Omikron-Zahlen-Update-Update

Am 9. Januar war mein letzter Post zur Omikron-Situation, was in diesen bewegten Zeiten schon eine Ewigkeit ist. Zeit für ein Update des damaligen Updates.

Einige Zeitgenossen – auch solche, die ich früher einmal für intelligente Kommentatoren gehalten habe – bemühen immer noch das Narrativ „nur milde Verläufe, es gibt kein Problem“ und versteigen sich gar zu abstrusen, durch die Datenlage eindeutig widerlegbaren Aussagen wie „die Omikronwelle – die in Großbritannien […] wie erwartet mild und ohne steigende Hospitalisierungen und Todesrate verlaufen ist“.

Hier also jetzt das faktenbasierte Omikron-Update zu den neuesten Zahlen, immer basierend auf dem 7-Tage-Mittelwert, der m.E. mindestens in der Rückschau der einzige sinnvoll zu verwendende Wert ist, der sowohl Tages- als auch Wochenschwankungen sinnvoll mittelt. Alle Daten können bei OurWorldInData abgerufen und verifiziert werden. Wie immer bei Wellen muss man mit den Infektionszahlen vorsichtig sein, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass bei Test-Positiv-Quoten jenseits der 20% jede Menge asymptomatischer Fälle durch das Testnetz schlüpfen – es geht also immer nur um Kurvenverläufe und grobe Abschätzungen unter unterschiedlichsten Rahmenbedingungen.

UK hatte den Scheitelpunkt der Infektionszahlen (täglich mehr als 150000) der aktuellen Omikron-Welle Anfang des Jahres (4./5./6. Januar) hinter sich gebracht, der starke Anstieg der Fallzahlen begann Anfang Dezember und führte zum typischen rasanten Anstieg wie aus den bisherigen Wellen bekannt. Ein Anstieg, in dem Deutschland im Moment steckt, mit bisher unbekanntem Enddatum. Wenn man sich dazu die Todeszahlen „mit oder an COVID-19“ dazu im zeitlichen Verlauf anschaut, sieht man über den ganzen Dezember vor Weihnachten ein Plateau von etwa 110 bis 120 Todesfällen, dann ein Absinken auf 70-80 (warum? Keine Ahnung, eventuell nur Zufall oder ein statistisches Artefakt), dann ein steiler Anstieg über etwa zwei Wochen auf 260-270 Tote – auf diesem Plateau verharren die Zahlen bis heute. Wir sehen also auch bei Omikron den typischen Zeitverzug zwischen 2-4 Wochen, bis sich die Infektionswelle in den Todeszahlen niederschlägt. Als Indikator „wieviele schwere Verläufe“ eignet sich die Zahl der Hospitalisierten, diese lag in UK lange Zeit stabil bei etwa 7500 pro Tag bis sie in Folge der Omikron-Welle auf konstant über 15000 von Anfang Januar bis heute stieg, mit knapp 20000 in der Spitze am 10. Januar. Auch hier passt der Zeitversatz „erkannte Infektion bis tatsächlicher Krankenhausaufenthalt“ perfekt ins bisherige Bild. Da die Zahlen bei den Hospitalisierten wieder sinken, ist nicht zu erwarten, dass es bei den Todeszahlen noch eine böse Überraschung in näherer Zukunft gibt.

Halten wir fest: die Omikron-Welle hat in UK für einen starken – aber nicht dramatischen – Anstieg bei Hospitalisierungen und Toten geführt. Nun kann man die Tatsache, dass CFR und IFR deutlich niedriger sind gegenüber der Vor-Impf-Zeit entweder auf die Wirksamkeit der Impfung und/oder die hohe Zahl der Genesenen zurückführen, oder auf die deutlich mildere Natur von Omikron. Ich beführworte „alles drei“ als einzig sinnvolle Antwort auf die Frage.

Machen wir einen kurzen Abstecher nach Südafrika, an vorderster Front bezüglich Omikron und damit schon am weitesten im auch anderswo zu erwartenden Verlauf. Wo die Impfquote eher niedrig ist – bei 60 Millionen Einwohnern gelten 16 Millionen als vollständig geimpft, Boosterimpfungen spielen praktisch keine Rolle. Das Medianalter der Bevölkerung liegt bei 28 Jahren, verglichen mit knapp 41 Jahren in UK und knapp 48 Jahren in Deutschland natürlich eine vergleichsweise junge Bevölkerung, die sehr viel weniger anfällig für schwere Verläufe oder gar Todesfälle sein sollte.

