Propaganda in der Qualitätspresse

Letzten Freitag ging es durch alle Kanäle. Aufgrund von Recherchen des WDR und der SZ wurde vermeldet, dass es im Kernkraftwerk Fessenheim – neben Cattenom schon immer Lieblingsfeind der Anti-AKW-Bewegung hierzulande – zu einem Unfall gekommen sei (auch von “Unglück” ist die Rede), bei dem man quasi dem sicheren Atomtod beiderseits des Rheins nur haarscharf von der Schippe gesprungen sei. Und: die französische Atomaufsicht habe den ganzen Vorfall auch noch vertuscht.

Hier kann man dieses propagandistische Machwerk nachlesen.

Wie so oft, wenn alarmistisch über Kernkraftwerke berichtet wird, bleibt nach einer seriösen Recherche von den diversen Behauptungen sehr wenig übrig.

Andere haben detailliert Stellung genommen, hier die Kurzfassung:

  • die Steuerung eines Druckwasserreaktors über Borierung des Kühlwassers ist absolut üblich, und eine Abschaltung des Reaktors über boriertes Wasser ist eine Standardmaßnahme nach Betriebshandbuch
  • diesen Vorfall als Unfall oder Unglück zu beschreiben, entbehrt jeder Grundlage – der Reaktor war jederzeit unter Kontrolle, nach INES ist sowas maximal als Störfall zu betrachten, auf keinen Fall als Unfall – und etwas, das keinerlei Opfer forderte, als “Unglück” zu bezeichnen, benötigt ein gerüttet Maß an Unverfrorenheit
  • eine Reaktorschnellabschaltung durch Fallenlassen der Notsteuerstäbe war zu jeder Zeit möglich, man entschied sich aber für die elegantere Methode der Kühlwasserborierung
  • warum genau der französischen Aufsichtsbehörde “Vertuschung” vorgeworfen wird, bleibt unklar – hier kann man den Originalbericht nachlesen, der direkt nach dem Vorfall veröffentlicht wurde. Sogar die grün-rote Landesregierung bestätigte gegenüber dem SWR, dass man informiert war

Es ist allerdings festzuhalten, dass der Grund für die Probleme im April 2014 in einem optimal geführten Kernkraftwerk niemals vorkommen darf – Wasser in Schaltschränken ist nicht akzeptabel. Allerdings haben Kernkraftwerke – sogar ältere wie Fessenheim – so viel Redundanz und Sicherheitsreserve, dass solche Probleme nur mäßige Bedeutung für die Sicherheit des Kraftwerks haben. Und gar keine Bedeutung für die Bevölkerung rund ums Kraftwerk.

War es nun Lügenpresse oder Inkompetenzpresse? Man weiß es nicht. Ich bin eigentlich großer Anhänger von Hanlon’s Razor. Aber die publizistische Vergangenheit des WDR-Juwels Jürgen Döschner könnte einen auf den Gedanken bringen, dass möglicherweise mit unserer “Demokratieabgabe” (Copyright Jörg Schönenborn – andernorts als GEZ-Abzocke, seltener auch als Rundfunkbeitrag bezeichnet) Journalismus finanziert wird, der seiner eigenen Agenda folgt. Und letztlich wirklich unabhängiger Journalismus ist: nämlich unabhängig von den Fakten.

Hier irrt Prof. Sinn

In der Zeitschrift “Schweizer Monat” ist jüngst ein Interview mit Prof. Sinn erschienen.

Ich persönlich schätze die Einlassungen von Prof. Sinn sehr. Geerdet, in sich schlüssig, fest auf dem Boden der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Ökonomie, trotzdem wohltuend pragmatisch bei seinen politischen Vorschlägen. Ein Wissenschaftler weit ab vom Elfenbeinturm.

Zur sogenannten Energiewende hat Prof. Sinn in der Vergangenheit schon das Notwendige gesagt, z.B. in seinem schön zusammenfassenden Vortrag “Energiewende ins Nichts”.

Auch im vorliegenden Interview spricht Prof. Sinn entscheidende Schwächen der Energiewende an. Beispielsweise den Widerspruch, die Energiewende als Klimaschutzprogramm zu verkaufen, obwohl man gleichzeitig aus der einzig sinnvollen CO2-freien (ja, ich weiß, nix ist wirklich CO2-frei, insbesondere nicht die sogenannten Erneuerbaren Energien und auch nicht die Kernenergie, aber bei der Kernenergie ist der Ausstoß über alles so gering, dass die Bezeichnung CO2-frei durchaus treffend ist) Stromerzeugungstechnologie aussteigt.

