Landtagswahl Saarland 2022

Landtagswahlen im Saarland gehören ja zum Unwichtigsten, was die Republik politisch zu bieten hat, aber auch zum Unterhaltsamsten. Dem Wahlvolk an der Saar scheint der Schalk im Nacken zu sitzen – wie sonst wäre es erklärbar, dass dort schon Lafontaine und Maas und Kramp-Karrenbauer das Ministerpräsidentenamt bekleidet haben? Gut, vielleicht ist auch die These der Wahl des kleinsten Übels zutreffend, die jeweiligen Gegenkandidaten sind mir aber Gott sei Dank entfallen und so muss ich den Beleg dieser These schuldig bleiben.

Jedenfalls war der Ausgang 2022 auch wieder ein Knaller. Amtsbonus des Ministerpräsidenten? Nicht erkennbar. Besondere Fähigkeiten der SPD-Kandidatin? Nicht erkennbar. Auswirkungen der in Umfragen angedeuteten Bundestrends? Nicht erkennbar. Relevanz für die Bundespolitik? Nicht erkennbar. Wobei, irgendein Gewicht im Bundesrat wird sich schon wieder verschoben haben, aber seit etwa 2010 herrscht in der Bundesrepublik ja sowieso eine Art Allparteien-Koalition-ohne-AfD, und damit ist der Bundesrat ja nun eher irrelevant geworden. Man streitet bei relevanten Themen ja gar nicht mehr um „für und wider“, sondern nur um „mehr-noch mehr-wieviel davon“.

Sehr amüsant: das sehr knappe Scheitern der Grünen an der 5%-Hürde, es fehlen rund 20 Stimmen. Aber mal sehen, was das endgültige amtliche Endergebnis dann ergibt, da ist man ja vor Überraschungen nie gefeit.

Nicht mehr ganz so amüsant, weil nun doch schon oft dagewesen: das Versagen der Demoskopen. Bei Vorwahlumfragen gibt es dafür ja hinreichend Gründe, aber dass Infratest Dimap gleich zwei Parteien in der 18Uhr-Prognose im Parlament gesehen hat, die dann letztlich gescheitert sind – peinlich. Die Demoskopie ist halt keine Wissenschaft, sondern Kaffeesatzleserei unter Würfeleinsatz, und je kleiner das Wahlvolk, desto unsicherer das Ergebnis. Klassische Modellierung nach dem „garbage-in-garbage-out“-Prinzip, und darin den Klimamodellen nicht unähnlich. Nur mit deutlich niedrigerem Schadenspotenzial.

Noch ein paar Beobachtungen am Rande: Die Zugewinne der SPD (rund 40000 Stimmen) kompensieren nicht mal den Verlust der SED (rund 55000 Stimmen), wobei auch die schwächere Wahlbeteiligung (nur für den Spaß geht man wohl nicht mal im Saarland wählen) berücksichtigt werden muss beim Vergleich der absoluten Stimmenzahlen. Einige Kleinparteien haben sich auf ungefähr die Hälfte der Stimmen der SED hochgearbeitet – „Die PARTEI“, die Freien Wähler (mit mehr als einer Verdreifachung der Stimmen quasi heimlicher Wahlsieger), „die Basis“, „bunt.saar“…klangvolle Namen im Parteienspektrum. Die Tierschutzpartei hat sogar mit über 10000 Stimmen die SED fast eingeholt. Die Piratenpartei festigt mit Platz 14 ihren Nimbus als unter-ferner-liefen-Partei.

Und noch eine Detailbeobachtung zum Zustand des Qualitätsjournalismus: die taz, linkes Kampfblatt aus Tradition, stellt in den lustigen Balkendiagrammen die AfD mit der braunen Farbe dar. Konsequenterweise müssten die Grünen dann in dunkelrot eingefärbt werden, aber Logik und Stringenz waren im linken Lager ja noch nie hoch angesehen.

Unsortiertes zum Ukraine-Krieg

Seit nunmehr 3 Wochen läuft das lange Zeit Undenkbare vor unser aller Augen ab: ein Angriffskrieg mitten in Europa. Russland hat die Ukraine angegriffen, eine Invasion in vorher als sehr unwahrscheinlich angesehener Breite. Ich will ein paar zufällige Punkte herausgreifen, die mich an diesem Krieg verwundern.

Viele Menschen erklären mit seit 20 Jahren, was für ein Meisterstratege Putin sei. Dass er wie die russischen Schachgroßmeister alle Züge im Voraus durchdenkt, seine Optionen abwägt, kühl und rational entscheidet. Schon vor 2014 – Krim-Annexion und Unterstützung (oder Initiierung?) der Separatisten in der Ostukraine – konnte keiner erklären, wie ein derart kluger und vorausschauender großer Führer einer derart an Bodenschätzen reichen Nation so kläglich versagt bei vergleichsweise trivialen Dingen wie „Wirtschaft“ und „Finanzen“. Man sagt zwar, dass es nun besser sei als in der Jelzin-Ära, aber der hatte auch noch gegen das ganze Erbe der maroden Sowjetunion zu kämpfen. Dagegen hat Putin ja fast ein „bestelltes Haus“ übernommen.

Und wenn man sich jetzt den Ukraine-Krieg anschaut, kommt einem der Gedanke, dass das doch eine schlecht geplante Operation war. Ein Hochrisikoeinsatz ohne wirkliche Aussicht auf Gewinn. Die Idee, dass es für die russische Sicherheit wichtig wäre, einen „Puffer“ namens Ukraine zu haben, ist doch einfach nur lächerlich – seit der Erfindung des Panzers bringen einem 1000km weites, unverteidigtes Land einen Puffer von einem Tag. Seit der Erfindung von Raketen keine 5 Minuten. Die oft vorgetragene Forderung Russlands (oder nur Putins?) nach einer bündnisneutralen Ukraine ist – neben seiner völkerrechtlichen Abwegigkeit – militärisch sinnlos. Und da muss man noch nicht mal drauf abheben, dass bisher in der Geschichte niemand so wahnsinnig war, einen Staat anzugreifen, der Atomwaffen besitzt. Und schon gar keine Großmacht, die auch konventionelle Streitkräfte in erheblicher Zahl vorhält.

„Atomwaffen“ sind ein gutes Stichwort. Die Älteren erinnern sich noch an Anfang der 90er, als sich die Sowjetunion in ihre Bestandteile auflöste und diverse Staaten plötzlich mit einem Haufen Atomwaffen dastanden. Dazu gehörte bekanntlich auch die Ukraine, und die hat (leichtsinnigerweise, wie man in der Rückschau sagen muss) im Rahmen des Budapester Memorandums mit den Garantiemächten USA, UK und Russland seine Atomwaffen abgegeben gegen eine Zusicherung der territorialen Integrität. Schon die Krim-Annexion 2014 war ein eklatanter Verstoß Russlands gegen dieses Abkommen, auch wenn man damals, wenn man Kreml-Versteher war und imperialistische Neigungen eben als russische Natur angesehen hat, zur Not noch eine Scheinargumentation zusammengenagelt bekommen hat, um das schönzureden. Mit dem Angriffskrieg jetzt kann man die Erzählung, Russland würde sich immer an geschlossene Verträge halten, getrost als Märchen endgültig zu den Akten legen.

