ITER und Kernfusion in der Kritik
Neuigkeiten zum ITER, dem großen Fusionsexperiment, werden derzeit in der Presselandschaft verbreitet und diskutiert. Kaum ein Artikel kommt ohne Fundamentalkritik an der Idee eines Fusionsreaktors aus – nicht nur zu teuer, sondern auch irgendwie zu zentral (und damit automatisch schlecht, hat man doch “Dezentralisierung” als neue heilige Kuh entdeckt) und zu groß (denn was könnte schlimmer sein als “Größe”, siehe auch “Großkonzern”). Und natürlich zu allem Übel auch noch radioaktiv, was ja für vernünftige Leute sofortiges Ausschlusskriterium ist. Sogar von einem “wachsenden Berg strahlenden Abfalls” spricht ein Bericht in der SZ.
Wobei – “Bericht” legt ja irgendwie Neutralität nahe. Aber wann hat man in der SZ zuletzt einen Bericht gelesen? Nicht umsonst wird die SZ im Jargon wahlweise “Das Neue Süddeutschland” oder “Prantl-Prawda” genannt. Und das zu Recht.
Da will ich doch gerne ein paar Fakten beisteuern und Merkwürdigkeiten dieses Artikels kommentieren.
Dass ein grüner Bundestagsabgeordneter zitiert wird, der seine Nuklearphobie ausleben darf (“Es handelt sich um Nukleartechnik, von der Deutschland sich doch eigentlich abwenden wolle.”), ohne klarzustellen, dass “Deutschland” sicher keinen Beschluss gefasst hat, aus jeglicher Nukleartechnik auszusteigen – geschenkt. Vielleicht traut die SZ ihren Lesern hier ja zu, ein eigenes Urteil über derart spinnerte Ansichten zu fällen. Man kann zur Kernfusion ja stehen wie man will, aber dass “es ist Nukleartechnik” ein Argument dagegen sein soll, ist nicht wirklich plausibel. Es sei denn, die Grünen wollen auch aus der Nuklearmedizin aussteigen, was ich nicht ausschließen will, weil ich den Grünen grundsätzlich beliebige Dummheit zutraue.
Ein weiteres Artikelhighlight: “Hinzu kommt der rasche Fortschritt erneuerbarer Energien, der die Fusionsträume zunehmend verdrängt.” Ich weiß nicht, ob ich was verpasst habe, aber ich kann den Fortschritt bei den erneuerbaren Energien nicht sehen. Kaum Kostensenkung, weiterhin keine preiswerte skalierbare Speichermöglichkeit in Sicht, und der fortschreitende Ausbau der Biomassenutzung ist derart umweltschädlich, dass es schon sehr verwundert, dass die Grünen das immer noch dufte finden. Die Energiewende, die letztlich zu einem massiven Ausbau des Anbaus von Biomasse geführt hat (neben der zudem wahrscheinlich teuersten volkswirtschaftlichen Fehlentscheidung der Nachkriegszeit, dem vorzeitigen Abschalten der Kernkraftwerke, die größte geplante Umweltzerstörung der Nachkriegszeit), erzeugt dramatische Kosten, röchelt aus dem letzten Loch und die SZ schreibt vom “raschen Fortschritt”. Ein Hauch von DDR liegt in der Luft. Vorwärts immer. Überholen ohne Einzuholen. Wie jedes anständige sozialistische Projekt folgt die Energiewende ja auch einem zentralen, langjährig vorgedachten Plan. Hoppla, Zentralismus scheint ja doch nicht in jeden Falle verwerflich zu sein.