Ich denke aber, dass Prof. Sinn bei einigen seiner Prognosen völlig falsch liegt. Eine davon, als Antwort auf die Frage nach der Stromerzeugung in 20 Jahren: “Wir werden wieder Atomkraftwerke haben, solche eines neueren Typs, der den veränderten Sicherheitsvorstellungen genügt. Ich sehe nicht, wo der Strom sonst herkommen sollte.”

Es zieht sich durch das Interview – Prof. Sinn geht davon aus, dass es in Deutschland noch ökonomischen Restverstand in Politik und Bevölkerung gibt. Dass, wenn die Stromversorgung nur entsprechend teuer wird, man sich besinnen wird auf sinnvolle und gangbare Wege zurück auf den Weg der ökonomischen und auch ökologischen Vernunft (warum weder Windkraft noch Photovoltaik und schon gar nicht Biomasse ökologisch sinnvoll sind wäre wohl genug Stoff für eine ganze Artikelserie).

Ich denke, dass dieser Optimismus nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahren überhaupt keine Grundlage hat. Sowohl Politik als auch Gesellschaft sind zu großen Teilen bereit und willig, ökonomisch unsinnige Dinge trotzdem zu tun und dafür praktisch beliebig viel Geld auszugeben. EEG, Euro-Krise, Rente mit 63, Griechenland-Rettung, Mindestlohn, Flüchtlingspolitik.

Dazu kommt die Tatsache, dass wir offenbar breite lernresistente Bevölkerungsschichten haben sowie die übergroße Mehrzahl der Medien, die weitgehend unabhängig von den Fakten operieren und “berichten”. Woher soll der Funke der Vernunft kommen? Der letzte Moment der Hoffnung war bei mir das Wahlergebnis 2009. Die Union zurechtgestutzt aufgrund der katastrophalen Großen Koalition, eine wiedererstarkte FDP aufgrund eines glasklaren liberalen wirtschaftspolitischen Programms. Es folgte wie bekannt das Totalversagen der FDP in allen relevanten wirtschaftspolitischen Fragen unter einem beispiellosen medialen Dauerfeuer. Sogar beim Ausstieg aus der Kernenergie nach Fukushima hörte man keine Stimme der Vernunft von der FDP.

Besondere Beachtung muss auch die traditionell seit den frühen 80er Jahren vorhandene totale Ablehnung der Kernenergie in weiten Teilen der Bevölkerung und der Medien neben dem praktisch vollständigen Fehlen entsprechender Öffentlichkeitsarbeit der Kernenergiebeführworter finden.

Aus diesen Gründen halte ich es für völlig ausgeschlossen, dass in Deutschland innerhalb der nächsten 50 Jahren neue Kernkraftwerke gebaut werden. Und das ist völlig unabhängig davon, was das für Kraftwerkstechnologie ist – inhärent sicher, in der Lage den alten hochaktiven Abfall zu neutralisieren, superpreiswert, hoch verfügbar, schnell regelbar. Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zur Kernenergie ist komplett irrational, warum sollten rationale Argumente etwas daran ändern?

Die Antwort auf Prof. Sinns Frage, woher denn sonst der Strom kommen solle, ist relativ einfach. Kohle, Gas, Biomasse, Wind, Sonne. Bevor in Deutschland ein neues Kernkraftwerk gebaut wird, werden wir das Land komplett zugepflastert haben mit Windrädern, die in Zeiten der Überproduktion “Windgas” oder Wasserstoff erzeugen, um die Flauten auszugleichen. Wir werden uns auf Gedeih und Verderb an das russische Erdgas binden, weil wir zu feige für Fracking im eigenen Land sind. Wir werden ggf. Strom importieren. Wir werden im Zweifel auf den Klimaschutz pfeifen und weiter Kohle verstromen. Alles ist in Deutschland einfacher zu verkaufen als Kernenergie.