Sehr irritierend finde ich eine Argumentationslinie, die auf Beschwichtigung setzt. Man dürfe den russischen Bären nicht reizen. Die haben ja schließlich Atomwaffen. Ja, die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen ist letztlich, sobald sie existieren, nie ganz auszuschließen. Aber entweder ist Russland ein rationaler Akteur, dann werden sie Atomwaffen nur als allerletztes Mittel einsetzen, und zwar wenn sie selbst mit Massenvernichtungswaffen angegriffen werden. Oder Russland ist wahnsinnig genug, auch in anderen Szenarien den Einsatz zu erwägen, aber dann sind wir eh verloren, egal was wir tun. Exemplarisch kann man diese Argumentationslinie gerade bei der Bewertung von Joe Bidens Aussage „Putin ist ein Kriegsverbrecher“ (die ich für unnütz halte, um das auch zu sagen) sehen. Die Engländer sagen „stating the obvious“, aber diplomatisch gilt das wohl als „die Brücken abreißen“, was auch die zumindest verbal heftige Gegenattacke aus dem Kreml vermuten lässt. Aber da frage ich: welche Brücken? Welche diplomatische Basis gibt es noch, um mit Russland zu verhandeln? Welche diplomatische Brücke war denn überhaupt noch intakt? Man wird nicht darum herumkommen, zur Beendigung des Konflikts ganz neue Brücken zu bauen. Wer diese baut, wann, warum, unter welchen Verrenkungen – das gehört für mich zu diesen großen unbeantworteten Fragen dieses Kriegs.

Militärisch stehe ich als Laie bei der Betrachtung des Krieges auch eher verwirrt da. Eine Strategie der Russen ist nicht erkennbar. Und auch auf taktischer Ebene wirkt das alles sehr konfus. Vielleicht habe ich den ganz großen Plan dahinter nur nicht kapiert – ich verstehe ja noch, dass man initial hoffen konnte, durch eine Art „Blitzkrieg“ und schnelle Absetzung der ukrainischen Regierung innerhalb von 2-3 Tagen vielleicht eine Kapitulation zu bekommen, indem man den Gegner einfach überrollt. Aber waren für diese Strategie die aufgefahrenen Kräfte nicht viel zu schwach? Dachte man auf russischer Seite, dass sie als große Befreier des unterdrückten ukrainischen Volkes willkommen geheißen werden? Denn eines scheint mir sonnenklar: auch mit einer nur zu 50% feindlich gesonnenen Bevölkerung ist die dauerhafte Besetzung und Kontrolle eines Landes dieser Größe für eine so ressourcenschwache Nation wie Russland überhaupt nicht zu stemmen. Schon in Afghanistan und in Tschetschenien zeigten sich doch die engen Grenzen der russischen Militärmacht in einem Häuserkampf-Szenario. Wollte man Kiew wie Aleppo oder Grosny massiv bombardieren, oder was war der Plan? Dachte man, eine Marionetten-Regierung könnte das Land zügig stabilisieren, und das nach den Erfahrungen der Maidan-Proteste? Oder wenn man auf einen wirtschaftlichen Eroberungsgewinn aus war – was gibt es in der Ukraine wirklich zu holen, was die Kosten eines solchen Militäreinsatzes auch nur annähernd finanzieren könnte? Ich habe keine Ahnung.

Sehr spannend finde ich die wechselnden Begründungen für den Angriff auf die Ukraine. Nazis im ganzen Land, Entwicklung von Biowaffen, Entwicklung von Atomwaffen, Völkermord in der Ostukraine, unmittelbar bevorstehender Großangriff in der Ostukraine und der Krim, Anstreben der NATO-Mitgliedschaft, Anstreben der EU-Mitgliedschaft…ich sage mal so: früher war die Propaganda aus dem Kreml deutlich stringenter und glaubwürdiger. Falls man bei Kreml-Verlautbarungen überhaupt von „Glaubwürdigkeit“ sprechen kann – aber es gibt ja zumindest bei der Plausibilität einer Lüge oder Halbwahrheit durchaus Abstufungen.

Noch ein Wort zum beliebten Vorwurf „an den Westen“, dass die eigentliche Schuld bei der NATO liegt und Putin gar nicht anders handeln konnte: ja, es stimmt, dass Putin schon seit etwa 20 Jahren darauf besteht, substanzielle Zugeständnisse von Seiten der westlichen Industrienationen und/oder der NATO zu bekommen. Was aber noch keiner erklären konnte: warum sollte man diesen Forderungen nachkommen? Nur weil einer etwas fordert – mit welcher Begründung auch immer – ist diese Forderung nicht automatisch berechtigt. Auch wenn er das 20 Jahre lang tut. Ich persönlich finde, dass man Russland mit dem NATO-Russland-Rat (inklusive NATO-Russland-Grundakte) und der Einbindung in die G7 (was sie zur G8 machte) mehr als genug eingebunden hat. Man hat aus meiner Sicht ein autokratisches Regime, wo Menschenrechtsverletzungen schlimmster Art zur Routine gehört, unnötig hofiert und beschwichtigt und berücksichtigt und betüddelt. Aus meiner Sicht ein Appeasement-Fehler vom Schlage 1938. Dazu passend klingt Putins Versprechen, dass ihm eine neutrale Ukraine ohne NATO-Perspektive ausreicht – zumindest in meinen Ohren nicht unähnlich wie Hitlers „Es ist die letzte territoriale Forderung, die ich in Europa zu stellen habe“ zur Sudentenfrage. Kurz darauf folgte die Annexion der Rest-Tschechei und der Überfall auf Polen, für diejenigen die in der Geschichte hin zum zweiten Weltkrieg nicht so bewandert sind.

Nimmt man Putin ernst, kann man baldige Invasionen in Estland, Lettland, Litauen, Polen, Finnland und Schweden erwarten. Das würde alles zum Plan der Wiederherstellung des glorreichen Sowjetimperiums nebst ausreichend Puffer zur NATO passen. Warum sollte Putin in der Ukraine haltmachen? Es gibt nur einen Grund, warum er das tun würde: wenn er sich im Ukraine-Krieg eine sehr sehr blutige Nase holt, an der Russland mindestens so lange zu knabbern hat wie die Sowjetunion an Afghanistan.

