Corona-Erkenntnisse: Aktuelle Situation

Anmerkung: eigentlich sollte der Artikel vor etwas mehr als einer Stunde publiziert werden. Also bitte alle relevanten Angaben wie “heute” oder “gestern” implizit anpassen.

Bevor weitere Betrachtungen zu bestimmten Themengebieten rund um die SARS-CoV-2-Pandemie und ihre Auswirkungen beleuchtet werden, will ich kurz einen Abstecher machen in eine genauere Analyse der derzeit aktuellen Zahlen rund um die Pandemie. Es gibt über die letzten Wochen einige Trends, die aber weltweit teilweise stark unterschiedliche Auswirkungen zeigen. Manches davon lässt mich ratlos zurück, insbesondere die Situation in Deutschland scheint immer mehr zum Sonderfall zu werden.

Zunächst zum Infektionsgeschehen. Logischerweise haben die diversen Lockerungen sowie bisher keiner erkennbaren relevanten Mutation des Virus dazu geführt, dass quasi überall die Infektionszahlen (aka “positive Testergebnisse auf SARS-CoV-2”) mehr oder weniger steil steigen. Wobei man bei der Interpretation der Zahlen immer berücksichtigen muss, inwiefern sich die Teststrategien der einzelnen Staaten über die Zeit entwickelt haben. Wenn nun in Deutschland pro Tag irgendwas um die 1500 laborbestätigte Neuinfektionen gemeldet werden, ist das in keinster Weise vergleichbar mit dem Beginn der Pandemie Mitte März, als ähnliche Größenordnungen am Start waren. Während nämlich Mitte März Tests fast ausschließlich bei starken Symptomen, und manchmal nicht mal dann (wenn z.B. häusliche Quarantäne ausreichte und keine Hospitalisierung erforderlich war), tatsächlich ein Test durchgeführt wurde (und konsequenterweise die Positivenquote der Tests bei knapp 10% lag), wird nun in der Breite getestet – Urlaubsrückkehrer (nicht nur aus Risikogebieten), wenn ein Krankenhausaufenthalt ansteht, bei leichten Symptomen, und die Routinetests für Arbeitnehmer in bestimmten Tätigkeitsfeldern (vor allem natürlich im Gesundheits- und Pflegebereich, aber sogar die Tests rund um die Fußball-Profiligen dürften in Deutschland einen nicht zu kleinen Anteil am Gesamttestgeschehen haben – man spricht von immerhin 35000 durchgeführten Tests von Saisonneustart bis Saisonende).

In KW12, also grober Stand “Beginn Pandemie” und symptombezogene Testung, gab es deutschlandweit rund 350000 Tests und eine Positivenquote von knapp 7%. In KW37 – letzte Woche – waren es fast 1,2 Mio. Tests, und eine Positivenquote von lediglich knapp 0,9% (übrigens höher als zwischen KW27 und 29, als die Positivenquote um 0,6% schwankte und die Zahl der Tests bei vergleichweise niedrigen 0,5 Mio. lagen – soviel zur Hypothese “es gibt nur so hohe Infektionszahlen weil die Zahl der Tests gestiegen ist”). Die absoluten Zahlen an positiv Getesteten kann also in keinster Weise verglichen werden.

Die leider zu oft geführte Diskussion, ob das nun die “zweite Welle” ist oder nicht, ist aus meiner Sicht komplett sinnfrei. Dazu müsste man erst mal spezifizieren, wann man denn von einer “Welle” sprechen will. Wenn die Zahl der Infektionen einen Aufwärtstrend zeigt? Einen starken Aufwärtstrend? Wie stark denn genau? Oder doch nur die Zahl der symptomatisch Erkrankten berücksichtigen? Oder die Zahl der hospitalisierten Erkrankten? Oder nur die der schwer Erkrankten in Behandlung auf einer Intensivstation? Je nach Betrachtung hat man dann schon die achtzehnte Welle oder noch nicht mal die zweite. Wie ich sagte – sinnfrei.

Beobachtet man das DIVI-Intensivregister über die Zeit, stellt man außerdem fest, dass die Zahl der COVID-19-Patienten auf eher niedrigem Niveau verharrt. Der Höhepunkt der Erkrankungszahlen war um den 18.April – etwa 3 Wochen nach dem Höhepunkt der Infektionszahlen übrigens – und lag bei knapp 3000 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, von denen knapp 2200 invasiv beatmet wurden. Für heute 12.30h wurden aber lediglich 238 COVID-19-Erkrankte in intensivmedizinischer Behandlung, von denen 135 invasiv beatmet werden. Und diese Zahlen sind seit längerer Zeit stabil, d.h. die Erhöhung der Infektionszahlen von täglich 250 bis 500 zwischen Mai und Juli auf die oben genannten aktuell 1500 im 7-Tage-Mittel schlagen sich nicht auf die Anzahl der schweren Verläufe durch. Die Todeszahlen zeigen ein ähnliches Bild, hier liegt Deutschland bei 5-10 Todesfällen pro Tag seit Juni bis heute im 7-Tages-Mittel. Was übrigens immer noch im vermuteten Rahmen der IFR von SARS-CoV-2 um die 0,5% liegt.

Interessant daran ist, dass die Zahlen in Deutschland hier eine Sonderstellung einnehmen. Im europäischen Vergleich sieht man ja beispielsweise in Frankreich oder Spanien kräftig steigende Infektionszahlen, aber dort steigen auch die Todeszahlen mit der bekannten 3-wöchentlichen Verzögerung ebenfalls merklich an: Spanien meldet seit 7.August stetig teils deutlich über 4000 Neuinfektionen täglich, und von der einstmals niedrigen einstelligen Todeszahl pro Tag in Juni und Juli hat man jetzt zuletzt schon über 50 Tote pro Tag zu beklagen. Also ein IFR von tendenziell über 1%, ohne dass es zu einer Überlastung bei der medizinischen Versorgung gekommen wäre. Gestern lag die Zahl der Toten gar bei 239, aber die täglichen Zahlen in Spanien schwanken stark, so dass das als Einzelwert keine Aussagekraft hat. Man wird abwarten müssen, wie sich die Zahlen weiter entwickeln.

Beispiel Frankreich: seit Ende Juli im Aufwärtstrend bei den Neuinfektionen pro Tag von etwa 600 auf in den letzten Tagen über 8000. Hier waren die Todeszahlen nie auf ganz niedrigem Niveau wie in Spanien, eigentlich immer im zweistelligen Bereich. Aber man sieht in den letzten Tagen nun statt diesen 10 Toten pro Tag bereits um die 30. Nimmt man die übliche 3-Wochen-Verzögerung zwischen Infektionszahlanstieg und Todeszahlanstieg, muss man diese 30 mit den Infektionszahlen von Ende August ins Verhältnis setzen, die lagen bei etwa 4000 pro Tag. Also ein IFR von deutlich unter 1%, also eher der deutschen Situation ähnlich.

Beispiel Österreich: hier gibt es einen fleißigen Statistik-Blogger, der täglich die Situation detailliert berichtet (beispielsweise hier der heutige Bericht). Im Gegensatz zu Deutschland sieht man in Österreich einen deutlichen Anstieg bei der Hospitalisierungszahl und der Zahl der intensivmedizinisch behandelten Patienten.

Woran liegt es nun, dass beispielsweise die Zahlen in Österreich ein anderes Bild zeigen als in Deutschland? Es könnte mit der Altersstruktur der positiv Getesteten zusammenhängen und/oder einem vorsichtigeren Verhalten der Risikogruppe hierzulande oder mit feinen Unterschieden bei den ergriffenen Maßnahmen und/oder deren Befolgung. Österreich hatte zwischenzeitlich die Maskenpflicht ja wieder aufgehoben und auch diverse Beschränkungen bezüglich erlaubter Personenzahlen bei Feiern o.Ä. – man darf nicht vergessen, dass manche Maßnahmen (Abstand, Maskenpflicht, keine größeren Versammlungen in geschlossenen Räumen etc.) ja nicht unbedingt auf eine absolute Verhinderung der Ansteckung abzielen, sondern auf eine möglichst große Reduktion der Virenlast, was nach heutigem Kenntnisstand zu einer milderen Erkrankung führt.

