Koalitionspoker in Baden-Württemberg

Anfang März war meine Prognose, dass es in Baden-Württemberg zu einer Koalition CDU-SPD-FDP kommen wird. Stand heute scheint das unwahrscheinlich. Die SPD hat dieser Kombination eine Absage erteilt. Die FDP verweigert (im Moment) standhaft die klassische Ampel. So scheint alles auf Grün-Schwarz herauszulaufen.

Für mich eine Überraschung, und ich werde erst daran glauben, wenn die Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag trocken sind. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Überschneidungen der Politikziele von Grünen und CDU – insbesondere in Baden-Württemberg – so groß sein sollen, dass diese Koalition sinnvoll möglich ist. Zumal die CDU-Basis zu großen Teilen eine solche Koalition ablehnt.

Die CDU ist ja weithin bekannt oder auch verrufen als “Kanzlerwahlverein” – die einzige Konstante über all die Jahre ist der unbedingte Wille zur Macht. Und natürlich ist die CDU zumindest auf Bundesebene inzwischen so weit nach links gerückt, dass man durchaus Überschneidungen mit den Grünen sehen könnte. Und es existiert ja auch durchaus die Ansicht, dass Winfried Kretschmann ein verkappter Konservativer sei. Ich sehe das alles nicht. Die Baden-Württemberg-CDU ist immer noch eher konservativ. Grün-Rot hat in weiten Teilen lupenreine klassisch links-grüne Politik gemacht.

Wie weit wird sich die CDU verbiegen, um wieder an die Fleischtöpfe der Macht zu kommen? Ist das strategisch eine gute Idee, als Juniorpartner mit dem natürlichen Feind zu koalieren? Wird die CDU an der Seite von Kretschmann ein ähnliches Debakel erleben wie die SPD? Wird diese Legislaturperiode bereits den Abschied von Kretschmann sehen, und wie wird sich das auf die Chancen der Grünen bei der nächsten Landtagswahl auswirken? Wird die SPD in der Opposition sich wieder regenerieren können?

Viele Fragen, noch keine Antworten. Es bleibt spannend im Ländle.

Zu Zeiten einer NRW-Landtagswahl in den 90ern gab es mal den Spruch, dass sich die Grünen zum Machterhalt so weit verbiegen würden, dass sie sogar einem Kernkraftwerk in der Düsseldorfer Innenstadt zustimmen würden. Mal sehen, was man über die CDU sagen wird.

Erkenntnisse der Landtagswahl Baden-Württemberg

Quellenhinweis: Saubere und vollständige Ergebnisse erfährt man gesammelt hier vom Statistischen Landesamt. In der Online-Presse habe ich spontan z.B. nirgends gefunden, was sich hinter “Sonstige” aufgeschlüsselt verbirgt. Wenn man einen Rechtsrutsch konstatiert, sind doch Zahlen von NPD und Republikanern durchaus von Interesse. Auch das Abschneiden der AfD-Abspaltung ALFA hat mich interessiert. Und auch die ehemaligen Superstars der Piratenpartei interessieren mich immer noch.

Nachfolgend ein paar Gedankenschnipsel zum Wahlausgang.

  • Die Regierungskoalition hat 4,3%-Punkte verloren. Das widerspricht der These, dass die Bürger mit der Regierungsarbeit zufrieden waren.
  • Die Grünen sind in Baden-Württemberg als Volkspartei etabliert. M.E. ausschließlich ein Verdienst von Kretschmann, wie man am Wahlergebnis der Grünen in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sehen kann.
  • Die CDU vermeldet einen historischen Tiefststand.
  • Die SPD hat ihr schon schlechtes Ergebnis von 2011 nochmal beinahe halbiert. Status “Volkspartei” inzwischen fragwürdig.
  • Die AfD liegt deutlich vor der SPD, interessanterweise war das in den ersten Hochrechnungen noch nicht zu sehen.
  • Die FDP ist stark erholt und beinahe schon auf Augenhöhe mit der SPD.
  • Die LINKE spielt in Westdeutschland faktisch keine Rolle mehr. Möglicherweise, weil sich das Protestpotenzial auf die AfD konzentriert.
  • Die Koalitionsbildung wird sehr interessant. Die einzigen realistischen Optionen sind Grün-Schwarz, Schwarz-Rot-Gelb und Grün-Rot-Gelb. Alles drei sehr schwer vorstellbar, am ehesten würde ich noch Schwarz-Rot-Gelb für möglich halten.
  • Die rechten Parteien Republikaner und NPD spielen mit 0,3% bzw. 0,4% der Stimmen überhaupt keine Rolle.
  • Die ALFA hat, trotz reichlich Wahlwerbung am Straßenrand, nur 1,0% der Stimmen errungen. Vermutlich, weil die Partei in den Medien überhaupt keine Rolle gespielt hat – da gab es ja nur “AfD gegen den Rest der Welt”.
  • Die in vielen Medien transportierte Idee, dass Wolf wegen seines “Schlingerkurses” bezüglich der Flüchtlingsfrage so schlecht abgeschnitten hat, halte ich für abwegig. Der CDU-Kandidat in Sachsen-Anhalt hat lange Zeit konsequent gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung opponiert und hat das Ergebnis der vorigen Wahl beinahe gehalten. Die beiden eher linientreuen Kandidaten Klöckner und Wolf hingegen haben dramatisch verloren.
  • Wenn diese Idee schon abwegig ist, wie ist dann die Idee von Jakob Augstein zu bewerten (“Sieg für Angela Merkel”), die dieser in seiner Kolumne bei Spiegel Online äußert? Völlig abwegig? Komplett abwegig? Absurd abwegig? Da gehen einem doch die Superlative aus.

