendigen Komponenten für eine ausreichende Produktionsmenge zu beschaffen. Klar gibt es den Schwarzmarkt und dunkle Beschaffungskanäle, aber das erzeugt Reibungsverluste und höhere Preise und bindet Personal in der Beschaffung. Der kürzlich bekannt gewordene Beschaffungsversuch iranischer Drohnen signalisiert jedenfalls schon ziemliche Verzweiflung.

Zusätzlich haben die Russen es auch nach vielen Monaten nicht geschafft, die Lufthoheit zu erringen. Der Einsatz von Kampfhubschraubern oder Erdkampfflugzeugen findet praktisch nicht statt, die Reste der ukrainischen Luftwaffe können weiterhin operieren. Dasselbe gilt für die Schwarzmeerflotte, die sich weit weg von der Küste halten muss und so quasi wirkungslos ist bis auf den Abschuss von einzelnen Raketen oder Marschflugkörpern aus großer Distanz. Aufgrund reichlich vorhandener ukrainischer Panzerabwehr bleibt den Russen im Prinzip nur die althergebrachte “Artillerie-Feuerwalze”-Doktrin, und das reicht wenn überhaupt punktuell mal für kleine Raumgewinne. Die Vorhersagen, dass die Russen nach dem schwierigen Gelände in Richtung Kiew es im Süden und Osten der Ukraine leichter haben werden, haben sich auch nicht bewahrheitet. Die Ukrainer waren recht erfolgreich bei ihrer “bend-but-don’t-break-defense”-Taktik, um mal einen Vergleich mit dem American Football zu ziehen.

M.E. entscheidenden Anteil an der derzeitigen für Russland sehr schwierigen Situation sind die gelieferten westlichen Waffensysteme vom Schlage MARS, HIMARS und PzH2000. Weitreichende und trotzdem treffgenaue Artillerie bedeutet, dass man eben seine Nachschub-Depots nicht irgendwohin im Hinterland aber in Frontnähe bauen kann, sondern ausreichend große Distanz zur Frontlinie braucht für eine ausreichende Sicherheit, dass so ein Depot nicht zu einem ex-Depot wird. Und das wiederum ist ein Logistikalbtraum, der sich stark negativ auf die Fähigkeiten der russischen Armee zur flexiblen Kriegsführung auswirkt. Die jetzige Sachlage riecht jedenfalls ziemlich nach “Patt”.

In Summe würde ich deshalb die nächsten Monate darauf setzen, dass die Front in allen Himmelsrichtungen mehr oder weniger erstarrt, und die Ukraine einige empfindliche Nadelstiche setzen wird. Für eine großangelegte Offensive fehlt beiden Mensch und Material. Ein Eingreifen von Weißrussland an der ukrainischen Nordgrenze halte ich für extrem unwahrscheinlich, die werden alles versuchen diesem Konflikt jenseits von “liebe Russen, verschießt euer Zeug gerne von unserem Territorium aus, und ihr dürft hier auch gerne eure Nachschublinien betreiben” fernzubleiben.

Und wie wird der Ukraine-Krieg nun enden? Ich habe keine Ahnung, das hängt von vielen Faktoren ab. Bleibt die Unterstützung durch Waffen und das Embargo durch den Westen bestehen, räume ich der Ukraine aber gute Chancen ein. Wann der Krieg aber endet, das liegt allein in der Hand von Putin – oder ggf. seines Nachfolgers. Eine mögliche Parallele zur Situation Mitte der 80er mit dem Wechsel von Breschnew-Andropow-Tschernenko zum Nachfolger Gorbatschow, der in einem Akt der Verzweiflung den Kalten Krieg beenden musste, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Rückzug oder Kapitulation ist für die Ukraine keine vernünftige Option. Für Russland hingegen wäre eine Beendigung der “militärischen Spezialoperation” durchaus ein plausibles Exit-Szenario, man muss nur dem russischen Volk irgendeine Geschichte auftischen. Realistischer als “die Ukraine gehörte schon immer zu Russland, und jetzt müssen wir dort mal entnazifizieren” wird diese Geschichte in jedem Falle sein.