Fischer zur Ukraine

Ich hatte mich schon öfter lobend geäußert zu den Kolumnen von Thomas Fischer im Relotius-Blatt. Nun (im Sinne von „vor mehreren Tagen, aber ich komme erst jetzt dazu das zu kommentieren“) hat er eine Gastkolumne zum Ukraine-Konflikt veröffentlicht.

Und leider bestätigt sich die alte Regel, dass sich die meisten Leute halt nur mit ganz wenigen Themen wirklich genau auskennen und logisch stringente, historisch akkurate, inhaltlich überzeugende Dinge absondern können. Wer z.B. Fefe’s Blog verfolgt, wird das bestätigen können – großartig und auf den Punkt bei vielen IT-Themen, aber abgrundtief schlecht bei politischen und wirtschaftlichen Dingen. Ich empfehle trotzdem, dort regelmäßig mitzulesen, weil auch die absurd falschen Standpunkte oft amüsant formuliert sind. Auch wenn die häufig genutzte Ausrede „es war nur eine Medienkompetenzübung“ manchmal ermüdet – wie ein Lehrer, der Unsinn quatscht, und wenn sich ein Schüler beschwert sagt „ich wollte nur sehen, ob ihr aufpasst“.

Aber zurück zu Fischers aktuellem Machwerk, das schön illustriert, dass Fischer ein Jura-Inselbegabter ist – genauso wie Fefe ein IT-Inselbegabter ist. Schon der Titel „Scholz hat recht“ lässt aufhorchen, denn Scholz hat bekanntlich extrem selten recht. In diesem Falle hingegen würde ich sogar auch zustimmen: nachdem man jahrzehntelang den deutschen Energieverbrauch auf Gas getrimmt hat – vor allem bei der Raumwärme, aber auch bei der Stromerzeugung als notwendige schnelle Regelreserve für den Zappelstrom aus Wind und Sonne – wäre es jetzt geradezu grotesk, als allererste Sanktion einen Importstopp von russischem Erdgas zu verhängen. Das schadet Deutschland mehr als Russland, und würde es zudem Russland ermöglichen, auch die Ukraine von der Gasversorgung abzuklemmen, da signifikante Gasliefermengen bekanntlich durch Pipelines zu uns gelangen, die auch durch die Ukraine laufen.

Auch bei den beschriebenen Maßnahmen gegen Dinge russischer Herkunft bin ich noch weitgehend Fischers Meinung. Ekelhafte Symbolpolitik, nix wert außer „virtue signalling“. Vielleicht sind sogar die Paralympics eine Ausnahme, denn das russische Staatsdoping erstreckt sich auch auf diesen Bereich, und das wäre sicher der ehrlichere Grund gewesen, russische Athleten von den Wettkämpfen auszuschließen.

Aber dann wird es eben absurd. Selbstverständlich ist der russische Angriff nebst gezieltem Beschuss auf ukrainische Kernkraftwerke zu verurteilen. Die Einnahme eines Kernkraftwerks hat überhaupt keinen strategischen Wert und ist eher riskant, auch wenn die Sorgen über einen bevorstehenden Super-GAU wie immer in deutscher Gründlichkeit maßlos überzogen waren. Und auch der Hinweis, dass Russland selbstverständlich taktische Atomwaffen im Repertoire hat (wie die NATO auch) und diese im Ernstfall sicher auch einsetzen würde (im Gegensatz zur NATO – hier haben sie ausschließlich gemäß Doktrin ihre abschreckende Wirkung im Falle einer notwendigen Verteidigung gegen einen übermächtigen konventionellen Gegner aka „Warschauer Pakt Mitte der 80er“), hat absolut seine Berechtigung. Ich halte den Einsatz nicht für wahrscheinlich, aber zur Sprache bringen kann man diese Bedrohungslage doch sicherlich.

Auch die Charakterisierung von Waffenlieferungen an die Ukraine – selbst im Spezialfall die polnischen MiG 29, eine Aktion deren strategischen Wert ich nicht verstanden habe – als „Spiel mit dem Feuer“ ist doch eher putinversteherisch – bloß nicht den russischen Bären reizen, Deeskalation ist das Gebot der Stunde, Appeasement bis zur Selbstverleugnung. Fischers Rezeptur ist das, was seit den Nullerjahren gegen Russland bisher immer gescheitert ist, von Georgien über die Krim bis jetzt zur Ukraine. Wenn man sich anschaut, wie viele Waffen die Russen den Separatisten in der Ostukraine seit 2014 geliefert hat, wird die Doppelzüngigkeit der ganzen Situation nochmal deutlicher.

Und der Rest des Artikels ist dann einfach nur noch abstoßend. Wie Fischer hier der Ukraine die sofortige Kapitulation empfiehlt ist wirklich sehr unappetitlich. Bei der Verteidigung des eigenen Landes – und in diesem Falle der eigenen Freiheit, denn wie sich Putin die Zukunft der Ukraine vorstellt, kann man ja in Russland und Weißrussland schon besichtigen – geht es nicht um Heldenmut und heroische Großtaten, sondern schlicht ums Überleben. Und zwar nicht nur jetzt und kurzfristig, sondern die nächsten zwanzig oder dreißig oder fünfzig Jahre. Es geht darum, durch entschiedenen Widerstand gegen den Aggressor auch ein Zeichen für die Zukunft zu setzen, dass man es auch einem scheinbar überlegenen Gegner auf keinen Fall leicht machen wird und dass der Preis einer solchen Aggression eben hoch ist – und nur wenn der Preis hoch genug ist, werden künftige Diktatoren von Eroberungsfeldzügen dieser Art abgehalten. Deshalb gibt es auch überhaupt keinen Grund für „den Westen“, die Ukraine zur sofortigen Aufgabe zu bewegen. Ganz im Gegenteil – notwendig ist vielmehr eine Ausweitung der sinnvollen Waffenlieferungen von MANPADS bis zur klassischen Panzerfaust. Das wirkt besser als jede Sanktion, es ist gelebte Abrüstung. Und zwar auf der Seite des Aggressors.

Besonders witzig dann noch dieser Satz: „Russland wird weiter bestehen, die Ukraine wird weiter bestehen.“ Nein, lieber Herr Fischer: wenn sich die Ukraine in den ersten Tagen des Krieges ergeben hätte, würde die Ukraine auf absehbare Zeit eben nicht mehr existieren. Und Zar Wladimir wäre seines Ziels der Restauration der Zeit von Peter dem Großen wieder ein Stück näher gekommen. Für die Ukraine gibt es nur eine Zukunftsperspektive, und das ist die strikte Westbindung mit dem vollen Programm EU-Beitritt und NATO-Beitritt – nur das wird die Ukraine in Zukunft vor weiterer russischer Aggression schützen. Und es ist eine Schande, dass man diese Zukunft nicht schon nach der Annexion der Krim 2014 durch Russland zügig in die Tat umgesetzt hat. Schon 1938 hat Appeasement gegenüber dem Aggressor gar nichts genützt, und 2014 war es nicht anders. Und hat unweigerlich zur jetzigen Misere geführt. Und vielleicht ist es jetzt für eine Westbindung der Ukraine auf absehbare Zukunft schon zu spät.