Ich habe das Gefühl, dass viele Bürger sich im konservativen Niemandsland verloren fühlen, weil die CDU unter Angela Merkel schon zu Zeiten von Schwarz-Gelb deutlich nach links gerückt ist und viele konservative Positionen geräumt hat. Sowas dauert immer ein wenig, bis es sich in der Breite auch in Teilen der Stammwählerschaft niederschlägt, aber jetzt scheint es – natürlich beschleunigt durch die Flüchtlingskrise (oder ist es eine Migrationskrise?) – sich zu manifestieren. Der konservative Wähler hat verschiedene Schlüsse aus seinem Dilemma gezogen: Kretschmann wählen, weil er den seriösen Landesvater perfekt verkörpert. AfD wählen, weil sie als einzige noch konservative Inhalte glaubwürdig vertritt. Das verspricht eine spannende Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl.

Was ist eigentlich aus den “Grauen” und der Autofahrerpartei geworden?

Grüne Grundsätze

Parteispenden sind immer ein politisches Thema. Die Medien berichten auch gerne darüber, wie es den Anschein erweckt. Wer erinnert sich nicht an die üble Schmutzkampagne der Qualitätspresse anno 2010 gegen die FDP, weil diese vom Unternehmer und Investor August von Finck eine Großspende erhielten – prompt wurde von Bestechung, Skandal und der “gekauften Republik” berichtet. Naja, “berichtet” ist wohl das falsche Wort hier. Der Hintergrund: weil August von Finck Großaktionär beispielsweise beim Mövenpick-Konzern ist und Mövenpick schließlich auch ein paar Hotels betreibt, war damit der Zusammenhang glasklar: die Anpassung des Mehrwertsteuersatzes bei Hotelübernachtungen – obwohl bei vielen Parteien im Programm und durchaus ein Beitrag zur europäischen Harmonisierung – war selbstverständlich nur aufgrund dieser Spende gemacht worden.

Besonders die Grünen taten sich hervor mit Forderungen, die natürlich zufällig perfekt zu ihrem Spendenprofil (eher kleine, dafür viele Spender – wenige industriellen Großspender) passten. Maximal 100.000€ sollte es bei Spendern pro Jahr sein. Drüber geht gar nicht, weil das natürlich – mindestens latent, wie es so schön heißt – ein “Gschmäckle” hat, wie der Schwabe sagt. Beeinflussung. Bestechung. Eben das volle Programm.

Nun trug es sich kürzlich zu, dass eine Privatperson – der Vermögensberater Jochen Wermuth, der nach eigenen Angaben u.a. in erneuerbare Energien investiert und damit direkt vom von den Grünen mitgetragenen Subventionsirrsinn profitiert – den Grünen in Baden-Württemberg eine Spende über 300.000€ zukommen ließ. Nun hätte man auf die Idee kommen können, dass die Grünen – immer stark beim Einfordern von Grundsätzen bei anderen – sich an ihre eigenen Grundsätze halten und die Spende ablehnen. Z.B. um das “Gschmäckle” zu vermeiden.

Aber: Integrität wird sowieso überschätzt. Und so erklärt uns Winfried Kretschmann, dass man selbstverständlich über die Spende froh sei und sie gerne annehme – alles andere wäre ja “naiv”.

Wir merken uns also: Grundsätze zu formulieren ist super. Sich dran zu halten wäre aber naiv. Das fällt schon unter fortgeschrittenes Pharisäertum.

Die unerklärliche Beliebtheit des Herrn Kretschmann

Bald wird gewählt im Ländle. Die letzten Umfragen sehen die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann recht deutlich mit vier Prozentpunkten (nebenbei: wie oft in unserer Qualitätspresse fälschlicherweise von Prozenten statt Prozentpunkten die Rede ist, lässt nur das Allerschlimmste bezüglich der mathematischen Grundbildung von Journalisten befürchten – aber es ist auch eine gute Erklärung für so manchen Artikel) vor der CDU.

Viele Wähler sind voll des Lobes über Kretschmann. Landesvater, Konservativer (oder zumindest wertkonservative) Grüner, seriöser Politiker, heimatverbunden, und was man ihm nicht alles nachsagt. Komischerweise kann auf Nachfrage kaum einer eine Entscheidung von Kretschmann nennen, die dieses Lob rechtfertigen würde. Man findet ihn halt irgendwie sympathisch. Und er kann ja auch mehrere Sätze hintereinander unfallfrei formulieren, das war man von Vorgängern wie Oettinger nicht gewohnt. Die Latte liegt tief im Ländle.

