Content Creators, Influencer, Journalisten

In der Berichterstattung über den DNC, den großen Präsidentschaftskandidatenkrönungsparteitag der Demokraten in den USA, wurde ein offenbar wichtiges Detail immer wieder erwähnt: während Content Creators und Influencer, also alles was auf YouTube und TikTok und Instagram (und vielleicht auch noch einer auf Facebook) rumspringt, umhegt und gepampert wurden, blieb für die „klassischen“ Journalisten größtenteils nur die Holzbank.

Da fragt sich der geneigte Beobachter natürlich, was denn jetzt der Unterschied zwischen den „neuen sozialen Medien“ und dem klassischen Journalismus ist. Influencer werden gerne als Fanboys beschrieben, einseitig berichtend, nicht objektiv, keinen journalistischen Standards verpflichtet. Hört sich für mich an wie genau die Art von „Haltungsjournalismus“, wie ich sie die letzten 20 Jahre in Deutschland beobachtet habe. Dass sich ausgerechnet jetzt diese Haltungsjournalisten darüber beschweren, dass andere bevorzugt werden, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

Vielleicht müsste man generell das Wording überarbeiten. Nachdem Journalismus im eigentlichen Sinne kaum mehr existiert, könnte man einfach „Influencer in den sozialen Medien“ und „Influencer bei Zeitungen“ und „Influencer beim Fernsehen“ und „Influencer beim Rundfunk“ sagen. Nicht, dass aus Versehen jemand mit dem Wort „Journalist“ Hoffnungen auf neutrale, objektive Berichterstattung verbindet.

Großartige Ideen, kurz kommentiert

Wie ich der Presse entnehme, hat einer der Bewerber für den Parteivorsitz der SED (inzwischen irreführenderweise unter „Die Linke“ firmierend), Jan van Aken, eine großartige Idee für die künftige einheitliche Parteilinie bezüglich des Krieges in der Ukraine: „Volle Solidarität mit der Ukraine, aber ohne Waffenlieferungen – das ist mein Vorschlag.“ Also quasi noch ein bisserl weniger Unterstützung als Christine „5000 Helme“ Lambrecht.

Ich denke darüber nach, dem Finanzamt mitzuteilen, dass ich zwar schon solidarisch mit Deutschland bin, aber meine Zahlungen nun einstellen werde.

Kamala Harris – eine Neuauflage des Martin-Schulz-Effekts?

Wie hierzublogs vorhergesagt, ist Biden aus dem Rennen. Überraschenderweise hat Harris das Zepter übernommen. Die Kamala Harris, die selbst in den linken Medien in den USA heftigst für diverse Aktionen und Äußerungen während ihrer Vizepräsidentschaft kritisiert wurde. Über die man während ihrer Zeit als Vizepräsidentin kein einziges gutes Wort gehört hat. Und die wirklich katastrophal schlechte Beliebtheitswerte hatte. Spannende Wahl.

Im Moment wird von einem gewaltigen „Momentum Shift“ von Trump hin zum Duo Harris-Walz berichtet. Umfragen zeigen überwiegend in diese Richtung – Harris hat den Rückstand aus Biden-Zeiten mehr als wettgemacht, auch wenn die Umfragen bisher nur in der irrelevanten „popular vote“-Kategorie für Harris ausgehen, denn in diversen entscheidenden „Swing States“ hat weiterhin Trump die Nase vorn. Aber solche Momentaufnahmen sind trügerisch, der Trend scheint mir klar.

Es erinnert mich jedenfalls an die Zeit, als Martin Schulz bei der SPD das Zepter übernahm, um Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2017 herauszufordern. Mehr Hype war selten, Schulz wurde gar auf dem SPD-Parteitag mit 100% der Stimmen zum Vorsitzenden gewählt. Die SPD vermeldete eine wahre Flut an Neueintritten in die Partei. In den Umfragen gab es einen dramatischen Umschwung zugunsten der SPD. Dann wurde Schulz allerdings leichtsinnig und hat begonnen, sich zu Sachthemen zu äußern, und schon bei den ersten Tests, den drei Landtagswahlen vor der Bundestagswahl, scheiterte die SPD grandios. Der Schulz-Zug war entgleist, entpuppte sich als klassisches Strohfeuer – ob nun ausschließlich demoskopischer oder auch tatsächlicher Natur spielt eigentlich keine Rolle. Am Ende fuhr die SPD mit 20,5% der Zweitstimmen bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte ein.

Äquivalent dazu hat sich Kamala Harris bisher zu keinem relevanten politischen Thema geäußert. Wer ihre Reden kennt, weiß: das ist eine sehr gute Idee. Die Harris-Walz-Kampagne versucht so eine Art „Begeisterung ohne Themen“-Wahlkampf zu führen, wie man es von Obama kannte. Die US-Medien reden deshalb teilweise im Moment von der „Honeymoon Phase“ – viel Euphorie, aber nichts dahinter. Gegen eine Äquivalenz Schulz-Harris hingegen spricht, dass der Zeitraum, den Harris überleben muss, deutlich kürzer ist. Drei Monate Honeymoon scheint nicht aussichtslos zu sein. Aber es kommen noch bis zu drei Kandidaten-Fernsehdebatten, und dazu noch eine zwischen den Vize-Präsidentschaftskandidaten. Kaum einzuschätzen, wie das die Stimmungslage ändern wird. Die Geschwindigkeit, in der sich Harris von ihren vorherigen unpopulären Positionen schon entfernt hat, und gleichzeitig trotzdem im Ungefähren blieb, ist atemberaubend.

Übrigens hatte Harris schon einmal eine solche „Honeymoon Phase“: als sie sich zur Vorwahl der Demokraten zum Präsidentschaftskandidaten 2020 stellen wollte. Die Presse war begeistert, das Fundraising vermeldete Rekorde, aber nach schlechten Umfrageergebnissen stieg Harris schon vor der ersten tatsächlichen Vorwahl aus, und es gab den Zweikampf Biden-Sanders.