Jedenfalls sehe ich die größte Gefahr für die derzeitigen Machthaber im Kreml gar nicht direkt durch mögliche Erfolge der Ukraine, sondern durch einen möglichen Lawineneffekt bei Unabhängigkeitsbestrebungen in anderen grenznahen Gebieten. Das kann dann sehr schnell außer Kontrolle geraten, und das russische Militär ist gerade nicht in einer Verfassung, um an vielen Fronten zu kämpfen. Geschweige denn zu siegen. Wenn ein Imperium zerfällt – insbesondere, wenn es auf solch tönernen Füßen ruht wie das russische – dann wittern alle Unterdrückten Morgenluft. Eine gefährliche Situation.

Rest in peace, Mr. Gorbatchev

Michail Gorbatschow ist gestorben. Je nachdem, in welchem Teil der Welt man Mitte der 80er gelebt hat, ist der Blick auf die Geschichte rund um die UdSSR, dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs, der Deutschen Einheit, dem Ende der UdSSR und das Wirken von Gorbatschow als Nachfolger der KPdSU-Betonkopf-Garde vom Schlage Breschnew-Andropow-Tschernenko bezüglich dieser historischen Großereignisse höchst unterschiedlich. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Würdigungen der Verdienste von Gorbatschow. Höchste Zeit also, eine weitere Facette hinzuzufügen. Nur den Friedensnobelpreis spare ich vorsichtshalber aus, da er jegliche Sinnhaftigkeit allerspätestens mit der Verleihung an Barack Obama verloren hat. Aber eigentlich schon 1971, oder spätestens 1973 – Interessierte werden wissen, wovon ich rede, der Rest googelt und reimt es sich zusammen.

Nun wird Gorbatschow vor allem in Deutschland, aber auch im westlichen Ausland, häufig verehrt für sein Lebenswerk, den Fall des Eisernen Vorhangs. Und in Russland wird er teilweise gehasst, weil ihm sowohl die katastrophale wirtschaftliche Lage seiner streng planwirtschaftlich arbeitenden Vorgänger zur Last gelegt wird als auch natürlich die Auflösung der Sowjetunion, die chaotische Kleptokratie der Jelzin-Jahre und zuletzt auch (das wiederum eher aus westlicher Richtung) die aggressive Politik Putins. Kaum etwas, das in der Sowjetunion und/oder Russland schieflief und schief läuft, das Gorbatschow nicht schon in die Schuhe geschoben wurde.

Ich vertrete zu Gorbatschow eher die These, die andere in Richtung Helmut Kohl und die Deutsche Wiedervereinigung am Werk sehen: Gorbatschow war letztlich ein Getriebener, vieles was er tat war weniger “Werk” (im Sinne von bewusste, geplante, abgewogene eigene Entscheidung) als Notwendigkeit, Taktieren, Befriedigung verschiedener politischer Strömungen. Bis zu seiner Ablösung war Gorbatschow ja überzeugter Kommunist, der alles daransetzte, die Sowjetunion zusammenzuhalten – das Einzige, was man ihm zugutehalten kann ist, dass er nicht annähernd so gewissenlos wie Stalin war und eben nicht bereit war, beliebige Gewalteskalationen zu befehlen, um bedingungslos seine Macht zu sichern. Was man ihm sicher vorwerfen kann – er hat sich seine Zustimmung zur Deutschen Einheit bei gleichzeitigem Verbleib in der NATO vermutlich viel zu billig von Kohl und Genscher abkaufen lassen. Da wäre deutlich mehr drin gewesen, und auch deutlich intelligentere Hilfen als nur “ihr bezahlt die neuen Wohnungen der Soldaten, nachdem ihr deren Abzug bezahlt habt, und die Altlasten dürft ihr selbst aufräumen”.