Wer sich objektiv die Horrorbilanz von 5 Jahren Grün-Rot in Baden-Württemberg anschaut, kann da nur den Kopf schütteln. Totalversagen in der Verkehrspolitik, grauenvolle Fehlentscheidungen in der Bildungspolitik, dazu trotz Steuerrekordeinnahmen ein sauberes Haushaltsdefizit hingekriegt mit schwindelerregender Steigerung der Ausgaben, blindes Hochfahren des Personals (möglichst verbeamtet, damit nachfolgende Generationen auch noch was davon haben). Dazu der bei den Grünen zu erwartende Energieunsinn inklusive Forcierung von Windkraftanlagen an untauglichen Standorten gegen jede Idee des Naturschutzes. Ich kann mich an wirklich keine einigermaßen sinnvolle Maßnahme dieser Regierung erinnern. Kann es schlimmer kommen?

Wenn man die Umfrageergebnisse anschaut, kann der Wähler ja nicht generell mit der Regierung zufrieden sein. Die SPD säuft gnadenlos ab. Zurecht, weil die Herren Schmid, Stoch und Gall eine vernichtende Bilanz vorzuweisen haben, und die Damenriege Altpeter und Öney hat die Gleichberechtigung dahingehend absolut perfektioniert, indem sie auf gleichem niedrigsten Niveau wie die Herren arbeitet. Aber ich vermute, dass eher der bundespolitische Tiefflug der SPD hier hauptverantwortlich ist.

Symptomatisch ist für mich die Wahlwerbeplakat-Kampagne der Grünen. In früheren Jahrzehnten hat man noch Sachaussagen auf Plakate gedruckt, Köpfe waren eher selten zu finden. Jetzt: überall Kretschmann. Zusammen mit nichtssagenden Sprüchen wie “Dem Land verpflichtet” oder “Verantwortung und Augenmaß”. Man hat scheinbar aus dem Fiasko Veggie-Day gelernt: lieber erstmal nix genaues sagen, und die Ziele eher durch die Hintertür durchsetzen. Zwar clever, aber irgendwie durchschaubar – dem Wähler ist es scheinbar egal.

Wobei letztlich Kretschmann und die Grünen auch von der Schwäche der Konkurrenz profitieren. Die CDU ist bundespolitisch gerade derart unter Druck, da kann ein farbloser Kandidat wie Guido Wolf sicher nicht das Steuer herumreißen.

Jetzt hat Oberunsympath Volker Beck ja erst mal den Grünen noch ein Ei ins Nest gelegt – wer hätte gedacht, dass er insgeheim nicht nur für die Freigabe weicher Drogen gekämpft hat, sondern auch für die allerhärtesten. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich das auswirkt. Claudia Roth hat ja schon um Verständnis gebeten. Gesundbeten hat bei den Grünen schon öfter geholfen, man erinnere sich an Cem “ich wusste nicht, dass ich Steuern zahlen muss” Özdemir.

Ja, ein Blick auf unser politisches Top-Personal kann einem schon den Mut rauben. Genau wie ein Blick auf die Homepage der Grünen: dort versucht man sich an gendergerechter Sprache mit Stilblüten wie “Landwirt*innen”. Jeder blamiert sich halt so gut wie er kann.

Zurück zur Landtagswahl: meine Prognose ist eine “Deutschlandkoalition”: CDU, SPD, FDP. Diese Prognose ist jetzt mehr nach dem Ausschlussverfahren entstanden. Ich sehe die Grünen vor der CDU, Grün-Schwarz schließe ich aber aus. Die klassische Ampel wird die FDP auf keinen Fall machen. Und die SPD wird nach den katastrophalen Verlusten strategisch eine erneute Regierungsbeteiligung anstreben, denn in der Opposition wären sie auf verlorenem Posten – neben einer schwachen CDU hingegen könnte man eher was reißen.

Feinstaubalarm in Stuttgart

Es ist wieder so weit: Feinstaubalarm in Stuttgart. Seit Donnerstag wurde auf den Infotafeln in und um Stuttgart der Feinstaubalarm angekündigt und die Verkehrsteilnehmer gebeten, doch bitte auf VVS und SSB (also Bus und Bahn, vulgo “Öffis”) umzusteigen.

So weit so bekannt (im Januar gab es die erste Übung dieser Art). Die Stadt Stuttgart versucht es weiter über freiwilligen Verzicht. Weitgehend erfolglos, wie ich vermute. Die Drohung, wenn es nicht funktioniert zukünftig Fahrverbote auszusprechen, schwebt weiter in der Luft.

Leider hat bisher auch noch niemand erklärt, warum es die Autofahrer richten sollen. Denn es gibt für Feinstaub ja jede Menge Quellen: Hausbrand, Baustellen, Sahara-Staub, Landwirtschaft/Pollen, Diesel-Busse und Diesel-Loks. Man erinnere sich an die großartige Idee der Umweltzonen, wo ein Heidenaufwand getrieben wurde, um am Ende festzustellen, dass die Maßnahme unterm Strich schlicht wirkungslos war – wie übrigens von Experten vorhergesagt. Aber die Politik fährt ja auch bei erwiesener Faktenlage gerne das “more of the same”-Programm.

