Es ist schon wieder ein paar Tage her, als die Genossen ihren Bundesparteitag begingen. Ich wollte erst „feierten“ schreiben, aber angesichts des Wahlergebnisses und der derzeitigen Umfragen war den Genossen wohl eher weniger zum Feiern zumute. Umso wichtiger, dass man in einem der Kernthemen des modernen Sozialismus Geschlossenheit demonstrierte: ein AfD-Verbotsverfahren ist für die Genossen alternativlos. Man will nun in einem zweistufigen Verfahren erst mal von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe ausreichend Material sammeln, um vor dem Verfassungsgericht eine Chance zu haben, ein Parteienverbot zu erreichen. Danach soll das Material von unabhängigen Gutachtern geprüft werden, ob damit ein Verbotsverfahren mit ausreichender Sicherheit erfolgreich sein wird. Wer sich noch an das kläglich gescheiterte NPD-Verbotsverfahren erinnert, sollte wissen, dass das auch bei extrem unappetitlichen Parteien keineswegs ein Selbstläufer ist. Die Latte für ein Parteienverbot liegt in Deutschland – oder muss man sagen: lag bisher in Deutschland? – ja doch recht hoch.
So weit, so nachvollziehbar. Es ehrt die SPD, hier endlich einmal Nägel mit Köpfen machen zu wollen und das AfD-Verbot nicht nur in Sonntagsreden unverbindlich zu fordern. Interessant finde ich vielmehr, dass die Genossen damit eigentlich frontal den Verfassungsschutz und seine Arbeit angreifen: denn die Vorgehensweise sagt ja nichts anderes, als dass die Bemühungen des Verfassungsschutzes – für jedermann nachlesbar im geleakten „Gutachten“ – bei weitem nicht als ausreichend angesehen werden, um sich auch nur entfernt Chancen in einem Verbotsverfahren auszurechnen. Bisher haben ja alle Experten zum Thema Verfassungsgericht auch recht eindeutig gesagt, dass das Verfassungsschutz-Gutachten derart dünn bestückt mit Nachweisen ist, dass ein Verbotsverfahren auf dieser Basis auf keinen Fall zum Erfolg führen wird. „Gesichert rechtsextrem“ eben nur bezüglich der Kriterien, die der Verfassungsschutz anlegt, also „Parteimitglied xyz hat was ganz böses gesagt – alles Nazis!“ – so in dieser Preisklasse. Vielleicht habe ich aber nicht alle gesammelten Belege hinreichend gewürdigt, das will ich nicht ausschließen, da bin ich für Hinweise offen. Dass der Verfassungsschutz wie auch die meisten Politiker von SED bis CDU das Thema Meinungsfreiheit eher eng auslegt, jedenfalls enger als die ständige Rechtsprechung des BVerfG nahelegen würde, ist ja nicht neu.
Im Übrigen glaube ich nicht, dass es strategisch für die SPD Sinn ergibt, die AfD tatsächlich verbieten zu lassen (und nicht nur ein Verbot beständig zu diskutieren). Die Stimmen der AfD-Wähler werden größtenteils nicht bei der SPD landen, und die pure Existenz der AfD sorgt automatisch für eine babylonische Gefangenschaft von CDU/CSU – Brandmauer und so. Und man kann als Totschlagsargument immer die AfD hervorholen, wenn es um die Diskreditierung von Positionen rechts der Mitte geht. Nein, strategisch wäre es für die SPD viel klüger, mal bei den dänischen Sozialdemokraten nachzufragen, wie man beim Thema Migration verfahren sollte, um Wähler aus der vormaligen Stammwählerschaft der SPD – Arbeiter, Angestellte, der berühmte „kleine Mann“ – wieder zurückzugewinnen. Das wäre deutlich erfolgversprechender als das Risiko eines Verbotsverfahrens – man überlege sich, was passiert, wenn dieses scheitert. Überspitzt formuliert: die AfD mit dem Unbedenklichkeitsstempel des BVerfG, der Albtraum der Genossen. Schon jetzt ist ja der geistige Spagat für normal denkende Menschen kaum nachvollziehbar: auf der einen Seite wird „gesichert rechtsextrem“ behauptet, auf der anderen Seite traut man sich nicht an ein Verbotsverfahren ran, weil man die Hosen voll hat, was ein Scheitern desselben für Konsequenzen hätte.
Nicht direkt das Thema betreffend, aber noch eine abschließende Beobachtung zur SPD: es wurde von relativ vielen Qualitätsjournalisten berichtet, dass Klingbeil ja „überraschend“ jetzt der starke Mann bei der SPD sei, obwohl er ja maßgeblich das schlechte Wahlergebnis der SPD zu verantworten habe. Kurzer Reality-Check für Genossen und ihnen nahestehende Schreiberlinge: das Hauptproblem des SPD-Wahlkampfs lautete Olaf Scholz. Auch der beste Wahlkampfmanager der Welt, ausgestattet mit unbegrenzten Finanzmitteln, hätte den Wähler nicht dazu bringen können, Olaf Scholz erneut zum Bundeskanzler zu wählen. Es ist ausschließlich die Feigheit führender SPDler, inklusive Boris Pistorius als einzig denkbarem Kanzlerkandidaten, dass Olaf Scholz nochmal antreten durfte oder konnte. Dafür jetzt Klingbeil verantwortlich zu machen, ist wirklich lächerlich. Ganz im Gegenteil muss man beim Ergebnis der Verhandlungen zwischen Union und SPD zwecks Regierungskoalition konstatieren, dass Klingbeil wohl ein absolutes Verhandlungsgenie sein muss, denn im Koalitionsvertrag muss man Unionsinhalte mit der Lupe suchen.
Und wer sich wirklich fragt, warum Saskia Esken gehen musste und Klingbeil nicht, dem empfehle ich einfach mal, eine beliebige Rede oder einen beliebigen Fernsehauftritt von Esken anzuschauen. Diese Frau ist das personifizierte Wählergift. Eines der lebhaftesten Beispiele für die kaum überschätzbare Schädlichkeit von Quotenregelungen aller Art.