Interessant auch die Interpretation, dass Gorbatschow der Treiber der Abrüstung des nuklearen Potenzials der Supermächte war und damit als großer Friedensengel der späten 80er in den Geschichtsbüchern zu stehen hat. Auch da: Gorbatschow musste sich letztlich entscheiden, ob die Bürger der Sowjetunion verhungern, während man weiter an der Rüstungsspirale drehte, oder ob man nicht hier den Rüstungswettlauf als hoffnungslos verloren einsieht und das Geld lieber spart, um es sinnvoller auszugeben. Die normative Macht des Faktischen war hier m.E. der Treiber, nicht die tiefsitzende Friedensliebe von Gorbatschow. Interessant war ja letztlich, dass der als “Kalte Krieger” verschriene Reagan sofort bereit war, drastische Abrüstungsschritte zu vereinbaren – in Wahrheit waren eben selten die USA die Agierenden in diesem Aspekt des kalten Krieges, sondern haben letztlich meistens reagiert. Für die Mitteleuropäer am besten sichtbar geworden im NATO-Doppelbeschluss, der ohne die vorherige Stationierung sowjetischer SS-20 vermutlich niemals zustande gekommen wäre.

Außerdem vertrete ich die These, dass es – mindestens Mitte der 80er, aber auch zum großen Teil noch heute – aufgrund bestehender tief verwurzelter Überzeugungen und Strukturen nahezu unmöglich war, Russland in eine blühende Marktwirtschaft zu verwandeln. Bis heute ist Russland nicht in der Lage, mit ganz wenigen Ausnahmen wie z.B. bei einzelnen Rüstungsgütern auf dem Weltmarkt zu bestehen. Im Prinzip basiert der bescheidene Wohlstand der russischen Bevölkerung genau wie der fast unendliche Reichtum einiger weniger Oligarchen einzig und allein auf Rohstoffexport, angereichert durch ein wenig Landwirtschaft und vereinzelter Schwerindustrie. Also im Prinzip der gleiche Stand wie Anfang der 50er. Und das größte aktuelle Problem Russlands, das vollständige Fehlen eines Rechtsstaats und die weitgehende Abwesenheit von Faktoren, die diesen unterminieren. Wie beispielsweise Korruption – wie man das angehen will, da habe ich nicht genug Phantasie.

Jedenfalls halte ich die Idee, anno 1990/1991 durch einen wie auch immer gearteten Plan die Sowjetunion zu konservieren, für nicht umsetzbar, ohne auf stalinistische Prinzipien zurückzugreifen. Die Satellitenstaaten des Warschauer Paktes hatten schon allesamt die Flucht ergriffen, das Baltikum sich für unabhängig erklärt, die Ukraine in trauter Einigkeit mit innerrussischen Kräften der Sowjetunion die Gefolgschaft gekündigt – so viel Militär und Sicherheitskräfte hätte man ja gar nicht mobilisieren können, um das unterm Deckel zu halten.

Letztlich war Gorbatschow der Begleiter eines weiteren unvermeidlichen Niedergangs eines kommunistischen Großexperiments. Er war nicht der Steuermann des Wandels. Er hat vielleicht den ersten zaghaften Anstoß dafür geliefert, aber m.E. war das unvermeidlich. Insbesondere seit dem rasanten Fortschritt im Bereich Mikroelektronik beginnend Mitte der 70er war die Planwirtschaft so hoffnungslos im Hintertreffen (und die führenden Köpfe vermutlich auch zu verknöchert, um das zu realisieren – eine der Stärken des Kapitalismus, dass es auf die führenden Köpfe nicht wirklich ankommt, weil es potenziell unendlich viele davon gibt, und die schlechten führenden Köpfe zuverlässig aussortiert werden), da war der Niedergang nur noch Formsache und eine Frage des “wann”, und nicht des “ob”.