Der ACE weist zu Recht darauf hin, dass überhaupt nicht klar ist, welche Verbesserung sich überhaupt ergeben würde, wenn es weniger PKW-Verkehr nach und durch Stuttgart geben würde. Aber wann hat sich die Politik in den letzten 30 Jahren für die tatsächliche Wirksamkeit von Zwangsmaßnahmen interessiert? Symbolhandlungen ersetzen Sachentscheidungen.

Vielleicht sollte man einfach mal die Messstation an eine andere Stelle versetzen. Denn in diesem (wind-)schattigen Eckchen direkt an einer Ampel der B14 am Neckartor kann wohl kaum eine realistische Messung stattfinden, die in irgendeiner Weise repräsentativ für die Luftqualität der Stadt ist. Wahrscheinlich würde es schon reichen, die Station auf die andere Straßenseite zu versetzen, um niedrigere Werte zu messen.

Hier kann jeder die Werte der Messstation Neckartor anschauen. Man kann schon an den Schwankungen unschwer erkennen, dass der Verkehr, der ja eher kontinuierlich läuft, wohl kaum für derartige Schwankungen verantwortlich sein kann. Man hätte Stuttgart halt einfach nicht in den blöden Talkessel bauen sollen.

Interessantes Detail am Rande: Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub. Je nach Partikelgröße und Stoff schwankt die Gefährdungseinschätzung zwischen harmlos und stark krebserregend. Die Messungen berücksichtigen diese Unterschiede aber überhaupt nicht. Wie dämlich ist das denn. Wir ergreifen Maßnahmen ohne stichhaltige Diagnose. Da passt es ins Bild, welches gerne von interessierter Stelle (dem UBA z.B., dem natürlichen Feind des PKW-Fahrers) propagiert wird: “Jährlich rund 46.000 Todesfälle in Deutschland gehen auf die Belastung mit Feinstaub zurück”. Vermutlich sind da die Raucher schon mit drin. Denn jährlich sterben in Deutschland nur knapp 900000 Menschen. Jetzt erinnere man sich an die anderen tödlichen Gefahren, denen wir ständig ausgesetzt sind. Andere Luftschadstoffe. Pestizide. Arzneimittel. Uran im Trinkwasser. Strahlung durch Kernkraftwerke und deren Abfälle. Verkehrstote. Ungesunde Ernährung. Alkohol. Tabak (gerne auch passiv). Andere Drogen. Vogelgrippe. EHEC. Ich habe jetzt nicht nachrecherchiert, woher das UBA diese Zahl hat (überhaupt weiß jeder statistisch Interessierte, dass eine absolute Anzahl von Todesfällen als Angabe sowieso sinnlos ist – man muss ja logischerweise mit verlorenen Lebensjahren rechnen), aber der relativ legere Umgang dieser Behörde mit den Fakten ist ja bekannt.

Wenn man nun die angeblich so tödliche Feinstaubgefahr tatsächlich ernst nehmen würde, dann wären Gegenmaßnahmen ja relativ einfach: Rußfiltervorschrift für Baufahrzeuge, endlich Diesel-Loks und Diesel-Busse aus dem Verkehr ziehen, sofortiges Verbot von Holz- und Kohleheizungen aller Art (insbesondere Holzhackschnitzel- und Pellet-Heizungen, die aus unerfindlichen Gründen als umweltfreundlich propagiert wurden, obwohl sie maximal als klimafreundlich bezeichnet werden können), Einrichtung von Bewässerungsanlagen an den Hauptverkehrsadern (damit kann man für wenig Geld viele Stäube binden, die ansonsten vom Verkehr wieder aufgewirbelt werden). Stattdessen ist die Gegenmaßnahme ein Aufruf zum Verzicht auf den PKW. Da merkt doch jeder durchschnittsdumme Bürger, dass die Politik ihn gängeln will anstatt das Problem zu lösen.

Warum ist Verzicht auf den PKW für den durchschnittlichen Pendler keine Alternative? Über einen Ausspruch wie er Andre Baumann/NABU hier zugeschrieben wird kann der Standardpendler nur lachen. Selbst im Stuttgarter Dauerstau ist von Tür zu Tür das Auto in den allermeisten Fällen das schnellere Verkehrsmittel. Und das komfortablere sowieso. Denn Busse und Bahnen sind rammelvoll um die Hauptverkehrszeit. Das schlimmste, was den derzeitigen Öffi-Nutzern passieren könnte, wäre, dass eine signifikante Anzahl PKW-Fahrer tatsächlich auf die Öffis umsteigen würde. Und leider hat Verkehrsfehlplanung in Stuttgart lange Tradition: wer auch immer damals entschieden hat, nur eine Röhre mit zwei Gleisen für die S-Bahn vorzusehen, gehört gekreuzigt.

Der Profi-Tipp zum Abschluss: Neben Tabakrauch ist der Feinstaub durch Kerzen das allergrößte Problem bezüglich der Feinstaubkonzentration in Innenräumen. Wer auf das Abbrennen von Kerzen verzichtet, kann problemlos ein paar Jahre lang an der B14 durch Stuttgart joggen.

