Im Angesicht der neu zu bewertenden Pandemie-Parameter beruhend auf gravierenden Änderungen in Hinblick auf “verringerte Krankheitsschwere”, “höhere Infektiosität” und “Durchimpfung” versuchen sich in Europa vor allem UK und Dänemark an einem Versuch, weitestgehend zurück zur Normalität zu gehen und die Eindämmungsbemühungen, die bekanntlich bei Omikron deutlich schärfere Restriktionen oder deutlich verringerte Wirksamkeit derselben nach sich ziehen, stark herunterzufahren. Für UK ist es nach dem September schon der zweite “Freedom Day”, der ausgerufen wird. Wäre der erste ein durchschlagender Erfolg gewesen, hätte es den zweiten nie gegeben.
Dänemark ist in dieser Hinsicht ein spannendes Experiment, denn die Impfquote ist vorbildlich hoch und die Dänen gelten in der Pandemie als eher entspanntes Volk, das gelassen hinnimmt, wenn das Virus und infolgedessen die Politik Beschränkungen auferlegt. Und die Dänen neigen wie der Rest Skandinaviens auch eher zu besonnenen Reaktionen und nicht zu “post-COVID-Exzessen” wie man sie streckenweise in anderen Ländern beobachten konnte. Und man kann deshalb davon ausgehen, dass falls dieses Experiment zu ungünstigen Auswirkungen für die Gesamtbevölkerung führt, dass die Regierung entsprechend handeln wird und die mühsam neu gewonnenen Freiheiten erneut auf den Prüfstand stellen wird.
Ich prognostiziere, dass die Dänen an diesem Experiment alsbald ein paar Korrekturen vornehmen werden. Ich stütze mich hier nicht auf längst nichtssagende Parameter wie Inzidenzen oder stark nachlaufende Parameter wie Todeszahlen, sondern auf die Kennzahl, die seit Tag 1 der Pandemie die größte Sorge bereitet: die drohende Überlastung des Gesundheitssystems mit allen daraus folgenden negativen Auswirkungen. Und da sieht es derzeit nicht so besonders gut aus für Dänemark: die Inzidenz hatte den Peak Ende Januar (und die Dänen sind recht gut aufgestellt bei den Laborkapazitäten und dem Meldewesen, d.h. das Dunkelfeld dürfte überschaubar sein) , die daraus resultierende Welle ist also in den Krankenhäusern noch nicht angekommen. Die Zahl der Intensivpatienten war stetig gesunken seit Anfang Januar, scheint aber nun wieder zu steigen. Der wahre böse Vorbote der kommenden Probleme zeigt sich in der Statistik der Krankenhauseinweisungen bzw. der Zahl der wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelten Patienten: die ist nämlich seit Oktober praktisch stetig gestiegen und hat Ende Januar die bisherige Rekordmarke vom Jahreswechsel 2020/2021 übertroffen. Und zwar deutlich. Die Kurve zeigt steil nach oben. Die Krankenhausbelegungskurve korrelierte in der Vergangenheit gut mit der Todesfallkurve (viel besser als die ICU-Kurve übrigens), ich würde erwarten, dass wir die volle Auswirkung gegen Ende Februar sehen werden.
Ich habe im Detail keine Ahnung, für welche Belastungen das dänische Gesundheitswesen inzwischen gerüstet ist. Aber für den Moment sieht es so aus, wie wenn knapp 20% Ungeimpfte und knapp 40% Ungeboosterte allemal ausreichen, um im Angesicht einer Virenvariante wie Omikron erhebliche Probleme zu verursachen. Das zeigt sich auch an den zunehmend sich verjüngenden Altersstrukturen in den Krankenhäusern. Es bleibt eine Tatsache, dass Jüngere auch ungeimpft viel seltener einen schweren Verlauf haben. Das kann in absoluten Zahlen aber trotzdem ein Problem darstellen. Und wenn die Impfung genau wie die Genesung zwar vor schweren Verläufen schützt, aber nicht vor ein oder zwei Wochen seriöser Krankheit, ist nicht nur das Gesundheitssystem gefährdet, sondern auch kritische Infrastruktur.
Jedenfalls ist es ein spannendes Experiment, dessen Ausgang sicher auch den weiteren Verlauf der Pandemiebekämpfung in Deutschland beeinflussen wird. Was als mutiger Schritt der Dänen gefeiert wurde, kann sich als ziemlicher Rohrkrepierer erweisen. Böse Zungen behaupten ja, dass die Schritte in Dänemark und UK eher eine Kapitulationserklärung waren. Ich stehe interessiert an der Seitenlinie und beobachte die Daten. Und bin froh, dass sich unsere Politik nicht als Vorreiter betätigt, das würde unweigerlich ein ähnliches Desaster wie bei der Energiewende nach sich ziehen.