Viel wurde geschrieben über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Für Deutschland, für Europa, für die Welt. Vieles von dem, was ich dazu gelesen habe, war doch eher eindimensional, oftmals stark fokussiert auf die wirtschaftlichen Auswirkungen diverser Anti-Pandemie-Maßnahmen wie dem berühmt-berüchtigten Lockdown. Damit läuft man Gefahr, zu viele möglicherweise entscheidende, aber schwer zu quantifizierende Faktoren schlicht zu ignorieren.
Zunächst zum Arbeitsmarkt. In den USA waren die Auswirkungen recht dramatisch, mit einem steilen Anstieg im März/April, aber schon danach einer leichten Erholung. Das ist typisch für eine eher marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft, wo “Hire & Fire” eine Tugend und kein Problem darstellt. In Deutschland sieht die Sache naturgemäß anders aus. Durch das üppig genutzte und von der Politik kurzfristig sehr viel großzügiger gestaltete Instrument “Kurzarbeit” entsteht natürlich eine große Trägheit im Arbeitsmarkt. Für Entlassungen gibt es zunächst wenig Anlass, die Arbeitnehmer bleiben in Lohn und Brot, die Finanzierung erfolgt über die Sozialversicherungsbeiträge. Ob das Instrument “Kurzarbeit” langfristig eine gute Idee ist, ist schwer zu sagen. Mitnahmeeffekte gibt es sicher, und auch Unternehmen, die vernünftigerweise pleite gehen müssten, werden dadurch eher am Leben erhalten. Arbeitnehmer werden doch eher zum Verbleib an ihrer Arbeitsstätte ermuntert, obwohl sie anderswo als produktive Arbeitskräfte gewinnbringend eingesetzt werden könnten. Zudem ist fraglich, ob die Finanzierung über die AV-Beiträge wirklich gerecht(fertigt) ist, oder ob nicht eher eine Steuerfinanzierung besser wäre.
Jenseits der theoretischen Betrachtungen zur Sinnhaftigkeit des Instruments der Kurzarbeit (wer eine m.E. interessante Sichtweise auf die Dinge in epischer Breite nachlesen will, dem empfehle ich diesen Artikel zur Lektüre) hat das Statistische Bundesamt im Monat Juli weitgehend stabile Verhältnisse bei der Zahl der Erwerbstätigen festgestellt. Mit 44,5 Millionen liegt man hier etwas unter den Zahlen von Juli 2019 und 2018, aber über der Zahl von Juli 2017. Gegenüber dem Vormonat gibt es eine klare Steigerung, gegenüber dem Vorjahresmonat einen ebenso klaren Rückgang.
Weiter zum BIP. Der Einbruch im zweiten Quartal war ziemlich dramatisch: rund 10% ging es nach unten (je nachdem, ob verglichen mit dem Vorquartal oder zum Vorjahresquartal und diversen Bereinigungen bezüglich Jahreszeit und Inflation). Der Export bracht gar um 20% ein (und die Importe waren um 16% reduziert), ebenso die Investitionen in Anlagen wie Maschinen oder Fahrzeuge. Die privaten Konsumausgaben sanken um etwa 10%. Mal als Vergleichswert bezüglich des BIP: während der Finanzkrise 2009/2010 lag das schlimmste Quartal bei einem Rückgang von rund 5%.
Wie sieht die Lage aktuell aus? Druckfrisch vom Statistischen Bundesamt die Info, dass im Juli gegenüber dem Vorjahresmonat die Einzelhandelsumsätze real um 4,2% gestiegen sind. Das weist auf einen gewissen Nachholeffekt hin nach Ende des Lockdowns und der Zeit der extremen Vorsichtsmaßnahmen. Weiterhin ist der Internethandel der große Gewinner mit +15%. Die Gesamtstatistik Januar bis Juli sieht real gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Umsatzplus von 2,6%. Gewinner auch hier der Internethandel und der Lebensmittelhandel, Verlierer z.B. Textilien, Bekleidung, Schuhe. Interessant die Kategorie “Einzelhandel in Verkaufsräumen”, also einem mutmaßlich durch die Krise und vor allem dem Lockdown besonders betroffenen Bereich: +0,1% real. Im Großhandel gibt es bisher nur die Statistik Januar bis Juni, hier liegt man gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei real +0,5%.