Spannend finde ich, dass nach meiner Beobachtung die Trump-Kampagne von der Harris-Nominierung kalt erwischt wurde, und immer noch recht planlos erscheint. Kein Plan B, alle glaubten an Biden als Gegner? Schwer zu glauben. Aber vielleicht sind die US-Wahlkämpfer ja auch nur Amateure mit Profi-Ruf. Oder sie haben mehr noch als die Demokraten an das Märchen vom fitten und wahlkampfbereiten Joe Biden geglaubt – schwer vorstellbar, aber was sonst sollte die Erklärung für diese Kopflosigkeit sein? Klar, dass ausgerechnet Harris Biden beerben würde, war vielleicht einfach nicht vorstellbar, wenn man den Harris-Track-Record als Vize und ihre allgemeine Unbeliebtheit kannte. Jedenfalls erscheint im Moment Trump und seine Wahlkampfstrategie sehr Ich-bezogen und eher rückwärtsgewandt, ganz im Gegensatz zur erfolgreichen 2016er Kampagne. Ich halte das für einen dramatischen Fehler.

Und macht nun Trump das Rennen, oder Harris? Das wird jetzt auf den Wahlkampf-Schlussspurt ankommen. Wer weniger Fehler macht, gewinnt. Wobei die unklare Verfassung der US-Wirtschaft auch den Ausschlag geben könnte – rutschen die USA auch nur in die Nähe einer Rezession, vielleicht inklusive wirkungsloser FED-Zinssenkungen mit Anfachen erneuter inflationärer Tendenzen, dann neigt der US-Wähler gerne zum Regierungswechsel. Das Rennen gegen Biden hätte Trump fast sicher gewonnen, aber jetzt scheint die Sache offen. Gegen Harris spricht definitiv, dass sowohl sie selbst als auch ihr Vize im politischen Spektrum der Demokraten eher links einzuordnen sind. Gewöhnlich wählt der US-Wähler nicht so weit links, aber bei Trump könnte er schon mal eine Ausnahme machen – ähnlich wie damals bei Trump gegen Clinton die ABC-Wähler („Anything But Clinton“) den Ausschlag gegeben haben. Als Biden noch im Rennen war, war es ja auch noch extrem knapp, Trump war noch leicht in Führung – und das beim damals schon offensichtlichen schlechten Gesundheitszustand von Biden. Das spricht dafür, dass es eine Menge „niemals-wieder-Trump-Wähler“ gibt, die zudem wohl kaum der Wahlurne fernbleiben werden. Ich bin gespannt. Und glaube derweil, erfüllt von unbegründetem Optimismus, dass – äquivalent zu meiner Überzeugung damals, als Merkel nicht mehr antrat – es nicht mehr schlimmer kommen kann, als es unter Biden war. Famous last words.

Aus meiner Sicht wird die Immigrationsdebatte der wahlentscheidende Punkt sein. Es ist schwer vorstellbar, dass Kamala Harris da in der öffentlichen Wahrnehmung als Siegerin hervorgeht – sie war mit dem Thema „Grenzsicherung zu Mexiko“ beauftragt und hat da ein ganz schlechtes Bild abgegeben. Die Wähler werden sich daran erinnern. Ihr Vizepräsidentenkandidat hat auch ein paar sehr dunkle Flecken bezüglich „Innere Sicherheit“ auf seiner weißen Weste (Stichwort Black-Lives-Matter-Unruhen). Ob Trump aber den Elfmeter verwandelt, daran habe ich Zweifel. Nach meiner Wahrnehmung konzentriert er sich zu sehr auf die Person – sowohl seine eigene als auch seines Gegners – anstatt auf seine einfachen, klaren Botschaften zu diversen Sachthemen, wie er es im Wahlkampf 2016 erfolgreich gemacht hat. Aus meiner Sicht ein klarer Fehler, aber ob der sturköpfige Trump sich da belehren lässt? Ich habe Zweifel.

Keine Zweifel habe ich hingegen, dass die Demoskopen im Moment überhaupt keinen Plan haben. Denn das, was in den letzten paar Wochen alles stattfand – der katastrophale Biden-Auftritt im ersten TV-Duell, das missglückte Trump-Attentat, der Biden-Rückzug mit nachfolgender Harris-Nominierung – sorgt dafür, dass sozusagen die „Baseline“ für die Umfragen überhaupt nicht klar ist. Alles, was da passiert ist, hat überhaupt keine geschichtlichen Vorbilder. Dementsprechend gibt es auch keine Daten zur Absicherung von Auswirkungen auf das Wahlverhalten in irgendeiner Form. Das wird die Demoskopen und vor allem die sie dankbar zitierende Presse jedoch kaum davon abhalten, jeden Tag neue Umfrageergebnisse zu publizieren und zu kommentieren.

Randnotiz: Teile der deutschen Presse betätigen sich auch diesmal wieder als totale Noobs bezüglich US-Politikdetails. Wo immer man lesen kann, dass Kamala Harris als „liberal“ gilt: das ist einfach falsch übersetzt, das deutsche „liberal“ ist in den USA „libertarian“, während das US-„liberal“ sich am ehesten mit „linksliberal“ übersetzen lässt. Bei manchen Standpunkten von Harris wäre wohl auch „linksradikal“ oder „linksextrem“ angebracht.

Das Kursk-Rätsel

Seit einigen Tagen wird von einer Offensive ukrainischer Truppen im Oblast Kursk berichtet. Die ukrainische Armee ist mit einer unbekannten Zahl von Soldaten – die Angaben schwanken stark, zwischen „ein paar hundert“ und „drei volle Brigaden“ habe ich schon alles gelesen – und einigem schweren motorisierten Gerät (aka „Panzer“) über die russische Grenze gestoßen und recht weit nach Russland eingedrungen. Auch da gibt es keine zuverlässigen Angaben, aber ein paar hundert Quadratkilometer Fläche scheinen es zu sein. Was auch immer das bedeutet – denn vorstoßen und Raum kontrollieren sind bekanntlich zweierlei Dinge.

Nun zerbrechen sich die Experten die Köpfe, wie diese überraschende Offensivaktion einzuordnen ist. Die Einschätzungen schwanken zwischen „sinnlose PR-Aktion“, „Wendepunkt des Krieges“, „cleverer Schachzug“, „letztes Aufbäumen“, „Verbesserung der Verhandlungsposition bei den kommenden Waffenstillstandsgesprächen“ und „keine Ahnung was das soll“.