Wenn man leidenschaftslos auf den Kriegsverlauf schaut (und das ist im Angesicht eines Krieges nie leicht), muss man zunächst konstatieren, dass der Kampf der Ukraine ums Überleben durchaus geeignet sein könnte, dem neu-zaristischen Russland (wahlweise auch: Reinkarnation der UdSSR) und seinen imperialistischen Gelüsten erst mal einen Riegel vorzuschieben. Die russischen Streitkräfte scheinen nicht ganz so stark zu sein wie es die Kreml-Propaganda in den letzten Jahren versucht hat darzustellen. Der hohe Blutzoll russischer Einheiten von Tschetschenien bis Syrien scheint kein Einzelfall gewesen zu sein.

Endet der Krieg (oder „die Spezialoperation“, wie die russische Propaganda nicht müde wird zu behaupten) mit dem ja zweifellos immer noch zu erwartenden russischen Sieg, und geht danach in den ebenfalls erwarteten asymmetrischen Konflikt über, werden die Russen zwar die Schlacht gewonnen haben, aber den Krieg werden sie verlieren. Ein derart großes Land dauerhaft besetzt zu halten halte ich für unmöglich, und insbesondere für prohibitiv teuer für einen Wirtschaftszwerg wie Russland. Eine Essenz des Vietnamkriegs war „reguläre Truppen verlieren wenn sie nicht gewinnen, irreguläre Truppen gewinnen wenn sie nicht verlieren“. Diese Erkenntnis sollte Russland in seinen Archiven der glorreichen UdSSR unter dem Stichwort „Afghanistan“ finden.

Fischer zur Impfpflicht

Ich hatte mich schon früher lobend über die pointierten Kommentare von Thomas Fischer geäußert – nach wie vor der einzige Grund, bei der Online-Dependence des Relotius-Blattes vorbeizuschauen. Jetzt gibt es einen neuen Gastbeitrag aus seiner Feder – ein seltenes Ereignis, leider ist er ja nicht mehr regelmäßiger Kolumnist bei SPIEGEL Online. Und dieser Beitrag ist pointiert, ironisch, sarkastisch, unterhaltsam, bedenkenswert und interessant zugleich. Eine seltene Mischung.

Nach wie vor sind die Juristen ja uneins, was die Verfassungsmäßigkeit einer Impfpflicht angeht – nicht verwunderlich, wann sind Juristen sich schon mal einig. Und nach wie vor will ich aus liberaler Sicht keine Impfpflicht haben, gebe aber gerne zu, dass ich leider nicht weiß, wie man das liberale Konzept „Eigenverantwortung“ für Ungeimpfte ohne Rückgriff auf wirklich unakzeptable Methoden etablieren könnte.

Und auch Thomas Fischer gibt zum Thema Impfpflicht seine Meinung ab, die natürlich trotz seines unzweifelhaft vorhandenen juristischen Sachverstandes nicht als allein Seligmachende akzeptiert werden sollte. Aber beispielsweise seine Beschreibung zur Positionierung der Regierung – die hat schon was. Seine süffisanten Anspielungen von Djokovic über den traurigen intellektuellen Zustand des FAZ-Feuilletons bis zum Ukraine-Konflikt, das ist schon große Kunst. Fast jeder Satz ein Genuss, fast jeder Schuss ein Treffer. Lesebefehl!

Rätselhafte Russen

Während die beste Außenministerin, die Deutschland je hatte, derzeit in der Ukraine und in Russland ihren Antrittsbesuch macht, will ich kurz ein paar Worte zum derzeit eher merkwürdigen außenpolitischen Kurs Russlands verlieren.

Beispielsweise verstehe ich überhaupt nicht, wie sich Russland mit einem ernsten Gesicht hinstellen kann und vehement verlangt, dass diverse osteuropäische Nationen, die Russland als angeblich natürlicher Nachfolger der glorreichen UdSSR als ebenso angeblich gottgegebene Einflusssphäre betrachtet, sich gefälligst von einer NATO- und am besten auch einer EU-Mitgliedschaft fernhalten sollen. Weil das gegen russische Interessen verstößt. Da sagt der Völkerrechtler in mir: kann ja sein, dass z.B. eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine gegen russische Interessen verstößt, aber es stellen sich da gleich zwei Fragen: erstens „warum“, zweitens „wen interessiert das“. Es ist ja nicht so, dass die NATO angriffslustig darauf wartet, endlich die Russland-Invasion starten zu können – hätte man ja schon bisher machen können, wenn das ein seriöses NATO-Ziel wäre, beispielsweise über die gemeinsame Grenze Russlands mit Norwegen oder Lettland oder Estland. Und die Türkei ist auch nicht weit weg. Und was alles an NATO-Ländern an die russische Enklave Kaliningrad grenzt – nein, eine Befürchtung über einen Angriff der NATO ist nun wirklich komplett abwegig. Und zwar nicht nur wegen der zahlreich vorhandenen russischen Atomraketen als Abschreckung. Und natürlich hat sich Russland, das ja wenn es in den Kram passt gerne mal das Selbstbestimmungsrecht der Völker (siehe Ost-Ukraine oder Krim) hochhält, aus den Angelegenheiten souveräner Staaten herauszuhalten.

Im Moment ist der Zankapfel die Ukraine, aber man fragt sich schon, was z.B. der Unterschied ist zwischen der Ukraine und beispielsweise Finnland. Die Finnen liebäugeln inzwischen ja auch mit einem NATO-Beitritt, und die gewisse Grundaggression der russischen Haltung mag da ein Motivator sein. Droht Russland für den Fall eines NATO-Beitritts der Finnen auch mit Konsequenzen? Wenn ja, welche und für wen? Nein, der russische Standpunkt ergibt nicht den geringsten Sinn. Länder in Europa tun gut daran, so schnell wie möglich der NATO beizutreten, um wenigstens einen gewissen Schutz vor Russland zu genießen – denn ob im Ernstfall tatsächlich die USA den notwendigen militärischen Druck auf Russland ausüben würde, lassen wir mal dahingestellt.