Ebenfalls interessant die Daten zu den Steuereinnahmen. Bei den Einnahmen aus der Umsatzsteuer sieht man beispielsweise einen Anstieg um 50% langfristig von 2008 vor der Finanzmarktkrise auf 2020 nach dem Lockdown. Selbst der Überkrisenmonat April erreichte noch 85% des Aufkommens von 2008. Der Juli liegt wieder auf demselben Niveau wie der Februar und über dem Januar. Und weit über Juli 2019. Man wird sehen, was die temporäre Mehrwertsteuersenkung hier bewirkt. Bei der Einkommensteuer im Juli sieht man ein ähnliches Niveau wie Juli 2019, aber ein deutlicher Rückgang in April, Mai und Juni. Januar bis März war auf Rekordniveau. Aufgrund von Nachzahlungen von zuvor gestundeten Steuern bedeutet das natürlich noch nicht, dass auch wieder Vorkrisenniveau erreicht ist, es wird spannend sein zu sehen wie sich das am Jahresende darstellt und in Summe ausgewirkt hat. Wird es noch eine Pleitewelle geben? Einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit? Anstieg oder Rückgang bei der Kurzarbeit? Setzt sich der “Rebound” fort, der seit Mai/Juni beobachtet werden kann?
Das Statistische Bundesamt pflegt übrigens einen eigenen Corona-Bereich https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/_inhalt.html mit diversen interessanten Statistiken, auch im Vergleich zur Finanzmarktkrise. Da gab es im Hauptkrisenjahr 2009 einen BIP-Rückgang von 5,7%, in 2010 und 2011 dann zwei starke Wachstumsjahre von jeweils 4%. Wird sich das 2021 und 2022 wiederholen? Das wird maßgeblich auf den weiteren Verlauf der Pandemie ankommen. Nach der Finanzmarktkrise erholte sich die Weltwirtschaft quasi synchron – das muss dieses Mal nicht so sein. Aber das ist Glaskugel, wenn es morgen einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gibt, wird sich die Sache ganz anders darstellen wie eine weiter köchelnde Pandemie bis zur Erreichung der Herdenimmunität vielleicht irgendwann in 2023.
Interessant im Vergleich Corona-Pandemie vs. Finanzkrise finde ich das Monitoring von Schlüsselbranchen wie Automobil, Elektro, Maschinenbau und Chemie. Haben wir überhaupt noch nennenswerte chemische Industrie in Deutschland? Ich bin überfragt. Jedenfalls gibt es hier die Fieberkurve. Man sieht in Corona-Zeiten einen steilen Absturz mit ebenso steiler Erholung (allerdings noch nicht bis zum Vorkrisenniveau, insbesondere bei Elektro und Maschinenbau). In der Finanzmarktkrise hingegen war die Talsohle nicht so tief, aber breiter. Aber es liegen bis jetzt nur Daten bis Juni zugrunde, da ist es noch zu früh von einer nachhaltigen Erholung zu sprechen, und bezüglich des weiteren Pandemieverlaufs: siehe oben. Die genannten Branchen sind ja größtenteils eher exportabhängig, da sind wir auf weltweite Erholung angewiesen. Da besteht doch eine massive Unsicherheit.
Kommen wir zu den Konjunkturmaßnahmen der Politik. Als besonders unsinnig will ich die weiter ausgebaute Förderung von Elektrofahrzeugen anprangern. Die Subvention hat inzwischen absurde Höhen erreicht, und trotzdem will der Käufer nicht so recht. Warum wohl? Vielleicht, weil im unteren bis mittleren Preissegment die attraktiven Angebote nach wie vor fehlen und die bezahlbaren E-Autos maximal Zweitwagencharakter haben? Seit der Subventionierung der sogenannten “Erneuerbaren Energien” wurde staatlicherseits kein solcher Unsinn in diesem Ausmaß befeuert. Was ist von der temporären Mehrwertsteuer zu halten? Immerhin eine einigermaßen “soziale” Maßnahme, aber natürlich mit erheblichen Umstellungskosten verbunden. Die Software, die unterm Jahr einfach mal so den Mehrwertsteuersatz ändern konnte, musste erst geschrieben werden. Wenn schon, dann hätte ich eine Reduzierung des niedrigen Satzes auf 0% forciert, das wäre eine reale Entlastung auch der ärmeren Bürger gewesen. Keine neue Idee von mir, ich hatte das anno 2017 hier thematisiert. Da vornehmlich Unternehmen betroffen sind und weniger die Arbeitnehmer und gar nicht die Menschen in den sozialen Sicherungssystemen sowie die Rentner (zumindest finanziell, als Risikogruppe natürlich schon), würde ich intuitiv eher für eine Subvention übers Finanzamt plädieren. Man hätte beispielsweise die Corona-Soforthilfen einfach basierend auf der letzten Steuererklärung direkt vom Finanzamt auszahlen lassen können. Am Ende des Jahres hätte man dann einfach über die Steuer wieder einen Ausgleich für doch nicht so stark betroffene Unternehmen quasi automatisch integriert gehabt.