Schäuble und die Sonderabgabe auf Benzin

Wolfgang Schäuble, unser aller Finanzminister und damit per se Liebling der Massen, hat in einem Interview in der SZ (leider hinter einer Paywall, und wer will schon einer Zeitung, die meiner Meinung nach sehr zurecht von verschiedener Seite auch “Prantl-Prawda” oder “Neues Süddeutschland” genannt wird, Geld in den Rachen werfen) laut Berichten von SPIEGEL online und Focus Online einen grandiosen Vorschlag gemacht. Eine EU-weite Sonderabgabe auf Benzin, um die Kosten zur Bewältigung der Flüchtlingskrise zu decken.

Dieser Vorschlag ist auf so viele Arten dämlich, dass man gar nicht glauben kann, dass ein Politiker so einen Vorschlag überhaupt nur denken kann, geschweige denn öffentlich äußert. Zunächst: Benzin? Also nicht “Mineralöl”, sondern nur Benzin? Also nicht Diesel? Dann: EU-weit? Die EU ist uneins wie selten, und dann soll man hier Einigungschancen sehen? Auch dämlich: was ist die Begründung, sowas nicht über eine allgemeine Steuer wie Mehrwertsteuer oder Einkommensteuer zu regeln, sondern über eine so spezielle Abgabe? Gut, da gibt es ja viele Präzedenzfälle, wer erinnert sich nicht an “Rauchen für die Sicherheit” oder “Rasen für die Rente”, aber muss man alte Fehler immer wieder neu machen?

Wenig überraschend: anstatt die Kosten zu senken, will man die Einnahmen erhöhen – das ist eine alte Politiker-Krankheit. Man erinnere sich an Franz Münteferings Credo “der Staat ist chronisch unterfinanziert”. Und die immer wieder allgemein wahrnehmbare Ansicht, dass es die pure Menschenfreundlichkeit des Staates ist, seinen Untertanen nicht einfach 100% ihrer Einnahmen und ihres Vermögens wegzubesteuern, sondern ihm doch großzügigerweise ein wenig zum Leben zu lassen. Der neueste Nachweis dieser Denkweise war die Idee des Bundesumweltamtes, die “Subvention des Dieselkraftstoffs” doch endlich zu beenden – klar, die Sichtweise, man könnte auch die Höherbesteuerung des Benzins zu reduzieren, kommt einem Politiker nicht in den Sinn.

Amüsante Randnotiz: Frau Göring-Eckardt hat Schäubles Vorschlag auch abgelehnt – und das bei einer Kernforderung der Grünen seit ihren Anfängen. Sollten die Grünen tatsächlich wieder gelernt haben, unpopuläre Vorschläge lieber nicht in der Öffentlichkeit zu diskutieren?

Hier irrt Prof. Sinn

In der Zeitschrift “Schweizer Monat” ist jüngst ein Interview mit Prof. Sinn erschienen.

Ich persönlich schätze die Einlassungen von Prof. Sinn sehr. Geerdet, in sich schlüssig, fest auf dem Boden der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Ökonomie, trotzdem wohltuend pragmatisch bei seinen politischen Vorschlägen. Ein Wissenschaftler weit ab vom Elfenbeinturm.

Zur sogenannten Energiewende hat Prof. Sinn in der Vergangenheit schon das Notwendige gesagt, z.B. in seinem schön zusammenfassenden Vortrag “Energiewende ins Nichts”.

Auch im vorliegenden Interview spricht Prof. Sinn entscheidende Schwächen der Energiewende an. Beispielsweise den Widerspruch, die Energiewende als Klimaschutzprogramm zu verkaufen, obwohl man gleichzeitig aus der einzig sinnvollen CO2-freien (ja, ich weiß, nix ist wirklich CO2-frei, insbesondere nicht die sogenannten Erneuerbaren Energien und auch nicht die Kernenergie, aber bei der Kernenergie ist der Ausstoß über alles so gering, dass die Bezeichnung CO2-frei durchaus treffend ist) Stromerzeugungstechnologie aussteigt.

Ich denke aber, dass Prof. Sinn bei einigen seiner Prognosen völlig falsch liegt. Eine davon, als Antwort auf die Frage nach der Stromerzeugung in 20 Jahren: “Wir werden wieder Atomkraftwerke haben, solche eines neueren Typs, der den veränderten Sicherheitsvorstellungen genügt. Ich sehe nicht, wo der Strom sonst herkommen sollte.”

Es zieht sich durch das Interview – Prof. Sinn geht davon aus, dass es in Deutschland noch ökonomischen Restverstand in Politik und Bevölkerung gibt. Dass, wenn die Stromversorgung nur entsprechend teuer wird, man sich besinnen wird auf sinnvolle und gangbare Wege zurück auf den Weg der ökonomischen und auch ökologischen Vernunft (warum weder Windkraft noch Photovoltaik und schon gar nicht Biomasse ökologisch sinnvoll sind wäre wohl genug Stoff für eine ganze Artikelserie).

Ich denke, dass dieser Optimismus nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahren überhaupt keine Grundlage hat. Sowohl Politik als auch Gesellschaft sind zu großen Teilen bereit und willig, ökonomisch unsinnige Dinge trotzdem zu tun und dafür praktisch beliebig viel Geld auszugeben. EEG, Euro-Krise, Rente mit 63, Griechenland-Rettung, Mindestlohn, Flüchtlingspolitik.