Direkt folgend das nächste Highlight – es geht Schlag auf Schlag bei der SZ: “Erneuerbare Energiequellen führen zu einer dezentralisierten Energieversorgung, bei der Klein- und Kleinsterzeuger Strom in engmaschige, intelligent verknüpfte Netze einspeisen.” Abgesehen davon, dass noch keiner erklären konnte, was so toll an einem engmaschigen und intelligent verknüpften Netz sein soll – schließlich ist es teuer und aufwändig, ein Netz engmaschig und intelligent zu machen. Aber wer ernsthaft einen Windpark (besonders in der Größenordnung “Offshore-Windpark”) für einen Baustein einer dezentralen Energieversorgung hält, sollte sich auf seinen Geisteszustand hin untersuchen lassen. Überhaupt ist es doch merkwürdig, warum keinem auffällt, dass doch bisher unsere Stromversorgung bereits dezentral war – die Kraftwerke sind schließlich über ganz Deutschland verteilt, intelligenterweise sogar erzeugernah, was bei den sogenannten “Erneuerbaren Energiequellen” bereits heute nicht funktioniert – oder hat man schon die Diskussion über die neuen großen Stromtrassen vergessen, die den Windstrom aus dem Norden – wo ihn keiner braucht – in den Süden transportieren sollen, wo er gebraucht wird? Und wir reden hier von einer Problematik, die bereits jetzt immens teuer gelöst werden muss, obwohl die Windkraft erst rund 10% der Jahresstrommenge erzeugt (Stand 2014). Und ob man jemals mit dauernd zufällig einspeisenden Erzeugern ein stabiles Netz bauen kann, steht noch in den Sternen – vom “intelligenten” Netz reden zwar viele, aber gebaut hat es noch keiner.
Und der nächste Satz: “Fusionskraftwerke, das lässt sich schon aus der schieren Größe des Iter-Projekts ableiten, wären riesige, teure und zentralisierte Anlagen. Wie sich das mit einer dezentralen Netzstruktur vereinbaren lässt, ist unklar.” Zunächst: was aus der “schieren Größe des Iter-Projekts” ableitbar ist für ein mögliches zukünftiges kommerzielles Fusionskraftwerk, weiß im Moment noch niemand. Riesig? Vielleicht. Teuer? Eventuell. Zentralisiert? Nach aller Wahrscheinlichkeit nicht zentralisierter als die gute, preiswerte, funktionierende Stromversorgung der 80er und 90er Jahre. Und die war bekanntlich dezentral und verkraftete problemlos Kraftwerke in der Größenordnung von 3 GW.
Am Ende dann noch ein wirklich abstrus formulierter Gedanke im Artikel: “Hinzu kommen Fragen nach Ausfallsicherheit und globaler Gerechtigkeit. Welche Konflikte wird es auslösen, wenn sich am Ende nur wenige Länder monströse Fusionsöfen leisten können?” Sehen wir mal ab vom SZ-typischen Propaganda-Wording wie “monströs”. Was genau soll hier suggeriert werden? Dass man fürchtet, dass zukünftige Fusionsreaktoren auch dann gebaut wird, wenn sie sich kommerziell nicht rechnen? Also womöglich so ähnlich wie heute die regenerativen Energien? Und wenn es sich das ärmste Land der Welt nicht leisten kann, soll es sich gefälligst – natürlich rein aus Gerechtigkeitsgründen – der Rest der Welt auch nicht leisten? Ist der Schluss daraus nicht zwingend, dass wir uns in Deutschland auch keinesfalls Photovoltaik-Anlagen leisten dürfen – der globalen Gerechtigkeit wegen?
Nun denn. SZ halt. Offenbar spielt die Idee des Erkenntnisgewinns durch Forschung keine Rolle mehr. Persönlich finde ich multinationale hochpolitische Großprojekte wie den ITER auch eher zweifelhaft, weil dramatisch ineffizient. Aber wenn man sich anschaut, dass trotz aller immensen Kostensteigerungen (die ja hauptsächlich durch politisches Herumlavieren und mehrerer Jahrzehnte Verzögerung gegenüber der ursprünglichen Planung zustande kommt) man momentan mit 20 Mrd. EUR rechnet: das ist gerade mal der Betrag, den wir uns Jahr für Jahr die Energiewende kosten lassen. Und die hatte bisher ja nicht mal einen messbaren positiven Aspekt. Außer, dass sich die Subventionsbegünstigten eine goldene Nase verdienen konnten natürlich.