Generell ist es bei einem kleinen Land wie Österreich aber schwierig, bei einer vermuteten IFR von 0,5% eine Bewegung bei der Zahl der Toten wirklich auszumachen, bei 1000 Neuinfizierten pro Tag ergibt das ja nur eine einstellige Zahl, da spielt Kollege Zufall logischerweise eine größere Rolle. Auch zu COVID-19-Hochzeiten lag das 7-Tage-Mittel in Österreich ja bei rund 20 Toten pro Tag, da ist statistisches Rauschen sicherlich nicht unerheblich.

Noch ein Wort zur oben behaupteten 3-Wochen-Verzögerung zwischen Anstieg der Neuinfektion und proportionalem Anstieg der Totenzahlen: zu Anfang der Pandemie war diese Verzögerung eher bei 1-2 Wochen. Ein begründeter Verdacht, warum dieser Zeitraum länger wurde, ist die größere Testintensität – man findet die Infizierten also, bevor sie Symptome entwickeln – und die verbesserte medizinische Behandlung aufgrund gewonnener Erkenntnisse und größerer Routine. Auch hier also entwickeln sich die Zahlen “dynamisch”, und man darf die Erkenntnisse von gestern nicht unbedingt für morgen als gegeben voraussetzen.

Corona-Erkenntnisse: Krisenvorsorge

Als schon früh – bevor der Lockdown beschlossen wurde – in den Supermärkten diverse Dinge knapp wurden, waren viele Menschen überrascht und zutiefst betroffen, dass solche Warenengpässe in einer hochentwickelten Industrienation überhaupt möglich sind. Andere Menschen (ich z.B.) hatten sich schon sehr viel früher mit der Möglichkeit beschäftigt, dass im Krisenfalle (wie auch immer der aussehen mag) auch Waren des täglichen Bedarfs möglicherweise nicht zu jedem Zeitpunkt ausreichend zur Verfügung stehen werden. Die Extremform dieser Menschen nennt sich “Prepper”, und die Skala des Vorbereitetseins ist nach oben offen. Zwischen “ich kaufe täglich im Supermarkt ein” und “ich habe einen Bunker mit autarker Strom- und Wasserversorgung sowie Vorräte für mindestens 5 Jahre” ist logischerweise ein weites Feld.

Wie kam es überhaupt zu den Engpässen bei so unterschiedlichen Produkten wie Toilettenpapier, Reis und Hefe? Die einfache Antwort der Volkswirte lautet “Verschiebung der Zeitpräferenz”. Logischerweise ist unser marktwirtschaftliches System auf die monetäre Optimierung des Normalfalls ausgelegt. Von der Produktion über die Lieferung bis zum Verkauf ist die moderne Logistik heute bestrebt, “just-in-time” zu arbeiten – keine Überproduktion, keine Ineffizienzen, kein Wegwerfen von unverkäuflichen Überschüssen, keine teure Vorhaltung von freien Kapazitäten. Ein solches System ist natürlich in jedem einzelnen Schritt anfällig für plötzliche Nachfragespitzen, die nicht kurzfristig zu “normalen” Preisen abgedeckt werden können. Zumal aufgrund der Regulierungsdichte hierzulande die Produktion vor allem von Lebensmitteln eine komplizierte Sache ist und deshalb Großunternehmen stark begünstigt, die dann aber in punkto Flexibilität typischerweise eher schlecht aufgestellt sind. Die Elastizität des Angebots ist eben begrenzt. Und ich meine festgestellt zu haben, dass der Supermarktkunde trotz Krise preissensibel blieb – das Regal mit dem Discount-Reis war leer, das mit dem Premium-Reis blieb voll.

Nun ist hierzulande ja nicht die Gesamtversorgung zusammengebrochen oder haben die Regale DDR-artig gewirkt. Supermärkte haben mit Rationierung gearbeitet (nur eine Packung Toilettenpapier pro Einkauf, nur drei Packungen Nudeln pro Person etc.), weit schärfer der sonst üblichen “haushaltsüblichen Mengen” bei Sonderangeboten. Und wenn die erste Hysterie erst mal abgeklungen ist, normalisiert sich die Lage schnell wieder – bei unbegrenzt haltbaren Produkten wie Toilettenpapier, Nudeln oder Trockenhefe müssen ja die Notfallhorter nicht immer weiter horten, sondern sind erst mal für ein paar Jahre Nichtnachfrager für diese Produkte. So regelt sich das relativ kurzfristig aus, und wer auf größeren Lagerbeständen saß, hatte eine gute Gelegenheit, diese möglicherweise zu einem höheren Preis endlich loszuschlagen.

Und welche Krisenvorsorge habe ich persönlich nun realisiert, also wo auf der Skala des Vorbereitetseins befinde ich mich? Irgendwo in der Mitte würde ich sagen. Meine Vorratshaltung ist recht ausgefuchst und orientiert sich am Mindesthaltbarkeitsdatum und einem rollenden System des Austauschs (FIFO-Prinzip) sowie des langjährig ermittelten durchschnittlichen Bedarfs unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Stauraums. Das bedeutet reichlich Vorräte von gängigen Nahrungsmitteln wie Nudeln, Reis oder Kartoffeln, dazu Konserven und ein gut gefüllter Gefrierschrank mit quasi-frischen Dingen wie Gemüse von Spinat über Bohnen bis Blumenkohl. Dazu TK-Fisch vom pazifischen Pollack bis zum Lachs. Ebenfalls gut ausgestattet ist der Bereich “Getränke” mit einem reichlichen Vorrat an Mineralwasser. Ebenfalls im Keller: Vorratsbrot aus der Dose, jahrelang haltbar. Weniger als Krisenvorsorge, sondern weil es wirklich lecker ist und Abwechslung ins Frühstück bringt. Mit entsprechender Rationierung würde ich vermutlich gut zwei bis drei Monate autark über die Runden kommen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Klar, keine Luxusversorgung oder gesunde und vollwertige, abwechslungsreiche Ernährung, aber wir reden hier von lebensbedrohlicher Krise und nicht von Luxus. Meine Methode hat zudem den Vorteil, dass sie praktisch kostenneutral ist und keinen Zusatzaufwand bedeutet, wenn man das System mal verinnerlicht hat. Man opfert eben ein wenig Stauraum. Nach den Erfahrungen jetzt würde ich grob “1 Monat” als Mindestvorratsziel empfehlen.

Wo ist der Schwachpunkt bei meiner Krisenvorsorge? Ganz klar: Stromversorgung (und das ist insofern ernstzunehmen, dass unsere Regierung ja mit der schlecht organisierten Energiewende soeben dabei ist, die Sicherheit unserer Stromversorgung aktiv zu sabotieren). Zwar habe ich Holzkohlegrill und Campinggaskocher am Start, aber die Heizung im Haus läuft nur mit Strom, und die Mengen an Kühl- und Gefriergut wären im Falle eines Falles nicht “in time” verarbeitbar, was den Schwaben in mir schmerzen würde. Da herrscht also “Prinzip Hoffnung”, dass ein Stromausfall im Falle eines Falles doch nur eine Woche dauern würde, im Winter gerne etwas kürzer, sonst wird es unschön. Natürlich habe ich recht ausführlich recherchiert zu diesem Thema, aber ein eigener Notdiesel mit ausreichender Leistung ist sehr teuer, die Treibstoffbevorratung genehmigungstechnisch ein Alptraum und die dauernd anfallenden laufenden Wartungsaufgaben ebenfalls nicht zu unterschätzen und dementsprechend teuer. Und wenn man sich schon auf so einen extremen Krisenfall vorbereiten will, sollte man nicht außer Acht lassen, auch eine entsprechende Verteidigungsstrategie für sein krisensicheres Heim zu installieren. Im Falle eines Falles wird man wohl auf Schusswaffen nicht verzichten können – fällt der Strom wirklich länger und flächendeckend aus, wird die öffentliche Ordnung voraussichtlich zusammenbrechen. Recht des Stärkeren und so. Wenn man da in der Straße das einzige Haus mit Licht ist, will ich mir nicht ausmalen, was passieren wird.