Wie immer amüsant: die russischen Propagandisten, die gerne „deutsche Panzer greifen wieder Russland an“ ins Feld führen, weil sie den Unterschied zwischen „Wehrmacht auf Vernichtungsfeldzug“ und „Panzer aus deutscher Produktion, die an die Ukraine übergeben wurden“ nicht verstehen können oder wollen. Von Detailunterschieden wie „wer ist der Angreifer“ und „Russland ist nicht die Sowjetunion“ ganz zu schweigen. Wenn die Qualität der russischen PR-Maschinerie eine Indikation für den dort vorhandenen Restverstand ist, würde ich von allen Verhandlungen mit Russland dringend abraten – wer sich so weit von der Realität entfernt hat, kann kein konstruktiver und verlässlicher Gesprächspartner sein.

Einige versteigen sich auch zur Hypothese, die Ukraine hätte den Angriff gestartet, um die NATO mit in den Konflikt zu ziehen. Wie genau das vonstattengehen soll, ist mir nicht ganz klar, aber stringente Logik ist diesen Diskutanten ja eher nicht gegeben, insofern ist das wenig überraschend.

Auf der anderen Seite der Propaganda gibt es aber nicht weniger abstruse Äußerungen. Eine These habe ich gelesen, dass die Ukraine seit Beginn des Konflikts quasi Schwäche vorgetäuscht hat, immer aufgrund einer simulierten Notlage ausländisches Equipment eingesammelt hat, um jetzt zum alles entscheidenden Schlag auszuholen. Aha. Warum dann gerade jetzt der Zeitpunkt war, um diesen Schlag auszuführen, und nicht die Offensive im Sommer 2023, oder die kleine Gegenoffensive Ende 2022, oder erst nächstes Jahr – keiner weiß es. Realitätswahrscheinlichkeit sehr knapp über 0%.

Zurück in die Realität. Was also könnten realistisch betrachtet die Gründe der Ukraine sein, diesen ja zweifellos riskanten Vorstoß, diese grundlegende Taktikänderung, durchzuführen?

Die Idee eines Entlastungsangriffs könnte dahinterstecken. Der Vorstoß zwingt Russland dazu, Truppen zu mobilisieren, um die Ukrainer zu bekämpfen. Wenn Russland dazu Truppen von der ukrainischen Front abziehen muss, könnte das für Entlastung sorgen. Wenn Russlands Logistik zum Truppen- und Materialtransport verwundbar ist, könnte das eine gute Möglichkeit sein, den Abnutzungsfaktor zugunsten der Ukraine zu beeinflussen. Truppen in Bewegung sind leichter auszuschalten als Truppen, die sich in Stellungen eingegraben haben. Vielleicht verspricht sich die Ukraine vom Bewegungskrieg Vorteile. Angeblich ist die Ukraine bei der erfolglosen Offensive 2023 auch an sorgfältig vorbereiteten Minenfeldern gescheitert – Minen sind im Bewegungskrieg und auf eigenem Territorium für die Russen logischerweise weniger nützlich.

Der Angriff könnte auch tatsächlich als PR-Aktion für die heimische Bevölkerung gedacht sein. Nach dem Motto: es gibt nicht nur schlechte Nachrichten von der Front, sondern wir haben noch Reserven, und wir tragen den Kampf jetzt ins feindliche Territorium. Nicht ganz abwegig, denn Russland pflegt ja mit massivem Artillerieeinsatz zu kämpfen. Es wird interessant sein zu sehen, ob sie auf heimischem Gebiet auch das Prinzip „alles plattmachen“ pflegen, oder ob sie da anders (wie?) vorgehen werden. Bisher scheinen Präzisionsangriffe russischerseits eher Mangelware zu sein, man tendiert eher zu flächigem Beschuss und wenig präzisen Gleitbombenabwürfen aus größerer Entfernung. Ob man diese Taktik auf heimischem Terrain auch wählt?

Möglich ist auch, dass es sich um ein letztes Hurra der ukrainischen Truppen handelt. Quasi das Äquivalent der Ardennenoffensive der Wehrmacht 1944 an der Westfront. Unerreichbare strategische Ziele, nicht ausreichend Nachschub, kleinere taktische Erfolge, aber letztlich die Niederlage beschleunigend. Nicht auszuschließen, aber wenig wahrscheinlich. Die Russen kommen bisher nur ein paar Meter pro Tag voran an der gesamten Front, die Lage scheint für die Ukraine also angespannt, aber doch verwaltbar. Ein Äquivalent zur „bend-but-don’t-break-Defense“ im American Football. Und die Ukraine hat ja noch Aussicht auf eine ganze Menge an bisher nicht gelieferten Waffensystemen, vor allem der USA – das, was bisher angekommen ist, war ja nicht wirklich der Rede wert. Ein paar Dutzend Kampfpanzer, ein paar Raketenwerfer, Flugabwehrsysteme, Panzerabwehrsysteme. Da läge natürlich noch deutlich mehr drin, und die Hoffnung auf Lieferung stirbt zuletzt. Ich halte die Lage der Ukraine im Moment nicht für übermäßig verzweifelt, so dass eine Harakiri-Aktion für mich als wenig wahrscheinlich erscheint.

Irgendwo habe ich gelesen, dass die Ukraine ein Signal an die westlichen Unterstützer senden will, nach dem Motto „seht her, die Russen sind keineswegs unverwundbar, wir sind weiterhin offensivfähig, gebt uns mehr Material, dann bringen wir die Sache zu einem guten Ende“. Aus meiner Sicht eine riskante Idee, denn den Kampf nach Russland zu verlagern trägt auch das Risiko, dass die schreckhafteren unter den westlichen Unterstützern plötzlich kalte Füße bekommen und eine russische Kurzschlussreaktion für wahrscheinlicher halten. Gerade die klassischen russlandfreundlichen Teile der deutschen Unterstützer wie der linke Flügel der SPD würde ich da einordnen. Wobei natürlich die Frage ist, inwiefern deutsche Unterstützung in diesem Krieg überhaupt einen signifikanten Wert eingebracht hat. Das Material, das man aus Bundeswehrbeständen noch guten Gewissens abgeben könnte, ist doch sehr überschaubar. Die Flugabwehr war sicher der Hauptteil des deutschen Beitrags, dazu die Finanzmittel für Munitionseinkauf, aber ob da auf Sicht noch viel mehr kommt, ist zweifelhaft.