Gerne gepflegt wird ja auch der Mythos, dass die Russen sich stets an geschlossene Verträge halten würden. Wer das immer noch glaubt, dem empfehle ich bezüglich der Krim einen Blick in das Budapester Memorandum, in dem sich Russland z.B. verpflichtete, die territoriale Integrität der Ukraine (und dazu gehörte zweifelsfrei die Krim) als Gegenleistung zur atomaren Entwaffnung der Ukraine zu gewährleisten. Naja, Papier ist geduldig. Natürlich kennen Russland-Versteher alle möglichen Gründe, warum die Krim in Wahrheit gar nicht zur Ukraine gehört, inklusive der Geschichte vom Vaterlandsverräter Nikita Chruschtschow, der irgendwie völkerrechtswidrig die Krim der Ukraine geschenkt habe. Das mag ja sein, und trotzdem haben die Russen das Budapester Memorandum unterzeichnet, in dem der Status der Krim eindeutig völkerrechtlich zementiert wurde. Unterm Strich: kein Staat kann sich auf Vertragsinhalte mit Russland verlassen. Umso mehr Grund, der NATO beizutreten.

Ebenso gerne gepflegt wird übrigens die Geschichte, dass nach Ende der UdSSR bzw. des Warschauer Paktes irgendjemand angeblich den Russen versprochen habe, dass es keine NATO-Osterweiterung gäbe. Nicht nur Gorbatschow hat sehr deutlich gemacht, dass es solch ein Versprechen niemals gab, nur entsprechende Angebote „des Westens“ in der Frühzeit der Verhandlungen zur deutschen Einheit, aber niemals entsprechende Verträge – sogar die Wikipedia weiß das. Auch wird die NATO-Osterweiterung gerne als Strategie der „Einkreisung Russlands“ gedeutet – komischer Kreis, ich empfehle einen Blick auf die Landkarte.

Bleibt die Frage, was die Russen hoffen, welchen Profit sie aus ihrer aggressiven Haltung herausschlagen können. Klar, Putin hat jede Menge innenpolitische Probleme, die Wirtschaft ist in katastrophalem Zustand, nur durch massiven Rohstoffexport hält man sich einigermaßen über Wasser – und wenn es innenpolitisch Probleme gibt, ist ein „äußerer Feind“ immer ein beliebtes Ablenkungsmanöver. Aber es hat seinen Preis. Die Ausgaben für Prestigeprojekte beispielsweise im Rüstungsbereich sind erheblich und hatten bekanntlich schon zum (vorläufigen?) Ende der UdSSR mit beigetragen. Auch Wirtschaftssanktionen – für viel mehr wird „der Westen“ wohl nicht den Mut aufbringen – schmerzen Russland doch ziemlich, zumal auch China nicht zu den allerbesten Freunden gehört. China ist zudem das lebende und damit besonders schmerzliche Beispiel dafür, dass der Weg heraus aus kommunistischem Wahnsinn hin zu leidlich funktionierender Marktwirtschaft auch unter Beibehaltung der Alleinherrschaft der kommunistischen Partei (auch bekannt als „Diktatur“) funktionieren kann, und in Russland hat das mal sowas von gar nicht funktioniert. Nun war aber der chinesische Weg – mit Ausnahme vielleicht von Hongkong, aber das ist ein sehr kleiner Fisch – nicht etwa, per militärischer Gewalt in den umliegenden Gebieten seinen Einfluss zu sichern. Warum Russland das für eine empfehlenswerte Strategie hält, von Afghanistan (zu UdSSR-Zeiten) über Tschetschenien und Weißrussland bis zur Krim und der Ost-Ukraine, erschließt sich mir nicht. Was ist der Sinn, eine „Einflusssphäre“ zu haben? Was nützt es Russland, wenn es beispielsweise auf dem Balkan oder in Syrien mit am Tisch sitzt? Oder ist es letztlich doch nur der verletzte Stolz einer Ex-Supermacht, eines Riesenreichs ohne signifikante wirtschaftliche Bedeutung, das außer seinen Atomwaffen nichts mehr in die Waagschale werfen kann?

Eines sollte klar sein: Russland ist wirtschaftlich sehr verwundbar, eine große Einnahmequelle sind die Gaslieferungen nach Europa (und hier vor allem nach Deutschland). Die ist in steter Gefahr, denn Gas kann heutzutage nicht nur über Pipelines, sondern auch per Tanker in Form von LNG angeliefert werden – und da stehen reichlich Lieferanten bereit, um einzuspringen, von den Golfstaaten bis zur USA. Durch die Verfügbarkeit preiswerter Fracking-Technologie könnten viele Länder der Erde zu Gasexporteuren werden, das ist aus meiner Sicht für Russland die größte Bedrohung in den kommenden zehn Jahren. Die derzeitig durch die Decke gehenden Gaspreise könnten ein mächtiger Katalysator für eine derartige Entwicklung sein.

Unter einer Voraussetzung allerdings ergibt Russlands derzeitige Haltung doch Sinn: nämlich wenn man langfristig plant, diverse osteuropäische Länder zwangsweise der eigenen Einflusssphäre wieder zuzuführen – vulgo einen Angriffskrieg zu führen. Denn ein Angriffskrieg gegen Nicht-NATO-Mitglieder ist ganz sicher sehr viel weniger riskant und teuer als gegen NATO-Mitglieder. Irgendwie kann ich aber nicht glauben, dass das die Strategie Russlands sein soll, egal mit welchem Zeithorizont. Es bleibt eben rätselhaft – zumindest für mich.

Über Hass und Hetze

In den letzten Jahren hat die Politik vermehrt Anstrengungen unternommen, gegen „Hass“ und „Hetze“, vor allem natürlich im Urbösen, dem Internet, vorzugehen. Heiko Maas‘ NetzDG war vermutlich der bisher massivste Eingriff in die Meinungsfreiheit der Menschen hierzulande, und das auch noch elegant „über Bande“, so dass die Zensur zwar staatlich indirekt veranlasst wird, aber von privaten Akteuren wie Facebook und Twitter tatsächlich durchgeführt wird – so kann man den Anschein von Rechtsstaatlichkeit bewahren.

Dazu eine generelle Anmerkung: auch das Äußern von „Hass“ und „Hetze“ gehört immer noch zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Vor allem deshalb, weil keiner jemals ein sauber formuliertes Gesetz verabschiedet hat (und jemals verabschieden kann), wie denn genau „Hass“ oder „Hetze“ definiert werden und warum es ein gesellschaftliches Interesse geben könnte, diese – wo auch immer – zu verbieten. Derzeit töbert ja vor allem unsere Neu-Innenministerin Nancy Faeser mit Vorschlägen wie „Telegram abschalten“ durch die Medien, was erneut beweist, dass heutzutage nicht nur Politiker, sondern auch Minister keinerlei nachgewiesene Qualifikation für den Job benötigen, ja sogar dass maximale Unwissenheit wichtigste Voraussetzung ist, in der Politik einen Posten zu ergattern. Und sei es nur ein Versorgungsposten. Wobei Frau Faeser formal schon eine Qualifikation vorzuweisen hat, man muss heutzutage ja direkt dankbar sein, wenn ein Politiker mehr als ein abgebrochenes Studium der Theaterwissenschaften bildungstechnisch vorzuweisen hat. Aber wie kaum eine andere weiß Frau Faeser eventuell noch vorhandene Restbildung fast schon meisterhaft vor der Öffentlichkeit zu verstecken.