Prof. Sinn sagt: “Ich bezeichne die Energiewende als einen Irrweg, da wir noch nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, den grünen Strom zu glätten.” Da liegt er komplett falsch. Denn natürlich haben wir die technischen Möglichkeiten – sie sind nur sehr teuer, deshalb hält sie Prof. Sinn als Ökonom für nicht relevant. Er liegt komplett falsch. Geld spielt keine Rolle. Politik und Bevölkerung werden nicht zögern, unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter zu reduzieren. Das hat man doch in der Vergangenheit gesehen. Und vermutlich wird es sich gar nicht so dramatisch auf den Wohlstand in Deutschland auswirken, kleinere Einbußen – auch das lehrt die Vergangenheit – scheinen aber niemand zu interessieren, man fährt dann halt das traditionell-sozialistische Argumentationsmuster “die Reichen sind schuld”. Und im Angesicht der Auswirkungen des Flüchtlingsstroms werden ein paar 100 Mrd. EUR für die Energiewende sowieso nicht ins Gewicht fallen.

Im Einführungsartikel meines Nachbarblogs habe ich geschrieben, dass der Blog auch so eine Art Archiv sein soll, um das oft wiederkehrende Gefühl “ich hab’s ja gleich gesagt” auch faktisch zu untermauern. Ich bin eigentlich ein optimistischer Mensch, aber bezüglich der Qualität von Politik und Medien insbesondere im Bereich Energieversorgung bin ich über die Jahre sehr pessimistisch geworden. Wir werden sehen, ob Prof. Sinn richtig liegen wird oder ich. Wir lesen uns in 20 Jahren wieder.

Lieblingsblogs vorgestellt: Rentnerblog

Heute will ich einen Blog vorstellen, über den ich vor einigen Jahren eher zufällig gestolpert bin. Dr. Willy Marth schreibt in seinem “Rentnerblog” über Themen wie unsere Stromversorgung, die Energiewende, die Kernenergie und auch mal über das KIT, wo er ein paar Jahre forschte, als es noch Kernforschungszentrum Karlsruhe hieß.

Die Beiträge sind allesamt kenntnisreich und wohlformuliert, ein echter Lesegenuss. Besonders die Artikel über die Kerntechnik sind exzellent und profitieren vom enormen Hintergrundwissen des Autors.

Ab und an gibt es auch mal einen Beitrag über kulturelle oder geschichtliche Themen, was die Sache schön auflockert. Und dem Bloguntertitel “Blogge über Gott und die Welt” absolut gerecht wird.

Der Blogautor ist gleichzeitig auch Buchautor. Bisher zwei Bücher gehen auf sein Konto: “Meine Erlebnisse an deutschen Kernreaktoren und Wiederaufarbeitungsanlagen: Lustige und weniger lustige Geschichten eines Insiders”, welches ich mit großer Begeisterung gelesen habe und sein neuestes Werk “Energiewende und Atomausstieg”, das auf meinem Nachttisch auf dem noch-zu-lesen-Stapel liegt. Kurze Leseproben gibt es auf dem Blog.

Die einzige Schwäche des Blogs ist die geringe Postingfrequenz. Aber Qualität ist allemal wichtiger als Quantität.

Bisher in der Reihe “Lieblingsblogs vorgestellt” veröffentlicht:

Edit: nukeKlaus.de ist jetzt nukeKlaus.net.

Lieblingsblogs vorgestellt: ScienceSkepticalBlog

Endlich der lang erwartete (von wem?) zweite Teil der Reihe “Meine Lieblingsblogs”.

Heute geht es um den ScienceSkepticalBlog. Mehrere Stammautoren wie Peter Heller, Günter Heß, Rudolf Kipp und Quentin Quencher bemühen sich hier, faktenbasiert ihre Skepsis bezüglich der Energiewende, der Klimakatastrophe und Irrwegen der Umweltpolitik auszudrücken. Die Artikel sind gut recherchiert, mit Quellenangaben versehen und wohlformuliert. Und zufällig spiegeln die meisten Artikel auch sehr gut meinen Standpunkt zu diesen Dingen wider. Wobei das natürlich alles andere als Zufall ist: wie könnte man auf Basis derselben Fakten zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

Besonders lobenswert ist meines Erachtens der Standpunkt beim Thema Klimakatastrophe. Hier gibt es in den Reihen der Skeptiker ja eine ganze Anzahl von merkwürdigen Gestalten, die selbst spektroskopische Tatsachen wie die Isolationswirkung von CO2 in der Atmosphäre anzweifeln. Beim ScienceSkepticalBlog hingegen steht man mit beiden Beinen auf dem Boden der Physik. Man bezweifelt nur die Katastrophenwarnungen, die auf Basis fragwürdiger Modelle den Teufel an die Wand malen und mit Horrorprojektionen den baldigen Untergang der Menschheit prognostizieren.