Eine andere Theorie geht davon aus, dass Russland in den letzten Monaten der Offensivbemühungen so gut wie alles Material eingesetzt hat, um an der Front durchzubrechen oder zumindest die ukrainischen Truppen abzunutzen. Da demnächst wieder die „Schlammzeit“ („Rasputiza“) des Herbstes vor der Tür steht, ergibt sich eine Art natürliche ruhigere Phase der Kämpfe, da raumgreifende Operationen mehr oder weniger unmöglich gemacht werden – eine gute Zeit, um den Soldaten Ruhe zu gönnen und die Lager mit frischem Kriegsgerät wieder zu füllen. Durch den Vorstoß in die Kursker Region hat die Ukraine nun dafür gesorgt, dass diese Ruheperiode für den Feind ausfällt und er sich aktiv mit der Rückeroberung des verlorenen heimischen Terrains kümmern muss – unter Einsatz von wertvollem Material, und natürlich auch den erfahrenen Kampftruppen von der Ukraine-Front. Denn der Einsatz von frischen Truppen, womöglich von Wehrpflichtigen, käme den Russen ja eher ungelegen und müssten womöglich der russischen Öffentlichkeit umständlich erklärt werden.

Eine mögliche Intention der Ukraine könnte sein, dass eine flächige dynamische Verteilung eigener Kräfte in feindlichem Gebiet größere Kräfte des Gegners binden könnte als die bisherigen Kämpfe, die entlang einer definierten Frontlinie eher statisch stattfinden. Nach dem Motto: 1000 Mann und ein paar Panzer an der richtigen Stelle bewirken mehr als im bisherigen Stellungskrieg, wo man ständig in der Defensive ist und zuschauen muss, wie Mensch und Material systematisch vor die Hunde gehen. Gerade Kampfpanzer kann man entlang der bisherigen Frontlinie ja hauptsächlich als gepanzerte Artillerie gebrauchen, aber nicht für ihren eigentlichen Einsatzzweck.

Da in der Region Kursk ein paar Kernkraftwerke stehen – auch vom allseits beliebten RBMK-Typ vulgo „Tschernobyl-Typ“ – kam auch die These auf, dass die ukrainischen Streitkräfte diese Kraftwerke erobern will und dann…was? Gegen das von Russen besetzte KKW in Saporischschja eintauschen? Es in die Luft jagen oder anderweitig sabotieren? Halte ich für extrem unwahrscheinlich, die Risiken sind hoch, der mögliche Gewinn niedrig. Bisher war die Ukraine nicht mit im Rennen bezüglich „Schaden für die Zivilgesellschaft des Gegners maximieren“ und hat sich die Munition gespart, um militärische Ziele anzugreifen. Wenn man die Stromversorgung im Oblast Kursk sabotieren will, gibt es sicher billigere und einfachere Möglichkeiten, als ausgerechnet ein Kernkraftwerk zu zerstören.

Vielleicht zielt der Angriff auch darauf ab, die russische Zivilbevölkerung direkt in den Konflikt zu involvieren. Die Berichte aus Russland und auch die Art und Weise, wie der Kreml kommuniziert („Spezialoperation“ statt Krieg, und jetzt „Anti-Terror-Einsatz“ um den ukrainischen Vorstoß zu bekämpfen) und wie bisher die Mobilisierung russischer Truppen ablief, legen nahe, dass der Krieg weit weg ist im Bewusstsein der Zivilbevölkerung. Viele vertreten die Auffassung, dass ein Ende des russischen Krieges gegen die Ukraine nur kommen kann, wenn Putin abtritt – oder abgetreten wird. Oder ein Afghanistan-/Vietnam-Szenario eintritt, die „Heimatfront“ also zunehmend die Sinnhaftigkeit des Unterfangens in Frage stellt. Kann ich mir in Russland auf kurze Sicht (ein paar Jahre) nicht vorstellen, Putin scheint erst mal alles im Griff zu haben, und aus Ermangelung unabhängiger Medien und staatlich kontrollierter Propaganda erscheint es mir unwahrscheinlich, dass breite Teile der Bevölkerung gegen den Kreml wirksam opponieren. Sowas dauert typischerweise Jahre und muss lange köcheln.

Überraschend fand ich die Berichte, dass die ukrainischen Truppen eine ganze Menge Kriegsgefangene gemacht haben. Das könnte als Faustpfand für einen Gefangenenaustausch, durchaus in der Zukunft nützlich werden. Aber ob das als Grund ausreicht für eine solche verwegene Operation? Vermutlich ist das eher als Beifang zu werten, sozusagen ein nützlicher Nebeneffekt.

Als eher unwahrscheinlich stufe ich die Theorie ein, dass die Ukraine jetzt daran arbeitet, ein Verhandlungsfaustpfand zu generieren, um in kommenden Friedensverhandlungen russisches Gelände gegen ukrainisches Gelände zu tauschen. Denn um Gelände nicht nur zu erobern, sondern auch zu behaupten, braucht es eine Menge mehr Personal als die Ukraine im Moment (vermutlich) einsetzt.

Denkbar wäre aber, dass die Ukraine durch den Vorstoß hofft, Infrastruktur im russischen Hinterland einfacher angreifen zu können – Flugplätze, Waffendepots, Treibstofflager, Logistik. Denkbar, aber räumliche Vorstöße in der Größenordnung von vielleicht 30km scheinen mir dafür etwas zu sparsam zu sein. Auch auf russische Nachschublinien dürfte der Vorstoß wenig Auswirkung haben, dazu ist die kontrollierte Fläche schlicht zu klein. Es gab Berichte, dass mehr oder weniger entscheidende Teile des russischen Eisenbahnnetzes ein Ziel sein könnte, aber auch hier: Vorstoß in zu kleinem Maßstab, das wird wenig ändern. Wertvoll könnte hier höchstens sein, dass die Russen Zeit brauchen, um sich auf die Änderungen einzustellen.

Für mich überraschend ist, dass die Ukraine überhaupt Offensivfähigkeit demonstriert. Die Berichte über die stark angespannte Lage und dem quasi-nichtvorhandensein von Reserven auf ukrainischer Seite könnten übertrieben gewesen sein, sonst hätte man in der ersten Woche des Kursk-Vorstoßes eigentlich irgendwo einen relevanten Fortschritt der russischen Angriffsbemühungen entlang der Frontlinie sehen müssen – eben dort, wo die Front ausgedünnt wurde, um die Invasionskräfte zusammenzustellen. Davon ist aber nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, nicht mal die russische Propaganda hat bisher diese Hypothese aufgestellt. Von daher: sehr unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich.

Ebenfalls überraschend: seit Beginn des russischen Angriffs wird uns erzählt, dass das Schlachtfeld quasi transparent sei und vollständig aufgeklärt. Satelliten, Drohnen, you name it. Wie konnte die Ukraine hier derart überraschend Truppen zusammenziehen und losschlagen?