Dazu kommt die Tatsache, dass wir offenbar breite lernresistente Bevölkerungsschichten haben sowie die übergroße Mehrzahl der Medien, die weitgehend unabhängig von den Fakten operieren und “berichten”. Woher soll der Funke der Vernunft kommen? Der letzte Moment der Hoffnung war bei mir das Wahlergebnis 2009. Die Union zurechtgestutzt aufgrund der katastrophalen Großen Koalition, eine wiedererstarkte FDP aufgrund eines glasklaren liberalen wirtschaftspolitischen Programms. Es folgte wie bekannt das Totalversagen der FDP in allen relevanten wirtschaftspolitischen Fragen unter einem beispiellosen medialen Dauerfeuer. Sogar beim Ausstieg aus der Kernenergie nach Fukushima hörte man keine Stimme der Vernunft von der FDP.

Besondere Beachtung muss auch die traditionell seit den frühen 80er Jahren vorhandene totale Ablehnung der Kernenergie in weiten Teilen der Bevölkerung und der Medien neben dem praktisch vollständigen Fehlen entsprechender Öffentlichkeitsarbeit der Kernenergiebeführworter finden.

Aus diesen Gründen halte ich es für völlig ausgeschlossen, dass in Deutschland innerhalb der nächsten 50 Jahren neue Kernkraftwerke gebaut werden. Und das ist völlig unabhängig davon, was das für Kraftwerkstechnologie ist – inhärent sicher, in der Lage den alten hochaktiven Abfall zu neutralisieren, superpreiswert, hoch verfügbar, schnell regelbar. Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zur Kernenergie ist komplett irrational, warum sollten rationale Argumente etwas daran ändern?

Die Antwort auf Prof. Sinns Frage, woher denn sonst der Strom kommen solle, ist relativ einfach. Kohle, Gas, Biomasse, Wind, Sonne. Bevor in Deutschland ein neues Kernkraftwerk gebaut wird, werden wir das Land komplett zugepflastert haben mit Windrädern, die in Zeiten der Überproduktion “Windgas” oder Wasserstoff erzeugen, um die Flauten auszugleichen. Wir werden uns auf Gedeih und Verderb an das russische Erdgas binden, weil wir zu feige für Fracking im eigenen Land sind. Wir werden ggf. Strom importieren. Wir werden im Zweifel auf den Klimaschutz pfeifen und weiter Kohle verstromen. Alles ist in Deutschland einfacher zu verkaufen als Kernenergie.

Prof. Sinn sagt: “Ich bezeichne die Energiewende als einen Irrweg, da wir noch nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, den grünen Strom zu glätten.” Da liegt er komplett falsch. Denn natürlich haben wir die technischen Möglichkeiten – sie sind nur sehr teuer, deshalb hält sie Prof. Sinn als Ökonom für nicht relevant. Er liegt komplett falsch. Geld spielt keine Rolle. Politik und Bevölkerung werden nicht zögern, unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter zu reduzieren. Das hat man doch in der Vergangenheit gesehen. Und vermutlich wird es sich gar nicht so dramatisch auf den Wohlstand in Deutschland auswirken, kleinere Einbußen – auch das lehrt die Vergangenheit – scheinen aber niemand zu interessieren, man fährt dann halt das traditionell-sozialistische Argumentationsmuster “die Reichen sind schuld”. Und im Angesicht der Auswirkungen des Flüchtlingsstroms werden ein paar 100 Mrd. EUR für die Energiewende sowieso nicht ins Gewicht fallen.

Im Einführungsartikel meines Nachbarblogs habe ich geschrieben, dass der Blog auch so eine Art Archiv sein soll, um das oft wiederkehrende Gefühl “ich hab’s ja gleich gesagt” auch faktisch zu untermauern. Ich bin eigentlich ein optimistischer Mensch, aber bezüglich der Qualität von Politik und Medien insbesondere im Bereich Energieversorgung bin ich über die Jahre sehr pessimistisch geworden. Wir werden sehen, ob Prof. Sinn richtig liegen wird oder ich. Wir lesen uns in 20 Jahren wieder.

Fritz Kuhn empfiehlt: Auto fahren!

Die Stadt Stuttgart verschwendet gerade Geld für eine Plakatkampagne im Rahmen der Mobilitätskampagne “Stuttgart steigt um”. Dabei schaut mir gerade auf meinem Weg zur Arbeit – selbstverständlich per Auto – Fritz Kuhn direkt in die Augen. Dazu prangt der Schriftzug “Fahrt Smart!” auf dem Plakat.

So einer Aufforderung sollte man nachkommen. Also: alle aufs Auto umsteigen. Auch, wenn man nicht direkt einen Smart hat. Die Tatsache, dass auf dem Plakat auch ein größeres gelbes Fahrzeug zu sehen ist, kann getrost ignoriert werden.

Gedanken zu Griechenland

Getreu dem Motto “Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem” will ich noch ein paar Gedanken an die Griechenlandkrise und das große Drumrum verschwenden.

