Merkeldämmerung?

Zuerst hat die CDU/CSU unter großem Applaus Angela Merkel zur Spitzenkandidatin der kommenden Bundestagswahl gekürt. Nicht besonders überraschend, ist Merkel doch in der CDU/CSU ebenso alternativlos wie ihr Politikstil.

Dann hat Sigmar Gabriel durch seinen Verzicht – die genauen Beweggründe sind unbekannt – Martin Schulz zum Kanzlerkandidat der SPD gemacht. Die Tage nach der Kandidatenkür standen ganz im Zeichen der Präsentation von Schulz über alle Medienkanäle. Ergebnis: nix genaues weiß man nicht. Es wurde viel geplaudert und geschwätzt, aber inhaltlich war es nun nicht besonders ergiebig. Nur auf eine Reduzierung der Boni für Manager wollte sich Schulz festlegen lassen – auf den Gesetzentwurf bin ich jetzt schon gespannt. Generell scheint “Gerechtigkeit” wichtig zu sein. Ein beliebtes Politiker-Thema, denn wer könnte schon gegen mehr Gerechtigkeit sein? Problematisch ist höchstens, dass jeder unter Gerechtigkeit was anderes versteht. Was aber ja auch ein Vorteil ist – bei “weichen” Themen blühen Politiker bekanntlich auf.

Offenbar lag Schulz mit seiner Einschätzung, am besten nix genaues von sich zu geben, goldrichtig. Zumindest wenn man an letzte Reste an seriöser Arbeit durch Meinungsforscher glaubt. Denn die Umfrageergebnisse der SPD gingen umgehend durch die Decke. Sogar bei der Kanzlerfrage – zumindest in manchen Umfragen – liegt Schulz sehr deutlich vor Merkel. Nicht weniger als eine Sensation, wurde uns doch Merkel über lange Jahre von denselben Meinungsforschern als Liebling des Wahlvolkes verkauft. Eben alternativlos.

Was folgert der interessierte Beobachter nun aus diesem Sachverhalt? Mir persönlich ist Schulz höchst unsympathisch. Sein Geschwätz finde ich peinlich bis unterbelichtet. Seine Politik-Historie im Europaparlament ist irgendwo zwischen Fiasko und Katastrophe einzuordnen. Und ich bin mir sehr sicher, dass kein Wähler in Deutschland spontan eine sinnvolle, positive Aktion von Schulz in seiner langen Geschichte als EU-Politiker nennen könnte.

Nun fällt es mir schwer, positive Worte für einen wie Sigmar Gabriel zu finden – einfach weil er zu der Kategorie Politiker gehört, die morgens so und abends so schwätzen. Und weil seine Politikziele natürlich konträr zu meinen Wünschen sind. Aber: er hat es geschafft, dass die GroKo seit 2013 eine dezidierte SPD-Politik verfolgt. Jemand, der erfolgreich SPD-Politik durchgesetzt hat, wird ersetzt durch einen Eurokraten-Dampfplauderer, und die Umfragewerte schießen in die Höhe. Schwer zu erklären.

Auf der anderen Seite: der Zuwachs der SPD ist weit überwiegend der Verlust der CDU. Von daher könnte man auf die Idee kommen, dass es momentan eine “Anything but Merkel”-Stimmung in Deutschland gibt, und der Katalysator war die Verkündigung des neuen SPD-Kandidaten. In den USA haben die vielen “Anything but Clinton”-Wähler ja auch eine Menge zur Wahl von Trump beigetragen.

Prognose: der Ausgang der Wahl wird spannend bleiben bis zuletzt, und das hätte ich vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten. Vielleicht stellt sich nach der Wahl sogar die Frage, ob die CDU in einer Juniorkoalition mit der SPD mitregieren will – war früher ja undenkbar, aber man übt ja schon in BaWü als Juniorpartner der Grünen. Alles für den Machterhalt. Irgendwelche Grundsätze hat die CDU unter Merkel ja konsequent abgelegt.