Ich will gar nicht darüber reden, was es technisch bedeuten würde, z.B. einen Dienst wie Telegram in Deutschland wirkungsvoll zu verbieten bzw. zu verhindern. Technisch gibt es nur eine Möglichkeit: Zensur auf allen Ebenen inklusive Verschlüsselungsverbot aller Verbindungen (quasi die China-Methode). Oder es wird nicht funktionieren. Bedenklich ist nur, dass ich unseren Politikern inzwischen die China-Methode tatsächlich zutraue, und die Journaille würde es super finden.

TL;DR: Hass und Hetze sind Menschenrecht und unveräußerlicher Teil der Meinungsfreiheit. Erst wenn daraus etwas seriös Justiziables erwächst – von der Beleidung bis zur Gewalttat – hat das irgendjemand zu interessieren.

Wissing gibt den Pseudo-Grünen

Volker Wissing – für alle, die das Ampel-Kabinett noch nicht auswendig gelernt haben: derzeit Verkehrsminister und parteitechnisch beheimatet in der FDP – hat heute für ein gewisses Presseecho gesorgt. Hauptsächlich, weil er die bisherige FDP-Parteilinie bezüglich der uralten Diskussion Akku-Auto vs. E-/Bio-Fuels verlassen und hat mehr in Richtung „E-Auto ist der einzig wahre Weg“ unterwegs ist. Man könnte auch sagen, durch dieses schon frühzeitig gebrochene Versprechen sowohl was die Aussagen vor der Wahl angeht als auch was den Koalitionsvertrag angeht hat es Wissing geschafft, der langen Liste an FDP-Enttäuschungen für die Wählerschaft einen neuen Eintrag hinzuzufügen. Wie der Rest der FDP dazu steht, habe ich noch nicht vernommen.

Um was geht es? Aus irgendeinem dunklen Grunde hat unsere Regierung – oder besser gesagt „die Politik“, weil es trotz den diversen Regierungswechseln seit Ende der 90er ja nie anders gehandhabt wurde – irgendwann beschlossen, dass man bei den Senkungen der CO2-Emissionen sektorweise vorgeht. Jeder Sektor muss eine Reduktion vorweisen hin zum gemeinsamen Klimaziel. Industrie, Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft. Weil es ja auch ein supersinnvolles Vorgehen ist, für viel Geld sagen wir CO2 im Verkehrssektor zu reduzieren, wenn dieselbe Reduktion im Gebäudesektor für viel weniger Geld möglich wäre – klar, weil jede Tonne CO2 aus dem Auspuff eines SUVs viel viel schwerer wiegt als die aus dem Kamin eines Reiheneckhauses. Völliger Schwachsinn, aber in der Politik business as usual.

Nun kann man sich im Verkehrssektor ja viel vorstellen, um CO2-Reduktion zu erreichen. Viel mehr Elektroautos beispielsweise. Oder einfach eine Erhöhung des regenerativen oder atomaren Anteils der Stromerzeugung, um Bahn und Elektrobusse und Straßenbahn und schon vorhandene Elektroautos mit einem Strommix mit niedrigerem CO2-Anteil zu betreiben. Oder man könnte Treibstoffe höher besteuern, um die Verkehrsleistung zu reduzieren (das passiert beispielsweise mittels der neuen CO2-Steuer auf Diesel und Benzin, ich erwähnte das bereits). Oder E-Fuels bzw. Bio-Fuels – wir alle kennen letzteres aus den Beimischungen zu Benzin und Diesel, bei „Super E10“ beispielsweise ein Anteil von (bis zu) 10% an Bioethanol. E-Fuels stammen hauptsächlich aus der Notwendigkeit, für die unzuverlässigen erneuerbaren Energien eine Speichermöglichkeit zu kreieren, mit der man aufgrund der CO2-Neutralität der Quelle bei temporärem Überangebot des erzeugten Stroms mit dem so erzeugten Treibstoff klassische Verbrennertechnik beibehalten könnte um so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Denn der Weiterbetrieb eines Verbrenner-Autos ist allemal klimafreundlicher als ein neues Elektroauto, das mit einem erheblichen CO2-Rucksack auf die Welt kommt, der dann insbesondere beim eher ungünstigen Strommix hierzulande auch eine erhebliche Fahrleistung erfordert, um mühsam eventuell irgendwann in den CO2-einsparenden Bereich zu kommen. Trotz immenser Kaufanreize haben die Elektroautos ja noch nicht mal bei den Neuwägen die Verbrenner zahlenmäßig überholt, man wird also mindestens die nächsten 10 Jahre eine große Zahl von Verbrennern auf der Straße haben.

Besonders amüsant ist Wissings Einlassung dahingehend, dass ein Teilargument ist, dass man das wenige zur Verfügung stehende E-Fuel eher für den Flugverkehr bräuchte als es in Verbrenner-Autos zu verschwenden. Da liegen doch zwei einfache Lösungen nahe: mehr E-Fuels produzieren, oder mindestens einsehen, dass es völlig wumpe ist ob das E-Fuel nun im PKW, im LKW, im Bus, in der Diesellok oder im Flugzeug verbrannt wird – die CO2-Einsparung ist stets dieselbe. Eine Spielart des Wissing-Arguments wäre: so lange die Erneuerbaren Energien nicht den kompletten Stromverbrauch von Industrie und Haushalten und Kleinverbrauchern und Schienenverkehr deckt, brauchen wir im Straßenverkehr erst gar nicht anzufangen mit der Elektromobilität. Und was soll ich sagen: würde stimmen, aber so weit hat der gute Mann nicht gedacht. Denke ich an seine Vorgänger, scheint das Verkehrsministerium ein besonderer Anziehungspunkt für geistige Minderleister zu sein. Wie das Verteidigungsministerium. Oder das Wirtschaftsministerium. Oder das Außenministerium. OK, ich gebe es zu: wie jedes Ministerium.

Unterm Strich ist Wissings Äußerung eben nur ein weiterer Nachweis dahingehend, dass man politikseitig ständig versucht, bestimmte Lieblingslösungen durch Subventionen zu favorisieren, anstatt einfach die Rahmenbedingungen vernünftig zu setzen (beispielsweise durch einen durchgängigen CO2-Preis) und abzuwarten, wie man für das wenigste Geld den größten Effekt bekommt – denn der Markt ist echt gut dabei, solche Dinge zu regeln, wenn nur das Preissignal gut und nicht (üblicherweise durch die Politik) verzerrt ist. Dass gerade die angeblichen Freunde der Marktwirtschaft von der FDP diesen ursozialistischen Planwirtschaftsfehler wiederholen, ist leider genauso enttäuschend wir erwartbar. Um mal Danisch zu zitieren: wer wählt so was?