Da aber letztlich wichtig ist, was hinten rauskommt – der Zerfall der Sowjetunion und damit der Zerfall eines großen Unterdrückungsapparats hat es einer großen Zahl von Menschen und Staaten erlaubt, in Frieden und Freiheit zu leben. Und auch wenn ich nicht daran glaube, dass das Teil des großen Plans von Gorbatschow war, dieses zu ermöglichen, so muss man doch anerkennen, dass seine Herangehensweise zur Lösung der Probleme der Sowjetunion letztlich mit dazu beigetragen hat, dass diese Situation entstanden ist. Und es spricht nichts dagegen, Freiheitshelden zu ehren, auch wenn ihre Intentionen nicht dem Reinheitsgebot entsprechen.

In diesem Sinne: “Danke, Gorbi”.

Anmerkungen zur Energiekrise

Seit Russland seine militärische Spezialoperation – in faktentreuen Kreisen üblicherweise “Krieg” genannt – in der Ukraine durchführt, ist diversen Bevölkerungsgruppen schmerzlich bewusst geworden, wie so die Energieabhängigkeitsverhältnisse in Deutschland sind. Selbst einige Kinder der ersten und zweiten Ölkrise schienen gefühlt überrascht zu sein.

Nun gibt es zu unserer Abhängigkeit vom russischen Gas einiges zu sagen und vor allem zu differenzieren. Ich versuche mal eine grobe Einteilung in “Strom”, “Raumwärme” und “Industriebedarf”.

Dass unsere Stromversorgung in den letzten 40 Jahren deutlich gaslastiger wurde, hat zum einen mit dem CO2-Preis zu tun als auch mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und dem Ausbau von dargebotsabhängigen Energieformen wie Wind und Sonne zur Stromerzeugung, von manchen liebevoll “Zappelstrom” genannt. Im englischen Sprachgebrauch hat sich als Verballhornung der “Renewables” inzwischen “Unreliables” etabliert. Dieser Teil der Erhöhung der Gasabhängigkeit wäre also problemlos vermeidbar gewesen. Zur Erinnerung: man war Ende der 80er, als das neueste deutsche KKW in Neckarwestheim ans Netz ging, bei etwa 40% Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung, zusammen mit den 5% aus Wasserkraft, war also fast die Hälfte der Erzeugung beinahe CO2-frei – auf ziemlich diesem Niveau werden wir ab 1.1.2023 nach Abschaltung der letzten 3 KKWs wieder sein. Hunderte Milliarden aus Klimaschutzsicht einfach verbrannt, um eine zuverlässige Art der Stromerzeugung durch eine unzuverlässige Art der Stromerzeugung, die durch Gas- und Kohlekraftwerke netzfähig gemacht werden muss, ersetzt. Großes Kino.

Bei der Raumwärme (und letztlich auch bei der Bereitstellung des Warmwasserbedarfs bei Haushalten und Kleinverbrauchern) sieht da Sache anders aus. Denn es gab lange Zeit (und eigentlich jetzt auch noch, in vielen Fällen) sehr sehr gute Gründe für Gas als Primärenergieträger. Erstens ist Gas ein sehr unproblematischer Brennstoff, der ohne großen Aufwand sauber verbrennt. Zweitens sind Gasthermen sehr zuverlässig und platzsparend und auch ressourcensparend, wenn man es beispielsweise mal mit einer Fernwärmeversorgung vergleicht. Drittens war Gas lange Zeit preislich deutlich attraktiver als Wärmepumpen, und ist es teilweise – vor allem im nicht besonders gut gedämmten Altbau bis ungefähr Ende der 90er – auch heute noch. Hohe Vorlauftemperaturen sind schlicht kein Problem und töten die Effizienz nicht gleich final wie bei Hochtemperaturwärmepumpen. Viertens ist eine Gastherme im Betrieb deutlich wartungsärmer und ressourcensparender als eine doch recht komplexe Wärmepumpe, oder ein Öl- oder Pelletbrenner die mit einem vergleichsweise “dreckigen” Brennstoff klarkommen müssen und deutlich mehr Pflege brauchen. Aber: Raumwärme hätte man auch “französisch” bereitstellen können, mit Kernenergie für Nachtspeicheröfen und/oder Heizstäbe und/oder Durchlauferhitzer. Wenn man das richtig macht, kann man damit sogar Strom im weitesten Sinne “speichern” und damit über die Verbrauchsseite vorhandene Erzeugungsüberschüsse zu beliebigen Zeitpunkten zu nutzen. Zu einem nicht unerheblichen Teil ist allerdings die jetzige breite Gasnutzung für Zwecke der Raumwärme- und Warmwasser-Bereitstellung in Privathaushalten auf politische Fehlanreize wie Subventionen für den Umstieg von Heizöl zu Gas sowie Förderung von Gas-Brennwertheizungen in Neubauten zurückzuführen.