Unter diesen Randbedingungen begann Ende November die Omikron-Welle in Südafrika und arbeitete sich von etwa 1000 Infizierten pro Tag auf konstant über 15000 pro Tag zwischen Mitte und Ende Dezember hoch, in der Spitze eine Woche vor Weihnachten lag man bei über 20000. Im Gegensatz zur UK-Welle zeigt sich kein steiler Abfall, sondern ein sanftes Auslaufen der Welle – noch bis Mitte Januar lag man bei teils weit über 5000 Fälle pro Tag. Der Verlauf bei den Todeszahlen lässt erahnen, was die Quelle für das Narrativ „nur milde Verläufe“ gewesen sein könnte: zu Anfang zeigte sich praktisch kein Ausschlag, von Anfang November bis Anfang Dezember dümpelten die Zahlen rund um 20-30 COVID-Toten pro Tag. Dann folgte ein stetiger Anstieg bis auf 150-200, mit einem sanften Abfall bis zur gestrigen Zahl „133“, allerdings mit einigen unerklärlichen Spitzen dazwischen inklusive heftiger Korrektur der Tageszahlen nach unten an einzelnen Tagen – das Meldewesen in Südafrika scheint wohl ähnlich gut entwickelt zu sein wie hierzulande. Bei den Hospitalisierungen sah man zu Beginn der Infektionswelle ebenfalls noch wenig Bewegung (eine weitere Quelle des „Omikron ist völlig harmlos“-Narrativs), aber Anfang Dezember ging es dann steil bergauf, von wöchentlich deutlich unter 1000 Hospitalisierungen bis auf fast 10000 in den zwei Wochen kurz vor und kurz nach Weihnachten.

Man kann also aus den Zahlen unschwer ablesen, dass Omikron keineswegs so harmlos ist, wie es manche glauben lassen wollen. Klar ist aber auch, wenn man eine hohe Impfquote, eine junge Bevölkerung, eine hohe Zahl an bereits Genesenen hat – oder am besten alles drei – ist die Welle der Infektionen zwar höher als alles bisher Gekannte, die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem bzw. auf die Sterblichkeit ist aber nicht mit der Vor-Impf-Zeit vergleichbar, sondern sind deutlich besser managebar. Um es nochmal mit Zahlen zu unterlegen: die letzte Infektionswelle in Europa (also: relativ wenig Genesene, relativ alte Bevölkerung) vor der Impfung Ende 2020 war etwa ein Drittel so hoch wie die Omikron-Welle. Die daraus resultierende Todeswelle ist aber vor der Impfung fast viermal so hoch wie bei der Omikron-Welle. Nimmt man beide Zahlen zusammen, ergibt sich für Europa ganz grob gemittelt eine Entspannung um Faktor 10 beim Verhältnis Infektion-Tod. In Südafrika hingegen war die Omikron-Welle ähnlich hoch wie der vergangenen drei Wellen (und das hat ganz sicher auch mit der fehlenden Breite der Testungen zu tun), die Todeszahlen liegen eher so bei der Hälfte bis bei einem Drittel – bei einer jungen, weitgehend ungeimpften Bevölkerung scheint Omikron also im Verhältnis immer noch recht gefährlich zu sein.

Unterm Strich: Impfen hilft. Viel Impfen hilft viel. Mit einer guten Impf- und Boosterquote kommt man mit nur wenigen NPIs (die bei einer derart infektiösen Variante wie Omikron sowieso nur noch geringen Wert haben) gut durch den Omikron-Winter. Zumindest in UK, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland. Ob das auch in Deutschland gilt, mit seiner doch recht hohen Nichtimpferquote in der Risikogruppe, dem höchsten Altersdurchschnitt in Europa und verhältnismäßig wenig Genesenen, wird sich noch zeigen. Denn hierzulande ist Ende Dezember der Ausläufer der letzten Delta-Welle ja nahtlos in den Start der Omikron-Welle übergegangen, d.h. auf den Intensivstationen des Landes liegen noch viele Schwerkranke aus dieser Zeit, und erst seit Mitte Januar steigt als Resultat der Omikron-Welle die Zahl der Erstaufnahmen wieder an, insgesamt fallen die Belegungszahlen aber noch. Das wird nicht so bleiben. Legt man die Zahlen aus UK zugrunde, würde ich ab etwa Mitte Februar mit mindestens 400 Toten täglich rechnen, über einen Zeitraum von 2-4 Wochen. So grob über den Daumen gepeilt, ohne jetzt ein ausgefuchstes mathematisches Modell zugrunde liegen zu haben.

Unterm Doppelstrich: das Narrativ von der harmlosen Omikron-Variante wurde von der Wirklichkeit eindeutig und nachhaltig widerlegt. Ich kann kaum erwarten, mit welchen neuen spannenden Hypothesen die Verharmloser als nächstes um die Ecke kommen. Denn das ist etwas, was man erfahrungsgemäß als Normaldenkender nicht prognostizieren kann.