Aber vielleicht tue ich Wissing auch unrecht, und er wollte in Wahrheit in einer Art subversiver Underground-Taktik den deutschen EU-Austritt nahelegen, denn er sagte wohl auch folgendes: „Wenn man sich die EU-Regulierung anschaut, sieht man, dass die Entscheidung für die E-Mobilität längst gefallen ist“. Daraus könnte man folgern, dass die EU-Regulierung kacke ist, man aber auf EU-Ebene nicht mehr rauskommt, und es ergo die einzig sinnvolle Option ist, diesen Verein zu verlassen, der solche dummen Regulierungen für angemessen hält. OK, da ist wohl eher mein Wunsch der Vater dieser absurden Interpretationsvariante.

Zeichen des Niedergangs

Meines Erachtens mehren sich in jüngerer Vergangenheit die Zeichen, dass unser guter alter liberaler Rechtsstaat mit darin sich prächtig entwickelnder sozialer Marktwirtschaft in näherer Zukunft deutlich gerupft bis völlig zerstört werden könnte. Drei exemplarische Beobachtungen – lauter Kleinvieh, aber es läppert sich; bei längerem Nachdenken würde man sicher auf mindestens 1000 solcher scheinbarer Kleinigkeiten, die aber allesamt in die gleiche und falsche Richtung zeigen, finden können. Je nach Grad des verbliebenen Optimismus kann man darin das Ende des Rechtsstaates sehen oder der Beginn der Phase der spätrömischen Dekadenz.

Erstes Beispiel: man regt in Berlin die Schaffung eines Postens an, eines „Parlamentpoets“. Katrin Göring-Eckart kam wohl auf die Idee, oder war zumindest die erste die sich traute sie hierzulande zu äußern. Man kann nun nicht sagen, dass es die schlechteste Idee ist, die Frau Göring-Eckart jemals geäußert hat, denn da liegt die Latte sehr hoch. Aber sie ist trotzdem sehr dumm und belegt einmal mehr, wie wenig unsere sogenannten Volksvertreter auf scheinbar naheliegende Dinge wie Effizienz, Sparsamkeit und Priorisierung achten wollen oder können. In einem Land, wo vom Straßenbau über die Digitalisierung bis zum Bildungswesen so viele Dinge in so einem dramatisch schlechten Zustand sind – eigentlich müsste der Politik bis auf weiteres verboten werden, überhaupt über Sekundärprobleme wie Gendern oder Kulturförderung überhaupt nachzudenken geschweige denn auch nur einen Euro auszugeben.

Mein zweites Beispiel kommt aus der IT. Dort beschäftigen sich inzwischen eine Menge Leute mit Dingen wie „Code of Conduct“ und Umbenennungen von Begriffen, die irgendjemand zu stören scheinen. Exemplarisch nenne ich mal die „Master-Slave-Technik“ oder den Hauptbranch im Versionsverwaltungssystem Git, der früher „Master“ hieß und der nun per Default beispielsweise auf GitHub stets „Main“ heißt. Und das in einer Branche, die vor allem sicherheitslückentechnisch von einer Katastrophe in die nächste stolpert – es kann also ausgeschlossen werden, dass man auch nur eine freie Minute über solchen Mumpitz nachdenken sollte.

Mein drittes Beispiel kommt aus der wunderbaren Welt der Zensur made by Google/Twitter/Facebook und Konsorten. Dr. Roy Spencer, ein Wissenschaftler, der vor allem für die Temperaturmessung per Satellit zurecht bekannt ist und zahllose Ehrungen im Laufe seiner Karriere erhalten hat, wurde von Google „demonetized“. Oder besser gesagt seine Webseite. Wegen „unreliable and harmful claims“. Deshalb gibt es ab sofort kein Geld mehr über den Google-Adsense-Mechanismus. Natürlich kann Google nicht sagen, was denn diese „unreliable and harmful claims“ sein sollen, inwiefern sie denn unzuverlässig sein sollen, wer das behauptet hat und wem sie schaden außer natürlich den diversen Klimakatastrophikern und denen, die an der prognostizierten Katastrophe ganz prächtig verdienen. Denn Dr. Roy Spencer ist ein „Lukewarmer“, die ein besonderer Stachel im Fleisch der Klimakatastrophiker sind. Während man die Hardcore-Skeptiker mit recht einfachen Argumenten und wissenschaftlichen Tatsachen schnell als Scharlatane brandmarken kann, ist es bei den „Lukewarmern“ deutlich schwerer – ich weiß das, weil das auch meine eigene Position ist, und bisher ist es noch niemandem in einer Diskussion gelungen, diesen Standpunkt auch nur annähernd zu widerlegen. Denn er geht kurz gefasst so: ja, unser anthropogener CO2-Ausstoß erwärmt die Erde. Ja, aus physikalischen Gründen ergibt sich für eine CO2-Verdoppelung eine Erwärmung um knapp 1 Grad. Ja, es liegt nahe, dass durch den Rückkopplungseffekt durch den Wasserdampf in der Atmosphäre vermutlich so um die 0,5 Grad noch obendrauf kommen. Ja, das kann man auch in den Messungen sehen (z.B. in den UHA- und RSS-Satellitenmessungen – derzeit wird ein Trend von 0,14 Grad pro Dekade gemessen, und das schon seit Jahren stabil). Ja, das bedeutet zwingend, dass die von manchen Kreisen prognostizierte Klimakatastrophe ausfällt, denn mehr als zwei Verdoppelungen des CO2-Gehalts der Atmosphäre gegenüber dem vorindustriellen Niveau wird uns nicht annähernd gelingen. Und damit werden viele Klimaschutzmaßnahmen sowohl zu teuer als auch zu wirkungslos, um noch annähernd sinnhaft zu sein.

Klar, so ein wissenschaftsnaher Standpunkt kann von Google, die in den letzten Jahren von „don’t be evil“ nahtlos zu „Marxismus first“ übergegangen sind, natürlich nicht geduldet werden – erster Schritt: „demonetizing“, zweiter Schritt vermutlich „deplatforming“. Man fragt sich, warum Firmen wie Google oder Twitter oder Facebook in den USA immer noch unter „Infrastruktur“ laufen und nicht schon lange unter „Publisher“, was sie gleichzeitig in verschärfte Haftung nehmen würde. In Verbindung mit dem NetzDG hierzulande halte ich diese beobachteten Dinge für die weitaus größte Gefahr für die Meinungsfreiheit in unseren westlichen Restdemokratien. In echten Rechtsstaaten könnte man dagegen jetzt ganz einfach klagen und ordentlich Schadenersatz fordern. Diese Hoffnung braucht man sich in den USA und anderswo aber ganz sicher nicht zu machen.

