Über Architekten, die Polizei und Qualitätsjournalismus

Neulich auf Seite 1 unserer lokalen Tageszeitung. Ein kurzer Bericht über eine Warnung ehemals wichtiger Politiker vor einer Spaltung Europas. Interessantes Detail: Michail Gorbatschow wird dort als “einer der Architekten der Deutschen Einheit” bezeichnet. Hallo? Die UdSSR war pleite und hat sich alle Zugeständnisse zur Einheit unter größtem Widerstand schnöde abkaufen lassen. “Architekt” heißt für mich eine führende, gestaltende Rolle einzunehmen. Welche Verdienste Gorbatschow auch immer hat – zweifellos hat er nach den Betonköpfen Breschnew, Andropov und Tschernenko für frischen Wind gesorgt – ihn als Architekt der Deutschen Einheit zu bezeichnen erfordert ein erhebliches Maß an Realitätsverweigerung. Das einzige, was man ihm zugutehalten kann ist, dass er nicht alles getan hat, um die Einheit zu verhindern.

Ein weiterer Artikel auf Seite 1: die Polizei fordert die Bürger auf, Fälle von Internetkriminalität auch tatsächlich bei der Polizei zur Anzeige zu bringen. Wer einmal dabei war, wie die Polizei z.B. bei einem Wohnungseinbruch quasi schulterzuckend “das passiert halt, da kann man nix machen, die erwischt man nie” zu Protokoll gibt, wird über einen Aufruf, der Polizei mehr Beschäftigung zu verschaffen, entweder resigniert lächeln oder explodieren. Also, liebe Freunde in Grün (oder Blau): bitte auf die Kernaufgaben konzentrieren. Und der Politik klarmachen, was mit dem seit Jahren erodierenden Gewaltmonopol passiert, wenn weiter Mittel gekürzt bzw. ineffizient eingesetzt werden.

Was das alles mit “Qualitätsjournalismus” zu tun hat? Immer öfter werden blind Agenturmeldungen abgedruckt und Pressemitteilungen veröffentlicht, ohne sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn die Meldungen und Mitteilungen neutral wären und sich auf die Fakten beschränken würden. Darin inhärente Tendenzen und Meinungen werden aber ungefiltert an den Leser weitergegeben. Man fragt sich, welchen Mehrwert der Journalismus gedenkt, seinen Konsumenten bereitzustellen. Die allerorten sinkenden Auflagen und Umsätze sprechen eine deutliche Sprache: der Konsument erwartet mehr für sein Geld.