Zunächst gibt es bei der ganzen Chose eine Menge Wortmeldungen, die ich schlicht nicht verstehe. Warum behauptet jemand, die EU oder Merkel oder die EZB oder Schäuble würden sich in griechische Angelegenheiten einmischen? Auf so eine Idee kann nur ein sehr dummer Mensch (oder alternativ jemand, der Propaganda betreiben will) kommen. Griechenland will Geld. Griechenland hat bewiesen, dass es überhaupt keine gute Idee ist, ihnen ohne jegliche Bedingungen Geld zu geben. Ergo gibt es Bedingungen. Wenn Griechenland diese Bedingungen nicht passen, ist das doch kein Problem – jemand anderes gibt sicher gerne Geld zu besseren Bedingungen. Die Welt ist voll von durchgeknallten Investoren wie man hört.

Warum musste ich vorgestern im ARD-Brennpunkt hören, dass durch das “Nein” der Griechen bei der Volksbefragung Tsipras nun gestärkt in weitere Verhandlungen geht? Das “Nein” ist doch ein klares Signal, dass es keine weiteren Verhandlungen geben wird. Es sei denn natürlich, unsere lieben Politiker wollen einmal mehr einknicken und gutes Geld schlechtem hinterherwerfen. Leider nicht auszuschließen.

Sehr merkwürdig auch die Idee, alles würde gut werden, wenn nur Griechenland dem Euro entsagen würde und wieder auf die Drachme kommt. Welches Problem soll das denn lösen können? Eine Abwertung der Währung hat noch niemandem geholfen, weder kurz- noch langfristig. Wirtschaftliche Gesundung benötigt harte Reformen, nicht das süße Gift von Weichwährung und Inflation.

Unverständlich für mich, wie es Syriza offenbar immer wieder gelingt, die Schuld auf andere zu schieben – wahlweise böse Mächte, die EU, die EZB, der IWF oder die kapitalistische Weltverschwörung. Griechenland war unter der Vorgängerregierung dank einiger Reformen durchaus auf einem nicht ganz schlechten Weg. Bis dann Syriza sich auf die schlechten alten sozialistischen Tugenden besann und vieles wieder zerstörte. Auch das wehleidige Klagen, dass die vielen geforderten (und teils umgesetzten) Reformen doch nur die kleinen Leute träfe – Freunde, ihr seit die Regierung. Führt einfach Reformen durch, die die aus Eurer Sicht richtigen treffen und jammert nicht nur rum.

Und noch etwas: die vielen Milliarden, die in Griechenland versickert sind, sind nicht “der Finanzwelt” zugutegekommen. Im Gegenteil, die “Finanzwelt” wird noch kräftig beim unvermeidlichen Schuldenschnitt bluten müssen (so wie sie bereits beim ersten Schuldenschnitt geblutet hat). Die vielen Milliarden sind den Griechen zugutegekommen. Vielleicht nicht allen, vielleicht nicht den “richtigen” – tja, liebe Griechen, hättet ihr besser mal eine Regierung gewählt, die das mit dem Verteilen besser kann.

Ab und zu behauptet auch jemand, die EU oder wer auch immer gerade das Feindbild ist würde demokratische Entscheidungen der Griechen nicht akzeptieren. Vor allem Frau Wagenknecht von der Linken befeuert dieses Narrativ gerne und ausführlich, weil natürlich auf keinen Fall ihre linken Parteifreunde der Syriza für das Schlamassel verantwortlich sein kann – die sind schließlich auf die Opferrolle abonniert. Was für ein absoluter Bullshit. Die Griechen dürfen alles in welcher Art auch immer ganz alleine für sich entscheiden. Z.B. bei der jetzt durchgeführten Volksbefragung. Aber eine demokratische Entscheidung führt nicht zu einem Wünsch-Dir-Was im Anschluss. Ein demokratischer Beschluss “die Welt muss Griechenland hunderte Milliarden schenken” darf gerne gefasst werden, wird aber wenig zielführend sein.

Was zum G36

Das G36 von Heckler & Koch, das Standardsturmgewehr der Bundeswehr seit 1996, ist derzeit in aller Munde und beherrscht die Titelseiten der Print- und Onlinepresse. Ich habe nun zig Artikel darüber gelesen, und irgendwie schlug fast immer mein Bullshit-Indikator an. Ich bin nun wahrlich maximal interessierter Laie, was Feuerwaffen angeht. Also habe ich ein wenig quergelesen in diversen Zeitungen, Kommentaren zu Artikeln und Blogs.

Exemplarisch sei dieser Artikel auf SPIEGEL Online genannt. Es wird aus einem (geheimen, oder jedenfalls der Öffentlichkeit nicht zugänglichen) Untersuchungsbericht zitiert, wonach nach dem Verschuss von zwei Magazinen (zusammen 60 Schuss, falls das Standardmagazin genutzt wird – aber wurde das genutzt? Das bleibt leider im Dunkeln.) die Treffwahrscheinlichkeit auf 53% sinke.