Jedenfalls habe ich festgestellt, dass Menschen, die sich vor dieser Krise bereits mit Krisenvorsorge auseinandergesetzt haben und entsprechende Vorkehrungen getroffen hatten, bedeutend ruhiger schlafen konnten. Die anderen können heute nochmal drüber nachdenken, nachdem die Krise nun Gott sei Dank so groß nicht war.

Und jetzt, nachdem eindrucksvoll im Real-Life-Experiment namens Pandemie bewiesen wurde, dass selbst meine Schmalspurkrisenvorsorge offenbar deutlich professioneller war als sie unser Staat betrieben hat, schlafe ich wieder etwas unruhiger. Man stelle sich vor, wir hätten mal eine wirklich große Krise – keine seriöse Vorbereitung, kein professionelles Krisenmanagement, man mag sich die Folgen gar nicht ausmalen.

Corona-Erkenntnisse: Grundrechte

Nie zuvor in der mir erinnerlichen jüngeren Geschichte der Bundesrepublik wurde derart häufig auf “Grundrechte” bzw. das Einschränken derselben verwiesen. In vielen Fällen habe ich festgestellt, dass die meisten Diskutanten dazu neigen, eine sehr enge Sicht auf “Grundrechte” zu haben und gerne das ihnen für den Moment genehme Grundrecht (z.B. “Demonstrationsrecht”).

Sehr häufig, wenn Nichtjuristen über juristische Themen schreiben, kommt vorausschickend der halb erklärende, halb entschuldigende Teilsatz “ich bin kein Jurist, aber…”. Ich habe das auch häufig getan, aber nach längerem Nachdenken gibt es dafür eigentlich keinen Grund. Zwar halte ich die Juristerei für eines der Gebiete, die am wenigsten intuitiv sind (also dem gesunden Menschenverstand zugänglich oder der gesunden Logik des durchschnittlichen Naturwissenschaftlers), aber Jura ist ja kein Selbstzweck, sondern sollte ganz dringend zu denselben logischen Ergebnissen kommen wie eben der gesunde Menschenverstand. Das scheint selten so zu sein, aber was nicht ist kann ja noch werden. Da die Juristen ja auch in den meisten Diskussionen über Ihnen fachfremde Themen nicht mit dem Teilsatz “ich bin zwar kein Informatiker, aber…” oder “ich bin zwar kein Energietechniker, aber…” einleiten – bösartige Vermutung: weil sie der irrigen Meinung sind, dass technisches Fachwissen bei der Beurteilung einer Sache nur hinderlich sein kann – unterlasse ich das hier auch.

Das am häufigsten beklagte eingeschränkte Grundrecht ist nach meiner Beobachtung derzeit die Versammlungsfreiheit, oft “Demonstrationsrecht” genannt. Daran kann man exemplarisch erklären, was denn die Schwierigkeit bei Grundrechten an sich ist. Es gibt nämlich (bis auf die unveräußerlichen Menschenrechte, abgebildet in den nicht änderbaren Grundgesetzartikeln wie “Die Würde des Menschen ist unantastbar”) keine uneingeschränkte, absolute Geltung eines jeden Grundrechts. Quasi jedes der Grundrechte in Deutschland kann über ein spezielles Gesetz eingeschränkt werden, beispielsweise wenn es ein Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Grundrechten gibt. Dann muss – wie fast immer in der Juristerei – abgewogen werden zwischen den widerstreitenden Interessen. Und natürlich muss auch die immer gerne zitierte “Verhältnismäßigkeit” beachtet werden. Und wie man leicht sehen kann, liegen eben “Abwägung” und “Verhältnismäßigkeit” stark im Auge des Betrachters.

Die gesetzliche Grundlage für diverse Einschränkungen zu Corona-Zeiten ist das Infektionsschutzgesetz. Es erlaubt weitreichende Einschränkungen beispielsweise der Unverletzlichkeit der Wohnung, der körperlichen Unversehrtheit, der Freizügigkeit, der informationellen Selbstbestimmung (kein im Grundgesetz verankertes Grundrecht, aber in der EU-Grundrechtecharta und in der DSGVO verankert) und des Versammlungsrechts. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit – und damit sollte klar sein, dass es hier keine einfachen Wahrheiten gibt. Wer die Prämisse akzeptiert, dass SARS-CoV-2 ein gefährlicher Virus und COVID-19 eine gefährliche Erkrankung ist, dem sollte auch klar sein, dass alleine die Abwägung zwischen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Falle einer Pandemie in direkter Konkurrenz zu vielen anderen Grundrechten steht. Je nachdem, wie man hier Gefahren und Risiken einschätzt, ergibt sich für die Abwägung der Verhältnismäßigkeit natürlich ein komplett anderes Bild.

Was die Versammlungsfreiheit angeht, ist die Gesetzeslage ja per se schon in “normalen” Zeiten stark einschränkend. Zwang zur Anmeldung von – mindestens größeren – Demonstrationen, staatliche Stellen dürfen teilweise erheblich einschränkende Bedingungen für den Veranstalter formulieren und einfordern. Also alles nichts neues – in Stuttgart wurde ja gar mal eine von der AfD angemeldete Demonstration verboten, weil Randale von Gegendemonstranten befürchtet wurde.

Wer sich bezüglich der diversen Grundrechte und ihrer Einschränkungen und generell der Einschränkbarkeit im Detail informieren will, dem sei diese Webseite ans Herz gelegt (leider nicht in allen Teilen ganz aktuell, einige Teile sind noch Stand “vor der Corona-App” und “vor Ende Lockdown”, und insgesamt ist auch ein wenig politische Schlagseite rauszulesen). Wer auswendig den Unterschied zwischen Gesetz, Verordnung, Anordnung und Allgemeinverfügung durchdeklinieren kann und über die unterschiedlich gewählten Wege eines jedes Bundeslandes in der Corona-Zeit referieren kann, ist davon freigestellt. Ebenso Menschen mit starken allergischen Reaktionen bei durchgängig genderneutralen Formulier*ungen.

Jedenfalls kann man festhalten, dass sich zwar recht viele Bürger über vermeintliche und tatsächliche Einschränkungen beschwert haben, aber relativ wenige haben tatsächlich die Instrumente des Rechtsstaates in Anspruch genommen, um gegen diese Einschränkungen zu klagen. Zu viele Klagen rankten sich nach meinem Geschmack um Details wie “reicht dafür eine Allgemeinverfügung oder muss es eine Verordnung sein”, ohne substanziell die Frage der Abwägung der Verhältnismäßigkeit zu berühren. Im vorliegenden Fall einer dynamisch verlaufenden Pandemie ist möglicherweise der ja doch einige Zeit in Anspruch nehmende Rechtsweg auch gar kein geeignetes Mittel – allerdings sieht man daran schon, dass die Einschränkungen ja größtenteils sehr kurzfristiger und temporärer Natur waren.

Als jemand, der mit dem Mittel der Demonstration als angeblicher Grundpfeiler der Demokratie sowieso nicht viel anfangen kann (gegenüber anderen Grundrechten halte ich es für eher nachrangig, für mich hat es den Geschmack “wer am lautesten schreit bekommt seinen Willen”), sehe ich die Frage nach Einschränkungen des Versammlungsrechts zu Pandemiezeiten sowieso eher entspannt. Der geschätzte Blogger Werwohlf hat dazu viele kluge Gedanken zu Buchstaben und Sätzen geformt. Ich stimme nahezu jedem einzelnen Satz nachdrücklich zu.