Eventuell hat die Ukraine nun auch Schlüsse gezogen aus der haushohen Artillerieüberlegenheit der Russen und war es leid, sich im Quasi-Stellungskrieg Stück für Stück auseinandernehmen zu lassen. Erfolgreiche ukrainische Operationen während des Krieges fanden bisher stets überraschend statt, aus der Bewegung, bei schnellen Vorstößen. Möglicherweise will nun die Ukraine die Kommandostrukturdefizite des Gegners – die russische Armee gilt ja als eher „kopflastig“ und wenig flexibel bei schnellen Änderungen der Lage – zu ihrem Vorteil nutzen und glaubt, bei sich dynamisch ändernden Situationen im Vergleich besser abzuschneiden als beim statischen Verteidigungsmodus mit Materialschlachtcharakter, wo letztlich durch die materielle und personelle russische Überlegenheit das böse Ende vorgezeichnet scheint. Nicht unplausibel.

Wie auch immer die Operationsziele der Ukraine aussehen: bisher scheint es die russische Strategie gewesen zu sein, die eigene Grenze weitgehend unverteidigt zu lassen – ein paar Grenztruppen, ein paar Wehrpflichtige, mehr so eine Alibi-Veranstaltung. Das wird sich Russland vermutlich schon aus innenpolitischen Gründen in Zukunft nicht mehr leisten können. Was heißen könnte, dass entweder Truppen aus anderen Landesteilen abgezogen werden, um die Grenze zur Ukraine auch grenznah verteidigen zu können, oder es müssen Truppenteile aus der Ukraine abgezogen werden. Ersteres erhöht das Risiko für Russland, dass ein paar aufmüpfige Gruppen oder Regionen Morgenluft wittern und die Russen plötzlich an mehr als einer Front kämpfen müssen, würde der Ukraine also helfen. Zweiteres würde der Ukraine ebenso helfen: die russischen Offensivbemühungen entlang der Frontlinie würden dadurch zweifellos geschwächt.

Zum Abschluss noch eine sarkastische Anmerkung: die russische Aufregung bezüglich des jetzt stattfindenden Kampfes auf russischem Territorium ist völlig unbegründet. Denn laut Kreml-Diktion findet ein solcher Kampf ja schon länger statt: seit Russland die Annektion der diversen ukrainischen Oblasten verkündet hat. Also: alles business as usual. Ich verstehe gar nicht, warum Putin den jetzt erfolgten Vorstoß als „Provokation“ versteht, völlig unlogisch. Um noch eine Schippe draufzulegen: Putin freut sich über den Angriff, denn endlich bekommt er seine lang ersehnte größere Pufferzone zur NATO!

Die Jammerlappen von der Börse

Es war mal wieder, wie immer in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen, großes Jammern angesichts eines – auch wie immer unerwarteten – Kurssturzes an den Börsen weltweit zu vernehmen.

Ursache des Kurssturzes – im Nachhinein betrachtet wohl eher eine minimale Korrektur denn eine Neuauflage des schwarzen Freitages (und Nachfolger, die auf unterschiedliche Wochentage fielen) – war eine Gemengelage aus einer Zinskorrektur der japanischen Zentralbank – wir erinnern uns: das sind die Wahnsinnigen, die als erstes dauerhaft Negativzinsen einführten und sehr lange an diesem ökonomischen Widersinn festhielten – hin zu ganz leicht positivem Leitzins im Angesicht steigender Inflationszahlen, einer nicht punktgenau wie prognostizierten sondern leicht schlechter sich entwickelnden Lage auf dem US-Arbeitsmarkt (etwas weniger neue Jobs, etwas höhere – aber immer noch extrem niedrige – Arbeitslosenquote), sowie ein paar enttäuschenden Ergebnisse bei den großen erfolgsverwöhnten Playern von Meta über Alphabet bis Apple. Unter anderem kehrt inzwischen nach dem Ultrahype etwas Ernüchterung beim Thema „KI“ ein, und das völlig zurecht. „Blockchain reloaded“ würde ich sagen.

Ein unbekannter Teil der Korrektur war wohl der Auflösung an Positionen aus Carry-Trades mithilfe Yen-Verschuldung (zinsfrei) und nachfolgender Anlage in renditeträchtigeren Positionen. Jedem sollte klar sein, dass das eine hochspekulative Angelegenheit ist – trotzdem wurde kräftig gejammert, als man jetzt damit auf die Nase fiel. Weil die Börse gefälligst eine Einbahnstraße zu sein hat.

Die besonders Unverfrorenen unter den Jammerlappen forderten sogleich von der FED eine Notzinssenkung. Weil…ja warum eigentlich? Um Spekulationsgewinne zu generieren? Quasi das Börsianer-Äquivalent zum bedingungslosen Grundeinkommen? Mir fällt keine realwirtschaftliche Begründung für einen solchen Schritt ein. Immerhin tat die FED das einzig richtige: sie würdigte dieses Ansinnen nicht mal mit einer Antwort. Ja, es gibt sie noch, die unabhängigen Notenbanken. Hierzulande vergisst man das ja gerne im Angesicht der EZB und der ihr vorstehenden Totengräber der Euro-Stabilität. Trichet, Draghi, Lagarde – allesamt Weichwährungsfans südeuropäischen Finanzgebarens mit Hang zur exzessiven Ausweitung der Bilanzsumme und direkter politischer Abhängigkeit. Tja, die gute alte Bundesbank zu DM-Zeiten – da war auch nicht alles Gold, aber die Aussage von Kohl und Waigel zur Euro-Einführung, dass die EZB genauso unabhängig konstruiert wurde „nach dem Modell der Bundesbank“, ist in meiner Wahrnehmung eine der größten Politikerlügen aller Zeiten.

Überhaupt ist dieses ganze Zinssenkungsgefordere unerträglich. Die inflationären Tendenzen sind bei weitem nicht ausgestanden, und vor allem den europäischen Volkswirtschaften fehlt es eher an Deregulierung, Steuervereinfachung, preiswerter Energieversorgung und Digitalisierung als an billigem Geld. Unnötig zu sagen, dass UvdL ihr Bestes tut, um den wirtschaftlichen Erfolg der Eurozone zu verhindern. Verbrennerverbot, New Green Deal, Lieferkettengesetz, KI-Gesetz, Gebäuderichtlinie – die katastrophal wirkenden Vorgaben aus Brüssel nehmen kein Ende.