Zum Einstieg am besten die Einführungsseite goutieren und ein paar der dort genannten Artikel lesen. Was ich noch nicht ganz verstanden habe ist die Trennung in “Artikel” und “Blog”. Ich empfehle, einfach alles zu lesen 🙂

Bisher in der Reihe “Lieblingsblogs vorgestellt” veröffentlicht:

Edit: nukeKlaus.de ist jetzt nukeKlaus.net.

Only Atomstrom in my Wohnhome

Endlich ist es soweit: die MAXENERGY GmbH bietet seit neuestem den Stromtarif MAXATOMSTROM an. Logisch denkenden Menschen war schon immer klar, dass nur die Kernenergie preiswert, umweltfreundlich, naturschützend und klimaschonend Strom in ausreichenden Mengen für eine Industrienation bereitstellen kann. Jetzt haben diese Menschen (also mindestens ich) endlich die Chance, mit dem Geldbeutel abzustimmen.

Was nach 2022, dem derzeitigen Datum des endgültig endgültigen deutschen Kernenergieausstieg passiert, ist noch offen. Aber nachdem die deutschen Ökostromanbieter massenweise Strom aus österreichischen Wasserkraftwerken kaufen, dürfte es für MAXENERGY ja kein Problem sein, den sauberen französischen, belgischen, schwedischen, finnischen, schweizerischen oder tschechischen Kernenergiestrom zu kaufen.

Drohnen über Kernkraftwerken

2014-11-27, 00:38h, ZDF, “heute nacht”, die Mutter aller Qualitätsnachrichtensendungen. Das Aufmacherthema sind die “Ufo-Flüge” über französischen Kernkraftwerken. Als Expertin in Bild und Ton: Oda Becker. Bei dem Namen klingelte irgendwas, und eine kurze Googelei später finde ich zwei Artikel aus “Zettels Raum”, einem meiner Lieblingsblogs (leider ist Blog-Gründer “Zettel” viel zu früh von uns gegangen). Bis heute hat noch niemand verstanden, was Frau Becker qualifiziert, über die Sicherheit von Kernkraftwerken zu referieren. Ihre Ausführungen in der heute-Sendung erreichten denn auch nicht mal das Niveau der Sendung mit der Maus. Nein, das ist unfair formuliert. Sie erreichten bei weitem nicht das Niveau der Sendung mit der Maus.

Die Sendung endet mit Berichten von den Champions League-Begegnungen, davor ein Bericht über einen Karikaturisten aus China. Ja, es ist wieder über allerhand Relevantes aus der ganzen Welt berichtet worden.

Lieblingsblogs vorgestellt: nukeKlaus.net

Als Teilzeit-und-nur-wenn-ich-gerade-Bock-habe-Blogger ist meine Artikelfrequenz naturgemäß sehr überschaubar. Tatsächlich ist sie momentan deutlich höher, als ich mir selbst beim Start des “4-Blog-Experiments” zugetraut hätte, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das auf Dauer nicht durchhalten werde.

Umso wichtiger, dass es da draußen eine Menge anderer Blogs gibt, die qualitativ noch deutlich über dem liegen, was ich hier fabriziere. Deshalb will ich in loser Folge meine “Lieblingsblogs” hier vorstellen, die ich auf die eine oder andere Weise als außergewöhnlich und empfehlenswert empfinde.

Beginnen will ich mit nukeKlaus.net. Dr. Klaus-Dieter Humpich schreibt dort regelmäßig “Nachrichten aus der Kerntechnik”. Im deutschsprachigen Raum dürfte dieser Blog einzigartig sein, und das in mehrerlei Hinsicht: er bietet einen überwiegend positiven Blick auf die Kernenergie und bleibt trotzdem nüchtern an den Fakten orientiert (auch wenn sich der Autor die eine oder andere Spitze manchmal nicht verkneifen kann), er bedient sich vielerlei internationaler Quellen für die Beiträge, er bietet ausführliche und auch sprachlich einwandfreie Beiträge. Die Bandbreite der Themen ist beachtlich, es werden oft auch allgemeine energietechnische Problemstellungen beleuchtet, von der Energiewende bis zum Netzausbau. Wohltuend auch die kritischen Berichte zu den kerntechnischen Wundermaschinen von den verschiedenen SMR-Konzepten bis zu den GenIV-Reaktoren.