Zum Abschluss eine Denkaufgabe: wenn man sich erinnert, dass aufgrund von Überschreitungen eines frei erfundenen (also nicht solide wissenschaftlich belegten, sondern politisch beschlossenen) Grenzwertes für den Luftschadstoff “Stickstoffdioxid” teilweise erhebliche Eingriffe in das Leben vieler vor Gericht durchgekämpft wurden, wenn man also diese gerichtlich festgestellte bzw. forcierte “Verhältnismäßigkeit” als Benchmark nimmt, ist es dann nicht geradezu zwingend ebenso verhältnismäßig, bei einer Großdemonstration unter Pandemiebedingungen Abstand und Masken als Bedingungen aufzuerlegen?

Und noch ein nun wirklich abschließender Lesehinweis nach dem eigentlichen Abschluss: ein launiger Kommentar von Thomas Fischer (also aus berufenem Juristenmund) bei SPIEGEL Online zum Thema “Verhältnismäßigkeit”. Herr Fischer mit seiner Kolumne ist vermutlich der einzige vernünftige Grund, das Relotiusblatt zu verlinken.

Corona-Erkenntnisse: Wirtschaft

Viel wurde geschrieben über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Für Deutschland, für Europa, für die Welt. Vieles von dem, was ich dazu gelesen habe, war doch eher eindimensional, oftmals stark fokussiert auf die wirtschaftlichen Auswirkungen diverser Anti-Pandemie-Maßnahmen wie dem berühmt-berüchtigten Lockdown. Damit läuft man Gefahr, zu viele möglicherweise entscheidende, aber schwer zu quantifizierende Faktoren schlicht zu ignorieren.

Zunächst zum Arbeitsmarkt. In den USA waren die Auswirkungen recht dramatisch, mit einem steilen Anstieg im März/April, aber schon danach einer leichten Erholung. Das ist typisch für eine eher marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft, wo “Hire & Fire” eine Tugend und kein Problem darstellt. In Deutschland sieht die Sache naturgemäß anders aus. Durch das üppig genutzte und von der Politik kurzfristig sehr viel großzügiger gestaltete Instrument “Kurzarbeit” entsteht natürlich eine große Trägheit im Arbeitsmarkt. Für Entlassungen gibt es zunächst wenig Anlass, die Arbeitnehmer bleiben in Lohn und Brot, die Finanzierung erfolgt über die Sozialversicherungsbeiträge. Ob das Instrument “Kurzarbeit” langfristig eine gute Idee ist, ist schwer zu sagen. Mitnahmeeffekte gibt es sicher, und auch Unternehmen, die vernünftigerweise pleite gehen müssten, werden dadurch eher am Leben erhalten. Arbeitnehmer werden doch eher zum Verbleib an ihrer Arbeitsstätte ermuntert, obwohl sie anderswo als produktive Arbeitskräfte gewinnbringend eingesetzt werden könnten. Zudem ist fraglich, ob die Finanzierung über die AV-Beiträge wirklich gerecht(fertigt) ist, oder ob nicht eher eine Steuerfinanzierung besser wäre.

Jenseits der theoretischen Betrachtungen zur Sinnhaftigkeit des Instruments der Kurzarbeit (wer eine m.E. interessante Sichtweise auf die Dinge in epischer Breite nachlesen will, dem empfehle ich diesen Artikel zur Lektüre) hat das Statistische Bundesamt im Monat Juli weitgehend stabile Verhältnisse bei der Zahl der Erwerbstätigen festgestellt. Mit 44,5 Millionen liegt man hier etwas unter den Zahlen von Juli 2019 und 2018, aber über der Zahl von Juli 2017. Gegenüber dem Vormonat gibt es eine klare Steigerung, gegenüber dem Vorjahresmonat einen ebenso klaren Rückgang.

Weiter zum BIP. Der Einbruch im zweiten Quartal war ziemlich dramatisch: rund 10% ging es nach unten (je nachdem, ob verglichen mit dem Vorquartal oder zum Vorjahresquartal und diversen Bereinigungen bezüglich Jahreszeit und Inflation). Der Export bracht gar um 20% ein (und die Importe waren um 16% reduziert), ebenso die Investitionen in Anlagen wie Maschinen oder Fahrzeuge. Die privaten Konsumausgaben sanken um etwa 10%. Mal als Vergleichswert bezüglich des BIP: während der Finanzkrise 2009/2010 lag das schlimmste Quartal bei einem Rückgang von rund 5%.

Wie sieht die Lage aktuell aus? Druckfrisch vom Statistischen Bundesamt die Info, dass im Juli gegenüber dem Vorjahresmonat die Einzelhandelsumsätze real um 4,2% gestiegen sind. Das weist auf einen gewissen Nachholeffekt hin nach Ende des Lockdowns und der Zeit der extremen Vorsichtsmaßnahmen. Weiterhin ist der Internethandel der große Gewinner mit +15%. Die Gesamtstatistik Januar bis Juli sieht real gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Umsatzplus von 2,6%. Gewinner auch hier der Internethandel und der Lebensmittelhandel, Verlierer z.B. Textilien, Bekleidung, Schuhe. Interessant die Kategorie “Einzelhandel in Verkaufsräumen”, also einem mutmaßlich durch die Krise und vor allem dem Lockdown besonders betroffenen Bereich: +0,1% real. Im Großhandel gibt es bisher nur die Statistik Januar bis Juni, hier liegt man gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei real +0,5%.

Ebenfalls interessant die Daten zu den Steuereinnahmen. Bei den Einnahmen aus der Umsatzsteuer sieht man beispielsweise einen Anstieg um 50% langfristig von 2008 vor der Finanzmarktkrise auf 2020 nach dem Lockdown. Selbst der Überkrisenmonat April erreichte noch 85% des Aufkommens von 2008. Der Juli liegt wieder auf demselben Niveau wie der Februar und über dem Januar. Und weit über Juli 2019. Man wird sehen, was die temporäre Mehrwertsteuersenkung hier bewirkt. Bei der Einkommensteuer im Juli sieht man ein ähnliches Niveau wie Juli 2019, aber ein deutlicher Rückgang in April, Mai und Juni. Januar bis März war auf Rekordniveau. Aufgrund von Nachzahlungen von zuvor gestundeten Steuern bedeutet das natürlich noch nicht, dass auch wieder Vorkrisenniveau erreicht ist, es wird spannend sein zu sehen wie sich das am Jahresende darstellt und in Summe ausgewirkt hat. Wird es noch eine Pleitewelle geben? Einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit? Anstieg oder Rückgang bei der Kurzarbeit? Setzt sich der “Rebound” fort, der seit Mai/Juni beobachtet werden kann?

Das Statistische Bundesamt pflegt übrigens einen eigenen Corona-Bereich https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/_inhalt.html mit diversen interessanten Statistiken, auch im Vergleich zur Finanzmarktkrise. Da gab es im Hauptkrisenjahr 2009 einen BIP-Rückgang von 5,7%, in 2010 und 2011 dann zwei starke Wachstumsjahre von jeweils 4%. Wird sich das 2021 und 2022 wiederholen? Das wird maßgeblich auf den weiteren Verlauf der Pandemie ankommen. Nach der Finanzmarktkrise erholte sich die Weltwirtschaft quasi synchron – das muss dieses Mal nicht so sein. Aber das ist Glaskugel, wenn es morgen einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gibt, wird sich die Sache ganz anders darstellen wie eine weiter köchelnde Pandemie bis zur Erreichung der Herdenimmunität vielleicht irgendwann in 2023.