Und heute dann so: großer Jubel, die Börse atmet auf. Denn die US-Inflationsdaten sind viel viel besser als von den Ökonomie-Weissagern erwartet: gegenüber dem Vorjahr ist lediglich eine Preissteigerung von 2,9% statt wie vorhergesagt 3,0% zu verzeichnen. Na dann steht laut „den Märkten“ wohl einer baldigen drastischen Zinssenkung der FED gar nichts mehr im Wege.

Biden wird aus dem Rennen aussteigen

Zeit für eine Vorhersage zur US-Präsidentschaftswahl. Ich sage voraus, dass Biden – innerhalb der nächsten zwei Wochen – aus dem Rennen aussteigen wird.

Der Kontrast zwischen beiden Bewerbern wurde in den letzten Wochen bis in den letzten Winkel der USA überdeutlich transportiert: ein gebrechlicher, am Rande der Demenz wandelnder, müder und augenscheinlich kranker Joe Biden auf der einen Seite, ein vitaler, motivierter Donald Trump auf der der anderen Seite. Dann die Nachrichten von immer mehr einflussreichen Demokraten, zuletzt Barack Obama, die Biden mehr oder weniger unverblümt zum Verzicht aufrufen. Dann das Attentat auf Trump, das erneut unter Beweis gestellt hat, dass Trump topfit und zudem mit allen Medienwassern gewaschen ist.

Biden wird jetzt erkennen, dass er die Wahl nicht gewinnen kann. Und wenn er nicht ein noch viel schlimmerer Egoist ist als ich befürchte, wird er den Weg frei machen für eine Alternative der Demokratischen Partei (wer auch immer das sein wird). Ich gehe davon aus, dass seine Frau Jill Biden, die vermutlich schon aus nicht ganz uneigennützigen Gründen ihrem Ehemann Joe die erneute Kandidatur nahegelegt hat, ihm das jetzt nahebringen wird. Ich glaube nicht, dass die Demokraten „putschen“ werden, aber ich glaube, dass der Druck innerhalb der Partei so groß sein wird, dass Joe Biden „freiwillig“ und großherzig seinen Verzicht erklären wird. Seine jetzige bekanntgewordene COVID-19-Erkrankung bietet eine gute Gelegenheit, aus gesundheitlichen Gründen den Verzicht zu verkünden.

Das alles setzt voraus, dass da letzte Reste von Verantwortungsgefühl für die eigene Partei vorhanden sind. Da bin ich mir nicht sicher, auch anderswo gilt Biden als Sturkopf. Aber vielleicht hat er ja noch den einen lichten Moment.

Biden hat das Momentum klar gegen sich. Trump eilt von einer positiven Nachricht zu nächsten und befindet sich klar im Aufwärtstrend. Von Biden hingegen gab es zuletzt nur schlechte Nachrichten, beispielsweise als er beim NATO-Treffen Präsident Selenskyj mit Putin verwechselt hat. Da sind Leute schon wegen weniger aus dem Amt entfernt worden.

Erdrutsch-Linksruck in Europa

Nachdem die letzten Jahre vor allem von „Europa rückt nach rechts“ in den Mainstreammedien zu lesen, zu hören und zu sehen war, fand ich es an der Zeit, mal die beiden medialen Lieblingsfloskeln „Rutsch“ und „Ruck“ in einer einzigen Überschrift zu vereinigen.

Anlass sind die Wahlen in Großbritannien (ja, immer noch Teil von Europa) und Frankreich. In GB dürfte es sich mehr um eine marginale Verschiebung handeln – zum einen, weil die Tories schon lange nicht mehr rechts-konservativ agieren, sondern eher so beliebig-grün-mittig, und zum anderen, weil Labour dank des neuen Chefs Keir Starmer eher einen Blair-artigen Kurs ankündigt, ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jeremy Corbyn (mehrfacher Wahlverlierer mit Labour, trotz damals schon CDU-artiger Zustände bei den Tories), der eher der sozialistisch-gewerkschaftsnahen sehr-weit-links-stehenden Labour-Fraktion angehörte. Ein Rütschchen sozusagen, ein kleiner Ruck nur, aber vermutlich größer als das, was damals bedauerlicherweise nach Roman Herzogs großartiger Ruck-Rede letztlich doch nur durch Deutschland ging.

Aber Frankreich. Nun weine ich den Truppen um Marine Le Pen keine Träne nach, aber gegenüber dem jetzigen Wahlsieger, einer interessanten Koalition von gemäßigten Linken, extremen Linken und radikalen Linken (Grüne, Sozialisten, Kommunisten), mit Jean-Luc Mélenchon an der Spitze, eine echte Katastrophe. Eine unappetitliche Ansammlung an Hardcore-Freiheitsgegnern, Antisemiten, Nationalisten, Deutschenhassern, Schuldenfans und Marktwirtschaftsfeinden. Nun weine ich auch Macron und seinem selbstherrlichen Politikstil mit seinem Markenzeichen „große Worte, nix dahinter“ keine Träne nach, aber der jetzige Wahlsieger ist unter den drei großen zur Wahl stehenden Vereinigungen wirklich mit Abstand die schlimmste Wahl.

Wäre Frankreich nicht in der EU, und gäbe es nicht die Gewissheit, dass auf lange sicht auf jeden Fall Länder wie Deutschland die französische Rechnung bezahlen werden – Stichwort: Euro-Bonds und Vergemeinschaftung der Schulden – man würde den Franzosen kaltlächelnd „geliefert wie bestellt“ zurufen und geduldig das absehbare Scheitern der linksüblichen Schuldenexplosion und Subventionitis abwarten. Da lobe ich mir die Briten. Rechtzeitig den Brexit durchgezogen, nie beim Euro dabeigewesen – Britannien, Du hast es besser.

Jetzt muss ich mich nur noch entscheiden, ob die nächste Amtszeit von UvdL als EU-Kommissionspräsidentin schlimmer für Deutschland und die EU ist oder der Linksrutsch in Frankreich.

Der Biden-Reality-Check

Es war das erste ernstzunehmende Event im aktuellen US-Präsidentschaftswahlkampf: die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden.