Im Moment nicht so richtig aussagekräftig ist die Statistik zu den Insolvenzen. Die Insolvenzantragspflicht ist derzeit bis zum 30.9.2020 ausgesetzt (und diese Aussetzung wird voraussichtlich bis zum 31.12.2020 verlängert), das dicke Ende wird also vermutlich noch kommen. Im Moment ist die Zahl der Insolvenzen auf eher niedrigem Niveau. Würde mich wundern, wenn das so bleibt.
Böse auf die Füße fallen wird uns die kürzlich verhandelte EU-Subventionitis anderer Staaten, aka “Euro-Bonds durch die Hintertür”. Hier sollen Länder wie Deutschland, deren Bevölkerung deutlich ärmer ist als in anderen EU-Staaten, die anderen Staaten erneut aus dem Dreck ziehen. Das wird wieder nicht gelingen, denn die Probleme sind hausgemacht und struktureller Natur. Wann, wenn nicht in dieser Krisensituation könnten die Sorgenkinder von Griechenland bis Italien endlich mal ihrer Bevölkerung substanzielle Sparmaßnahmen zumuten? Solange Deutschland zahlt, wird das logischerweise nicht passieren. Man hat ja an Frankreich gesehen, wie schnell die Politik vor dem Druck der Straße kapituliert. Naja, die Briten haben es mit dem Brexit richtig gemacht und das sinkende Schiff EU verlassen. Britannia, Du hast es besser.
Sorge bereiten muss die Situation in den USA. Das Handling der Corona-Pandemie in einigen Bundesstaaten (überwiegend demokratisch regiert, aber das muss keine Kausalität sein) derart anfängermäßig, dass hier möglicherweise ein größerer Konjunktureinbruch bevorsteht. Natürlich wird in unseren Medien vorwiegend Präsident Trump die Schuld in die Schuhe geschoben, aber gerade die üblen Zahlen aus New York sind ausschließlich dort hausgemacht durch geradezu haarsträubende Fehlentscheidungen. Dazu die üblen Plünderungen und Brandschatzungen der Terroristen unter dem Deckmantel der BLM-Bewegung (oder ist das originär die BLM-Bewegung? Man weiß es nicht), das ist eine ungute Mischung. Wenn sich da einige bewaffnete Bürger diesen Plünderungen entgegenstellen, könnte das Pulverfass explodieren. Da schaut man doch lieber vom alten Kontinent aus zu.
Noch ein genauerer Blick auf die Sorgenkinder unter den Wirtschaftsbranchen. Gaststättengewerbe und vor allem natürlich die Hotellerie und die Tourismusbranche sind übel getroffen, wobei sich einige Gastwirte zunächst über Lieferdienst und dann über die Sommermonate durch Außengastronomie noch recht gut retten konnten. Aber wie soll das im Winter werden? Übel, vermute ich. Und dann die Event-Branche: wenn Großveranstaltungen weiterhin nicht stattfinden, ist das existenzbedrohend. Bei den Kinos hat das Sterben ja schon eingesetzt, wobei das ja schon seit vielen Jahren läuft. Der Ufa-Palast in Stuttgart wird ja beispielsweise nicht mehr wiedereröffnen – und das war einstmals mit 4200 Sitzplätzen eines der größten Multiplex-Kinos Deutschlands. Allerdings war der meines Wissens seit Eröffnung auch noch nie in der Gewinnzone. Beim Thema Kino verdient wohl nur Hollywood. Ganz übel sieht es auch bei den Fluggesellschaften aus – ob das den staatlichen Einstieg bei der Lufthansa unbedingt erforderlich machte? Ich habe keine Ahnung. Und auch ein Blick auf die Schausteller sei gestattet: durch die Absage aller größerer Festivitäten sitzen diese natürlich komplett auf dem Trockenen. Hier vermisse ich die Kreativität der Politik: warum nicht einfach abwechselnd auf einem geeigneten Platz in der Fußgängerzone einem Schausteller erlauben, sein Fahrgeschäft aufzustellen? Sowas müsste doch einfach möglich sein. Nach einer Woche darf dann der nächste. Kein Ersatz für den Cannstatter Wasen oder das Oktoberfest, aber besser als nix.