Beim Industriebedarf sind nochmal andere Überlegungen anzustellen. Oftmals ist hier Gas kaum substituierbar, außer durch sehr viel teurere Varianten wie “regenerativ erzeugter Wasserstoff”. Insbesondere im Bereich Prozesswärme, also höherer Temperaturbereiche, ist Gas neben Kohle nahezu unverzichtbar. Aber letztlich ist die jetzige Gasnutzung der Industrie ein Ergebnis einer langjährigen Optimierung aufgrund gegebener hauptsächlich politischer Rahmenbedingungen. Und viele der industriellen Großverbraucher sind ja eh schon ins Ausland geflüchtet.

Wie kommt man kurzfristig aus der hiesigen Gasabhängigkeit raus? In der Gesamtsicht: gar nicht. Man kann aber die Abhängigkeit von Russland recht einfach reduzieren, indem man Gas wo möglich substituiert (Strom: Biogas, Kernenergie, Kohle) und die Lieferanten diversifiziert. Langfristig könnte man natürlich die Kernenergie wieder in angemessenem Umfang ausbauen – Kernenergie taugt für so ziemlich alle Anwendungen, bis hin zu Prozesswärmebereitstellung und Kraftstofferzeugung, und das bei niedrigstmöglicher Umweltbelastung, egal ob man entstehendes CO2 oder Flächenbedarf oder Stoffströme betrachtet. Und weil der “Brennstoff” namens Uran (oder für die Verwegenen: Thorium) so unglaublich hohe Energiedichte hat und gleichzeitig unglaublich preiswert ist, kann man sich mal einen schönen Mehrjahresvorrat anlegen, für den Fall, dass einer wie Putin mal wieder den “Irren Iwan” mimt (oder tatsächlich irre ist, da tagt die Jury noch). Eine andere Möglichkeit wäre, endlich das Frackingverbot hierzulande zu begraben – selbst das Umweltbundesamt hat in seiner letzten Evaluierung ja festgestellt, dass das Risiko für Umweltbeeinträchtigungen durch Fracking bei heutiger Fördertechnik extrem niedrig ist – und wer würde dem UBA (zumindest in diesem Einzelfall) schon widersprechen wollen. Gut, Habeck und andere Intelligenzabstinenzler erzählen dem Publikum immer noch jede Fracking-Horrorgeschichte aus der Steinzeit. Aber nur bei Gasförderung, nicht bei Geothermie, so viel Inkonsistenz muss schon sein, wenn man faktenunabhängiger Ideologe sein will. Wo kämen wir da sonst hin.

Möglicherweise muss man bei Gasknappheit die Stromerzeugung aus Gas ganz einstellen und auf der Verbrauchsseite kreativ werden. Ein Vorschlag meinerseits: Ladestationen für Elektroautos laden nur dann, wenn genügend regenerativ erzeugter Strom im Netz ist. Jede kWh hilft!

