Der Kanzlerkandidat der Union

Nicht mal ganz Halbzeit bei der Ampel-Regierung. Wenn man mal davon ausgeht, dass sich diese sich eher feindlich gesonnene Chaotentruppe über die ganze Legislaturperiode zusammenreißt. Böse Zungen behaupten ja, dass die wahre Oppositionsarbeit innerhalb der Regierung geleistet wird. Und da dachte sich die Union wohl (oder genauer, es scheint derzeit eine CDU-Debatte zu sein), man sollte jetzt dringend mal die Kanzlerkandidatenfrage aufgreifen. Wobei, vielleicht war es auch die Presse, die da die Saat gelegt hat, um nicht ganz nackt im Sommerloch dazustehen. Die Aufregung um das katastrophale Heizungsgesetz wurde ja recht schnell wieder auf die hinteren Seiten der Postillen verbannt.

Wie dem auch sei, der Senf ist aus der Tube, und zumindest die Presse diskutiert über Merz vs. Wüst. Und manchmal wird auch noch Söders Hut – stellvertretend, denn er selbst ist zu clever für Äußerungen in diese Richtung – in den Ring geworfen. Und tatsächlich ist Söder m.E. der Einzige, der momentan von dieser Debatte profitiert, denn kaum ein Kommentar (also praktisch alle Artikel in der heutigen Presse – “Bericht” kann man diese meinungsstarken Debattenbeiträge ja allesamt nicht nennen) kommt ohne die Bestandsaufnahme aus, dass für den Fall, dass Söder ein überzeugendes Ergebnis bei der kommenden Landtagswahl in Bayern (2023-10-08) einfährt, selbstverständlich Söder im engsten Favoritenkreis zu sehen ist. Eine Art Win-Win-Situation für Söder, denn einige bayrische Wähler könnte das dazu veranlassen, Söder ihre Stimme zu geben, damit endlich mal ein CSU-Kandidat Kanzler wird. Und wenn der Rückenwind nicht reicht, macht er halt nochmal 5 Jahre den bayrischen Ministerpräsidenten und stänkert wie gewohnt von München aus gegen “die da in Berlin”.

Ich halte Söder für einen Totalopportunisten ohne stabiles eigenes Wertesystem, für einen Dampfplauderer allererster Güte, für aalglatt und prinzipienlos. Und doch würde ich ihn Merz oder Wüst jederzeit vorziehen. Was einiges über die Qualität des CDU-Personals aussagt – zu Kohl-Zeiten konnte man sich problemlos Schäuble, Späth, Biedenkopf oder Stoltenberg als Kanzlerkandidat oder sogar Kanzler vorstellen. Heute hofft man eigentlich nur, dass niemand auf die Idee kommt, Ursula von der Leyen ins Spiel zu bringen. Das wäre doch mal ein Bundestagswahlkampf – UvdL oder AKK für die Union, Claudia Roth oder Ricarda Lang für die Grünen, Klara Geywitz oder Nancy Faeser oder Christine Lamprecht für die SPD, Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Bettina Stark-Watzinger für die FDP, Alice Weidel für die AfD.

Möge dieser Kelch an uns vorübergehen. Wobei vermutlich einige von ihnen es besser machen würden als Angela Merkel. Oder zumindest kürzer.