Habeck und der Klimaschutz

Robert Habeck, seines Zeichens neuer Superminister der Superampel für Wirtschaft und viel Grün, hat heute eine Art „Konzept“ für die Bekämpfung des Klimawandels vorgelegt.

Kurz gesagt steht da drin: Windkraft über alles. Dafür opfert der Obergrüne gerne so überflüssige Dinge wie direkte Demokratie (unzählige Projekte sind aufgrund von Bürgerbegehren und Bürgerbeteiligung nicht realisiert worden), Naturschutz (anderswo wurden schon statische Objekte wie Kamine verboten, weil sie nicht in die Landschaft passen – bei riesigen sich bewegenden Rotoren inklusive Blinklichter ist das ab sofort kein Problem mehr), Artenschutz (während andere Industrie- und Verkehrsprojekte gerne an der entfernten Sichtung einer geschützten Vogelart scheitern, soll das zukünftig bei Windkraftanlagen auf gar keinen Fall mehr passieren dürfen) oder Gesundheit (vor allem die Abstandsregeln sind Habeck ein Dorn im Auge – ab sofort gilt zumindest für Windkraftanlagen, dass Lärmschutz optional ist).

Eine Vielzahl interessanter Aussagen von Habeck sind gefallen – angesprochen auf die Kernenergie hat er natürlich den alten Klassiker „Bau dauert zu lange, neue Reaktoren zu teuer“, natürlich streng bezogen auf Europa ohne Blick in die weite Welt, die durchaus in der Lage ist fristgerecht und preiswert Kernkraftwerke zu bauen – ich bin mir sicher, die Koreaner von KEPCO könnten uns da unterstützen, das tun sie ja von der Chipfertigung über Fernseher bis zu Mobiltelefonen auch heute schon. Besonders witzig daran ist ja, dass wir bereits fertig gebaute und betriebsfertige und extrem zuverlässige Kernkraftwerke im Lande hatten, so dass sein Argument nicht unbedingt durch Logik besticht. Auch witzig: seine Idee von „Bürgerwindparks“. Bürger sollen selbst investieren in die Windkraftanlagen, die sie danach vor der Nase haben. Mit anderen Worten: ein Sack voll Geld (man weiß allerdings noch nicht, wie voll er sein wird) vertreibt Kummer und Sorgen. Oder anders ausgedrückt: er will die Leute kaufen. Das hat natürlich an anderer Stelle schon großartig funktioniert, ich bin gespannt auf den Fallout. Vor allem die Naturschutzbewegung ist kampagnenerprobt, und die Grünen kämpften Seit‘ an Seit‘. Das wird jetzt wohl nicht mehr möglich sein. Weniger Ärger mit gut organisierten Bewegungen sind bei der Solarpflicht zu befürchten – das wird nur teuer für unsere Gewerbetreibenden, aber wer braucht schon Wirtschaft als Wirtschaftsminister. Nur die Starken überleben.

An dieser Stelle hätte Habeck jetzt kurz innehalten können und überlegen, warum in Europa der Bau von Kernkraftwerken so eine teure und langwierige Angelegenheit ist – neben dem „EPR-Problem“, der als Reaktor einfach ein überkomplexer überengineerter Haufen Gülle ist, liegt es natürlich gerade an den Dingen, die auch den Windkraftausbau hierzulande stocken lassen: Kosten, Regulierung, Vorschriften, Bürgerprotest. Hätte man bei der Kernenergie mit ähnlichen Mitteln und Argumenten auch aus dem Weg räumen können, aber das lässt die eigene Ideologie natürlich nicht zu. Wobei die Grünen eine Partei sind, wo es unendlich schwer ist, die dahinterliegende Ideologie klar zu fassen, denn sie ist höchst willkürlich und wenig logisch und objektiv, aber das nur am Rande.

Zurück zu Habecks Konzept. Immer mit schwingt die Hypothese, dass Windkraft und Photovoltaik ja irgendwie die „vernünftige“ Klimaschutzlösung sei. Und gemessen an einem Ausbau der Gezeitenkraft oder des Biomasseanbaus mag das sogar so sein. Ich würde mich besonders freuen, wenn den grünen Worten zum Thema „die Erneuerbaren Energien sind die preiswertesten“ mal Taten folgen würden und der Einspeisezwang, die derzeit mit großem Abstand größte verdeckte Subvention, endlich abgeschafft würde. Denn nur der Markt kann herausfinden, was wirklich „preiswert“ im besten Sinne ist. Das scheuen die Grünen aus naheliegenden Gründen aber wie der Teufel das Weihwasser, auch deshalb ist ja der riesige Subventionsverschiebebahnhof rund um den Klimaschutz entstanden – man will ideologische Triebe befrieden und nicht etwa eine Lösung finden, die effizient ist.

„Effizienz“ und „Grün“ kommen nur dann im selben Kontext vor, wenn es um das Abgreifen staatlich finanzierter Leistungen geht. Ich erinnere mich an einen passenden Satz von Dieter Nuhr, großgeworden im grün angehauchten Lehrermilieu, das ging sinngemäß ungefähr so: „Wenn wir damals von Leistung hörten, sagten wir gleich: super, wo kann ich die beantragen!“

Die Doppelbödigkeit der Energiewende

Eines der erklärten Ziele der Energiewende in Deutschland ist ja die Verteuerung von Energie aus fossilen Energieträgern, um CO2-Einsparung durch Verzicht zu forcieren. Klar, Kernenergie verbietet man einfach direkt, und Energie aus erneuerbaren Quellen ist schon per se teuer genug, deshalb gibt es nur bei den fossilen Energieträgern politischen Handlungsbedarf.

Nachdem nun aber verschiedene Endenergieformen wie Heizöl, Erdgas oder Benzin nicht zuletzt durch neue Steuern und Abgaben preislich gesehen auf dem Weg steil nach oben sind, bekommt die Politik natürlich kalte Füße, und allenthalben wird vom „sozialen Ausgleich für Geringverdiener“ geschwafelt. Klar, wenn man etwas verteuern will um den Verbrauch zu senken bzw. mindestens Investitionen in sparsamere Technik zu forcieren ist es natürlich eine naheliegende Idee, Mehrkosten zu ersetzen, damit der Verbrauch möglichst konstant bleibt.

Zumindest, wenn man Politiker ist. Fortgeschrittene Logikverweigerung ist da quasi inhärenter Teil der Eignung für höhere Ämter. Neben abgrundtiefer Dummheit sowie vollkommener Skrupellosigkeit und natürlicher Neigung zur kreativen Interpretation von Fakten (um das böse L-Wort zu vermeiden).