Ein weiterer Pluspunkt: der Autor wird von Seiten der Anti-Atom-Lobby aufs Schärfste kritisiert und gerne auch persönlich angegriffen, ohne sich mit den Sachargumenten zu beschäftigen. Gut, die Anti-Atom-Lobby arbeitet halt so – viel Geschrei, wenig Substanz. Aber zu einer namentlichen Nennung auf deren Propagandaseiten haben es trotzdem nicht viele gebracht. Ein echtes Qualitätsmerkmal.

Ich empfehle allen, die sich einen neutralen Blick auf die Energiewirtschaft erhalten wollen, regelmäßig bei nukeKlaus.net vorbeizuschauen. Die Schauergeschichten über die Kerntechnik in den Qualitätsmedien brauchen einen faktenbasierten Kontrapunkt.

Ich schließe mit einem treffenden Energiewende-Zitat von Klaus-Dieter Humpich: “In diesem Sinne, glückliches „atomfreies“ Deutschland, denn diesmal muss der Letzte nicht mal mehr das Licht ausmachen.”

Edit: nukeKlaus.de ist jetzt nukeKlaus.net, die .de-Domain scheint nicht verlängert worden zu sein. Alle Links und den Titel angepasst.

Die Doomer sind zurück

In den letzten Tagen wurde vermehrt wieder die (mediale) Sau der demnächst untergehenden Welt durchs Dorf getrieben. Der Living Planet Report des WWF beispielsweise.

Seit Jahrzehnten, mindestens aber seit der Zeit des Berichts an den Club of Rome (“Grenzen des Wachstums”) und “The Population Bomb” von Paul R. Ehrlich, grüßt jährlich (und manchmal auch täglich) das Murmeltier. Der Tenor ist stets derselbe: Die westliche Lebensweise ist eine Sünde, denn sie verbraucht zu viele Ressourcen. Wir versündigen uns an unseren Kindern, denn bekanntlich haben wir von denen die Erde nur geliehen. Im aktuellen Fall verbraucht die Menschheit die Ressourcen von 1,5 Erden, wir Deutschen hochgerechnet sogar von 2,5 Erden. Die Rohstoffe sind endlich und gehen zur Neige. Dazu noch ein Löffelchen “Peak Oil”-Panik – das Ende vom Öl ist schließlich ein bewährter Angstmacher. Artensterben ist auch immer ein Renner gewesen. Und immer häufiger die Forderung, man möge sich doch vegetarisch, besser aber noch vegan ernähren – nur so kann man die Welt retten.

Um mal eine nicht besonders mutige Prognose zu wagen: das Gerede vom Verzicht wird gar nichts ändern – insbesondere, weil die Prediger des Verzichts selbst eher der “Wasser predigen – Wein trinken”-Fraktion angehören und deshalb wenig glaubwürdig sind. Und man muss sich vor Augen halten, dass der größere Teil der Welt nicht besonders viel hat, auf das verzichtet werden kann. Es gibt einen enormen Nachholbedarf in punkto Wohlstand. Um es plakativ auszudrücken: der Inder, der Chinese, der Indonesier, der Brasilianer – sie alle streben nach einer Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Wer dort Verzicht predigt, wird entweder ausgelacht oder aus dem Land gejagt – und das zu Recht.
[Read more…]

Oh WELT, was ist aus dir geworden

Seit vielen Jahren gönne ich mir zwei Wochen im Jahr eine “Auszeit”. Da entspanne ich auf den Kanaren und fülle meinen Tag mit dem Lesen aktueller Presseerzeugnisse, vulgo Tageszeitungen. Früher war die Begrenzung das, was die örtlichen Supermärkte an “International Press” am Start hatten – und man musste verrückt genug sein, mit der Zeitung von gestern leben zu können. Seit Amazon uns den Kindle geschenkt hat, ist das Gott sei Dank Geschichte, und ich genieße tagesaktuell meine favorisierte Auswahl: Die FAZ, die WELT und die NZZ. Über die Jahre erlaubt das auch interessante Rückschlüsse auf die Qualität und die politische Richtung, in die sich eine Zeitung redaktionell bewegt.