Zur Überraschung von genau gar niemandem, der die gravierenden gesundheitlichen Probleme und den drastischen Absturz der kognitiven Fähigkeiten von Joe Biden bei seinen öffentlichen Auftritten in den letzten zwei bis drei Jahren mitverfolgt hat, entpuppte sich das TV-Duell als eine einzige Katastrophe für die Demokraten und Joe Biden. Sogar Biden wohlgesonnene Berichterstatter sahen sich genötigt, die Katastrophe genau als solche zu bezeichnen. Selbst für die Gewohnheitslügner in den US-Medien war die Sache so drastisch, dass sich keiner mehr getraut hat, das übliche Maß an Realitätsleugnung an den Tag zu legen.

Jetzt rätsle ich nur noch, ob die plötzlich erscheinenden Medienartikel – gerade im strammen Pro-Biden-Lager von CNN über die Washington Post bis zur New York Times – über das Fitnessproblem von Biden und die zaghaften Stimmen aus dem Demokraten-Lager, ob man nicht doch lieber den Kandidaten wechseln sollte, weil wohl niemand „with a straight face“ den Wählern erklären kann, dass Biden die nächsten vier Jahre durchhalten kann, allesamt einem plötzlichen Moment der Erkenntnis („seeing is believing“) entspringen, oder ob man nun endgültig einsieht, dass die Wähler einem Joe Biden in diesem Zustand wohl kaum zutrauen werden, das Amt des Präsidenten kraftvoll auszufüllen.

Ich kann mich gar nicht entscheiden, was die traurigere politische Lage ist: die USA mit ihrer Auswahl zwischen Trump oder Biden, oder Deutschland mit der links-grünen Einheitsfront bestehend aus SPD-Grüne-Linke-BSW-CDU-CSU-FDP und der unsäglichen Ampel-Regierung mit dem unbeliebtesten Bundeskanzler aller Zeiten. Übrigens ein gemeinsames Merkmal von Scholz und Biden.

Es könnte natürlich aber auch sein, dass der Fall „Joe Biden“ mal in die Geschichtsbücher eingeht als der endgültige Beweis, dass der US-Präsident im großen Spiel der Dinge eigentlich keine große Rolle spielt.

Müsste ich wetten, würde ich auf einen Kandidatenwechsel der Demokraten kurz vor der Wahl setzen. Lang genug vorher, um das Gesicht bei den Wählern zu etablieren, aber auch kurz genug vorher, dass nicht mehr allzu viel schmutzige Wäsche auftauchen kann. Bleibt die Frage: haben die Demokraten überhaupt einen solchen geeigneten Kandidaten, und wenn ja, warum hat der nicht Joe Biden schon vor zwei Jahren als Präsident abgelöst? Oder wäre schon vor vier Jahren in den Wahlkampf gezogen?

De-Risking und Decoupling

Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, aber eigentlich schon seit der Lieferketten-Problematik in der Corona-Zeit wird nicht nur von politischer Seite gerne ein „Decoupling“ der heimischen Industrie – sprich: die Umsetzung der guten alten Ideologie der Autarkie – von China, Russland und ähnlichen Verächtern der freiheitlichen Gesellschaftsidee gefordert. Mindestens aber ein „De-Risking“, was im Polit-Sprech wohl irgendwie die Umsetzung von „nicht alle Eier in einen Korb legen“ sein soll.

Dummerweise ist die Politik überfordert, die Gründe des „Couplings“ zu verstehen, und erst recht diese zu bekämpfen. Anstatt die Lohnnebenkosten zu senken, das Steuersystem konkurrenzfähig zu machen, die Digitalisierung im Sinne einer drastischen Reduktion der Bürokratie zu nutzen, das Bildungssystem zu reformieren, die Infrastruktur wieder in Schuss zu bringen, breite bürgergeldbeziehende gesellschaftliche Schichten wieder in die Produktivität zu bringen, die liebgewonnene Subventionitis von allerlei klientelbezogener Unternehmungen einzustampfen, die Energieversorgung wieder auf gesunden Beine zu stellen – die Zahl der unerledigten Aufgaben ist unüberschaubar, das Staatsversagen allgegenwärtig. „Staat“ sehr weit gefasst, denn es geht von der Ebene der Gemeinden bis hoch zur EU. Überall Gängelung, Auspressen der Bevölkerung mit absurd hohen Steuern, Abgaben und Gebühren, Fehlsteuerungen allüberall, egal ob der Staat direkt involviert ist wie beispielsweise bei der Bahn, der Straßeninfrastruktur oder der Energieversorgung, oder indirekt über Großtaten wie das Heizungsgesetz, das Verbrennerverbot, das Lieferkettengesetz, die Beschäftigung von Legionen von Bürokraten zur doppelten Verhinderung produktiver Beschäftigung (zum ersten, weil die Bürokraten selbst nichts produktives tun, zum zweiten weil sie andere daran hindern produktiver zu sein), die (Mit-)Finanzierung von nichtsnutzigen bis schädlichen NGOs aller Art.

Jedenfalls macht die deutsche Industrie schon seit ungefähr einem Jahrzehnt De-Risking und Decoupling. Aber eben auf eine Art und Weise, wie es der Politik wohl kaum gefällt: sie verlagert ihre Produktion ins näher oder ferner liegende Ausland. Deutschland hatte ja schon immer mit hohen Lohn- und Lohnnebenkosten und absurd hohen Steuern – nicht so sehr Unternehmenssteuern, aber Arbeitnehmersteuern, was letztlich zu erhöhten notwendigen Bruttolöhnen führt – zu kämpfen. Und in den letzten 10 Jahren oder noch länger kommen nun auch noch das abstürzende Bildungsniveau, die Einwanderung in die Sozialsysteme, steigende Bürokratiekosten, schleppende Genehmigungsverfahren, EU-Regulierungswut, explodierende Energiekosten, steigende Importkosten für Rohstoffe aller Art dazu. Ein „perfekter Sturm“ für den Dreiviertelsozialismus hierzulande. Das Schöne daran: das Politikversagen ist im Prinzip universell, egal ob Grün, Rot, Schwarz oder Gelb – alle waren an dramatischen Fehlentscheidungen beteiligt, die Unterschiede sind bestenfalls graduell. Nur so ist erklärbar, dass unappetitliche Truppen wie die von der AfD oder vom BSW so viel Zuspruch ernten. Wie ein bekannter deutscher Blogger immer sagt: wir haben keinen Rechtsruck, sondern eine Linksflucht. Wobei das alte Links-Rechts-Schema nicht mehr so recht passt, weil der klassisch-konservativ-liberale Flügel seit dem Linksruck der CDU unter Merkel und der Orientierung der FDP zur linksgrünen Ecke nach dem Ende von Guido Westerwelle komplett verwaist ist. Eine politische Heimat für diejenigen, deren Positionen im CDU-Grundsatzprogramm von 1979 nachzulesen sind, wurde vom parteiübergreifenden Linkswokismus mit freundlicher Unterstützung des linksgrünversifften Journaillen- und Rundfunk-Komplexes komplett verschüttet.

