Im Aufgalopp zur Europawahl (warum eigentlich nicht “Wahl zum EU-Parlament”? Diese ständige Vermischung der Begrifflichkeiten “EU” und “Europa” ist höchst irritierend) kurz vor Annahmeschluss noch ein paar unsortierte Gedanken.
Medial ist die Begleitmusik wieder höchst eindimensional. Vor allem im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen ist die Berichterstattung frei von kritischen Tönen zum Thema “EU”. Dabei gäbe es wahrlich genügend Anknüpfungspunkte.
Beispielsweise die insgesamt merkwürdige Konstruktion mit EU-Kommission, Europarat und Europaparlament. Ein Parlament ohne Möglichkeit zur Gesetzesinitiative? Ein Parlament ohne das “Königsrecht”, die Abstimmung über Budgetfragen? Wild zusammengewürfelte Fraktionen? Ausschließlich Listenwahl und keine Persönlichkeitswahl? Merkwürdige Stimmgewichtung, die einem Wähler auf Malta ein deutlich höheres Stimmgewicht gibt als einem Wähler in Deutschland? Die EU macht es möglich. Alle typischen Kriterien, die ein Parlament in einer parlamentarischen Demokratie normalerweise so auszeichnet – hier werden sie weit verfehlt.
Dann das merkwürdige Konzept des “Spitzenkandidaten”. Der ist zwar für die Wahl zum Parlament aufgestellt, soll aber dann doch Präsident der EU-Kommission werden, also einer gänzlich anderen Veranstaltung. Das Parlament schlägt aber den Präsidenten gar nicht vor, der wird von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgekungelt und darf dann vom Parlament abgenickt werden. Absurd.
Dann die aus meiner Sicht entscheidende Frage der Subsidiarität. Es gibt starke Kräfte in der EU, die eine immer engere EU favorisieren, immer mehr Regulierung EU-weit durchsetzen wollen, für eine stärkere Integration bis hin zu Militär, Außenpolitik und Steuern. Natürlich ohne entsprechende Anpassung der Rahmenbedingungen.
Die Frage “von der Einstimmigkeit zu mehr Mehrheitsbeschlüssen” hat auch in der Diskussion im Vorfeld der Wahl eigentlich keine Rolle gespielt, obwohl das doch von zentraler Bedeutung sein sollte. Welche Partei steht hier für was? Es wurde nicht berichtet.
Fragen der Migration und der Wirtschaftsflüchtlinge – vermutlich DAS zentrale Thema der letzten drei Jahre – wurden ebenfalls bestenfalls am Rande behandelt. Vermutlich, um “den rechtsradikalen Parteien keine Munition zu liefern”. Ein gutes Beispiel, warum die heutige mediale Berichterstattung so verabscheuungswürdig ist. Die Fortsetzung des Nannystaates und der Volkserziehung wie damals im seligen Sozialismus.
Versöhnlich stimmen könnte mich, wenn die EU den scheinbar sehnlichsten Wunsch vieler Deutscher ernst nehmen würde und eine Höchstgrenze des Pro-Kopf-CO2-Ausstoßes festlegen würde und gleichzeitig – wenn schon Regulierung, dann richtig – vorschreiben würde, dass das durch verstärkten Einsatz der Kernenergie zu geschehen habe. Also ähnlich der jetzigen Festlegung auf Elektroautos als Lösung aller Verkehrsprobleme. Vermutlich die einzige Möglichkeit, das deutsche Wahlvolk von seiner kollektiven EU-Besoffenheit nachhaltig zu kurieren.