Aufruhr bei ARD und RBB

Es stehen ein paar Vorwürfe im Raum. In Richtung Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Verschwendung, unseriöses Geschäftsgebaren, mit der (mittlerweile zurückgetretenen) RBB-Intendantin Schlesinger als zentrale Person.

Die ARD hat in den Tagesthemen vorgestern einen vorsichtigen Versuch der Annäherung in Richtung Beginn einer Aufarbeitung (nicht unähnlich der Koch’schen “brutalstmöglichen Aufklärung”, die Älteren werden sich erinnern) gemacht. Eins ist mir im Gedächtnis geblieben.

Der ARD-Chef so (sinngemäß, ich will nicht Zeit verschwenden mit Mediathek-Recherche): Man dürfe aber nicht die tausenden Mitarbeiter der Rundfunkanstalten vergessen, die Tag für Tag eine hervorragende Arbeit leisten.

Ich so: Zeigt mir halt mal wenigstens einen einzigen. Und wenigstens ein Beispiel für “gute” Arbeit, die muss nicht mal hervorragend sein.

Aus meiner Sicht ist der Öffentlich-rechtliche Rundfunk komplett überflüssig. Kann weg. Braucht kein Mensch. Seinen Auftrag erfüllt er nicht (dazu bitte alle schmutzigen Details bei Danisch nachlesen, ich wiederhole das nicht hier nochmal), und er ist unglaublich teuer. Insbesondere auch bezüglich des Preis-Leistungsverhältnisses im internationalen Vergleich. Im Management-Sprech würde man von einem “Ultra-Low-Performer” sprechen. Und echte Kontrolle existiert nicht, die politischen Kontrollgremien sind schlicht wirkungslos, Gebührenanpassungen werden durchgewunken, Prüfungen ob der grundgesetzliche Auftrag überhaupt erfüllt wird finden nicht statt.

Aber es hat sich daraus nun doch noch etwas sehr Amüsantes ergeben: die ARD bzw. die Rundfunkanstalten seien besorgt, dass die Glaubwürdigkeit gefährdet sei. Da kann ich alle beruhigen: die Glaubwürdigkeit ist schon sehr lange komplett weg (außer vielleicht bei “Bares für Rares” oder dem “ZDF Sommergarten”), da kann es nicht weiter abwärts gehen. Das ist das Schöne an einer Talsohle.

Confirmation Bias am einfachen Beispiel illustriert

Ich hatte es in einem früheren Beitrag schon mal vom Thema “Confirmation Bias” und “Inselbegabung”. Beides findet man häufig in Blogbeiträgen von Menschen, die sich in bestimmten Teilbereichen sehr gut auskennen (und deshalb zurecht hohe Glaubwürdigkeit besitzen), aber auch über andere Themen schreiben, von denen sie nachweislich überhaupt keine Ahnung haben. Bei letzteren Themen kann man dann gut beobachten, dass die politische Grundeinstellung zuverlässig gewisse Meldungen auswählt, ohne objektiv in der Lage zu sein, mit 2 Minuten eigener Recherche Dinge zu verifizieren.

Fefe gestern so: “Der TÜV findet, unsere Atomkraftwerke seien in “exzellentem” Zustand und könnten eigentlich direkt wieder hochgefahren werden”. Wer dem Link folgt, stellt fest: der TÜV äußert sich zu den Ende letzten Jahres abgeschalteten Kernkraftwerken Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C. Unter Kernkraftexperten gelten diese Kraftwerke als zuverlässige Arbeitstiere, minimale Störanfälligkeit, mindestens 20 Jahre zu früh abgeschaltet.

Fefe heute so: “AKW Unterweser: Kontaminiertes Wasser tritt aus Leck aus” – und er stellt direkt den Zusammenhang zur gestrigen TÜV-Einschätzung her.