Interessant im Vergleich Corona-Pandemie vs. Finanzkrise finde ich das Monitoring von Schlüsselbranchen wie Automobil, Elektro, Maschinenbau und Chemie. Haben wir überhaupt noch nennenswerte chemische Industrie in Deutschland? Ich bin überfragt. Jedenfalls gibt es hier die Fieberkurve. Man sieht in Corona-Zeiten einen steilen Absturz mit ebenso steiler Erholung (allerdings noch nicht bis zum Vorkrisenniveau, insbesondere bei Elektro und Maschinenbau). In der Finanzmarktkrise hingegen war die Talsohle nicht so tief, aber breiter. Aber es liegen bis jetzt nur Daten bis Juni zugrunde, da ist es noch zu früh von einer nachhaltigen Erholung zu sprechen, und bezüglich des weiteren Pandemieverlaufs: siehe oben. Die genannten Branchen sind ja größtenteils eher exportabhängig, da sind wir auf weltweite Erholung angewiesen. Da besteht doch eine massive Unsicherheit.

Kommen wir zu den Konjunkturmaßnahmen der Politik. Als besonders unsinnig will ich die weiter ausgebaute Förderung von Elektrofahrzeugen anprangern. Die Subvention hat inzwischen absurde Höhen erreicht, und trotzdem will der Käufer nicht so recht. Warum wohl? Vielleicht, weil im unteren bis mittleren Preissegment die attraktiven Angebote nach wie vor fehlen und die bezahlbaren E-Autos maximal Zweitwagencharakter haben? Seit der Subventionierung der sogenannten “Erneuerbaren Energien” wurde staatlicherseits kein solcher Unsinn in diesem Ausmaß befeuert. Was ist von der temporären Mehrwertsteuer zu halten? Immerhin eine einigermaßen “soziale” Maßnahme, aber natürlich mit erheblichen Umstellungskosten verbunden. Die Software, die unterm Jahr einfach mal so den Mehrwertsteuersatz ändern konnte, musste erst geschrieben werden. Wenn schon, dann hätte ich eine Reduzierung des niedrigen Satzes auf 0% forciert, das wäre eine reale Entlastung auch der ärmeren Bürger gewesen. Keine neue Idee von mir, ich hatte das anno 2017 hier thematisiert. Da vornehmlich Unternehmen betroffen sind und weniger die Arbeitnehmer und gar nicht die Menschen in den sozialen Sicherungssystemen sowie die Rentner (zumindest finanziell, als Risikogruppe natürlich schon), würde ich intuitiv eher für eine Subvention übers Finanzamt plädieren. Man hätte beispielsweise die Corona-Soforthilfen einfach basierend auf der letzten Steuererklärung direkt vom Finanzamt auszahlen lassen können. Am Ende des Jahres hätte man dann einfach über die Steuer wieder einen Ausgleich für doch nicht so stark betroffene Unternehmen quasi automatisch integriert gehabt.

Im Moment nicht so richtig aussagekräftig ist die Statistik zu den Insolvenzen. Die Insolvenzantragspflicht ist derzeit bis zum 30.9.2020 ausgesetzt (und diese Aussetzung wird voraussichtlich bis zum 31.12.2020 verlängert), das dicke Ende wird also vermutlich noch kommen. Im Moment ist die Zahl der Insolvenzen auf eher niedrigem Niveau. Würde mich wundern, wenn das so bleibt.

Böse auf die Füße fallen wird uns die kürzlich verhandelte EU-Subventionitis anderer Staaten, aka “Euro-Bonds durch die Hintertür”. Hier sollen Länder wie Deutschland, deren Bevölkerung deutlich ärmer ist als in anderen EU-Staaten, die anderen Staaten erneut aus dem Dreck ziehen. Das wird wieder nicht gelingen, denn die Probleme sind hausgemacht und struktureller Natur. Wann, wenn nicht in dieser Krisensituation könnten die Sorgenkinder von Griechenland bis Italien endlich mal ihrer Bevölkerung substanzielle Sparmaßnahmen zumuten? Solange Deutschland zahlt, wird das logischerweise nicht passieren. Man hat ja an Frankreich gesehen, wie schnell die Politik vor dem Druck der Straße kapituliert. Naja, die Briten haben es mit dem Brexit richtig gemacht und das sinkende Schiff EU verlassen. Britannia, Du hast es besser.

Sorge bereiten muss die Situation in den USA. Das Handling der Corona-Pandemie in einigen Bundesstaaten (überwiegend demokratisch regiert, aber das muss keine Kausalität sein) derart anfängermäßig, dass hier möglicherweise ein größerer Konjunktureinbruch bevorsteht. Natürlich wird in unseren Medien vorwiegend Präsident Trump die Schuld in die Schuhe geschoben, aber gerade die üblen Zahlen aus New York sind ausschließlich dort hausgemacht durch geradezu haarsträubende Fehlentscheidungen. Dazu die üblen Plünderungen und Brandschatzungen der Terroristen unter dem Deckmantel der BLM-Bewegung (oder ist das originär die BLM-Bewegung? Man weiß es nicht), das ist eine ungute Mischung. Wenn sich da einige bewaffnete Bürger diesen Plünderungen entgegenstellen, könnte das Pulverfass explodieren. Da schaut man doch lieber vom alten Kontinent aus zu.

Noch ein genauerer Blick auf die Sorgenkinder unter den Wirtschaftsbranchen. Gaststättengewerbe und vor allem natürlich die Hotellerie und die Tourismusbranche sind übel getroffen, wobei sich einige Gastwirte zunächst über Lieferdienst und dann über die Sommermonate durch Außengastronomie noch recht gut retten konnten. Aber wie soll das im Winter werden? Übel, vermute ich. Und dann die Event-Branche: wenn Großveranstaltungen weiterhin nicht stattfinden, ist das existenzbedrohend. Bei den Kinos hat das Sterben ja schon eingesetzt, wobei das ja schon seit vielen Jahren läuft. Der Ufa-Palast in Stuttgart wird ja beispielsweise nicht mehr wiedereröffnen – und das war einstmals mit 4200 Sitzplätzen eines der größten Multiplex-Kinos Deutschlands. Allerdings war der meines Wissens seit Eröffnung auch noch nie in der Gewinnzone. Beim Thema Kino verdient wohl nur Hollywood. Ganz übel sieht es auch bei den Fluggesellschaften aus – ob das den staatlichen Einstieg bei der Lufthansa unbedingt erforderlich machte? Ich habe keine Ahnung. Und auch ein Blick auf die Schausteller sei gestattet: durch die Absage aller größerer Festivitäten sitzen diese natürlich komplett auf dem Trockenen. Hier vermisse ich die Kreativität der Politik: warum nicht einfach abwechselnd auf einem geeigneten Platz in der Fußgängerzone einem Schausteller erlauben, sein Fahrgeschäft aufzustellen? Sowas müsste doch einfach möglich sein. Nach einer Woche darf dann der nächste. Kein Ersatz für den Cannstatter Wasen oder das Oktoberfest, aber besser als nix.

Und dann gibt es da noch den Bereich “Kultur”. Ebenfalls hart getroffen, im Moment zaghafte Versuche der Wiederbelebung unter Einhaltung der Abstandsregeln – ich glaube nicht, dass das lange gehen wird. Auf der anderen Seite ist der Kulturbetrieb sowieso größtenteils staatlich subventioniert, von daher passt dieser Bereich nicht so richtig zum Thema “Wirtschaft”. Aber die “Kulturschaffenden” sind natürlich von einer solchen Krise besonders betroffen, weil sie üblicherweise keine in der Realwirtschaft nützlichen Fähigkeiten mitbringen. Als Erntehelfer hätten sie gut eingesetzt werden können, da wäre uns mancher Infektionsherd erspart geblieben.

A propos Sorgenkinder: bedenklich könnte sich die Lage der Banken entwickeln, da diese natürlich durch die Krise von einem erhöhten Verlustrisiko betroffen sind und zumindest die Schwergewichte in Deutschland ja eher auf tönernen Füßen stehen. Die Hoffnung, dass die Bafin hier rechtzeitig die Gefahr erkennt, ist seit dem Wirecard-Skandal ja eher nahe dem Gefrierpunkt.