TL;DR: Wir sind am Arsch.

Gedanken zur EU

Die Europawahl war ein geeigneter Anlass, mal wieder über die EU und ihre vielen Fehler nachzudenken. In der öffentlichen und vor allem der veröffentlichten Meinung herrscht ja eine geradezu zwanghafte Schönfärberei des Gebildes „EU“, was mich oft genug völlig ratlos zurücklässt. Keine Talkshow, indem nicht irgendein unkritischer Geist vehement zur Stimmabgabe – meist mit dem Zusatz „für die demokratischen Parteien“ versehen, was offenlässt, ob damit nur Linke und Grüne gemeint sind, oder vielleicht auch die CDU noch OK ist – auffordert, oft mit hanebüchenen Begründungen, was heutzutage so „in Europa“ entschieden wird, in völliger Unkenntnis der EU-Entscheidungswege, die bekanntlich hauptsächlich bei der EU-Kommission zusammenlaufen, die weder gewählt noch irgendwie sinnvoll anders demokratisch legitimiert ist. Das Europaparlament als Schwätzbude abgehalfterter Politiker ohne nennenswerte Befugnisse ist und bleibt jedenfalls eine Lachplatte. Unter anderem auch deswegen, weil meine Stimme als Deutscher Staatsbürger dort lächerlich untergewichtet ist.

Besonders absurd erscheinen mir immer Äußerungen, dass insbesondere Deutschland stark von der EU profitieren würde. Wenn man sich die Vergangenheit anschaut, muss man zur Erkenntnis gelangen, dass Länder in Europa außerhalb der EU und auch des Euroraums deutlich besser gefahren sind – die Schweiz und Norwegen fallen mir da ein, und sogar bei den Briten ist der vorhergesagte Niedergang nach dem Brexit komplett ausgefallen. Die Kosten für Deutschland dank Vergemeinschaftung der Schulden durch die Hintertür durch die EZB (Gruß an Draghi) oder auch der aktiven Verhinderung von Freihandel aller Art durch absurde Gesetzgebung und Torpedierung von Freihandelsabkommen schadet Deutschland immens. Und während früher EU-Richtlinien noch häufiger den Geist der freiheitlichen Marktwirtschaft atmeten und damit die tendenziell sozialistische Ausrichtung hierzulande etwas korrigieren konnte, hat sich das nun inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Bürokratie, Isolationismus und Protektionismus, der ebenso absurd teure wie ineffiziente „Green Deal“, Katastrophenregulierungen wie das Lieferkettengesetz, ultrateure Gängelungen wie die kommende Gebäudeeffizienzrichtlinie, wissenschaftsferne Grenzwertvorschriften z.B. von Luftschadstoffen oder von Pflanzenschutzmitteln, dubiose Hinterzimmerdeals wie „Gas ist ein klimafreundlicher Energieträger“, das ab 2035 ins Haus stehende Verbrennerneuzulassungsverbot – die EU macht es einem sehr einfach, „gegen Brüssel“ zu schimpfen.

Die Kombination aus einer EZB, die ihrem Stabilitätsauftrag – wer erinnert sich nicht an die Versprechungen damals vor der Euro-Einführung, dass die EZB genau nach dem Modell der Bundesbank völlig politikunabhängig operieren würde und allein der Geldwertstabilität verpflichtet wäre, eine faustdicke Lüge, wie sich hinterher herausstellte – nicht gerecht wird (gerade schön zu sehen bei der völlig verfrühten Senkung des Leitzinses, obwohl die Inflationsrate noch weit vom Zielkorridor entfernt ist), aus einer völlig amoklaufenden EU-Kommission, dazu eine unerträgliche Gleichgültigkeit gegenüber Vertragsbrüchen (ich nenne nur mal die Euro-Verschuldungskriterien, die zurecht immer wieder gerügte politische Abhängigkeit der hiesigen Staatsanwaltschaft, des steten Ignorierens beispielsweise des Dubliner Abkommens), und dem kompletten Versagen supranationaler Einrichtungen wie Europol oder Frontex – es ist eine toxische Mischung. Und nicht zuletzt der Ukraine-Krieg zeigt beispielhaft, dass auch außen- und verteidigungspolitisch die EU ein Papiertiger ist dank der vielfältigen Partikularinteressen.

Mein größtes Problem mit der EU ist letztlich aber, dass sie sehr sehr unflexibel ist. Auf Länderebene kann auf Fehlentwicklungen viel schneller korrigierend reagiert werden, sind Regierungen viel schneller abwählbar, ist die Umsetzung des Willens des Volkes viel einfacher. Es gibt so viele unsinnige EU-Vorschriften, die quasi unabänderbar sind, weil in dem Moment, wo eine nationale Regierung willens wäre, sie anzupassen, sich leider gerade auf EU-Ebene da keine Mehrheit findet. Oder bis die Initiative auf EU-Ebene schließlich angekommen ist, die Mehrheit nicht mehr zustande kommt. Was helfen würde wäre entweder ein stringentes Subsidiaritätsprinzip – schon Deutschland mit seinen Zankereien zwischen Bund, Länder und Gemeinden zeigt, dass das ein Luftschloss ist – oder eine Rückführung der EU auf einen freien Binnenmarkt, und wenn es unbedingt sein muss auch einer Einheitswährung, sofern die EZB wieder zu ihrem eigentlichen Auftrag zurückkehrt und nicht ständig versucht, die Schuldensucht diverser Staaten mit expansiver Geldpolitik oder noch schlimmer durch Schrottanleihenkäufe oder noch viel schlimmer durch die Einführung von Eurobonds zu befriedigen.

TL,DR: ich kann die Europa-Besoffenheit einiger Kreise einfach nicht verstehen. Die EU in ihrer jetzigen Form muss weg. Sie ist für Deutschland überwiegend schädlich und teuer. Leider gibt es keine wählbare Partei in Deutschland, die dafür stehen würde.