Man könnte auch sagen: nix genaues weiß man nicht. Vielleicht wurden die 100-Schuss-Trommelmagazine verwendet? 200 Schuss oder 60 Schuss scheint für SPIEGEL Online keinen Unterschied zu machen. Was wurde versucht zu treffen, und auf welche Entfernung? Und in welchem Zeitraum wurde diese Schusszahl abgegeben? Wenn es tatsächlich ein Hitzeproblem gibt, ist das doch eine ganz entscheidende Metrik. Allein: man erfährt nichts darüber. Auch schwere Maschinengewehre, die für Dauerfeuer konzipiert wurden, können bekanntlich überhitzen, deshalb werden üblicherweise Ersatzläufe mitgeführt – sind die deshalb untauglich?

Ähnlich sieht es beim Thema “Vergleichsschießen” aus. Angeblich wurde ein solches durchgeführt, von der Bundeswehr in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut. Leider fehlen auch hier alle Details in der Berichterstattung. Wie sah dieses Vergleichsschießen aus? Wieviel Schuss wurden in welchem Zeitraum abgegeben? Welche anderen Gewehre nahmen am Vergleich teil? Wenn die entscheidenden Fakten nicht auf dem Tisch liegen, sollte man das doch in der Berichterstattung auch erwähnen, oder?

Ebenfalls völlig unklar ist, was denn damals bei der Beschaffung des G36 für eine Spezifikation zugrunde gelegt wurde. Letztlich ist jedes Gewehr ein Kompromiss. Leicht soll es sein, preiswert, robust, treffgenau (auch für ungeübte Schützen – sprich Wehrpflichtige), idiotensicher…dass es kein Gewehr gibt, dass alle diese Eigenschaften hat, sollte jedem einleuchten. Man kann ja auch keinen Familien-Van kaufen, der so schnell wie ein Ferrari fährt und unter 10.000 EUR kostet. Und wieso ein Sturmgewehr, dessen Schütze nur einen begrenzten Munitionsvorrat mitführt, in einer Gefechtssituation als MG im Dauerfeuermodus eingesetzt werden soll, bleibt unklar. Inwiefern das G36 seiner Spezifikation genügt, lässt sich wohl daran ablesen, dass die Bundeswehr dem Gewehr die Abnahme erteilt hat (so hoffe ich jedenfalls, weil ich immer noch an einen gewissen Rest an Professionalität hoffe) und auch nach den neuesten Erkenntnissen die Bundeswehr immer noch der Meinung ist, das der Hersteller wohl nicht schadenersatzpflichtig ist. Wobei, da heißt es inzwischen “man prüft”. Erinnert ein wenig an Toll-Collect.

Wie man hört, wurde das G36 für eine Nutzungsdauer von 20-30 Jahren angeschafft. Es ist also in absehbarer Zeit sowieso eine Neuanschaffung fällig. Warum machen Bundeswehr und Verteidigungsministerium hier so ein Fass auf? Es riecht nach gezielter Rufschädigung, oder nach Ablenkung von anderen Merkwürdigkeiten des Beschaffungswesens (man denke an den immer noch nicht ausgelieferten Airbus A400M, oder die legendären Marinehubschrauber, die leider nicht seefest sind). Denn finanziell ist der Schaden doch sehr begrenzt: die bisher beschafften rund 180.000 Gewehre wurden wohl zu einem Stückpreis von rund 600 EUR gekauft, insgesamt also etwa 100 Millionen EUR. Das ist sicher ein Schnäppchen im Gegensatz zu den Kosten bei Eurofighter, Drohnen mit Flugverbot oder dem neuen Schützenpanzer.

Unterm Strich vermute ich, dass die Anforderungen an das G36 sich einfach über die Jahrzehnte gewandelt haben. Im Szenario “Kalter Krieg” brauchte man eine unkomplizierte, robuste, leichte, preiswerte Waffe. Man rechnete mit einer Gefechtssituation der verbundenen Waffensysteme – für hohe Schussfrequenzen waren hier die echten MGs ausersehen, das Sturmgewehr sollte eher für den gezielten Einzelschuss auf 200-300m Entfernung oder maximal Dreier-Feuerstöße verwendet werden. Was ich inzwischen zu diesen Themen gelesen habe, legt nahe, dass in einem solchen Einsatzszenario das G36 eine sehr gute Figur macht. Dass Ursula von der Leyen in ihren zahllosen Pressekonferenzen und Statements zumindest indirekt den Hersteller dafür verantwortlich macht, dass das Gewehr nicht ihrem Wunschkonzert, sondern nur der ursprünglichen Spezifikation entspricht, spricht Bände.

Wenn das Verteidigungsministerium nun glaubt, für andere Einsatzszenarien jetzt und in Zukunft gerüstet zu sein, wäre es doch ein leichtes, für diese Truppenteile auf dem freien Markt ein besseres (in welcher Hinsicht?) Sturmgewehr zu beschaffen. Wie viele können das schon sein – 5.000? In Afghanistan war die deutsche Truppenstärke jedenfalls 1.500 Mann.

Wie gesagt, ich bin bei diesem Thema nur interessierter Laie. Aber bei quasi jedem Beitrag in den Qualitätsmedien fallen mir zig Sachen ein, die eigentlich zu einer anständigen Recherche dazugehören würden, die aber nicht thematisiert werden. Und das ist ärgerlich.