Gibt es nun schon eine Antwort auf die Frage “was kostet ein Lockdown”? Eigentlich nicht. Wie viel des BIP-Rückgangs auf den tatsächlichen Lockdown in Deutschland zurückgeht, und wie viel auf die allgemeine weltweite Pandemiesituation, bleibt wohl noch für längere Zeit ungeklärt. Einbußen in einigen Branchen stehen Zugewinne in anderen Branchen gegenüber – die Tatsache, dass diesen Sommer nur begrenzt deutsches Geld in Spanien, Italien, Griechenland oder der Türkei ausgegeben wurde und stattdessen eher zu Hause für Urlaub und Anschaffungen auf den Kopf gehauen wurde, dürfte eher auf der Haben-Seite wirken. Ob die vorübergehende Kaufzurückhaltung zum Beispiel bei Autos nicht später nachgeholt wird, ist auch noch nicht absehbar. Um letztlich vernünftige Antworten zu bekommen, bräuchte man ein “Deutschland B” ohne Lockdown zum Vergleich. Eine ungefähre Abschätzung erlauben die skandinavischen Länder, da diese in punkto Bevölkerungsdichte und Wirtschaftsstruktur einigermaßen vergleichbar sind, und deren Maßnahmen sich ja gravierend voneinander unterschieden haben. Auf der einen Seite Schweden, das ja mit eher sanften Maßnahmen gegen die Pandemie gesteuert hat, aber in ähnlichem Umfang wie Deutschland BIP-Einbußen hinzunehmen hatte. Auf der anderen Seite Norwegen und Finnland, die einen frühen, kurzen, harten Lockdown-Kurs gefahren sind und inzwischen weitgehend gelockert haben und die Sache mit Abstand, Masken und Kontaktnachverfolgung nebst harten Quarantäneregeln für Wiedereinreisende im Griff zu haben scheinen. Sowohl Norwegen als auch Finnland haben deutlich geringere Einbußen beim BIP zu verzeichnen. Die Finnen beispielsweise sind der Meinung, dass insbesondere die niedrige Erkrankungsrate für die geringen Einbußen verantwortlich ist – man musste kein Geld verschwenden, um vermeidbare Infektionen zu bekämpfen und teure Intensivbehandlung vieler Patienten wurden vermieden. Diese Sichtweise hat durchaus was für sich. Aber es gibt hier so viele Einflussfaktoren, dass wohl jeder hier zu seinem Lieblingsergebnis kommen kann.

Wer einen Gesamtüberblick über möglichst viele – wenn auch nicht besonders detaillierte – Statistiken von Destatis zur Corona-Krise sehen will, kann hier in einem schmalen 69-seitigen PDF-Dokument fündig werden (Stand 20. August). Nicht nur Statistiken zur wirtschaftlichen Lage, sondern auch zur Infektionslage und den Todeszahlen, teilweise bis auf die europäische Ebene. Aber auf großer Flughöhe.

Corona-Erkenntnisse: Politik

Auch im weiten Feld der Politik hat die Corona-Pandemie neue Erkenntnisse gebracht, Vermutungen bestätigt, Missstände ans Licht gebracht und althergebrachtes Wissen erneut validiert.

Neu war für mich, dass es ein für die Zukunft dringend zu beachtendes Signal aus Politikermund gibt. Wenn ein Minister sagt “Wir sind auf die Krise gut vorbereitet”, heißt es: sofort in den Supermarkt, und alles, was nicht schnell verderblich ist, vorratstechnisch für die nächsten 3 Monate aufstocken.

Neu war für mich auch, dass der Staat in seinem Kernbereich “Daseinsvorsorge” quasi nackt dastand. Keine strategische Reserve für den Pandemie-Fall von notwendigen Dingen wie Schutzkleidung, keine Strukturen zur schnellen Reaktion auf solche Krisen, und das obwohl vor etwa 10 Jahren die Bundesregierung eine Studie in Auftrag gegeben hat zur Vorbereitung auf den Pandemie-Fall. Deren Ergebnisse dann einfach zu den Akten gelegt wurden.

Wer sich noch an Angela Merkels Worte in 2015 “man kann eine Grenze gar nicht schließen” erinnert und diese schon immer für total dämlich gehalten hat (vor allem, nachdem Ungarn und Österreich damals vorgemacht haben, wie das doch geht), darf sich jetzt endgültig bestätigt fühlen. Denn plötzlich war es doch wieder möglich, die Grenze zu schließen und dort wirksame Kontrollen durchzuführen. Wer hätte das noch zu hoffen gewagt, dass der Staat im Kernbereich “Schutz der Staatsgrenzen” doch nicht ganz unfähig ist.

Bemerkenswert war auch, dass man an einem Tag die Regierung von Polen und natürlich den Lieblingsgegner Donald Trump für die Grenzschließung verdammt hat, um dann einige Tage später es ihnen gleich zu tun. Ebenfalls bemerkenswert, wie lange man den Flugverkehr aus Hochrisikogebieten wie China und später Italien einfach aufrecht erhalten hat, ohne die Neuankömmlinge wenigstens ein paar Tage in Quarantäne zu stecken. Oder womöglich mit einem Fieberscanner zu arbeiten, wie es Taiwan und Südkorea getan haben. Wohl zu viel High-Tech für ein mittelalterliches Land wie Deutschland. Man muss ja noch froh sein, dass man nicht ein paar Schamanen am Flughafen positioniert hat, die eine Diagnose per Geisterbeschwörung gestellt hätten.

Altbekannt sind die merkwürdigen Strukturen diverser Verwaltungseinheiten vom Landkreis bis zur EU. Dort, wo man die Krise gut einschätzen kann, hat man nicht die Mittel, auf sie nennenswert zu reagieren. Da, wo man den großen Überblick hat, neigt man zu gleichmacherischen Regeln und alle-über-einen-Kamm-scheren. Und noch weiter oben, in diesem Falle bei der EU, ergeht man sich nur noch in absoluter Nutzlosigkeit. Die EU hatte weder in Sachen Krisenprävention noch in Sachen Krisenreaktion irgendetwas beitragen können. Jedes Mitgliedsland war auf sich gestellt, Nachbarschaftshilfe (wie z.B. freie Plätze auf deutschen Intensivstationen für französische Staatsbürger) wurden bilateral unter den Mitgliedsländern verhandelt. Nur als das ganz große Rad der Geldverteilung angeworfen wurde, da war die EU natürlich wieder steuernd dabei. Unterm Strich: das Subsidiaritätsprinzip, oft beschworen in Sonntagsreden der Politik, ist gar nirgendwo in Sicht.

Auch die nahezu vollständige Überflüssigkeit supranationaler Institutionen wie UN oder WHO wurde durch die Krise eindrucksvoll bestätigt. Was die WHO abgeliefert hat, war wirklich zum Heulen. Anfangs Verharmlosung der Situation, offenbar stark von China beeinflusst, wertvolle Erkenntnisse aus Taiwan und Südkorea zum Thema “Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch” ignorierend, mit widersprüchlichen Empfehlungen zu Verhaltensweisen – ein einziges Fiasko. Trump hat völlig recht, wenn er dem Laden den Finanzhahn zudreht. Die guten Dinge, die die WHO zum Beispiel mit den Impfkampagnen in ärmeren Ländern tut, kann man auch mit deutlich weniger Verwaltungsoverhead durch direkte Hilfen oder private Hilfsorganisationen erreichen.