Für die nicht-ganz-so-erfahrenen-Antiatomschwurbler-Durchschauer: Das Kernkraftwerk Unterweser wurde 2011 nach Fukushima abgeschaltet und befindet sich seit 2018 im Rückbau. Hat also nun wirklich gar nichts mit der TÜV-Einschätzung zu den drei kürzlich abgeschalteten Kraftwerke und schon gar nichts mit den drei noch laufenden Kraftwerken zu tun. Zusatzinfo: “kontaminiertes Wasser ausgetreten” ist eine Nullinformation. Wichtig ist die INES-Einstufung. Und siehe da: Stufe 0. Also nun wirklich kein Problem. Eine Meldung der Qualität “CO2 aus Schornstein eines Kohlekraftwerks ausgetreten”.

Bestimmt verkauft Fefe das wieder als Medienkompetenzübung, wenn ein Leser ihn auf diese Unschärfe hinweist.

Goldene Regel: vertraue niemandem. Prüfe alles nach. Gehe davon aus, dass jeder eine Agenda hat, und Dich bewusst oder unbewusst anlügen will, oder es ihm zumindest nix ausmacht, Lügenmultiplikator zu sein. Niemand, der zu Thema A glaubwürdig ist, ist deshalb auch zu den Themen B bis Z glaubwürdig.

Cancel Culture am harmlosen Beispiel illustriert

Ab und zu bin ich in der Vergangenheit – schon seit der ersten Staffel – bei der Fernsehsendung “Sing’ meinen Song – das Tauschkonzert” auf VOX hängen geblieben. Die Inszenierungen (ich gehe stark davon aus, dass einiges in der Sendung geskriptet ist und keineswegs spontan stattfindet) sind mir tendenziell etwas zu herzschmerzig-gefühlsduselig, aber man kennt ja die emotional unreifen Künstlerseelen, da kann man schon mal Nachsicht üben. Und natürlich finden immer alle alles super, was die Kollegen da so machen. Ich finde das Konzept aber sehr interessant, mal unterschiedliche Musikstile von unterschiedlichen Interpreten bunt durchzumischen und mal zu schauen was dabei rauskommt. Eine Erkenntnis meinerseits ist beispielsweise, dass sich fast jedes Lied mit Hitpotenzial auch in einer Country-Version erstaunlich gut anhört. Gute Songs haben eben Substanz.

Jedenfalls eignet sich die Sendung nicht nur zur musikalischen Unterhaltung, sondern auch als hervorragendes Beispiel für “Cancel Culture” im deutschen Kulturbetrieb. Die Älteren werden sich erinnern: die ersten drei Staffeln der Sendung wurden von Xavier Naidoo moderiert (als “Gastgeber”). Wer nun die diversen “Best of Tauschkonzert”-Sendungen in jüngster Zeit verfolgt hat, wird festgestellt haben: aus diesen ersten drei Staffeln wird kein einziger Beitrag mehr gesendet. Und man kann mir das glauben: an der Qualität der Darbietungen liegt das auf keinen Fall.

Es ist wieder so ein Fall von nachträglichem “wir bieten diesem bösen Verschwörungstheoretiker keine Bühne”, was besonders widersinnig erscheint, wenn es sich um eine Aufzeichnung aus lange vergangener Zeit handelt, wo nicht mal entfernt politische Botschaften im Spiel sind. Und nebenbei bemerkt: mit seltsamen politischen Botschaften von Künstlern hatte VOX in der aktuellen Staffel jedenfalls kein Problem. Naja, war ja auch die Mainstream-Verschwörungsrichtung, da ist man generell nachsichtiger.

Schon allein der Gedanke, dass irgendjemand überhaupt eine Äußerung eines Künstlers jenseits seiner Kunst ernst nehmen könnte, erstaunt. Von typischerweise intellektuell eher einfach strukturierten Inselbegabten sich in seiner politischen Einstellung beeinflussen zu lassen spricht eher dafür, dass man beim Nachdenken gerne oft und viel Pech hat. Schön zu sehen, was der “Goodbye Deutschland – die Auswanderer”-Sender seinem Publikum an geistiger Reife so zutraut.