Sozialpolitik nach Art der SPD

Kurz vor der Europawahl – sicher nur ein zeitlich rein zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen – hat Hubertus Heil die neueste Idee der SPD für “mehr Gerechtigkeit” vorgestellt: die “Respektrente”. Ein Rentenzuschuss, der an langjährig Rentenversicherte ausgezahlt werden soll. Respekt für deren Lebensleistung, wie es heißt.

Verschiedene verkündete Eckpunkte dieses “Konzepts” lassen mich ratlos zurück. Beispielsweise, dass es keinerlei Bedürftigkeitsprüfung geben soll. Das maximiert Mitnahmeeffekte und verhindert zielgenaue Unterstützung der wirklich Bedürftigen – wie kann das eine gute Idee sein?

Dann das Festmachen an den Beitragsjahren. Mindestens 35 sollen es sein. Warum nicht 39? Oder 27? Warum keine Berücksichtigung der geleisteten Arbeitsstunden, sondern der Beitragsjahre? Ist also 35 Jahre Minimalbeschäftigung laut SPD eine höhere Lebensleistung und verdient höheren Respekt als 34 Jahre Vollzeitbeschäftigung? Selbständige Arbeit hingegen verdient gar keinen Respekt? Und wessen Respekt überhaupt?

Dann die Finanzierungsideen – Griff in die Sozialkassen, also klassisches Linke-Tasche-Rechte-Tasche. Dazu die Verwendung der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, die doch eigentlich die erste EU-Steuer werden sollte – keine Ahnung, wie die SPD diese Steuereinnahmen, die ja noch nicht mal existieren, für ihre Zwecke abgreifen will.

Sehr amüsant auch die Erfolgsmeldung, dass sich Hubertus Heil bereits mit dem Finanzminister abgestimmt hat. Der heißt Scholz und ist auch von der SPD – Wahnsinn, zwei SPDler haben sich abgestimmt und Einigkeit erzielt. Zweifellos ein politischer Durchbruch. Wobei beim derzeitigen Zustand der SPD die Einigung zwischen zwei Genossen vielleicht tatsächlich schon als Erfolg gelten muss.

Es ist schlicht abenteuerlich, was sich die Genossen da auf ihrem Weg in Richtung 5%-Hürde ausgedacht haben. Wie man auch nur entfernt davon ausgehen kann, dass das Stammwähler zufriedenstellt und ehemalige Wähler wieder zur SPD bringt – es ist mir ein Rätsel. Respekt vor dem Steuer- und Beitragszahler ist es jedenfalls nicht, was die SPD-Idee der Ausgestaltung dieser “Respekt-Rente” auszeichnet.

Kleine Nachhilfe für die SPD: Umverteilung in Richtung der “kleinen Leute” war mal eure Kernkompetenz. Bei einem Konzept, das den Namen “Respektrente” auch aus sozialdemokratischer Sicht verdient, würde ich folgendes vorschlagen: Einführung eines “Arbeitsstundenkoeffizienten”, um einigermaßen gerecht die geleistete Arbeit von Geringverdienern messenderweise vergleichen zu können. Zuschuss zur Rentenzahlung proportional zu dieser Metrik, und zwar nachdem die Rente mindestens auf Hartz IV-Niveau angehoben wurde. Zur Finanzierung eine Verschärfung der Einkommensteuerprogression mit einem Spitzensteuersatz von vielleicht 48% ab 200000€ zu versteuerndem Jahreseinkommen. Also rein steuerfinanziert. Weil soziale Gerechtigkeit nicht von den Beitragszahlern kommen darf, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein muss.

Natürlich wäre das nur ein sinnvolles Konzept aus der linken Sicht der Umverteiler, aus einem sehr eingeschränkten Verständnis von “sozialer Gerechtigkeit”. Wirklich sinnvolle sozialpolitische Vorschläge habe ich hier vor einiger Zeit aufgeschrieben. Die Hoffnung, dass noch Reste von gesundem Menschenverstand in der Politik zu finden sind, die solche Vorschläge umzusetzen gewillt wären, schwindet allerdings von Tag zu Tag.

Ganz einfach und nachvollziehbar gerecht – und auf jeden Fall gerechter als das jetzt vorgestellte SPD-Konzept – wäre eine Rückbesinnung auf die Grundsätze der Marktwirtschaft und der Rentenversicherung. Lebensleistung wird in Lohn und Gehalt gemessen, Einzahlung in die Rentenversicherung erwirbt proportional Rentenansprüche. Eine Lebensarbeitszeit von 51 Jahren für einfache (und damit sozialversicherungspflichtige) Tätigkeiten sollte “normal” sein, sofern keine Kindererziehungszeiten anfallen. Auch ein Universitätsabschluss – dem hoffentlich keine einfache, schlecht bezahlte Vollzeittätigkeit folgt – erlaubt noch 45 Beitragsjahre. Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Arbeitssuche können gerne angerechnet werden. Und schon wird sich herausstellen, dass jene, die gerne von “ein Leben lang gearbeitet” reden, einen sehr dehnbaren Begriff von “Arbeit” haben. Weder Steuerzahler noch Beitragszahler sollten für individuelle Fehlentscheidungen in der Lebensplanung Einzelner in Haftung genommen werden. Herstellung von sozialer Grundabsicherung über den Umweg der Rentenversicherung ist abzulehnen.