Erneut hat sich in der Krise gezeigt, dass unser Bildungssystem hoffnungslos veraltet ist. Quer durch alle Schul- und Bildungsformen war man auf den Fall “kein Präsenzunterricht möglich” nicht im Ansatz vorbereitet. Und das, obwohl die Möglichkeit auf Fernunterricht auszuweichen ja auch im Alltag – wenn man z.B. als Schüler krank zu Hause sitzt – sehr wertvoll wäre. Dass es an einigen Schulen und Universitäten mit dem Einrichten von Fernunterricht nebst Remote-Prüfungen dann trotzdem geklappt hat, ist meist der Initiative einzelner zu verdanken. Und natürlich der heutzutage verfügbaren Infrastruktur bezüglich leicht zugänglicher Konferenzsysteme, nur ausgebremst durch unsere teilweise vorsintflutliche Internet-Infrastruktur. Wer mal am falschen Ende einer zu langsamen DSL-Verbindung versucht hat an einer Videokonferenz mit Screen-Sharing teilzunehmen wird wissen, von was ich rede. Aber was will man erwarten in einem Land, das bezüglich “schnellem Internet” ungefähr auf einer Stufe mit Albanien steht, und in dem “Breitbandausbau” oft beschworen, aber selten durchgesetzt und angemessen unterstützt wird.

Überhaupt Digitalisierung. Besonders unsere diversen Behörden und auch das Gesundheitssystem haben einen absolut beklagenswerten Zustand diesbezüglich offenbart. Gut, keine Überraschung im Land der nutzlosen E-Persos, wo man den E-Post-Brief für eine Innovation hielt, wo man erst neulich die Grundlagen für elektronische Rechnungsstellung schuf und wo die Zulassung eines KfZ zum Behördenabenteuer wird. Oder die Ummeldung des Wohnsitzes. Oder die Genehmigung eines neuen Gartenzauns. Wer mal in Finnland oder in Litauen war, kann sich ungefähr vorstellen, wie viele Jahrzehnte Deutschland hier hinterherhinkt. Und daran erkennt man auch, dass das Grundproblem nicht der oft beklagte “Flickenteppich” wegen unsere föderalen Systems ist – denn zentral auf Bundesebene klappt es ja auch nicht. Von der EU ganz zu schweigen.

Insofern kam es dann auch nicht überraschend, als Details bekannt wurden wie die Gesundheitsämter teilweise die Zahlen zu Neuinfektionen und Verstorbenen meldeten: per Fax. Niederschmetternd. Noch heute fällt häufig das aus meiner Sicht dringend zu nominierende Unwort des Jahres: “Meldeverzug”. Im IT-Zeitalter. Man fasst es nicht.

Kommen wir zum Knackpunkt: wie hat sich die deutsche Politik während der Corona-Krise bis dato angestellt? Da kann ich zu keinem positiven Urteil kommen. Die ersten Maßnahmen kamen viel zu spät, man hätte schon zum Zeitpunkt des Webasto-Falls die Flüge mindestens aus dem asiatischen Risikoraum komplett einstellen müssen, die Grenzkontrollen hochfahren und z.B. wie Taiwan und Südkorea Fieberscanner an den Flughäfen aufstellen müssen. Das Verbot für Großveranstaltungen kam auch reichlich spät, man erinnere sich an volle Fußballstadien bis kurz vor dem Lockdown. Die Schutzmaßnahmen für Pflegeeinrichtungen waren ebenfalls viel zu spät dran. Auch die Testkapazitäten wurden viel zu zögerlich ausgebaut, so dass man lange Zeit die Infektionsketten nur schlecht unterbrechen konnte, weil nur stark symptomatische Personen überhaupt getestet wurden. Dazu das Rumgeeiere bei den Masken, mit einer frühen Maskenpflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln wäre manche Infektion unterblieben.

Mit diesen schlechten Voraussetzungen war meines Erachtens der Lockdown dann nicht mehr ohne erhebliche Risiken zu vermeiden, auch wenn man über dessen Schärfe gerne streiten darf. Gemessen an den europäischen Nachbarn war unser Lockdown ja von der harmloseren Sorte und hauptsächlich von Empfehlungen, die keiner kontrollierte, getragen. Nun hat sich ja im Nachhinein herausgestellt, dass der viel zitierte R-Wert schon vor dem Lockdown unter die “magische” Grenze von 1,0 gesunken war. Daraus aber abzuleiten, dass der Lockdown unnütz war, ist meines Erachtens falsch. Zum einen sank der R-Wert hauptsächlich deshalb, weil viele Firmen schon Anfang März die Mitarbeiter wo möglich ins Home-Office schickten – dadurch wurden viele Ansteckungswege im Keim erstickt. Und schon Mitte März waren die Restaurants, die Läden, die Bars und die Innenstädte weitgehend verwaist. Das hat sehr geholfen. Aber man darf nicht vergessen: die Prävalenz war zum Zeitpunkt des Lockdowns noch sehr hoch, und die Belegungen der Intensivstationen schoss immer noch nach oben. Das Divi-Intensivregister zeigt z.B. am 27.März noch unter 1000 Patienten auf den Intensivstationen der meldenden Krankenhäuser, der Höhepunkt lag aber erst Mitte April vor bei rund 2900, von denen 2100 beatmet werden mussten. Es sollte klar sein, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung für den Lockdown im März nicht absehbar sein konnte, dass die Zahl der Intensivpatienten so deutlich unter der hektisch neu geschaffenen Gesamtkapazität der Krankenhäuser vor allem in Bezug auf Beatmungsplätze bleiben würde. Hinterher ist man eben immer schlauer.

Allerdings muss man auch sagen, dass bei hoher Prävalenz ein R-Wert knapp unter 1 auch nicht wirklich ideal ist – damit die Infektionswelle entsprechend schnell abklingt, wäre irgendwas um 0,7 schon anzustreben.

Letztlich haben wir im europäischen Vergleich vermutlich gerade noch Glück gehabt, den Lockdown früh genug veranlasst zu haben, bevor es richtig bitter wird. Inzwischen sagen die Wirtschaftsexperten ja, dass der geringste Schaden für die Wirtschaft entsteht, wenn ein früher, harter, kurzer Lockdown stattfindet – bzw. der Lockdown aufgrund von frühen, sanfteren Maßnahmen gar nicht erst notwendig wird. Also wie in Taiwan, Südkorea, Norwegen und Finnland, den Corona-Musterländern. Kaum Erkrankte und Tote, kaum Wirtschaftseinbruch.

Corona-Erkenntnisse: Der Virus

Jeder Virus, der Pandemie-Potenzial hat, wird unweigerlich in seinen verschiedensten Parametern mit vergangenen Pandemien verglichen. Die berühmte “Spanische Grippe” von 1918-1920 (Opferzahlen schwanken stark, irgendwo zwischen 20 und 50 Millionen Menschen weltweit), die Hongkong-Grippe Ende der 60er, und in den Nullerjahren die beiden Corona-Viren SARS-CoV und MERS-CoV. Und die meisten werden sich noch an die Schweinegrippe (H1N1, also derselbe Influenza-Stamm wie bei der Spanischen Grippe – 2009/2010) erinnern, einer der vielen Influenza-Untertypen. Dazu die “üblichen” Grippewellen, die je nach Wirksamkeit der vorangehenden Impfkampagne mal mehr oder weniger tödlich ausfällt, die letzte schwere Welle hat Deutschland 2017/2018 abbekommen (hochgerechnet etwa 25000 Opfer, der Virus wurde bei etwa 1800 davon nachgewiesen).

Nicht zu vergessen HIV, angeblich mit etwa 36 Millionen Todesopfern seit 1980 weltweit.