Einen gewissen Verfall der Qualität (neben einem gewissen Linksdrift – ob es da einen Zusammenhang gibt?) kann man über die Jahre durchaus feststellen. Insbesondere das Feuilleton der FAZ ist wirklich ein Schreckenskabinett geworden. Aber der Politik- und Wirtschaftsteil war doch noch von gewisser Qualität, und entgegen Zeitungen wie SZ (nicht umsonst auch unter den Namen “Neues Süddeutschland” oder “Prantl-Prawda” bekannt), Frankfurter Rundschau oder taz wird auch durchaus noch zwischen Bericht und Kommentar unterschieden.

Was ich heute allerdings in der WELT lesendurfte (oder musste?), bewirbt sich nachdrücklich für den Preis “Tiefpunkt des Qualitätsjournalismus”. Ein gewisser Hans Rühle – von 1982 bis 1988 Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium – philosophiert hier über die nuklearen Ambitionen der Türkei. Seine Indizienkette beruht aber leider auf konsequenter Physikabstinenz und Vermeidung logischer Schlussfolgerungen. Wieder einmal wird der Plutoniumteufel an die Wand gemalt. Leider in Verbindung mit Leichtwasserreaktoren (in diesem Falle russischer Bauart). Wenn das der Plan der Türkei ist, an Kernwaffen zu kommen, wurden sie sehr schlecht beraten. Denn jeder Idiot weiß, dass abgebrannte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren eine denkbar schlechte Quelle für waffenfähiges Plutonium sind – das hat mit dem nicht verhinderbaren, unangenehm hohen Anteil an Plutonium-240 zu tun; eigentlich Physik-Basiswissen. Deshalb gibt es auch keinen Kernwaffenstaat auf der Welt, der mittels Leichtwasserreaktoren an Kernwaffen gekommen ist. Auch die im Bericht zitierten Pakistanis, die ja immer im Verdacht stehen, Gott und die Welt mit ihrem Kernwaffen-Know-How zu versorgen, wussten und wissen das, und haben sich für die vergleichsweise unproblematische Uranvariante entschieden. Eine Variante, die überhaupt keine Kernspaltungsreaktoren benötigt, sondern nur ein paar Zentrifugen, die die notwendige Anreicherung besorgen.

Weil die Türkei nun den Russen nur die Kernreaktoren abgekauft haben und nicht auch gleich die Brennstoffversorgung mit in Auftrag gegeben haben (laut Autor typischerweise für 60 Jahre – eine interessante These, für die es meines Wissens keinen bekannten Präzedenzfall gibt), sind sie natürlich hochverdächtig, die Türken. Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Ein Staat, der nicht vom Ausland abhängig sein will? Undenkbar, dass es dafür lautere Motive geben kann. Oder vielleicht war das “all inclusive”-Angebot der Russen ja auch preislich uninteressant. Brennelemente kann man durchaus auch anderswo kaufen.

Tatsächlich gibt es viele gute Gründe, den Brennstoffkreislauf selbst in die Hand zu nehmen. Insbesondere bei der Verwertung abgebrannter Brennelemente gibt es interessante Technologien, die im Moment weltweit nur auf Sparflamme entwickelt werden. Hier könnte die Türkei dem Rest der Welt einen großen Gefallen tun und gleichzeitig für die Entsorgung der Abfälle reichlich Geld kassieren.

Dass der Autor dann noch von einer Zusammensetzung abgebrannter Brennelemente phantasiert, die aus welchem Grund auch immer 90% Abfall enthalten sollen – es kann nicht wirklich überraschen. Aber es wirft ein interessantes Schlaglicht auf die Qualität eines ehemaligen hohen Bundesbeamten. Genauso wie auf die redaktionelle Kontrolle der WELT.

Abschließend sei die Bemerkung erlaubt, dass es keinesfalls ausgeschlossen ist, dass die Türkei tatsächlich nach Atomwaffen strebt. Der Bau von zivilen Leichtwasserreaktoren ist dafür aber niemals der geeignete Kronzeuge, kein geeignetes Indiz. Nach wie vor teilen nicht alle Staaten der Welt unsere Kernenergiephobie, sondern haben erkannt, dass die Kernenergie durchaus Vorteile gegenüber der Konkurrenz wie Kohle, Gas und Öl hat. Es ist nach wie vor die umweltfreundlichste Art und Weise, Strom zu erzeugen.