Und dann gibt es da noch den Bereich “Kultur”. Ebenfalls hart getroffen, im Moment zaghafte Versuche der Wiederbelebung unter Einhaltung der Abstandsregeln – ich glaube nicht, dass das lange gehen wird. Auf der anderen Seite ist der Kulturbetrieb sowieso größtenteils staatlich subventioniert, von daher passt dieser Bereich nicht so richtig zum Thema “Wirtschaft”. Aber die “Kulturschaffenden” sind natürlich von einer solchen Krise besonders betroffen, weil sie üblicherweise keine in der Realwirtschaft nützlichen Fähigkeiten mitbringen. Als Erntehelfer hätten sie gut eingesetzt werden können, da wäre uns mancher Infektionsherd erspart geblieben.
A propos Sorgenkinder: bedenklich könnte sich die Lage der Banken entwickeln, da diese natürlich durch die Krise von einem erhöhten Verlustrisiko betroffen sind und zumindest die Schwergewichte in Deutschland ja eher auf tönernen Füßen stehen. Die Hoffnung, dass die Bafin hier rechtzeitig die Gefahr erkennt, ist seit dem Wirecard-Skandal ja eher nahe dem Gefrierpunkt.
Gibt es nun schon eine Antwort auf die Frage “was kostet ein Lockdown”? Eigentlich nicht. Wie viel des BIP-Rückgangs auf den tatsächlichen Lockdown in Deutschland zurückgeht, und wie viel auf die allgemeine weltweite Pandemiesituation, bleibt wohl noch für längere Zeit ungeklärt. Einbußen in einigen Branchen stehen Zugewinne in anderen Branchen gegenüber – die Tatsache, dass diesen Sommer nur begrenzt deutsches Geld in Spanien, Italien, Griechenland oder der Türkei ausgegeben wurde und stattdessen eher zu Hause für Urlaub und Anschaffungen auf den Kopf gehauen wurde, dürfte eher auf der Haben-Seite wirken. Ob die vorübergehende Kaufzurückhaltung zum Beispiel bei Autos nicht später nachgeholt wird, ist auch noch nicht absehbar. Um letztlich vernünftige Antworten zu bekommen, bräuchte man ein “Deutschland B” ohne Lockdown zum Vergleich. Eine ungefähre Abschätzung erlauben die skandinavischen Länder, da diese in punkto Bevölkerungsdichte und Wirtschaftsstruktur einigermaßen vergleichbar sind, und deren Maßnahmen sich ja gravierend voneinander unterschieden haben. Auf der einen Seite Schweden, das ja mit eher sanften Maßnahmen gegen die Pandemie gesteuert hat, aber in ähnlichem Umfang wie Deutschland BIP-Einbußen hinzunehmen hatte. Auf der anderen Seite Norwegen und Finnland, die einen frühen, kurzen, harten Lockdown-Kurs gefahren sind und inzwischen weitgehend gelockert haben und die Sache mit Abstand, Masken und Kontaktnachverfolgung nebst harten Quarantäneregeln für Wiedereinreisende im Griff zu haben scheinen. Sowohl Norwegen als auch Finnland haben deutlich geringere Einbußen beim BIP zu verzeichnen. Die Finnen beispielsweise sind der Meinung, dass insbesondere die niedrige Erkrankungsrate für die geringen Einbußen verantwortlich ist – man musste kein Geld verschwenden, um vermeidbare Infektionen zu bekämpfen und teure Intensivbehandlung vieler Patienten wurden vermieden. Diese Sichtweise hat durchaus was für sich. Aber es gibt hier so viele Einflussfaktoren, dass wohl jeder hier zu seinem Lieblingsergebnis kommen kann.
Wer einen Gesamtüberblick über möglichst viele – wenn auch nicht besonders detaillierte – Statistiken von Destatis zur Corona-Krise sehen will, kann hier in einem schmalen 69-seitigen PDF-Dokument fündig werden (Stand 20. August). Nicht nur Statistiken zur wirtschaftlichen Lage, sondern auch zur Infektionslage und den Todeszahlen, teilweise bis auf die europäische Ebene. Aber auf großer Flughöhe.