Die Gefährlichkeit eines Virus wird durch verschiedenste Parameter bestimmt. Wie sind die Übertragungswege? Wie infektiös ist ein Träger des Virus, und wie lange? Wie lange ist ein Träger infektiös, bevor sich Symptome einstellen? Gibt es klare Symptome oder unspezifische Allerweltssymptome? Wie viele Infizierte sterben? Gibt es einen wirksamen Impfschutz? Wie hoch ist der Bevölkerungsanteil, der sich als immun erweist bzw. nur leichte Symptome entwickelt? Gibt es eine wirksame Behandlungsmethode? Gibt es wirksame antivirale Medikamente? Gibt es womöglich dauerhafte Spätschäden bei Genesenen? Gibt es infektiöse Träger, die symptomlos sind? Wie lange ist man nach der Genesung vor erneuter Infektion geschützt? Wie einfach kann eine Infektion sicher nachgewiesen werden? Wie einfach wird er von Mensch zu Mensch übertragen? Wie kann man sich wirksam vor Infektion schützen? Gibt es Menschen, die besonders viele andere Menschen infizieren (“Superspreader”), und kann man diese einfach identifizieren? Gibt es einen einfachen Übertragungsweg von Mensch zu Mensch?

Nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft muss man festhalten, dass SARS-CoV-2 zu den unangenehmeren Zeitgenossen seiner Zunft gehört. Die gängigen Übertragungswege sind hauptsächlich die Tröpfcheninfektion und wohl auch Übertragung über Aerosole (die ja letztlich sehr kleine Tröpfchen sind), die Virenlast die für eine Infektion ausreicht soll relativ niedrig sein. Schmierinfektionen (gängiger Übertragungsweg bei Grippeviren) spielen wohl eine eher geringe Rolle. Nach Ansteckung ist man relativ lange ohne erkennbare Symptome, es wird von mehreren Tagen berichtet, in denen man den Virus aber schon weitergeben kann, also selbst infektiös ist. Die Risikogruppe für einen schweren Verlauf sind Menschen mit Vorerkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Diabetes, aber auch Lungenschäden und starkes Übergewicht scheinen Risikofaktoren zu sein. Das Alter spielt eine wesentliche Rolle, da das Alter aber mit Vorerkrankungen korreliert, weiß man nicht genau, inwiefern “Alter” für sich genommen ein Risikofaktor ist. Logischerweise ist auch ein schwaches Immunsystem ein Problem, wie bei jedem Virus. Eine Impfung existiert noch nicht, ob nennenswerte Teile der Bevölkerung bereits immun sind ist ungeklärt, angesichts der Infektionszahlen aber eher unwahrscheinlich, dass das in der Breite der Fall ist.

Die CFR (“case fatality rate” – also die Todesrate unter den symptomatisch Erkrankten) liegt irgendwo zwischen 2% und 5% bei der typischen Altersverteilung in den Industrienationen, wenn die medizinische Versorgung optimal ist. In Deutschland liegt die CFR derzeit bei etwa 4%, Tendenz sinkend (was vermutlich mit den im Schnitt deutlich jüngeren Infizierten zu tun hat, aber genau weiß man das natürlich nicht). Und dann gibt es noch die IFR (“infection fatality rate”), ein Wert, der durch verschiedene Untersuchungen weltweit abgeschätzt wurde auf 0,4% bis 1%. Während bei der CFR normalerweise nur sicher infizierte mit Symptomen und dem typischen Krankheitsbild gezählt werden, wird die IFR über Antikörper-Feldstudien bestimmt und damit auch symptomfreie Virusträger erfasst. Die Heinsberg-Studie von Prof. Streeck war eine solche und kam auf eine IFR von rund 0,4%.

Die Infektiosität, die mit R0 bezeichnet wird (“attack rate” oder “transmissibility”, der deutsche Begriff aus der Infektionsepidemiologie ist “Basisreproduktionszahl”), ist die Zahl, wieviele andere Menschen von einem Infizierten im Durchschnitt angesteckt werden, und zwar für den Fall, dass keine Maßnahmen zur Unterbindung der Weiterverbreitung getroffen werden. Die Abschätzungen schwanken hier enorm, zwischen 1,4 und 4,0. Eine ziemliche Spanne. Aber es gibt hier natürlich auch zig Einflussfaktoren, die je nach Situation stark schwanken – beispielsweise die Bevölkerungsdichte. Und letztlich ist es ja auch im Verlauf einer Pandemie keine Konstante, sondern dynamischen Schwankungen unterworfen.

Vergleicht man nun SARS-CoV-2 mit einem “gewöhnlichen” Influenzavirus, so ergeben sich viele Gründe, warum man SARS-CoV-2 als gefährlicher einstufen muss:

  • infektiöser, vor allem wegen der einfachen Übertragung per Tröpfchen und Aerosolen
  • tödlicher (sehr viel größere CFR und IFR)
  • höhere Wahrscheinlichkeit für Spätschäden, weil das ganze Organsystem betroffen ist und nicht z.B. “nur” die Lunge
  • ungewöhnlich schwere Organschäden, bevor der Infizierte überhaupt Symptome bemerkt
  • Symptome setzen erst spät ein (lange Inkubationszeit) und sind oft unspezifisch
  • viele asymptomatische, aber trotzdem infektiöse Träger des Virus
  • praktisch keine Vorimmunität in der Bevölkerung, keine Impfung verfügbar
  • tendenziell größere Risikogruppe
  • längere Hospitalisierungszeit, vor allem intensivmedizinisch
  • größerer Anteil zu Behandelnder im Krankenhaus
  • größerer Anteil zu Behandelnder auf der Intensivstation

Man könnte sagen, dass SARS-CoV-2 aus Virus-Sicht quasi einen “Sweet Spot” getroffen hat – lange nicht so tödlich wie Ebola, d.h. es bleibt genügend Zeit, um sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten. Vor allem relativ lange unauffällig, so dass schon eine weite Verbreitung (in diesem Falle: weltweit) möglich ist, bevor wirksame Eindämmungsmaßnahmen getroffen werden können. Und für eine Verbreitung von Mensch zu Mensch einen guten Übertragungsweg gefunden. Dazu offenbar nicht so locker vom normalen Immunsystem bekämpfbar, d.h. der infizierte Mensch bleibt auch recht lange infektiös.

Um wieviel gefährlicher ist nun SARS-CoV-2 gegenüber einer schweren Grippewelle wie z.B. 2018/2019, als man mit dem Impfstoff gehörig daneben lag? Tja, das ist schwer zu sagen, extrem viele Faktoren spielen hier zusammen. Wenn man sich mal auf Deutschland beschränkt, müsste man wohl sagen, dass SARS-CoV-2 mit allen durchgeführten Maßnahmen etwa um Faktor 5 tödlicher ist als eine Grippewelle, die ganz ohne Maßnahmen “durchgelaufen” ist (und von deren Gefährlichkeit man eigentlich erst hinterher, als man die Übersterblichkeitsstatistik angeschaut hat, recht überrascht war).

Welchen Faktor man ansetzen muss, wenn das Gesundheitssystem, also insbesondere die Intensivstationen, überlastet sind und/oder Maßnahmen zur Eindämmung zu spät oder nur halbherzig ergriffen werden, das steht in den Sternen. Eine Antwort wie “50” wäre nach meiner Einschätzung nicht zu hoch gegriffen. Die Zahlen aus USA, UK, Spanien, Italien, Schweden, Belgien und Frankreich sprechen da eine eindeutige Sprache.

Wie dem auch sei: jeder, der behauptet, es handele sich bei SARS-CoV-2 um eine “gewöhnliche Grippe”, liegt nach derzeitiger Faktenlage komplett und völlig daneben. Ja, es sind beides Viren. Und man sollte seinen Körper möglichst gut auf eine mögliche Infektion vorbereiten (also das Immunsystem stärken – das fängt bei der Kontrolle des Vitamin-D-Spiegels an und hört bei der gesunden Ernährung nebst ausreichend Bewegung an der frischen Luft noch lange nicht auf), und man sollte sich von Situationen fernhalten, wo größere Infektionswahrscheinlichkeit droht. Selbst bei geringfügigen Situationen sollte man seine Mitmenschen vor Infektion schützen. Und damit enden die Gemeinsamkeiten: SARS-CoV-2 spielt bezüglich der Gefährlichkeit in einer völlig anderen Liga.