Mit welchen Fragen man sich – auch medial – hauptsächlich beschäftigt, wird unter anderem klar, wenn man die 38 Fragen des Wahl-o-mats anschaut. “In allen Mitgliedsstaaten soll eine Lkw-Maut auf Fernstraßen eingeführt werden.” – da fehlt nur noch das Gruselwort “einheitlich” zum perfekten Beispiel für eine Regelung, die ganz bestimmt nicht auf EU-Ebene getroffen werden muss. “In anderen EU-Staaten sollen weiterhin Atomkraftwerke betrieben werden dürfen.” – warum diese Frage auf EU-Ebene überhaupt diskutiert werden sollte, ist völlig unklar. Oder diese: “Für die Besteuerung von Unternehmen soll es einen EU-weiten Mindestsatz geben.” Gruselige Vorstellung, das Ende des Steuerwettbewerbs und ein weiterer Schritt zu einer tieferen Integration – und letztlich auch noch wertlos, weil ein Mindestsatz ja über die tatsächlich fällige Steuer gar nichts aussagt, wie das deutsche Steuerrecht täglich unter Beweis stellt. “Die EU soll sich dafür einsetzen, dass alle Mitgliedsstaaten die gleichgeschlechtliche Ehe einführen.” – warum sollte das EU-weit einheitlich geregelt werden? “Mitgliedsstaaten, die die EU-Regeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung verletzen, sollen konsequent bestraft werden.” – um Gottes Willen, lasst die Budgethoheit bei den nationalen Parlamenten, und spart Euch einfach die europäischen Rettungsaktionen – wer sich die Suppe einbrockt, soll sie auch selbst auslöffeln. Und ja, das bedeutet, dass die EZB ganz dringend von ihrer suizidalen Nullzinspolitik nebst Staatsanleihenaufkäufen dringend abrücken muss. Außerdem riecht der Punkt stark nach der inzwischen auch schon üblichen Vermischung zwischen Themen der Eurozone und EU-Themen. Und es lässt vermuten, dass das langfristige Ziel der EU-Oberen und Propagandisten der immer engeren Integration innerhalb der EU der “Euro für alle EU-Mitglieder” ein nicht allzu fernes sein soll. “In allen EU-Mitgliedsstaaten sollen Plastikverpackungen besteuert werden.” – das entscheidet natürlich über Wohl und Wehe des Planeten. Oder ist doch nur “yet another tax” wie die legendäre Sektsteuer zur Finanzierung der kaiserlichen Marine. “Die EU soll sich für die Einführung eines nationalen Mindestlohns in allen Mitgliedsstaaten einsetzen.” – hier ist schon unklar, was denn “einsetzen” heißen soll – eine EU-Richtlinie, oder doch nur eine unverbindliche Quasselrunde im Europaparlament? Klar ist nur: es sollte die EU einen Scheißdreck angehen.
Am Ende erschreckt mich fast jede der 38 Fragen, weil sie meiner Ansicht nach nicht von der EU entschieden werden sollte. Aber ich scheine da eine Minderheit zu sein. Und was ich in dieser Position wählen soll, ist auch völlig unklar. Eigentlich sollte es doch eine liberale Partei geben, die eine lockere EU als Freihandelszone mit Minimierung nichttarifärer Handelshemmnisse UND SONST NICHTS anstrebt. Gibt es aber nicht. Also zumindest nicht in einem Bereich, der ein Wahlergebnis höher als 0,5% erwarten lässt, die LKR könnte eventuell eine solche sein. Allerdings nur dem Namen nach – schaut man die Antworten auf die Wahl-o-mat-Fragen an, ist es auch schnell aus mit der Idee, hier könnte es sich um eine “liberale” Partei handeln. Wie kann man es wagen, sich liberal zu nennen, und gleichzeitig für eine vorrangige Förderung von Bio-Landwirtschaft eintreten? Die Detailbegründung ist sogar noch erschreckender, als das “stimme zu” zunächst den Anschein hat – der geneigte Leser darf durchaus gerne selbst recherchieren. Es ist übrigens durchaus empfehlenswert, sich die Detailbegründungen der einzelnen Parteien anzuschauen, das hat deutlich mehr Aussagekraft als “ja/nein/neutral” und zeigt oft recht genau, wie die jeweilige Partei tickt.
Nichtwählen oder Protestwählen scheinen die einzigen sinnvollen Alternativen zu sein. Eine Schande.
Apropos Wahl-o-mat: ich habe, bevor der Gerichtsentscheid zum Wahl-o-mat erging, das Dingens genutzt und dachte lange, dass das Problem daran sei, warum man denn nur eine maximale Anzahl von acht Parteien miteinander vergleichen kann. Das war aber offenbar gar nicht das Problem, denn der jetzt wieder freigeschaltete Wahl-o-mat hat immer noch dasselbe kreuzdämliche “Feature”. Aus meiner Sicht aber völlig unverständlich – ich will das Ergebnis doch nicht auf einer DIN-A5-Seite ausdrucken können, sondern habe im Browser die “endlose Seite” – warum nicht alle Parteien auf einmal vergleichen? Warum, wenn man schon auswählen muss, eine Höchstgrenze von 8? Warum nicht 6? oder 12? Absurd.
Übrigens – die Berichterstattung zum Wahl-o-mat-Problem erweckte lange den Anschein, dass dort nur insgesamt 8 bestimmte Parteien miteinander verglichen werden konnten und das eine Benachteiligung kleinerer Parteien darstellen würde. Das war natürlich nie der Fall, und nur ein weiteres Beispiel für die äußerst schlampige Berichterstattung unserer Qualitätsmedien.